Protocol of the Session on September 9, 2010

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zu unserer heutigen Plenarsitzung. Ich freue mich, dass Sie da sind, und stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung darf ich Ihnen mitteilen: Noch offen sind die Tagesordnungspunkte 9 bis 15, 17 bis 33, 35, 37, 39 bis 41, 43 bis 45, 54 bis 59, 63, 66 und 67.

Wir tagen heute bis zur Erledigung der Gesetzeslesungen bei einer Mittagspause von einer Stunde.

Wir beginnen mit den Aktuellen Stunden. Nach § 32 Abs. 6 der Geschäftsordnung beträgt die Aussprache für jeden zulässigen Antrag auf Abhaltung einer Aktuellen Stunde fünf Minuten je Fraktion, bei gemeinsamem Aufruf verlängert sich diese Redezeit um die Hälfte. Das wissen Sie alles. Die Tagesordnungspunkte 54 und 56 werden gemeinsam aufgerufen. Das heißt, sie haben eine Redezeit von 7,5 Minuten. Alle anderen Aktuellen Stunden haben jeweils eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion. Nach Tagesordnungspunkt 58 wird Tagesordnungspunkt 31, ein Antrag zum Thema, ohne Aussprache aufgerufen und soll an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen werden. Nach der Aktuellen Stunde fahren wir mit Tagesordnungspunkt 10 fort.Hiermit wird Tagesordnungspunkt 66 aufgerufen.

Es fehlt heute entschuldigt Herr Staatsminister Boris Rhein bis 11 Uhr.

Dann habe ich noch einige Informationen über Ausschusssitzungen. Im Anschluss an die Plenarsitzung trifft sich der Innenausschuss in Sitzungsraum 118 S. Der Ausschuss für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz kommt in Sitzungsraum 510 W zusammen. Die Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses findet in Sitzungsraum 204 M statt. Der Hauptausschuss und der Haushaltsausschuss tagen gemeinsam in Sitzungsraum 501 A. Im Anschluss daran tagt der Hauptausschuss noch einmal gesondert, ebenfalls in Sitzungsraum 501 A. Alle genannten Ausschüsse werden nur zusammenkommen, wenn ihnen die entsprechenden Gesetzentwürfe vom Plenum überwiesen werden.

Meine Damen und Herren, das waren die amtlichen Mitteilungen.Über das Fußballspiel hat Sie gestern Herr Kollege Quanz informiert. Ich habe gehört, nicht ganz erschöpfend; aber wenn das Spiel am Dienstag war, können wir am Donnerstag nicht noch einmal berichten. Ismail Tipi hat mir über dieses Spiel berichtet, dass nach mehrfachen Rückständen doch noch gewonnen wurde – ohne die Beteiligung unseres Kollegen Rudolph. Das spricht dafür, dass man unseren Betreuer Rudolph auch in Zukunft nicht einsetzen sollte.

(Heiterkeit)

Wir berichten also nur, wenn am Tag vorher das Spiel war, ansonsten kommen wir nicht darauf zu sprechen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 54 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Vorfahrt für Bildung – Hessen schafft Klarheit und Chancen für Kinder ohne gesicherten Aufenthaltssta- tus) – Drucks. 18/2784 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 56:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Integrationsfragen offen ansprechen) – Drucks. 18/2786 –

Die Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten. Es beginnt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Kollege Florian Rentsch.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Integrationspolitik muss sich immer an dem messen lassen, was sie für Ergebnisse erzielt. Nach den Beurteilungen von externen Verbänden war die Regelung, die der Hessische Landtag auf Initiative von CDU und FDP getroffen hat, Kindern, die keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben, einen Schulbesuch zu ermöglichen, eine gute und richtige Regelung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es war deshalb richtig, weil die Probleme, die die Eltern, die keinen Aufenthaltsstatus haben, letztendlich mit dem Gesetzgeber ausfechten, in der Vergangenheit häufig auf Kosten der Kinder ausgefochten worden sind. Deswegen war diese unbürokratische Maßnahme, nämlich keine Meldebescheinigung in der Schule mehr vorlegen zu müssen, der richtige Weg. Diese Kinder haben jetzt Zugang zum Schulsystem. Das war das, was wir erreichen wollten. Kein Kind muss in Hessen ohne Schulbildung leben. Wir wollten einen Zugang zur Schule ermöglichen, und das haben wir unbürokratisch und direkt gemacht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Kultusministerin, der Integrationsminister und der Innenminister haben an einem Strang gezogen. Bei dieser Debatte gab es eine große Zustimmung dieses Hauses.Ich sage einschränkend, nicht alle haben gedacht, dass wir das wirklich machen. Manchmal gibt es auch Überraschungen in der Integrationspolitik.

Dieses Thema ist exemplarisch dafür, um was es in der ganzen Debatte um Integration in den letzten Tagen und Wochen eigentlich geht. Es geht aus meiner Sicht um die Frage, wie man Integrationspolitik so organisieren kann, dass sie den Rechtsstaat berücksichtigt. Deshalb ist für mich die Botschaft klar: Das, was wir bei den Kindern ohne Aufenthaltsstatus gemacht haben, darf nicht dazu führen, dass die geltenden Gesetze außer Kraft gesetzt werden. Wir wollen, dass Menschen sich in diesem Land einbürgern lassen und nicht illegal hier leben.Auch dieses Signal muss klar sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir wollen auch über die Probleme reden, die es bei diesem Thema gibt.Thilo Sarrazin hat in den letzten Wochen, nicht das erste Mal, große Aufmerksamkeit mit dieser Thematik, mit seinem Buch, erreicht.Thilo Sarrazin ist ein berufsmäßiger Provokateur, der mit seinem Buch, auch weil wir heute darüber reden, sicherlich den einen oder anderen Euro verdienen wird.Hoffentlich wird er mit diesem Geld Gutes anstellen.

Wenn man über Thilo Sarrazin redet, muss man aufpassen, dass man nicht gleich in diese Reflexe verfällt, die mittlerweile üblich sind. Kollegen anderer Fraktionen haben es schon gesagt, der Integrationsminister hat es federführend gesagt:Thilo Sarrazin hat dieser Diskussion nicht genutzt.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat ihr deshalb nicht genutzt, weil er mit Halbwahrheiten arbeitet, beispielsweise mit der Botschaft, die schlechtesten Leistungen und Intelligenztests würden von Muslimen bestritten. Über Vererbung möchte ich hier gar nicht reden, das ist für mich indiskutabel. Herr Kollege Quanz, ich teile das, was Sie sagen. Es ist völlig falsch.Wir wissen, dass beispielsweise die iranischen Muslime, die mit Migrationshintergrund in unserem Land leben, diejenigen sind, die die besten Leistungen erbringen und die höchsten Tätigkeiten in unserem Land ausüben.

Die Schlechtesten kommen übrigens aus einem Land in Europa südlich der Schweiz. Die Religion der Menschen dort ist das Christentum. Wenn man die Leistungen vergleicht, stellt man fest, dass man es nicht nach Ländern, nach Religionen pauschalieren kann. Meine Damen und Herren, das verbietet sich. Die Pauschalierung, die Sarrazin vorgenommen hat, ist das Problem.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Problem kennen wir in jeder Partei. Kollege SchäferGümbel hat das, wie ich finde, völlig zu Recht gesagt. Das hat auch nichts mit einer sozialdemokratischen Zugehörigkeit zu tun.Wir hatten das Problem in ähnlicher Weise. Wir sehen das in den letzten Tagen, was Leserbriefe angeht. Heute gibt es einen sehr spannenden, aus meiner Sicht sehr interessanten Artikel in der „Zeit“ mit der Überschrift: „Politiker, hört die Signale!“ Das, was Sarrazin gesagt hat, fällt in vielen Fällen auf einen sehr fruchtbaren Boden, im Übrigen quer durch alle Parteien. Das, was Sarrazin gesagt hat, angereichert mit Halbwahrheiten, wird deshalb so heftig diskutiert, weil es anscheinend für viele Menschen ein Problem darstellt. Ansonsten würde dieses Thema doch überhaupt nicht so hochkommen. Deshalb ist der heutige Artikel in der „Zeit“ mit der Überschrift: „Politiker, hört die Signale!“ vielleicht auch eine Mahnung an uns, das, was dort diskutiert wird, die Ängste, die dort diskutiert werden, ernst zu nehmen. Ich glaube, auch das ist unsere Aufgabe.

Ich denke, dass wir uns mit unserer Integrationspolitik in diesem Land nichts vorzuwerfen haben.Wir versuchen, in diesem Land eine Willkommenskultur zu erreichen,damit Menschen, die hierher kommen, sich wohlfühlen, aber auch klar wissen, dass die Regeln, die wir haben, unser Grundgesetz und die damit verbundenen Werte, nicht diskutierbar sind. Diese Werte stehen in dieser Gesellschaft fest und werden nicht verändert werden, nur weil andere Kulturen oder Religionen in dieses Land kommen. Meine Damen und Herren, es muss ein klares Signal sein, dass unsere Werte nicht veränderbar sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich will aus dem Artikel der „Zeit“ vom heutigen Tag zitieren:

Offenbar verspüren immer mehr Menschen, die sich selbst durchaus als verantwortungsbereite Bürger wahrnehmen, eine Entfremdung von Politik und Medien. Sie haben das Gefühl, dass ihre Erfahrungen und Probleme von den politischen Repräsentanten entweder gar nicht gesehen oder willentlich ignoriert werden oder – schlimmer noch – dass man sie ihnen wegpädagogisieren will....

Tatsächlich ist die politisch korrekte MultikultiPhase,in der es schwer und unerfreulich war,auf die Zustände in manchen Innenstadtschulen hinzuweisen, ja seit geraumer Zeit vorbei.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass das für uns eine Aufforderung ist, dass wir erstens das, was Sarrazin gesagt hat, hier mit einer Roten Karte zu belegen haben, weil es Halbwahrheiten sind, die uns in der Integrationsdebatte kein Stück weiterhelfen. Es ist zweitens eine Aufforderung an uns, dass wir gemeinsam – ich glaube, dass wir bei diesem Thema wirklich gemeinsam aufgerufen sind – versuchen müssen, die Integrationspolitik so gut zu machen, dass wir es schaffen, Menschen in diese Gesellschaft aufzunehmen, dass wir das klare Signal senden:Wir wollen euch hier haben, aber unter den Kautelen, den Regeln und den Werten, die wir in dieser Gesellschaft haben. – Drittens ist es eine Aufforderung an uns,dass wir das diskutieren, was in der Gesellschaft anscheinend in vielen Fällen diskutiert wird. Ob man in eine Kneipe oder eine Schule geht, nach Gießen, Kassel oder Marburg: Überall in diesem Land werden anscheinend diese Themen diskutiert. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch das müssen wir ernst nehmen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist aus meiner Sicht die beste Antwort auf Sarrazin eine gute Integrationspolitik, die sich nicht vor Problemen drückt. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich JörgUwe Hahn erwähnen. Ich glaube, dass er das Richtige gesagt hat: dass Sarrazin mit seinen Äußerungen schadet, weil er den Eindruck erweckt, wir seien ein Land, das keine Willkommenskultur hat. Auf der anderen Seite weist Jörg-Uwe Hahn immer wieder darauf hin: Ja, Integration bedeutet Geben und Nehmen auf beiden Seiten. Deshalb muss auch den Menschen, die hierher kommen, klar sein,dass die Regeln,die wir haben,nicht teilbar sind.

Herr Kollege Rentsch, Sie müssen zum Schluss kommen.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Wir werden diese Debatte weiter führen, weil dieses Land darauf angewiesen sein wird, dass wir Menschen aus anderen Ländern bekommen. Wer die demografische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland sieht,weiß,dass wir hoch qualifizierte Menschen aus anderen Ländern brauchen. Deshalb ist es wichtig, auch an diesem Tag, dass dieser Landtag sagt:Wir wollen Menschen aus anderen Ländern. Wir wollen hoch qualifizierte, gut ausgebildete Menschen. Wir freuen uns, wenn sie hierher kommen. – Aber klar ist auch: Die Regeln, die in diesem Land gelten, unser Grundgesetz, sind für uns nicht diskutabel. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Dr. Müller, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich mag verdammen, was du sagst. Aber ich werde mein Leben dafür einsetzen,dass du es sagen darfst.

Diese Aussage des großen Aufklärers Voltaire war damals nicht selbstverständlich. Sie sollte im Jahr 2010 selbstverständlich sein, auch für Irrtümer, auch für ausgemachten Blödsinn, auch für Dr.Thilo Sarrazin; denn Meinungsfreiheit ist unteilbar. Ich glaube, wir sollten einem Mann, der gegenwärtig – darüber müssen wir schon nachdenken – die Schlagzeilen bestimmt, zumindest dieses Gut der Meinungsfreiheit zugestehen. In unserer Gesellschaft sollte es, wie gesagt, auch möglich sein, in den Grenzen der Demokratie Blödsinn, Irrtümer und Fehler zu sagen, ohne unter Polizeischutz stehen zu müssen und ohne Morddrohungen zu erhalten. Ich glaube, das ist etwas, worauf sich alle Demokraten einigen können und einigen sollten.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass der unberechtigte Erfolg, den der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbankvorstand im Moment genießt, gerade auch damit zusammenhängt, dass es offensichtlich nicht in allen Teilen möglich ist, seine Meinung zu diesem sehr sensiblen Thema offen und auch einmal sehr kontrovers zu sagen. In allen Zeiten – wir haben hier schon häufiger darüber diskutiert – waren das Tabuisieren von unliebsamen Problemen und das, volkstümlich gesprochen, Unter-den-Teppich-Kehren der falsche Weg, weil es am Ende – das erleben wir jetzt, leider Gottes; das ist ärgerlich – wie ein Kessel wirkt, dessen Ventil einem zu großen Druck ausgesetzt ist und der dann irgendwann auch explodieren könnte.

Offensichtlich haben – ich sage:das ist ärgerlich – die Aussagen von Thilo Sarrazin als ein solches Ventil gewirkt. Wenn es daran etwas Positives gibt, dann doch, dass wir wenigstens – das zeigt auch die Diskussion heute Morgen – endlich wieder, hoffentlich sehr frei, über die großen Chancen, die großen Erfolge, aber auch über die Probleme der Integrationspolitik reden. Denn eines ist klar – der Kollege Rentsch hat darauf hingewiesen –:Wenn man die gesamten Leserbriefe in allen Zeitungen von links bis rechts und von oben bis unten sieht, dann hat man schon den Eindruck, dass wir als politische Kaste uns in vielen Punkten offensichtlich in der Kluft zwischen weiten Teilen der Meinung der Bürger in unserem Land bewegen. Das kann uns am Ende nicht recht sein, weil sich eine Gesellschaft einen Verlust des Vertrauens in die politischen Institutionen nicht leisten kann und dies zu Politikverdrossenheit führt.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Wie immer man die Thesen des Herrn Sarrazin bewertet – er ist gar nicht Gegenstand meiner Auseinandersetzung –, muss man trotzdem feststellen, dass das, was er anspricht,offensichtlich viele Menschen beschäftigt und umtreibt. Wahr ist auch: Er pauschalisiert, und er bietet vor allem keine Lösungen an. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, dass wir nicht nur Zustände beschreiben, sondern dass wir Lösungen anbieten.

Wir sind unglaublich stolz: Wir haben in unseren Reihen Ismail Tipi, wir haben Frau Öztürk, wir haben – zwar nicht hier, aber von der Landtagsmannschaft her im Ansatz schon – einen Mesut Özil, die als die Vorzeigeintegra

tionsfiguren gelten können. Aber es ist doch auch wahr, dass es die andere Seite gibt,

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)