Protocol of the Session on November 17, 2010

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen sehr klar: Wir brauchen Mindestlöhne, klare Regeln für Leiharbeit, und wir müssen die Renten armutsfest machen.

(Judith Lannert (CDU): Immer dieselbe Leier!)

Ja, es ist immer dieselbe Leier, weil es die Lebenswirklichkeit ist, die uns antreibt in den Fragen, die uns beschäftigen, und in den Antworten, die wir dazu geben müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Arroganz ist es, die genau diese Lebenswirklichkeit missachtet. Das ist doch genau der Kern dieser Auseinandersetzung am heutigen Morgen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sagen Sie doch etwas zur Arbeitslosigkeit!)

Die Armutslöhne von heute sind die Armutsrenten von morgen. Herr Wagner, für Sie als Pseudoökonom will ich dazu deutlich ergänzen: Die Armutslöhne von heute sind aber auch die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise von morgen, nicht alleine, aber in erheblichem Umfang, und das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen. Denn wir können nicht alleine von der Exportorientierung abhängig sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sagen Sie etwas zu den Arbeitslosenzahlen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Wagner macht einen qualifizierten Zwischenruf. Er sagt: „Sagen Sie etwas zu den Arbeitslosenzahlen“. Das mache ich gerne, Herr Wagner. Ich bin sehr dankbar für den Zwischenruf.

(Judith Lannert (CDU): Jetzt bin ich gespannt!)

Der entscheidende Punkt ist: In der Tat gibt es einen Beschäftigungsaufbau. Aber genau über den rede ich. Der Beschäftigungsaufbau macht sich im Moment im Kern in Leiharbeit, in prekärer Beschäftigung fest.

(Judith Lannert (CDU): Das ist doch gar nicht wahr!)

Das ist der Großteil des Beschäftigungsaufbaus, der im Moment stattfindet, Herr Wagner, und das hat Konsequenzen: sozial, arbeitsmarktpolitisch und ökonomisch. Über diese Konsequenzen müssen wir reden. Denn wenn ein Viertel der Belegschaft mittlerweile in prekärer Beschäftigung arbeitet, dann sind das die Armutsrentner von morgen und übermorgen. Damit müssen Sie sich einmal

beschäftigen. Die Rente mit 67 ist doch ein laues Lüftchen gegen das, was da an sozialen Fragen auf uns zukommt.

(Beifall bei der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Wir sind international spitze! – Weitere Zurufe von der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen den gesetzlichen Mindestlohn und klare Regeln für die Leiharbeit. Wir brauchen mehr Schutz und Sicherheit für die Beschäftigten. Wir brauchen eine solidarische Lastenverteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Sozialpartnerschaft in unserem Land, die das Land so stark gemacht hat, muss endlich wieder mit Substanz gefüllt werden. Was machen Sie? Sie lassen die kleinen Unternehmen, den Mittelstand, das Handwerk sowie die Beschäftigten im Stich. Am 1. Mai 2011 kommt die Freizügigkeit in der Europäischen Union. Handwerk, Mittelstand, Gewerkschaften fordern Sie alle auf, endlich ein Vergabegesetz vorzulegen. Herr Banzer, der ehemalige Sozial- und Arbeitsminister, hat auf der DGB-Landeskonferenz versprochen, dass dieses Gesetz kommt.

(Beifall bei der SPD)

Wo ist es? Sie machen es nicht. Sie lassen das Handwerk, den Mittelstand, die kleinen Unternehmen und die Beschäftigten allein. Sie sind für unfairen Wettbewerb. Genau das ist der Kern der Frage, die sich mit dem Vergabegesetz beschäftigt. Wir brauchen fairen Wettbewerb.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Herr Reif, Sie haben davon keine Ahnung, mit Verlaub.

(Zurufe von der CDU)

Ich habe den Teil des Briefes der Frau zu Ihnen nicht vorgelesen, zu ihrem Schutz.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Aber Sie sind nicht in der Lage, ein Vergabegesetz vorzulegen, das das Handwerk, den Mittelstand und die Beschäftigten vor unfairem Wettbewerb schützt. Wo sind Ihre Gesetzesvorlagen, Herr Arbeitsminister?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wo ist er? – Da ist er. Wo ist das Gesetz? Sie haben es zugesagt, es ist versprochen, aber es kommt nichts. Das ist im Übrigen etwas, was immer und immer wieder bei Ihnen Thema ist. Bei Herrn Banzer wundert uns das nicht.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten, damit der Redner auch von allen gut zu vernehmen ist.

Bei Herrn Banzer wundert uns das nicht. Den haben Sie regelmäßig im Regen stehen lassen. Herr Banzer hat zugesagt, die Städte und Gemeinden bei der Mindestverordnung zu unterstützen und es auszufinanzieren. Was haben Sie gemacht? Das genaue Gegenteil. Sie haben ihn im Regen stehen lassen. Genau so ist es jetzt beim Vergabegesetz.

(Zuruf der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))

Insofern verstehe ich, dass das, was an Zusagen von Herrn Banzer gekommen ist, am Ende nicht eingehalten wird. Aber ich sage Ihnen: Die Menschen werden sich das merken. Die Städte und Gemeinden werden sich das merken. Das Handwerk wird sich das merken, der Mittelstand wird sich das merken, und die Beschäftigten sowieso, dass Sie sie im Stich lassen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die merken das Konjunkturprogramm!)

Das ist genau der Kern der heutigen Debatte. Sie nehmen die Lebenswirklichkeit nicht zur Kenntnis. Sie setzen auf mediale Inszenierung. In der Substanz haben Sie nichts mehr zu bieten. Sie haben abgewirtschaftet. Sie sind fertig.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht ist meine Anforderung an die Landesregierung – natürlicherweise – ein bisschen zu hoch,

(Lachen des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

dass sie zumindest eine Idee von diesem Land hat. Aber offensichtlich geht es nicht nur mir so. Ich habe mit einigen Unternehmern vor einigen Tagen über die Entwicklung im IT-Bereich gesprochen, was ich regelmäßig mache. Deren Botschaft war ziemlich eindeutig, sowohl bei Bildung, bei Mittelstandsförderung wie auch bei Familienpolitik: Fehlanzeige, keine Impulse, nichts, was von Ihnen geliefert wird.

Noch toller sind allerdings die Berichte über das Finanzmarktforum, das Sie selbst gegründet haben, nachdem Sie kräftig gerudert und es mit großem Pomp inszeniert haben.

Ich werde Sie heute mit wenigen Zitaten traktieren, aber zwei muss ich Ihnen doch vorlesen. Es gibt eine Bericht erstattung über Ihr Finanzmarktforum aus der „Frankfurter Rundschau“.

(Lachen bei der CDU – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aus der „Frankfurter Rundschau“ von vor 13 Tagen? – Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Wagner ist ein echter Kasper. Aber keine Sorge, Herr Wagner, ich werde nur die Zitate von Ihnen und anderen vorlesen. – Wörtliches Zitat:

„Die Welt wird nach der Krise nicht mehr so sein, wie sie war. Der Finanzplatz Frankfurt muss sich neu orientieren.“ Also sprach Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier? Falsch. Die Aussagen stammen von Udo Steffens, dem Präsidenten der Frankfurt School of Finance and Business, älteren Zeitgenossen auch als Bankakademie bekannt. Sie hatte ihre Räume einer Veranstaltung des „CDU-Zukunftsforums Finanzplatz Frankfurt“ zur Verfügung gestellt, auf der Bouffier über dessen „Perspektiven“ reden sollte.

Doch wer nach Steffens Begrüßungsworten erwartet hatte, dass der CDU-Politiker mit konkreten (Reform-) Vorschlägen aufwarten würde, sah sich getäuscht. Stattdessen erlebten die versammelten Banker und Parteifreunde eine Art frühmorgendlicher Seelenmassage.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Nur sei es leider bis heute nicht gelungen,

so der Ministerpräsident –

der Bevölkerung die „systemische Bedeutung“ des Finanzgewerbes zu vermitteln. An den „Spätschäden der Krise“, dem enormen Vertrauensverlust, müsse noch „lange gearbeitet“ werden. „Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir aus der Krise nichts gelernt“, sagt Bouffier. Die CDU habe „Ideen, wie es weitergeht“. Die behält der Ministerpräsident an diesem Vormittag aber für sich.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört! – Gegenruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))