Protocol of the Session on September 8, 2010

Danke, Herr Rock. – Frau Cárdenas, ich darf Ihnen das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht erst kurz eine Anmerkung zu Herrn Rock. Ich finde es immer interessant, zu hören, wann Sie die GEW für sich in Anspruch nehmen und zitieren und wann nicht. Gestern, als es die Demonstration zum Renteneintrittsalter ab 67 Jahre gab, da waren Sie nicht da. Das war eine Demonstration von der GEW. Dann sollten Sie vielleicht deren Forderungen genauer anschauen und mit unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Es war gestern Landtag, Präsenzpflicht für Abgeordnete!)

Meine Damen und Herren,ich mache es kurz.Wir können beiden Initiativen zustimmen. Der Gesetzentwurf der SPD scheint uns eine unbürokratische und sinnvolle Möglichkeit zu sein, Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Familien, die die gymnasiale Oberstufe oder einen zweijährigen Bildungsgang zum Erwerb der Fachhochschulreife besuchen wollen

(Zurufe von der CDU)

können Sie nicht einmal zuhören, Herr Bellino? –,

(Holger Bellino (CDU): Ich bin kein Bauchredner, ich habe nichts gesagt! – Heiterkeit)

als zumindest symbolischen Ausgleich für ihre materielle und strukturelle Benachteiligung 50 oder 100 c zukommen zu lassen. Beim Antrag der GRÜNEN haben wir es vor allem mit einer Absichtserklärung zu tun, die nichts kostet und die die Verantwortung der hessischen Probleme nach Berlin delegiert, also eine Luftnummer, die niemandem wirklich hilft, aber auch niemandem schadet, sodass diese Absichtserklärung von uns durchaus unterstützt werden kann.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und das von einer Partei, deren Leitthema Hartz IV ist! Das ist wohl der Hammer!)

Das grundlegende Problem bei den Beförderungskosten für alle hessischen Schülerinnen und Schüler lautet: Die Kosten werden nun bis zur 10. Klasse und in G-8-Bildungsgängen nur bis zum Abschluss der 9. Klasse übernommen.

Gewerkschaften, Schüler- und Elternvertretungen haben dies immer wieder thematisiert und eine Lösung angemahnt. Erst im April dieses Jahres wandte sich der Landeselternbeirat an alle Fraktionen, die Regierung und die Öffentlichkeit und forderte, die Schülerbeförderungskosten für alle Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Schulausbildung vollständig zu übernehmen und jegliche Benachteiligung für Schülerinnen und Schüler aufgrund ihres Wohnortes auszuschließen, unabhängig von der gewählten Schulform und dem angestrebten Schulabschluss.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt weitere damit im Zusammenhang stehende Punkte: Die massiven Sicherheitsmängel an hessischen Schulbussen sind noch ebenso wenig thematisiert wie die Feststellung des Landeselternbeirats,dass die Regelungen für die Schülerbeförderung in Hessen generell nicht mehr zeitgemäß seien. Deswegen fordert der Landeselternbeirat neben dem Gesagten auch eine zeitgemäße Anpassung der Bedingungen, um die Schülerbeförderung wieder akzeptabel zu gestalten. Gemeint sind hier neben vielem anderen eine Änderung der Entfernungsgrenze, eine Begrenzung der Fahrzeiten usw.

Ein weiterer Punkt ist das aus G 8 resultierende Problem der Beförderungskosten bis zur 10. Klasse. Die Fraktion DIE LINKE fordert nach wie vor die Übernahme der vollen Beförderungskosten – und nicht nur 50 c bis 100 c – für alle Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Schulausbildung, also bis zum Erwerb des Hauptschul- oder Realschulabschlusses oder Abiturs.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem fordern wir die volle Übernahme der Fahrtkosten bis zur gestatteten und nicht nur bis zur nächstgelegenen Schule – ein weiterer Punkt. Ferner fordern wir die Übernahme der Beförderungskosten bei Gesundheitsgefahren oder bei Behinderungen von Schülerinnen und Schülern, unabhängig von der Entfernung zur Schule, sowie das Festschreiben von Mindeststandards an die Schülerbeförderung wie eine gesonderte Ausbildung der Fahrer und Bezahlung nach Tarif.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern also, wie Herr Wagner es gesagt hat, den teuren Weg.Aber dafür sind wir auch bekannt.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das Geld wird einfach gedruckt!)

Wir werden entsprechende Passus bei den Beratungen zum Schulgesetz einbringen. Frau Ravensburg, wir erwarten, dass die Koalition ihre vollmundigen Versprechen wirklich einlöst. Herr Rock, ich bin voll auf Ihrer Seite, wenn Sie sagen, es müsse eine schnelle, umfassende und unbürokratische Lösung für dieses Problem geben. Machen Sie einen großen Wurf, ich fände das schön. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Cárdenas. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab sollten wir erst einmal feststellen: In Hessen wird kein Kind von einem Bildungsgang ausgeschlossen. Es ist auch festzustellen: In Hessen wird keine Schülerin und kein Schüler,die oder der die Befähigung hat,das Abitur zu machen, daran gehindert, weil es die Einkommenssituation der Familie nicht zulässt, die Schülerbeförderungskosten zu bezahlen. Es gilt, dies an dieser Stelle schlicht und einfach festzuhalten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN – Dr. Thomas Spies (SPD): Ich kann Ihnen die Briefe zeigen!)

Wir haben eine Reihe von Regelungen – und das wissen Sie –, bei denen wir durch die Verfahren, die angestrengt wurden, erneut auf ein Problem aufmerksam geworden sind, bei dem es jetzt gilt, im Interesse der Betroffenen zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

An dieser Stelle ist es wichtig, sich zuerst einmal mit einigen Fakten auseinanderzusetzen.

Das Erste ist das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Oktober dieses Jahres. Darin wird festgestellt, es gibt im SGB II und im SGB XII keine Rechtsgrundlage dafür, Schülerbeförderungskosten ab der 11. Klasse zu übernehmen.

Durch das Urteil vom 9. Februar 2010 zur Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass im SGB II neben den durchschnittlichen Bedarfen – die mit der Regelleistung abgedeckt sind – auch unabweisbare laufende, nicht nur einmalige Bedarfe, die in atypischen Lebenslagen anfallen, zu decken sind.

(Zuruf des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Kollege, der Gesetzgeber hat diesen Teil des Urteils mit Wirkung vom 3.Juni 2010 umgesetzt.Danach erhalten erwerbsfähige Hilfsbedürftige einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.

Die spannende Frage ist, ob Schülerbeförderungskosten – um bei diesem Beispiel zu bleiben – unter diese Regelung fallen. Das ist noch offen, da das Bundessozialgericht seinerzeit ausdrücklich in diesen Fällen das Vorliegen einer atypischen Lebenslage verneint hat. Deswegen muss man erst einmal die Rechtsprechung abwarten, um an diesem Punkt Klarheit zu bekommen.

Um auf einen Passus im Antrag der GRÜNEN in diesem Zusammenhang einzugehen: Herr Kollege Wagner, an dieser Stelle ist es durchaus notwendig, noch einmal darüber nachzudenken, ob jetzt die zuständigen Stellen allen Eltern den Beschluss des Sozialgerichts Marburg mitteilen oder nicht: eine offizielle Information vonseiten der Hessischen Landesregierung über zwei Entscheidungen – denn das Sozialgericht in Gießen hat in der Zwischenzeit

eine gleiche Entscheidung getroffen – weiterzugeben, die nur im einstweiligen Rechtsschutzverfahren getroffen worden sind und bei denen wir – wegen des geringen Streitwerts ist keine Revision zugelassen – das Hauptsacheverfahren abwarten müssen. Zumindest sollte überlegt werden,ob es sinnvoll ist,zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Information zu geben.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir auch getan!)

Nach meiner Auffassung gilt Gleiches auch für die geforderte Bundesratsinitiative. Derzeit sind wir in ziemlich komplexen und intensiven Gesprächen zwischen Bund und Ländern. Hier stellt sich die Frage, ob ein voreiliges Vorpreschen eines Landes – die Gegebenheiten in den Ländern sind immer unterschiedlich, und möglicherweise bekommen wir keine Mehrheit für eine solche Bundesratsinitiative – möglicherweise die Gespräche zwischen Bund und Ländern unnötigerweise erschwert und möglicherweise Porzellan zerschlägt.Wir müssen noch gemeinsam an einer für die Betroffenen optimalen Lösung arbeiten. Daher muss man an dieser Stelle nachdenken, ob es sinnvoll ist, hier vorzupreschen.

Wenn wir uns einig sind, dass bei keinem Jugendlichen die Schulbildung an den Kosten des Schultransports scheitern darf – und das setze ich hier als allgemeinen Konsens voraus – und man den Betroffenen wirklich helfen will, dann müssen wir uns in der Tat mit den Lösungsvorschlägen befassen, die Kollege Wagner an dieser Stelle dargelegt hat.

Dabei müssen wir uns auch vergegenwärtigen, dass wir in den Diskussionen zwischen dem Land und dem Bund aufpassen müssen, uns unserer Einflussmöglichkeiten nicht zu berauben,indem wir voreilig versuchen,durch Bundesratsinitiativen Lösungen auf die Tagesordnung zu setzen, solange wir noch in diesen Gesprächsintensitäten sind.

Deswegen können wir uns hier noch einmal darüber unterhalten und uns darüber auseinandersetzen, was der beste Weg ist. Am Ende aber muss die Entscheidung getroffen werden,in welcher Form das Land möglicherweise noch ergänzend tätig werden muss, um Lücken zu füllen, die möglicherweise bei einer bundeseinheitlichen Regelung noch entstehen.

Sie haben den Strauß der Lösungsmöglichkeiten vollkommen richtig aufgezeigt.Auf der einen Seite haben wir den Sozialhilfe- oder den Schulträger. Hier haben wir nach den entsprechenden Möglichkeiten schon heute die Bestimmungen im Schulgesetz.Deswegen auch mein Eingangssatz von der Chance, dass in Härtefällen derartige Schülerbeförderungskosten auf Antrag erstattet werden können. Das bleibt dann aber beim Schulträger.Wenn die Entscheidungen der Sozialgerichte vor Ort Geltung haben, bleibt das möglicherweise beim Sozialhilfeträger und ist dann durch Leistungen der kommunalen Gebietskörperschaften zu erbringen.

Nun hat Frau Kollegin Ravensburg sicherlich mit Recht gesagt, wir müssen die finanzielle Situation der Kommunen an dieser Stelle im Auge haben. Die Forderung nach einer kompletten Kostenübernahme für die Oberstufe – die eben aufgestellt worden ist –, und dies im Rahmen eines Leistungsgesetzes vorzunehmen, wird eine für alle sehr teure Lösung.Auf einige Details des Leistungsgesetzes werde ich noch eingehen.

Deswegen ist – nur um eine Klarheit zu haben, in welche Richtung es geht – die Verankerung eines solchen Bedarfes im Rahmen des SGB II ein Weg, den wir im Rahmen

unserer Regelsatzgespräche mit dem Bund mit verfolgen können.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist nur: An welcher Stelle setzen wir mit welchen Initiativen an? Sind sie hilfreich für diese Regelsatzgespräche? Oder sind sie eher hinderlich und verzögern möglicherweise ein Ergebnis?

(Beifall des Abg. Leif Blum (FDP))

Ich finde, es ist einer ernsthaften Diskussion wert, der wir uns stellen müssen, was dort der richtige Zeitpunkt ist, wenn wir uns möglicherweise darauf verständigen können, dass entsprechende Gespräche in diese Richtung geführt werden sollen.

Dass solche Gespräche stattfinden, ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar dieses Jahres verursacht. Darin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllen.Aus diesen Normen heraus hat es dann ein Grundrecht kreiert.

Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bei der Neuregelung auch einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten vorzusehen. Dem ist der Bund nachgekommen. Interessant ist an dieser Stelle sicherlich, dass Karlsruhe eine Pflicht der Länder, auf dem Bildungssektor bedarfsdeckend zu handeln, explizit verneint hat, da der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht hat.

Das ist der Ansatz, den wir als Länder im Hinblick auf die Diskussion mit dem Bund verfolgen.Wir sagen, wenn das Bundesverfassungsgericht genau an dieser Stelle eine Handlungsmöglichkeit der Länder verneint und explizit darauf hingewiesen hat, dass der Bund in der Handlungspflicht ist, dann ist die Tür zu einer Veränderung beim SGB II schon ein Stück weit offen. An der Stelle müssen wir sehen, wie wir diese Tür etwas weiter aufmachen können, um dann entsprechend durchzugehen.

In diesem Zusammenhang ist eine Überlegung geäußert worden, die sehr nachdenkenswert ist. Wir müssen dies auch im Kontext mit der Bildungschipkarte sehen, die ich hier als Stichwort nenne.Auch da ist es vollkommen richtig: Die Möglichkeit eines Vereinsbesuchs oder von vielem anderen zu schaffen und auf der anderen Seite in der bundesgesetzlichen Kompetenz den Schulbesuch an Schülerbeförderungskosten scheitern zu lassen, das ist nicht ganz logisch und nicht einsehbar.