Protocol of the Session on September 28, 2010

Deswegen beschränke ich mich im Wesentlichen auf das, was Sie uns zu sagen hatten. Sie haben in dieser Regie

rungserklärung vieles nicht angesprochen, was jetzt im letzten Schlenker wieder eingefangen werden sollte. Sie haben beispielsweise zunächst nichts darüber gesagt, wie Sie ein inklusives Schulsystem in Hessen herstellen wollen,wie Sie endlich die Behindertenrechtskonvention umsetzen wollen, die bereits seit 01.01.2009 in Kraft ist.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich habe heute dazu lediglich gehört, dass Sie die Ausnahme in die Regel verkehren wollen. Die Regel wird zukünftig, dass behinderte Kinder eine Regelschule besuchen können, und es soll nicht Ausnahme bleiben. Sie haben allerdings nicht gesagt, wie Sie das realisieren wollen, da Sie auch mit diesem Haushalt wieder nicht in der Lage waren, zusätzliche Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen, die überhaupt an den Regelschulen eingesetzt werden können, um diesen inklusiven Unterricht umzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Reine Phrasen!)

Sie haben die Einschränkung vorgenommen, die genau nicht dem Geist der Konvention entspricht. Sie haben gesagt: wenn es die sächlichen, räumlichen und personellen Voraussetzungen erlauben. – Frau Kultusministerin, hier sind Sie auf dem Holzweg. Es ist das Recht aller Eltern, zu beanspruchen, dass ihr Kind in diesem Land eine Regelschule besucht.Wir erwarten, dass dafür auch die Voraussetzungen im Hessischen Schulgesetz geschaffen werden und nicht mit Hinweis auf mögliche Haushaltsprobleme oder andere Probleme diese Regel wieder in die Ausnahme verkehrt wird.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Was Sie hier vorschlagen, geht nicht sehr weit. Das ist auch ganz logisch;denn es gab mit Sicherheit größere Probleme mit dem Koalitionspartner hier auf der rechten Seite, diese inklusive Schule mit Leben zu erfüllen. Frau Kultusministerin,wenn ich die Behindertenrechtskonvention ernst nehme, dann bedeutet sie letztlich eine Schule für alle Kinder.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Sortieren in Schubladen nach Beeinträchtigung, nach Noten oder Lernstand macht keinen Sinn mehr, wenn man die Konvention ernst nimmt und das gemeinsame Lernen der Kinder als Regel umsetzt. Ohne dass ich mich auf Ihren Entwurf eines Schulgesetzes beziehen kann, der für uns im Moment Fiktion ist, kann ich feststellen, dass Sie diesem Ziel nicht gerecht werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Sie haben auch nichts dazu gesagt, wie man Herkunft und Bildungserfolg voneinander entkoppelt und die Ungleichheit von Bildungschancen in diesem Land endgültig bekämpft. Frau Kultusministerin, Ihre Ansätze für eine Neuausrichtung der frühkindlichen Bildung sind nicht erkennbar. Weder sind Sie in der Lage, die Schuleingangsstufe in entsprechendem Ausmaß voranzutreiben und den Schulen die Möglichkeiten dafür zu geben, noch ist Ihre Schulvorbereitungsphase in eine Realisierung übergegangen. Wir haben in der Fragestunde gerade gehört, dass es bisher noch nicht einmal ein Konzept dafür gibt. Und wenn es eines gibt, dann wird die Kultusministerin nicht daran beteiligt gewesen sein; denn das macht inzwischen der Sozialminister.

Meine Damen und Herren, die Einführung des Bildungsund Erziehungsplans stagniert. Auch hierzu gibt es nichts Neues zu vermelden.

Die frühe Selektion nach Klasse 4 versuchen Sie durch Ihr tot geborenes Konstrukt der Mittelstufenschule zu retten.

(Florian Rentsch (FDP): Das sagt die Richtige, ein Blick nach Hamburg!)

Ich blicke gern nach Hamburg, Herr Rentsch; denn in Hamburg gibt es inzwischen ein zweigliedriges Schulsystem und keine Hauptschule mehr.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Es gab auch keine Abstimmung in der Bevölkerung darüber, ob dies gewünscht wird oder nicht. Diese Reform wird umgesetzt, und sie ist eine vernünftige Reform, von der CDU in Hamburg angestoßen.

Eine solche Reform, die in den meisten CDU-geführten Bundesländern inzwischen zur Realität wird, ist mit der hessischen CDU offensichtlich nicht umzusetzen. Die konsequente Auflösung eines eigenständigen Bildungsganges Hauptschule ist auch in Hessen längst überfällig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die meisten Bundesländer haben erkannt, dass die demografische Entwicklung ein Umdenken erforderlich macht, damit jeder Bildungsabschluss für jedes Kind auch räumlich erreichbar bleibt und sehr lange Schulwege ausbleiben. Dieses kann aber nicht gewährleistet werden, wenn überall und an jeder Stelle verschiedene Schulformen in Kleinstschulen erhalten bleiben.

Die Bundesländer haben auch aus PISA gelernt, dass die Ergebnisse in denjenigen Bundesländern besser sind, die auf eine Vielzahl von Schulformen verzichten und nur auf zwei oder drei Schulformen setzen. Denn dort genießen die Kinder ein Lernklima, das durch Vielfalt, nicht aber durch Selektion in kleine und Kleinstgruppen geprägt ist.

(Beifall bei der SPD)

Nur in Hessen steht die Zeit still, und Sie machen erneut den untauglichen Versuch, mit dem neuen Konstrukt der sogenannten Mittelstufenschule etwas zu retten,was nicht zu retten ist. Schließlich haben die Eltern längst mit den Füßen abgestimmt und sagen: Unser Kind soll keine Hauptschule besuchen. Unser Kind soll eine Schule besuchen, die den Abschluss möglichst lange offenhält. – Dieses sollten wir den Kindern und Eltern zugestehen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Sie haben auch etwas zu den 105 % Lehrerversorgung gesagt, Frau Kultusministerin. Sie haben uns allerdings nicht erklärt, wie Sie es machen wollen. In dieses Dunkel hat ein Berichtsantrag der SPD im Kulturpolitischen Ausschuss etwas Licht gebracht. Er hat den Beweis geliefert, meine Damen und Herren, dass man dieses Wahlversprechen bereits heute als gebrochen bezeichnen kann.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Auf die Frage, wie hoch die Lehrerversorgung zu Beginn des Schuljahres 2008/2009 war, lautete die Antwort der Landesregierung: 100 %. – Ein Jahr später, also im Schuljahr 2009/2010, gab es 1.000 Lehrerstellen mehr. Die Lehrerversorgung liegt nach Aussage der Kultusministerin weiterhin bei 100 %. Und im Schuljahr 2010/2011 – es kamen 650 Stellen zusätzlich hinzu – erwartet das Kultusministerium eine 100-prozentige Abdeckung des Unterrichts, meine Damen und Herren. Sie sind der Einhaltung

Ihres Versprechens keinen einzigen Schritt näher gekommen.

Die Lösung dieses mathematischen Rätsels ist einfach – ich habe Sie bereits in der Debatte vor einem Jahr darauf hingewiesen –: Sie haben versprochen, dass den Schulen 5 % zusätzlich zur freien Verfügung stehen, um eigene pädagogische und inhaltliche Schwerpunkte umzusetzen. Gleichzeitig decken Sie mit den neuen Lehrerstellen andere Wahlkampfversprechen ab, beispielsweise die Verkleinerung der Klassen, die Erweiterung von Ganztagsangeboten, oder Sie müssen die Oberstufen für G 8 ausstatten.All diese Dinge – bis auf G 8;das hätten wir anders gemacht – lehnen wir nicht ab. Denn es sind lobenswerte Ziele. Der Punkt ist allerdings: Sie können dies nicht mit denselben Stellen erreichen, die den Schulen eigentlich zur freien Verfügung stehen sollten, um z. B. Schulsozialarbeit zu machen, ihr Schulprogramm umzusetzen oder Ähnliches. Das ist der Widerspruch in diesem Konzept, und deswegen werden Sie dieses Versprechen nicht einhalten können, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt haben Sie diesen unauflösbaren Widerspruch offensichtlich selbst erkannt und in der Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses eine wahrhaft überraschende neue Interpretation der 105 % Lehrerversorgung geliefert. Die Ministerin führte aus: Zwar liege die Unterrichtsversorgung weiterhin bei 100 %, aber mit den neuen Stellen sei nun eine Lehrerversorgung von 103 % erreicht worden. Allerdings stünden den Schulen diese zusätzlichen 3 % nicht frei zur Verfügung.Vielmehr sei seitens der Landesregierung vorgeschrieben worden, wofür diese verwendet werden müssten.

Also, 100 % sind 103 %. Diese 103 % sind faktisch aber doch nur 100 %. So kann man die Schulen an der Nase herumführen, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei der SPD)

Ich will hinzufügen: Für Wirtschaft und Handwerk, die regelmäßig beklagen, dass Jugendliche ohne ausreichende Mathematikkenntnisse die Schule verlassen und bereits beim Prozentrechnen scheitern, muss es traumatisierend wirken: Diese Kultusministerin kann es auch nicht.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie haben auch etwas zur Entwicklung der Ganztagsschulen gesagt. Wir haben an dieser Stelle bereits oft darüber diskutiert, dass Sie mit dem, was Sie tun – und Sie tun das Doppelte von Frau Wolff; das habe ich Ihnen immer zugestanden –, nicht das Ziel erreichen werden, das Sie selbst propagiert haben. Sie haben nämlich propagiert, dass jede Schule in Hessen selbst entscheiden können soll, nach welchem Modell einer Ganztagsschule sie ihre Arbeit organisiert. Wir haben weiterhin einen Überhang an pädagogischer Mittagsbetreuung, und die 115 Stellen pro Jahr und die 345 Stellen für das Dreijahresprogramm für insgesamt 1.900 allgemeinbildende Schulen reichen nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen, Frau Kultusministerin.

Ich kann es an einem ganz einfachen Beispiel deutlich machen: Meine Heimatstadt Offenbach erhält in den nächsten drei Jahren sechs Stellen.

(Zuruf von der SPD: Doch so viele?)

Wir haben 21 allgemeinbildende Schulen,und die meisten Schulen – auch die Grundschulen – möchten Ganztagsschule werden. Sie wollen nicht nur für wenige Kinder ein Angebot machen. Sie wollen auch nicht nur an drei Tagen

ein Angebot vorhalten. Nein, sie wollen sich auf den Weg machen, um echte Ganztagsschulen in gebundener Form zu werden. Ich frage Sie:Wie soll ich dies mit sechs Stellen in drei Jahren bewerkstelligen? – Den Schwarzen Peter haben die Schulträger. Sie, Frau Kultusministerin, sind aber fein raus. Sie sagen zwar: „Jeder darf machen, was er will“, sorgen aber nicht dafür, dass Ihre eigenen Zielsetzungen umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in einem Interview mit der „FAZ“ gesagt, es gebe im Kultushaushalt kein überflüssiges Geld. Gleichzeitig haben Sie bestärkt, dass Sie die Einsparvorgaben, die die Landesregierung verabredet habe, umsetzen würden.

Daher will ich Ihnen Folgendes vorrechnen: Sie sparen 45 Millionen c ein. Angesichts Ihrer Aussage, dass es im Haushalt kein überflüssiges Geld gebe,müsste man Sie eigentlich fragen, warum Sie diese 45 Millionen c so einfach einsparen können. Wenn Sie Ihr Ziel umsetzen möchten, in Hessen Ganztagsschulen einzurichten, dann könnten Sie mit den bereits erwähnten 115 Stellen und diesen 45 Millionen c 500 Stellen pro Jahr in diese Entwicklung hineinstecken. Bei 500 Stellen im Jahr könnte man wirklich davon sprechen,dass sich Schulen dafür entscheiden können, welchen Weg sie gehen wollen. Ich glaube, dann wären wir bezüglich der Ganztagsschulentwicklung in Hessen in ein paar Jahren wirklich die Nummer eins. Davon sind wir im Moment aber noch weit entfernt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

So, jetzt komme ich zum Lieblingsthema: die eigenverantwortliche Schule. Sie haben heute, also sechseinhalb Jahre nach der ersten Regierungserklärung von Karin Wolff zu diesem Thema, festgestellt: In diesem Jahr gehen wir die ersten Schritte in Richtung Selbstständigkeit von Schulen. – Ich glaube, wenn man sich diesen Satz vor Augen führt, dann muss man nicht mehr viel zu dem sagen, was in den vergangenen Jahren insbesondere von den Kultusministern erzählt worden ist.

Es wurden Ankündigungen gemacht, es wurden Versprechen gegeben, es wurden halbfertige Konzeptionen vorgelegt, aber in der Realität wurde nicht das erreicht, was Sie uns hier jedes Jahr erzählen, Frau Henzler. Bisher wurde kein schlüssiges Gesamtkonzept für die Selbstverantwortung von Schulen vorgelegt. Wir sind immer noch so weit, dass Kontrollen und Regelungen in pädagogischer, personeller und budgetorganisatorischer Hinsicht die Überhand vor den Freiräumen der Schule haben. Das ist eine traurige Entwicklung – nach sechseinhalb Jahren, die dieser Landtag darüber schon diskutiert.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen ist der gesamte Transferprozess des Modellprojekts SV+ infrage gestellt, weil offensichtlich nicht einmal die Frage einvernehmlich geklärt werden kann, wie viele Stellen die beruflichen Schulen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Die Schulen, die sich trotz allem auf den Weg machen wollen, müssen die zusätzlichen Verwaltungs- und Organisationsaufgaben in Zukunft ohne zusätzliche personelle Ressourcen bewältigen. Ich glaube nicht, dass dies ein besonderer Motivationsschub für die Schulen ist.

Bei der Budgetverantwortung gibt es ebenfalls keinen klar erkennbaren Weg. Sie wollen dem Unfug ein Ende

setzen und führen die Budgets für Fortbildung, Vertretungsunterricht und das Projekt „Verlässliche Schule“ zusammen. Das ist lobenswert. Das ist die konsequente Aufkündigung eines Irrwegs, der von Anfang an eingeschlagen worden ist. Ich will aber davor warnen, Frau Henzler, dass Sie der Auffassung sein könnten, dass die zusammengeführten Budgets in den kommenden Haushaltsjahren Möglichkeiten für Kürzungen bieten.Wir werden sehr genau darauf achten, dass diese Mittel bei den Schulen verbleiben und nicht weiteren Konsolidierungsmaßnahmen zum Opfer fallen.