Protocol of the Session on September 8, 2010

Meine Damen und Herren, Bildung ist der entscheidende Weg aus einer Hartz-IV-Karriere. Weiterhin steht fest: Je höher der Bildungsabschluss ist, umso geringer ist das Risiko, arbeitslos zu werden. Deshalb möchte ich ausdrücklich alle Eltern und alle Alleinerziehenden hervorheben, die die schulische Entwicklung ihrer Kinder so fördern, dass diese am Ende der Sekundarstufe I erfolgreich sind und den Weg zum Abitur oder zu einem weiterführenden beruflichen Bildungsgang, z. B. in der Fachoberschule, wählen können. Diese Familien verhalten sich in vorbildlicher Weise in Verantwortung für ihre Kinder. Diese Familien dürfen wir keineswegs alleine lassen.

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es kann doch einfach nicht sein, dass Kinder nicht weiterlernen können, nur weil ihre Eltern den Schulbus nicht bezahlen können. Das Hessische Schulgesetz, Herr Wagner, ist hier eindeutig: Gemäß seinem § 1 hat jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage seiner Eltern ein Recht auf schulische Bildung. Gleichzeitig gilt, dass die Kreise und die Städte als Schulträger gemäß § 161 Abs. 7 des Hessischen Schulgesetzes bereits jetzt die Möglichkeit haben, in Härtefällen auch außerhalb ihrer Beförderungspflicht Zuschüsse an Familien für die Benutzung von Schulbussen zu gewähren. Aus den Diskussionen in den Kreistagen weiß ich aber auch, dass dies bei der Elternschaft bisher wenig bekannt ist und in Hessen sehr unterschiedlich gehandhabt wird.

Meine Damen und Herren, wir dürfen aber auch eines nicht vergessen: Wir kennen die finanzielle Situation des Landes und der Kommunen. Eine vorschnelle Verschiebung des Problems auf andere Ebenen, ob zu den Kommunen oder zum Bund, kann es im Sinne der Betroffenen

nicht geben. Es verwundert im Übrigen gar nicht, warum gerade in Nordhessen die Debatte über die Schülerbeförderung ein besonderes Gewicht hat. Die Schülerbeförderung ist im ländlichen Raum ein besonders großes Problem. Das gilt natürlich nicht nur für Hessen, sondern für alle Bereiche des Landes – außer dem Rhein-Main-Gebiet. Angesichts des demographischen Wandels mit deutlich zurückgehenden Kinderzahlen auf dem Land sind gerade die kleinen Städte und die Dörfer besonders betroffen. Das zeigt auch die Pressemitteilung der „HNA“ vom 17. Juli. Dort wird erwähnt, dass das Problem im Landkreis Kassel weitaus größer ist als beispielsweise in der Stadt Kassel. Die Kinder auf dem Land haben weitere Wege bis zum nächsten gymnasialen Bildungsgang oder zur beruflichen Schule zurückzulegen. Die Wege sind weit und die Fahrtkosten hoch. Trotzdem ist es unser aller politischer Wille, dass wir den Familien auf dem Land eine lebenswerte Zukunft sichern müssen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auch die Aktion der örtlichen Zeitung, der „HNA“, loben, die im Rahmen ihrer Aktion für Kinder einen Fonds für bedürftige Familien in Höhe von 10.000 c zur Zahlung der Schulbuskosten eingerichtet hat. Ich finde, das ist ein vorbildliches privates, unbürokratisches Engagement, für das wir hier Danke sagen sollten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man darf auch nicht vergessen, dass das Echo in der Bürgerschaft auf die Einrichtung dieses Fonds groß war.Viele Bürger haben die Aktion mit Spenden unterstützt. Das zeigt, dass bei den Bürgern ein Nerv getroffen worden ist. Die Bürger verstehen eben nicht, dass Kindern aus finanziellen Gründen der Weg zum Abitur verwehrt ist.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Aber auch wir sind gefordert. Das sehe ich genauso wie Sie, Herr Spies. Wir müssen jetzt Wege finden, die Familien im ländlichen Raum nicht von Bildungsangeboten ausschließen. Es liegt an uns, besonnen zu handeln, rechtlich tragbare, finanziell verkraftbare und pragmatische Lösungen des Problems für alle zu finden.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD)

Frau Habermann, Sie haben die Gerichtsverfahren in Marburg erwähnt. Die Verfahren in Marburg, Gießen und Kassel, aber auch die zunehmende Zahl der Auseinandersetzungen vor Sozialgerichten in anderen Bundesländern zeigen, dass eine Regelung für alle her muss und es nicht Sache des Einzelnen sein darf, vor Gericht Einzelfallentscheidungen durchzusetzen. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II haben die Gerichte im Einzelfall den Mehrbedarf als zusätzlich und laufend anerkannt – aber bisher nur für den Einzelfall. Es kann nicht sein, dass jeder Bürger sein Recht einklagen muss. Ich betone deshalb, dass meine Fraktion schnellstmöglich eine klare Regelung haben möchte. Ich glaube, das ist auch hier im Hause Konsens.

(Zurufe von der SPD)

Noch gibt es aber kein Patentrezept. Das zeigen ja auch die sehr unterschiedlichen Anträge hier im Hause. Das Einfachste wäre, wir beschließen, dass der Staat alles für alle zahlt. Solche Forderungen können natürlich nur von

den LINKEN kommen, wie wir heute auch aus der Presse entnommen haben. Nur: Mit welchem Geld das bezahlt werden soll, sagen die LINKEN nicht.

Sollen im Rahmen von Härtefallregelungen die Kommunen bzw. die Argen das aus eigenen Mitteln zahlen? Soll das Land ein Schüler-BAföG einführen, mit dem alle Schülerkosten abgedeckt werden, so, wie in der SPD darüber diskutiert wird? Hilft eine Bundesratsinitiative, wie sie die GRÜNE fordern? Sollen die Kosten in den Bildungschip aufgenommen werden, oder sollen Bund und Länder weiter verhandeln, damit die Schulbuskosten in den Hartz-IV-Regelsätzen berücksichtigt werden? Wer ist zuständig? Wer kann und muss zahlen? All das sind offene Fragen, auf die wir eine Antwort finden müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Natürlich spielen hier Zuständigkeiten, föderale Überlegungen und die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte der Kommunen und der Länder sowie des Bundes ebenso eine Rolle.Aus diesem Grund bitten wir heute die Landesregierung, mit den Vertretern der Kommunen in Gespräche darüber einzutreten, auf Bundesebene über die Anpassung der Regelsätze zu verhandeln und auf Landesebene zu prüfen, was getan werden kann.

Darüber hinaus sollten wir, die Fraktionen, die Handlungsmöglichkeiten in den Ausschüssen und in der Anhörung sehr eingehend beraten; denn wir müssen eine Lösung finden. Es geht hier nicht um die Bildungschipkarte für Musikschulen oder um die Kostenerstattung für die Fahrt zu den weiterführenden Schulen. Es geht hier nicht um ein Entweder-oder. Uns geht es vielmehr um die Bildungschancen aller Kinder in unserem Land.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Ziel der CDU ist klar: Jedes Kind muss Zugang zur Bildung erhalten. Kein Kind darf von Bildung ausgeschlossen werden. Erst recht gilt: Kein Kind darf von Bildung ausgeschlossen werden, weil sich die Eltern die Fahrt mit dem Schulbus nicht leisten können. Es kann auch nicht sein, dass der Wohnort in unserem Land darüber entscheidet, ob die Fahrtkosten übernommen werden können – oder dürfen, wenn ich an das Haushaltsrecht denke.

Daher bin ich auf die Beratungen in den Ausschüssen gespannt. Wir werden einen konstruktiven Beitrag zur Lösung des Problems leisten. – Danke.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD):Wir sind auch gespannt!)

Danke,Frau Ravensburg.– Zu einer Kurzintervention hat jetzt Frau Habermann die Gelegenheit.

(Peter Beuth (CDU): Jetzt kommt der neue Stil der SPD!)

Herr Beuth, vielleicht können Sie das, was Sie gerade gesagt haben, etwas näher erläutern.

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Gut, das ist sehr nett. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ravensburg, ich kann mich Ihrem letzten Satz anschließen.Ich bin sehr gespannt darauf,was die

Beratungen im Ausschuss bringen.Ihrem Beitrag habe ich nämlich nicht entnehmen können, welche Position die CDU-Fraktion zu unserem Gesetzentwurf einnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die Probleme richtig beschrieben. Wir können uns dem vollumfänglich anschließen, was Sie zu den Problemen gesagt haben, die auftauchen, wenn es darum geht, Bildungsgerechtigkeit und den Zugang zur Bildung sicherzustellen.

Aber Sie haben keine Antworten gegeben. Sie haben nur Fragen gestellt. Sie haben diese Fragen der Regierung gestellt, die sie jetzt beantworten soll, was man, wie ich glaube, nach dem gestrigen Tag nicht unbedingt erwarten kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben in keiner Weise Stellung zu dem Anliegen unseres Gesetzentwurfs bezogen. Ich habe deutlich gemacht, es geht nicht um die SGB-II-Bezieher. Wir haben sehr deutlich gesagt, dass wir eine Lösung aus Berlin erwarten. Ich bin froh darüber, wenn wir uns alle dafür stark machen, dass die Lösung so aussieht, wie es im Antrag der GRÜNEN formuliert ist.

Aber das ist nicht das einzige Problem, das wir zu lösen haben; denn genau die Familien, über die Sie reden – die Alleinerziehenden, die arbeiten gehen und weder SGB II noch Sozialleistungen beziehen –, müssen ebenfalls überlegen,ob sie ihre Kinder auf eine Oberstufe schicken können oder ob diese besser arbeiten gehen, damit die Familie ein besseres Auskommen hat.

(Beifall bei der SPD)

Darauf wollen wir eine Antwort geben.Wer immer davon redet, dass in diesem Land eine Priorität auf die Bildung gesetzt wird und dass daran nicht gespart wird, muss sich auch Gedanken darüber machen, wie man den Zugang zur Bildung finanziert. Frau Ravensburg, es müssen auch vonseiten des Landes notwendige Schritte eingeleitet werden.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Habermann. – Frau Ravensburg, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. Sie haben ebenfalls zwei Minuten Redezeit.

Sehr geehrte Frau Habermann, wir stimmen selbstverständlich darin überein, dass eine Lösung für alle Kinder gefunden werden muss.Aber Sie haben selbst geschildert, dass es sich hierbei um ein Problem handelt, das sowohl die kommunale Ebene als auch die Landes- und die Bundesebene betrifft. Deshalb haben wir Ihnen angeboten, sehr offen darüber zu diskutieren, wie diese Wege gemeinsam gefunden werden können.

Ihr Lösungsvorschlag stimmt mit unserer Meinung nicht überein. Aber wir wollen offen mit Ihnen darüber diskutieren.Sie versuchen nämlich,eine Landesregelung zu finden, ohne zu sagen, wie Sie diese bezahlen wollen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Aber was ist denn Ihr Vorschlag?)

Lassen Sie uns in den Ausschüssen und in den Anhörungen in Ruhe darüber sprechen. Vielleicht gibt es nicht einen einzigen Weg, sondern mehrere, die aber schließlich zur Lösung des Problems führen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD):Aber ich muss doch wissen, was Sie wollen, damit ich darüber reden kann! Es geht so weiter, wie es gestern angefangen hat!)

Danke, Frau Ravensburg. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Herr Wagner zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Wagner.

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Wir haben uns wieder einmal vorgenommen, in diesem Haus einen neuen Stil zu pflegen. Ich versuche, mich daran zu halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Demonstrativer Beifall bei der CDU)

Deshalb möchte ich zu Beginn festhalten, worin sich, glaube ich, alle Fraktionen in diesem Haus einig sind und worin bislang auch alle Rednerinnen – es waren nur Damen – übereingestimmt haben.

(Heike Habermann (SPD):Was heißt hier „nur“? – Weitere Zurufe)

„Nur“ im Sinne von ausschließlich.