Protocol of the Session on September 30, 2010

Neuberechnung der Grundsätze der Regelsätze zu vollziehen. Es ist ein rein politischer Gestaltungsspielraum, der hier die Schrift trägt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um es auf den Punkt zu bringen: Herr Westerwelle und Herr Schäuble haben dieses Gesetz geschrieben. Sie haben auf dem Rücken der Langzeitarbeitslosen ihre politischen Gestaltungsspielräume genutzt, und sie haben sie voll durchschlagen lassen.

Da ich schon ahne, dass solche Formulierungen aus dem Sozialgesetzbuch der FDP Schauer des Grauens über den Rücken jagen, will ich Sie an Ihren eigenen Maßstäben messen. Die Bundesregierung hat drei Argumente ins Feld geführt: Wir wollen erstens genau berechnen, wir wollen zweitens, dass es im finanzpolitisch Vertretbaren bleibt, und drittens wollen wir den Langzeitarbeitslosen schnell aus der Arbeitslosigkeit helfen. An diesen drei Maßstäben möchte ich Sie messen.

Erstens. Die Berechnung. Sie nehmen die Einkommensund Verbrauchsstichprobe, und Sie nehmen statt 20 % willkürlich 15 %.

(René Rock (FDP): Das stimmt doch gar nicht!)

Ich habe hier den Referentenentwurf. Herr Kollege, Sie brauchen mit den Zwischenrufen gar nicht zu kommen. Wir haben uns ausführlich damit beschäftigt. Ich weiß nicht, ob Sie den Referentenentwurf vorliegen haben.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Sie nehmen schon als Basisgrundlage weniger Geld für die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

Zweitens machen Sie von dieser errechneten Grundlage willkürlich Abschläge. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat zu Recht bemerkt, dass das ganz schwer verständlich ist. Dann zu sagen, es habe eine wissenschaftliche Objektivität, schlägt dem Fass den Boden aus. Schauen Sie sich an, Frau von der Leyen fordert die Opposition auf: Nennen Sie andere Berechnungsgrundlagen.

Wir sagen sie Ihnen. Erstens. Nehmen Sie die vollständige Basisgrundlage von 20 %.Zweitens.Erklären Sie bitte die willkürlichen Abschläge.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Es gibt Abschläge. Bei Nahrungsmitteln und Getränken nehmen die Kollegen 96 % statt 100 %. Das heißt, der gemeine Hartz-IV-Empfänger kann die letzten vier Tage im Monat nichts essen und nichts trinken.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Das kann man so machen. Bei Bekleidung und Schuhen sind es plötzlich nur noch 88 %, bei der Freizeit nur noch 42 %.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat seit vier Jahren eine Expertise vorgelegt,ein Gutachten erstellt.Er hat die Berechnungsgrundlagen und die Abschläge plausibel dargelegt. Wir können Ihnen unsere Berechnungen transparent und sauber vorlegen, und wir kommen zu einem anderen Ergebnis als Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg.Florian Rentsch (FDP))

Was das Berechnen betrifft, darf ich noch etwas sagen. Sie weisen weit von sich, dass irgendeine politische Einflussnahme auf die Berechnung der Regelsätze stattgefunden habe.

(Florian Rentsch (FDP): Wo ist eigentlich Gerhard Schröder?)

Eine heiße Spur führt zu einem Zahlendreher. Ich glaube, das stammt aus der „Berliner Zeitung“. Die Regierung wird dabei ertappt, wie sie vergessen hat, ihre Dateien korrekt zu löschen.In den ersten Entwürfen standen noch 39 c bei Unterhaltung und Kultur. Jetzt sind es 31 c. Bei Telefon waren es auch 39 c. Jetzt sind es 31 c.

Wir hatten das auch einmal hier. Wir haben auch einmal aus Versehen eine Computerdatei falsch ausgedruckt, weil uns ein Fehler unterlaufen ist. Ihnen ist ein Fehler unterlaufen, und Sie sind dabei erwischt worden, wie Sie es runtergerechnet haben,damit Sie keine ordentliche Erhöhung machen müssen. Das ist das Problem Ihrer Berechnung. Eigentlich müsste Ihnen die Schamesröte ins Gesicht steigen,da Sie dabei erwischt wurden,dass Sie die Politik als Maßstab nehmen und nicht eine ordentliche Berechnungsgrundlage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Der Kollege Schäfer-Gümbel hat es angedeutet: Wir müssen uns die ganzen Transferleistungen anschauen. Wir verstehen als GRÜNE nicht, und wir haben es auch damals gesagt, wie Sie 30 c Kindergeld für alle in der Bundesrepublik ausschütten – das kostet über 3 Milliarden c –, wie Sie eine Herdprämie von 150 c für Mütter einführen wollen, die zu Hause ihre Kinder betreuen. Das sind 4 Milliarden c.

Ich weiß, Sie können es nicht mehr hören, aber wir werden es Ihnen bis zur nächsten Wahl immer wieder hinterhertragen: Die Erhöhung der Regelsätze bedeutet 290 Millionen c mehr. Sie haben aber den Hoteliers 1 Milliarde c hinterhergeworfen. Hören Sie auf, von finanzpolitischer Kompetenz zu schwadronieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Jetzt kommen wir zu einem anderen Punkt. Sie wollen helfen, dass Langzeitarbeitslose schnell aus Hartz IV herauskommen. Schauen wir uns die Realität an. Was hilft Menschen aus Hartz IV? Eingliederungsleistungen, Eingliederungsmittel, Fortbildung und Weiterqualifizierung. Was macht diese Bundesregierung? 25 % dieser Mittel wurden gekürzt. Das heißt, dem Land Hessen werden 70 Millionen c Eingliederungsmittel fehlen. Das ist eine bodenlose Frechheit. Sie wollen nicht den Menschen helfen und sie wieder eingliedern.Sie wollen das Geld sparen auf Teufel komm raus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Abenteuerliche Unterstellung!)

Diese Gelder wären richtig angelegt, weil wir wissen, dass Langzeitarbeitslose ein Problem in der Bildung, in der Qualifikation haben. Wir müssen ihnen helfen, dort herauszukommen. Können Sie uns erklären, wenn Sie den Jobcentern 70 Millionen c wegnehmen,wie sie überhaupt noch sinnvoll diese Eingliederungsmaßnahmen machen sollen? Wie sollen sie sinnvoll fortbilden und weiterbilden? Können Sie das erklären? Es ist Ihnen schlicht wurscht. Sie machen diesen Etat zu einer Sparbüchse Ihrer Politik. Ihnen geht es in Wirklichkeit nicht darum,

Hartz-IV-Empfängern zu helfen. Das ist reines politisches Weltbild, das Sie hier durchsetzen, und keine wahre Arbeitsmarktpolitik.

(Lachen bei der FDP – Clemens Reif (CDU): Abenteuerlich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,wir haben auch eigene Vorschläge:Wir wollen eine saubere Berechnungsgrundlage. Wir haben uns gestützt auf den Paritätischen Wohlfahrtsverband. Er hat die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorgelegt. Er hat dazu auch klargelegt, welche Abschläge vorzunehmen oder zu unterlassen sind, welche Inhalte hereinzunehmen sind. Auf dieser Grundlage sind wir für Erwachsene bei 415 c gelandet.

Es ist bekannt – das ist unstreitig zwischen fortschrittlichen Leuten, die sich mit der Realität auseinandersetzten –, dass wir auch bei Kindern gefordert haben, dass es eine eigene Berechnungsgrundlage gibt. Wieder gibt es keine eigene Berechnungsgrundlage. Schauen Sie sich den Referentenentwurf an.Wieder wurden nur Abschläge von Erwachsenen genommen und kein eigenständiger Regelsatz. Das ist ein Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein ganz billiger Widerspruch. Sie kommen dem nicht nach.

Wenn wir feststellen, Sie berechnen nicht richtig, Sie fördern nicht richtig, und in der Finanzierung wollen Sie zwar, aber können nicht, dann ist das, was in Berlin stattfindet, an Ihren eigenen Maßstäben gemessen ein unwürdiges Schauspiel. Am Ende kommen 16 Cent für betroffene Hartz-IV-Empfänger heraus. 5 c, das ist eine Provokation.Man muss es so sagen.Das entspricht nicht der Lebenserfahrung. Das hilft auch nicht den Kindern.

Wenn ich das Stichwort noch sagen darf: Sie wollen 120 c pro Kind und Jahr, also 10 c im Monat, geben. Das wollen Sie über die Jobcenter geben. Sie müssen aber noch hineinrechnen, dass diese Jobcenter ihre Verwaltungskosten haben.Dann werden am Ende 6 oder 7 c bei den Kindern landen. Dazu kommt noch, dass wir nicht glauben, dass das Jobcenter das richtige Verteilzentrum für diese Leistung ist. Warum nicht die Jugendämter? Die Jobcenter sind heute schon damit überfordert, wirklich fundiert und klug zu beraten und einzugliedern. Denen geben Sie jetzt noch die Aufgabe, für Bildung zuständig zu werden. Wir bezweifeln den Sinn dieses Verfahrens nachhaltig.Wir finden es richtig, dass ein Bildungspaket angestrebt wird. Es ist aber zu wenig, das ist auch klar. Wir haben gesagt, in diesem Dreiklang von Berechnen, Finanzpolitik und Helfen der Hartz-IV-Empfänger versagt die Bundesregierung.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, der soziale Friede war unter Helmut Kohl und Norbert Blüm noch ein Wert. Ich bezweifele, dass wir so den sozialen Frieden nachhaltig gewährleisten können. Sie leisten den Sozialhilfeempfängern einen Bärendienst. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Bocklet. – Als Nächster spricht Herr Rock für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bocklet, ich bin wirklich ein bisschen überrascht. Sie haben vorgetragen, Sie hätten eigene Ideen, Sie hätten Vorstellungen. Habe ich Ihren Antrag zu dem Thema verpasst? Haben Sie ihn gestellt, und er liegt mir nicht vor? Ich meine, sonst haben Sie zu allen Themen Anträge und definieren es schriftlich. Herr Bocklet, ich glaube, Sie wollen einfach vertuschen, dass Sie damals dabei waren, als Hartz IV eingeführt worden ist.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Schäfer-Gümbel hat versucht, durch seinen Vortrag ein bisschen von dem eigentlichen Thema abzulenken. Sie sind voll in die Falle hineingegangen. Sie müssten sich bei dem Thema eigentlich unter dem Tisch verkriechen.

Das Bundesverfassungsgericht hat über ein Gesetz geurteilt,das Rot-Grün verabschiedet hat,also auch die GRÜNEN.Sie haben diesem Gesetz im Bundestag zugestimmt, wir als FDP nicht.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Im Bundesrat!)

Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die Struktur des Gesetzes ist falsch und widerspricht der Verfassung. – Ein grünes Gesetz, und die Struktur ist falsch.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Hessische Landesregierung – damals Roland Koch und Jörg-Uwe Hahn – hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es überhaupt noch möglich ist, Hilfe aus einer Hand zu gewähren. Das war die Hessische Landesregierung, das waren nicht die GRÜNEN.

Man hat den GRÜNEN Willkür bei der Bemessung vorgeworfen. Ihnen ist vom höchsten deutschen Gericht vorgeworfen worden, dass Sie Willkür bei der Bemessung haben walten lassen. Das ist Ihnen vorgeworfen worden und nicht uns.

(Beifall bei der FDP)

Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie die Teilhabe von Kindern nicht berücksichtigt haben. Das hat man Ihnen vorgeworfen und nicht uns. Ihnen als GRÜNEN ist vorgeworfen worden, dass Sie Bildungschancen von Kindern mit Füßen getreten haben. Jetzt kommen Sie hierher und tun so,als hätten Sie damit nichts zu tun.