Protocol of the Session on September 30, 2010

Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie die Teilhabe von Kindern nicht berücksichtigt haben. Das hat man Ihnen vorgeworfen und nicht uns. Ihnen als GRÜNEN ist vorgeworfen worden, dass Sie Bildungschancen von Kindern mit Füßen getreten haben. Jetzt kommen Sie hierher und tun so,als hätten Sie damit nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP)

Herr Al-Wazir, Sie brauchen gar nicht so ein Gesicht zu ziehen, jetzt holt Sie die Geschichte ein. Nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekannt geworden ist, haben Sie überall herumtrompetet: Es gibt jetzt 400 c, es gibt über 420 c, es wird maßgeblich mehr Geld geben. – Sie haben bei den Leuten Hoffnungen geweckt, obwohl Sie gewusst haben, dass das nicht gerechtfertigt ist. Sie haben ddie Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einer Form interpretiert, die sie überhaupt nicht hergibt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie haben der neuen Bundesregierung einen Scherbenhaufen hinterlassen,den wir jetzt aufräumen müssen.Jetzt stellen Sie sich hin und tun so, als wären Sie nicht beteiligt gewesen. Sie stellen sich hin und zeigen mit dem Finger auf uns. Das ist eine Unverschämtheit, das muss ich Ihnen einmal sagen.

(Beifall bei der FDP)

Sie stellen sich hin und sagen wissentlich die Unwahrheit. Sie sagen, man müsse nicht die unteren 20 % nehmen, wie es schon vorgesehen war, um diesen Satz zu berechnen, und dann sagen Sie, es seien 15 %. Herr Schäfer-Gümbel sagt, man dürfe die Hartz-IV-Empfänger nicht mitberechnen. Sie wissen ganz genau, dass wir die unteren 20 % genommen haben und die Hartz-IV-Empfänger herausgerechnet haben. Darum kommen am Ende 15 % heraus. Das war eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Das müssen wir machen, damit kein Zirkelschluss stattfindet.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Lieber Herr Bocklet, das was Sie hier vorgetragen haben, war ein Unding und unerträglich.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie müssten erst einmal Ihre eigenen Grundlagen kennen!)

Ich will Ihnen aus Sicht der Hessischen Landesregierung und aus Sicht der sie tragenden Fraktionen sagen:Was haben wir getan? Wir haben die Bildungsausgaben in diesem Land so hoch geschraubt, wie sie in diesem Land noch nie gewesen sind. Das Land Hessen gibt so viel für Bildung aus wie noch nie.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir haben die Mindestverordnung gemacht. Wir haben das Mittagessen eingeführt.Wir haben so viele Ganztagsschulangebote wie noch nie.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD):Was heißt, ihr habt die Mindestverordnung gemacht?)

Wir haben ein Konjunkturprogramm aufgelegt, von dem die Schulen in Hessen massiv profitiert haben. Das hat diese Regierung und das haben diese Fraktionen gemacht, und nicht Sie. Das lasse ich mir von Ihnen nicht sagen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Jetzt kommen wir einmal zum eigentlichen Thema.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das SGB II, Hartz IV, ist viel teurer als alles andere, was wir jemals in diesem Bereich gemacht haben. Die Wirkung war aber nicht so, wie wir sie uns gewünscht haben. Die OECD sagt ganz klar, dass wir in Deutschland bei der Langzeitarbeitslosigkeit das Schlusslicht sind und wir massiv etwas tun müssten.Wir haben versucht,Antworten zu finden. Wir sind dabei, Dinge auszubügeln, die Sie falsch gemacht haben. Dazu gehört aus meiner Sicht ganz entscheidend: Lohnabstandsgebot und eine Optimierung der Eingliederungsleistung.Wie oft haben Sie hier gestanden und gesagt, dass Geld fliese nicht ab? Wir brauchen eine Optimierung der Eingliederungsleistung. Wenn das so einfach wäre: Mehr Geld, und dann ist das Problem gelöst.

(Beifall bei der FDP)

Mir ist es mittlerweile zuwider, wenn Sie sagen: Eltern erziehen ihre Kinder besser, wenn sie 5 c mehr bekämen. Eltern lieben ihre Kinder mehr, wenn sie 5 c mehr bekommen. Eltern sind verantwortungsvoller, wenn sie 5 c mehr bekommen. – Das ist eine Scheindebatte, die völlig am Thema vorbeigeht. Das tut mir weh.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich sage Ihnen natürlich auch, dieser Referentenentwurf wird irgendwann beschlossen, dann geht er in die Anhörung, dann gibt es womöglich noch Fehler, dann wird nachgebessert und diskutiert, und anschließend wird er in den Bundesrat gehen. Da passiert noch sehr viel.Aber die Grundrichtung ist absolut richtig, sie ist nicht zu kritisieren. Wir haben alle wichtigen Bestandteile, die das Bundesverfassungsgericht uns ins Stammbuch geschrieben hat, aufgenommen und haben versucht, sie zu lösen. Da sind wir auf einem guten Weg.Wir sind stolz auf unsere Bundesregierung und auf unsere Arbeitsministerin. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Er hat geredet, ohne etwas über das Gesetz zu sagen!)

Vielen Dank, Herr Rock. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Anhand dieser Debatte wird sehr deutlich, dass es sehr unterschiedliche Ansätze darüber gibt, wie Sozialpolitik auszusehen hat. Das wird auch an der Diskussion über die Höhe der Regelsätze deutlich. Herr Bocklet hat eben von 415 c gesprochen, die nach seiner Auffassung die richtige Zahl wären. Von den LINKEN haben wir heute keine Zahl genannt bekommen. Ausweislich einer Presseveröffentlichung sprechen sie von 500 c.An dieser Stelle muss man berücksichtigen: Bei 415 c würden auf einen Schlag mehrere Hunderttausend Menschen in das System der passiven Leistungen einbezogen werden. Bei 500 c würden mit einem Schlag 2 Millionen Menschen neu in das System der passiven Leistungen einbezogen werden.

Wer eine Sozialpolitik vertritt, die sich darauf beschränkt, Abhängigkeit vom Staat auszubauen und Passivität zu zementieren, der macht eine kraftlose und eine mutlose Sozialpolitik. Für uns ist es notwendig, diejenigen, die unverschuldet in Not gekommen sind, Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, damit sie sich aus eigener Kraft daraus wieder befreien können.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Marcus Bock- let (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):70 Millionen c!)

Wir brauchen eine aktivierende Sozialpolitik. Wir brauchen in einer solchen Diskussion keine Semantik, die mit „sozialem Kahlschlag“, „Sauerei“ und „politischem Geschacher“ auf dem Rücken der Armen geführt wird.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es aber!)

Nein, es ist eben nicht so. Nach meiner festen Überzeugung haben Bürgerinnen und Bürger eine klare Erwartungshaltung an die Politik. Sie wollen schlicht und ein

fach korrekt, verständlich und verlässlich darüber informiert werden, welche Unterstützungsleistungen sie zukünftig für Menschen, die oft unverschuldet von Arbeitslosigkeit betroffen sind, und ihre Kinder in der Grundsicherung erwarten können.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eine neue Grundlage geschaffen worden. Es ist schon mehrfach daran erinnert worden, die verfassungsrechtliche Überprüfung ist notwendig gewesen, da die damalige rot-grüne Bundesregierung die Bedarfe willkürlich erhoben hat. Sie hat das zuvor anhand der Grundrechte nicht anerkannt und berücksichtigt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn wir über die Frage von zusätzlichen Bedarfen von Kindern reden, dann hat das Land Hessen im Konzert mit vielen anderen Ländern die damalige Bundesregierung sehr deutlich darauf hingewiesen. Weder der ehemalige Bundessozialminister Müntefering noch sein Nachfolger Scholz hat sich überhaupt in der Lage gesehen, der Aufforderung, dieses Defizit zu beheben, zu folgen. Sie haben schlicht und einfach nichts gemacht. Deswegen ist es gut, dass das Bundesverfassungsgericht nun diese Aufforderung gegeben hat. Es ist richtig, dass die Bundesregierung endlich die Hausaufgaben gemacht hat, die Rot-Grün seit Jahren nicht gemacht hat. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Natürlich ist dabei die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 mit 60.000 Haushalten herangezogen worden, um als Basis auch die Ausgaben von Geringverdienern zu erfassen.

Was jetzt in dem Regelsatz berücksichtigt oder nicht berücksichtigt worden ist, das wissen wir alle. Das ist schon mehrfach gesagt worden. Das brauche ich an der Stelle nicht zu wiederholen.

Mir kommen aber zwei Sachen zu kurz. Der vorliegende Referentenentwurf enthält ein Paket in Höhe von 620 Millionen c, das zusätzlich für Investitionen in Bildung bereitgestellt worden ist. Es geht nach meiner Auffassung eben nicht nur darum, die Existenz, also die Basis, abzusichern, und das allein mit Geld – Geld ist nämlich kein Allheilmittel gegen Ausgrenzung und Hilflosigkeit –,sondern es geht auch darum, dass man Vertrauen schafft, dass man Vertrauen in Menschen setzt, dass sie eigene Aufstiegsmöglichkeiten haben, dass sie der Gesellschaft nicht verloren gehen. Genau an dieser Stelle setzen die Investitionen in die Bildung für Kinder von Hartz-IVEmpfängern in Höhe von 620 Millionen c an. Das ist weitaus mehr, als jemals in Regelsatzdiskussionen gefordert worden ist.

Das Zweite,was man wissen muss,ist schlicht und einfach: Wir müssen auch das Lohnabstandsgebot wahren.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So ist es!)

Natürlich haben Langzeitarbeitslose einen Anspruch auf ein Existenzminimum. Aber Arbeit muss sich möglichst immer mehr lohnen als jegliche Unterstützung vom Staat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir müssen immer mit berücksichtigen:Wer eine Arbeitsstelle hat, dem werden Sozialbeiträge abgezogen, der muss Krankenversicherung bezahlen, der wird nicht von der Rundfunkgebühr befreit, der hat keine Vergünstigungen im Personennahverkehr. Das müssen wir immer sehen.Wer arbeitet und Geringverdiener ist, der muss doch

einen Anreiz haben, nicht in staatliche Transferleistungen zurückzufallen, sondern der muss, wenn er morgens aufsteht, um zur Arbeit zu gehen, sagen: Es lohnt sich, dass ich arbeiten gehe und keine staatlichen Transferleistungen bekomme.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren von der Opposition, es wundert mich schon,dass Sie heute nicht die OECD zitiert haben, wie Sie das bei manchen Diskussionen im Schulbereich tun.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Herr Immervoll ist mit den Worten nachzulesen: Es gibt ein Problem in Deutschland. Es gibt einen vergleichsweise zu geringen finanziellen Anreiz, eine existenzsichernde Beschäftigung aufzunehmen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Er sagt das mit seinen Worten: Nein, mit den sozialen Transferleistungen werden viele zu sehr in Watte gepackt, dass sie diese Anreize überhaupt nicht mehr haben. – An der Stelle müssen wir anpacken.An der Stelle müssen wir sagen: Jawohl, wir müssen das Lohnabstandsgebot berücksichtigen.