Protocol of the Session on June 24, 2010

(Beifall bei der SPD)

Wir würden uns wünschen, dass dies alle Landkreise tun würden, damit wir das Problem endlich auf einer nachvollziehbaren und sozusagen geraden Linie lösen könnten. Das ist der Appell, und deswegen ist dieser Antrag richtig und wichtig, wie auch der Beitrag meiner Kollegin. – Danke.

(Beifall bei der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sie haben Ihrem Antrag selbst widersprochen!)

Das Wort hat Frau Abg. Schott, Fraktion DIE LINKE.

Her Präsident, meine Damen und Herren! Herr Weimar, ich bitte Sie doch dringend, Ihre Argumentation mit der der Regierungsfraktionen abzustimmen. Sie sagen, Sie wollen nicht, dass sogenannte wohlstandsverwahrloste Kinder aus öffentlichen Mitteln unterstützt und gefördert werden. Aber genau das war die Argumentation, die die beiden Regierungsfraktionen geführt haben, als Sie das unsägliche System einführten, mit dem die Kübel Stiftung das Geld über das Land verteilt.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Warum ist das „unsäglich“? – Weitere Zurufe von der CDU)

Es ist unsäglich, weil es vollkommen willkürlich ist.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das ist doch nicht willkürlich! Es gibt den Schulen Freiheit!)

Es ist deshalb willkürlich, weil es davon abhängt, ob ein Lehrer zur Kenntnis nimmt, dass ein Kind arm ist, ob er es zur Kenntnis nehmen will und ob das Kind sichtbar arm ist, oder nicht.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Die Verantwortung gibt es, ja! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was wollen Sie denn?)

Ich möchte, dass alle Kinder, die de facto arm sind, unterstützt werden.

(Zurufe von der CDU)

Wer „arm“ ist, ist definiert. Beispielsweise sind HartzIV-Kinder arm. Das wäre eine mögliche Definition. Man könnte sagen, alle diese Kinder werden unterstützt. – Es darf nicht nach dem Prinzip der vollkommenen Zufälligkeit gehen, ob ein Lehrer das erkennt, ob er es erkennen will, ob er es meldet und dann eine Unterstützung für die Kinder beantragt wird. Sie haben sich aber für die Zufälligkeit entschieden, und Sie behaupten, das funktioniere gut. Darüber bin ich etwas erstaunt; denn wenn große Teile der Mittel in den ersten Jahren der Programmlaufzeit gar nicht abgerufen worden sind – das habe ich zumindest in Ihrem Haushaltsplan gelesen –, dann frage ich mich, was daran gut funktioniert hat. Es ist sogar so viel Geld übrig, dass man daraus noch das gesamte Schulobstprogramm hätte finanzieren können, wenn man es denn gewollt hätte. Aber auch das war von Ihnen nicht gewollt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Behandlung der Anträge. Der Antrag unter Tagesordnungspunkt 22 soll an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. – Kein Widerspruch, dann erfolgt das so.

Der Dringliche Antrag unter Tagesordnungspunkt 26 soll an den Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen werden. – Kein Widerspruch, dann erfolgt das so.

Der Dringliche Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter Tagesordnungspunkt 29 soll ebenfalls an den Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen werden. – Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Einrichtung einer Arbeitsgruppe beim Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit – Drucks. 18/2241 –

Vereinbart sind fünf Minuten Redezeit je Fraktion. Das Wort hat Frau Schott für die antragstellende Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag gestellt, nachdem im März in diesem Parlament mit viel Nachdruck die Forderung gestellt wurde, dass in Zukunft alles getan werden muss, um sexuellen Missbrauch an Schulen und allen anderen Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Schulpsychologinnen und -psychologen, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Erzieherinnen und Erzieher, die in Fragen des Kinderschutzes erfahrenen Träger und Einrichtungen der Jugendhilfe, Schülerinnen und Schüler selbst sowie die Strafverfolgungsbehörden müssen hierbei zusammenwirken – gegen eine Haltung des Wegschauens, für eine Haltung der Verantwortung und der Anteilnahme. So weit unser damaliger Beschluss.

Wenn wir es hier bei der Anteilnahme bewenden lassen wollen, haben wir genug getan. Wenn wir aber das Verbrechen der alltäglichen sexuellen Gewalt ernsthaft bekämpfen wollen,müssen wir mehr tun.Verantwortung bedeutet, zu handeln, nicht auszusitzen. Ich habe im März bei der Landesregierung einen Bericht über den Stand der Aufklärung sexueller Straftaten in Einrichtungen der katholischen Kirche angefordert. Bis heute gibt es darauf keine Antwort. Für mich ist das ein Indiz dafür, welchen Stellenwert dieses Thema bei der Landesregierung hat. Solange die Gazetten mit dem Thema gefüllt waren, hatte es politische Brisanz. Danach war es vergessen – so, wie die meisten Opfer vergessen werden.

Was tut die Landesregierung, um die Opfer sexueller Gewalt bei der Aufarbeitung ihres Traumas zu unterstützen? Was tut die Landesregierung,um die zu sensibilisieren,die mit Kindern arbeiten? Was tut die Landesregierung,um in Zukunft sexuelle Gewalt gegen Kinder zu verhindern? Wo sind die Beratungsstellen? Welche Hilfen gibt es überhaupt? Opfer von sexueller Gewalt stehen diesen Fragen mehr oder weniger hilflos gegenüber. Gibt es eine Hotline, oder nicht, und wie finde ich das heraus? Werden die notwendigen Schritte gegangen, und wenn ja, wie erfährt die Öffentlichkeit davon? In Berlin gibt es den Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch. Was geschieht dort, und reicht das für die Bundesländer? Reicht das für uns in Hessen? Die Kritik am Runden Tisch ist vielfältig. Er beschäftigt sich mehr mit Vergangenheitsbewältigung als mit Prävention. Mit einem Zwischenbericht ist erst in zwei Jahren zu rechnen. Was passiert in der Zwischenzeit? Sitzen wir das Thema aus?

Wir brauchen eine ständige Arbeitsgruppe beim Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, die ermittelt, welche Rahmenbedingungen sexuellen Missbrauch begünstigen. Nur mit einer genauen Analyse können diese Bedingungen aufgebrochen und entsprechend verändert werden.Wir brauchen kindgerechte Angebote der Beratung und Hilfe. Diese müssen wohnortnah, niedrigschwellig, für die Nutzer kostenfrei und wirtschaftlich abgesichert sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen Beratung für Lehrer, Erzieher und alle anderen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Oft haben Menschen, die mit Kindern arbeiten, die Vermutung, dass ein Kind sexuell missbraucht wird, sind aber hilflos und überfordert. Dann verschließt sich für das Kind die Chance auf Hilfe. Wir wollen deshalb eine ständige Arbeitsgruppe beim Sozialministerium mit Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums, Medizinern, Vertretern des Kinderschutzbundes und der Fachberatungsstellen unter Einbeziehung einer hessischen Universität und Mitgliedern des Landtags einrichten.

Wenn Sie also wirklich etwas für die Opfer und gegen die Fortsetzung der Gewalt tun wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu. An die Regierung gerichtet: Legen Sie Ihre Arbeitsergebnisse vor.Lassen Sie uns wenigstens den Sachstand erfahren.Tun Sie etwas.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Mick spricht nun für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schott, ich kann Ihnen in einigen Punkten Ihres Beitrags durchaus zustimmen.Ich denke,wir alle erinnern uns daran, wie erschüttert und schockiert wir waren, als vor einigen Monaten dieses Thema medial sehr stark in der Öffentlichkeit präsent war und wir fast täglich mit neuen Enthüllungen und schockierenden Berichten über den sexuellen Missbrauch an Kindern in verschiedenen Einrichtungen, seien es Schulen, kirchliche Institutionen, Heime oder sonstige Einrichtungen, konfrontiert wurden.

Die Thematik wurde hier im Landtag in einer, wie ich finde, sehr guten und konstruktiven Art und Weise diskutiert.Auch wenn dieses Thema inzwischen etwas aus dem Fokus der medialen Betrachtung und der Öffentlichkeit herausgetreten ist, ist es natürlich vollkommen richtig, dass wir uns auch weiterhin mit diesem Thema beschäftigen und es im Auge haben. Insofern ist es vollkommen richtig und auch gut, dass es heute auf der Tagesordnung steht.

Sie schlagen die Einrichtung einer Arbeitsgruppe im Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit vor. Ich habe mich gefragt, ob das sinnvoll und zielführend ist. Darüber müssen wir diskutieren. Ich möchte dazu nur ein paar Punkte anmerken.Wir haben im Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, im Kultusministerium, im Justizministerium und auch im Innenministerium auf Fachebene bereits Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich speziell mit dieser Thematik beschäftigen. Die Fachleute in den Ministerien arbeiten also schon an den Problemen. Sie binden natürlich auch die Fachleute der Institutionen in ihre Arbeit ein.Auf Bundesebene gibt es den von Ihnen bereits angesprochenen Runden Tisch. Ob das alles perfekt ist, weiß ich nicht.Aber zumindest ist klar: Es gibt bereits Arbeitsgruppen, sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene. Ich plädiere dafür, diese Arbeitsgruppen zunächst einmal ihre Arbeit machen zu lassen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn wir zu der Frage kommen, ob wir ein weiteres Gremium einrichten wollen, das sich mit der gleichen Thematik beschäftigt, würde ich das zunächst einmal verneinen;

denn wir haben Fachleute, die sich mit der Problematik beschäftigen. Sie werden Handlungsvorschläge erarbeiten. Die bisherigen Maßnahmen werden kontinuierlich auf ihre Tauglichkeit überprüft. Wir prüfen, wie den Opfern geholfen werden kann, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um sexuellen Missbrauch in Zukunft zu verhindern. Die Problematik geschlossener Einrichtungen und enger Vertrauensverhältnisse zu bestimmten Betreuern ist ja bekannt. All das wird diskutiert und bearbeitet.

Insofern denke ich, dass das Einrichten eines zusätzlichen Gremiums nicht notwendig ist; denn das würde letztendlich die gleichen Maßnahmen ergreifen, die schon jetzt laufen.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen kann ich abschließend sagen: Der Denkansatz, der Ihrem Antrag zugrunde liegt, ist durchaus richtig. Aber ein zusätzliches Gremium wird der Sache nicht gerecht. Wir brauchen kein zusätzliches Gremium, sondern wir sollten warten, bis die bereits jetzt bestehenden Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse abliefern.

Damit habe ich hinreichend deutlich gemacht, warum wir Ihrem Antrag trotzdem nicht zustimmen werden. – Danke.

(Beifall bei der FDP)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Merz, Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Mick, die Schlussfolgerung, zu der Sie gekommen sind, zeigt,dass es vielleicht doch klüger gewesen wäre,den Antrag ohne Aussprache an den Ausschuss zu überweisen. Dort hätte man vorurteilsfrei und unvoreingenommen darüber diskutieren können.

(Beifall bei der SPD)

Ich wäre vorsichtig damit, von vornherein zu sagen, eine Arbeitsgruppe, wie sie in dem Antrag vorgeschlagen wird, sei sinn- und zwecklos oder bedeute eine Verdoppelung der Arbeit. Ich glaube, dass in dem Antrag insofern etwas Richtiges steckt, als er darauf hinweist, dass man die Debatte nicht einfach versanden lassen darf.

Insbesondere darf die Behebung der Missstände nicht ins Leere laufen, sondern der Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit und der Kulturpolitische Ausschuss – zumindest diese beiden – sind aufgefordert, einen Katalog von Fragestellungen zu formulieren und dann zu schauen, wer für die Beantwortung der Fragen und für die Erarbeitung von Vorschlägen für geeignete Maßnahmen eigentlich zuständig ist. Der in dem Antrag enthaltene Katalog von Fragestellungen kann eine Grundlage sein; aber ich finde, die Fragen müssten noch etwas differenzierter und handlungsorientierter formuliert werden.

Dabei ist auch zu beachten: Was ist auf der Landesebene zu veranlassen? Was ist auf der Bundesebene zu veranlassen? Was gehört auf die Ebene der Gemeinden und der Landkreise?

Dann kann man entscheiden, ob eine solche ständige Arbeitsgruppe als Koordinierer,als Vorantreiber und als Anreger von Maßnahmen notwendig ist. Ich glaube, es ist ein zweiter Schritt, festzulegen, ob so etwas sinnvoll ist oder nicht.

Von daher appelliere ich noch einmal an Sie,vorurteilsfrei und ohne feste Meinung in die Ausschussberatungen zu gehen.Auch wir haben uns noch nicht festgelegt. Es kann sein, dass eine solche Arbeitsgruppe sinnvoll ist.Aber wir können auch zu dem Schluss kommen, dass die Arbeit – auch die gedankliche und die Planungsarbeit – eigentlich eher auf der Ebene zu erledigen ist, auf der die einzelnen Bereiche angesiedelt sind.

Frau Kollegin Schott und auch alle anderen, dazu will ich jetzt zweierlei sagen: Es ist nicht so, dass es das Thema sexueller Missbrauch vor der sehr zugespitzten, sehr emotionalen und sehr breit angelegten Debatte, die wir in den letzten Wochen und Monaten dazu hatten, nicht gegeben hätte. Umgekehrt ist es auch richtig – auf den Punkt will ich hinaus –, dass es bereits vorher ein Hilfeangebot gegeben hat, manchmal sogar ein durchaus gutes. Zum Beispiel gibt es in der Stadt und im Landkreis Gießen in Zusammenarbeit mit der Polizei, mit den Staatlichen Schulämtern und vor allen Dingen mit den beiden Jugendämtern seit vielen Jahren ein sehr gut aufeinander abgestimmtes Angebot der verschiedensten Träger.Dieses Angebot funktioniert hervorragend.

Es gibt nur ein Problem an der Stelle: Die Beratungsstellen sind unterfinanziert. Das ist ein Problem, bei dem wir auf der Landesebene ansetzen müssen. Dort kommen wir allerdings nur sehr bedingt mit einer solchen Arbeitsgruppe weiter.Vielmehr ist das ein Problem, über das auf einer anderen Ebene verhandelt werden muss. Es ist eine Frage der politischen Entscheidungen.