Herr Präsident, ich bin sofort am Ende. – Dieses „Vertagen, verschleppen, vertrösten“ passt auch zur Bildungspolitik dieser Landesregierung, und man kann noch hinzufügen: vermurksen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Habermann. – Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Wissler das Wort. Bitte schön, Frau Wissler.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 9. Juni gingen erneut über 70.000 Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende in über 40 Städten auf die Straße, um für ein besseres Bildungssystem zu demonstrieren. Sie kritisierten die Verkürzung der Gymnasialzeit, die Umsetzung der Bologna-Reform und vor allem die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems.
Meine Damen und Herren, im internationalen Vergleich liegt Deutschland, gemessen an der Wirtschaftskraft, bei den Bildungsausgaben unter dem OECD-Durchschnitt, und wir haben in Deutschland 2,5 Millionen Jugendliche unter 25 Jahren, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
Dabei ist es bereits zwei Jahre her, dass die Kanzlerin die „Bildungsrepublik“ ausrief und Bildung für alle versprach. Vollmundig hat sie bei ihrem ersten Bildungsgipfel im Oktober 2008 in Dresden den Kitas, Schulen, Fachhochschulen, Weiterbildungseinrichtungen und der Forschung viele zusätzliche Milliarden versprochen. Aber auch drei Bildungsgipfel später kann davon keine Rede sein. Es ist schon bezeichnend, dass die Kanzlerin just ab dem Moment, wo der Bund im Zuge der Föderalismusreform fast keinen Einfluss mehr auf die Bildungspolitik mehr hat, die Bildung zur Chefsache erklärt.
Mittlerweile ist auch der dritte Bildungsgipfel gescheitert. Über Nacht ist es möglich, milliardenschwere Rettungspakete aufzulegen, um marode Banken zu retten; aber man schafft es nicht, zusätzliche Ausgaben für die Bildung zu beschaffen – nachdem zwei Jahre vergangen sind,in denen immer noch keine Einigung zwischen dem Bund und den Ländern gefunden wurde.
Völlig offen bleibt auch nach dem jüngsten Treffen im Kanzleramt die Frage, wie das hehre Ziel des ersten Bildungsgipfels, nämlich die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015 auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, jemals erreicht werden soll – und ob das überhaupt noch ein gemeinsames Ziel ist, meine Damen und Herren von der Landesregierung. Bund, Länder und Kommunen müssten gemeinsam etwa 25 Milliarden c zusätzlich aufbringen, um dieses Ziel zu erreichen. Durch eine verfehlte Steuerpolitik zugunsten Vermögender und Unternehmen ist dieses Ziel aber in weite Ferne gerückt.
Mehr Geld für die Bildung ist dringend notwendig. Deshalb plädiert DIE LINKE unter anderem für die Erhebung einer Vermögensteuer sowie für die Anhebung der Besteuerung von hohen Einkommen,um gute Bildung für alle finanzieren zu können und Bildungspolitik nicht nach Konjunktur- und Kassenlage zu machen.
Damit es wenigstens in der Statistik nicht so armselig aussieht, hat sich der Bundesfinanzminister darangemacht, den Haushalt zu durchforsten, und entdeckte plötzlich jede Menge Ausgaben, die er jetzt als „Bildungsausgaben“ deklariert, die vorher gar keine waren, etwa steigende Pensionszahlungen für Lehrer, Steuererleichterun
gen für forschende Unternehmen usw. Durch Umbuchungen und Rechentricks kommt man so dem 10-%-Ziel näher, ohne dass sich in Wirklichkeit irgendetwas zum Besseren verändert. Man könnte scherzhaft sagen: Wenn der Finanzminister den Haushalt noch weiter durchforstet, müssen die Schulen und Hochschulen am Ende noch Geld zurückzahlen, weil das 10-%-Ziel statistisch übererfüllt ist. – Meine Damen und Herren, das ist wirklich absurd.
Die Bundesregierung will jetzt ein nationales Stipendienprogramm auflegen. Besonders begabte Studierende sollen 300 c im Monat erhalten. Das finde ich wieder ein Beispiel dafür, wie man ohne jede Zielgenauigkeit und ohne Verstand Geld in die Landschaft blasen kann, statt einfach das BAföG auszuweiten, deutlich zu erhöhen und damit die richtigen, die nicht reichen Studierenden zu fördern. Das nationale Stipendienprogramm hingegen ist zu Recht als „Taschengeld für die Elite“ bezeichnet worden. Es fördert am Ende wieder nur die Kinder reicher Eltern, die diese 300 c eigentlich nicht brauchen.Aber selbst die von der Bundesregierung geplante minimale Erhöhung des BAföG wird von den Länderregierungen blockiert. Das halte ich für eine ganz falsche Prioritätensetzung.
Frau Kollegin Wissler, Entschuldigung. – Ich darf ein bisschen um Aufmerksamkeit und darum bitten, die Gespräche, die zwingend notwendig sind, außerhalb des Saals zu führen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vor allem auf der Regierungsbank scheint es enorm viel Diskussionsbedarf zu geben.
Meine Damen und Herren, alle reden von der Bedeutung der Bildung, aber niemand will zahlen. So wird die Verantwortung in einem unwürdigen Hickhack zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben. Dabei spielt die Hessische Landesregierung – wie könnte es anders sein? – eine tragende Rolle. Der Ministerpräsident und die beiden Bildungsministerinnen wollen die desaströse hessische Bildungspolitik offensichtlich auf den Rest Deutschlands übertragen. Dafür spricht auf jeden Fall ihr Verhalten beim Bildungsgipfel. Der Herr Ministerpräsident hat ja vor Kurzem klar zum Ausdruck gebracht – und das auch noch im Namen der Generationengerechtigkeit –, wo seiner Meinung nach in Zukunft gespart werden soll: nämlich bei der Bildung.
Statt Bildungsland Nummer eins, wie der Ministerpräsident es einst versprochen hat, ist Hessen heute der Blinde unter den Einäugigen und Schlusslicht bei den Bildungsausgaben im Vergleich zu anderen Flächenstaaten.
Trotzdem will die Landesregierung im nächsten Jahr bei Schulen und Hochschulen 75 Millionen c einsparen. Damit sparen Sie, meine Damen und Herren, die öffentlichen Schulen und Hochschulen weiter kaputt. Sie setzen sich nicht konsequent dafür ein, dass Qualität und Quantität der Kinderbetreuung verbessert werden,sondern lassen die Kommunen bei der Umsetzung der Mindestverordnung im Regen stehen.
45 Millionen c wollen Sie im Bereich des Kultusministeriums einsparen. Sie haben den Hochschulen einen Hochschulpakt diktiert, der für sie Mindereinnahmen in Höhe von 30 Millionen c jährlich bedeutet. Die Hessische Landesregierung aber behauptet steif und fest, das Land Hessen habe in den letzten Jahren immer mehr Geld für die Bildung investiert.
In Ihrem Antrag jubeln Sie das ja gerade wieder ab. Die Frau Ministerin brüstet sich damit, dass die Mittel für die Hochschulen von 960 Millionen c im Jahr 1999 auf 1,4 Milliarden c in diesem Jahr gesteigert wurden.
Ja, das stimmt, Herr Irmer. Im Gesamtbudget sieht es so aus. – Die Zahlen sind aber nur die halbe Wahrheit, denn auch die Zahl der Studierenden hat sich deutlich erhöht. 1999 studierten in Hessen 149.000 Menschen. Im Jahr 2009 waren es 185.000. Bis 2015 rechnet die Kultusministerkonferenz mit einem Anstieg der Studierendenzahlen von über 37 % – im Vergleich zu 1999.
Auch die Kosten der Hochschulen sind gestiegen. Heizkosten, Personalkosten, Materialkosten, alles wurde durch die Inflation teurer, und dieser Preisanstieg muss ausgeglichen werden, um den Betriebe der Hochschulen auf gleichem Niveau zu halten.
Wenn man den Anstieg der Studierendenzahlen sowie die Inflation berücksichtigt und das auf die Ausgaben pro Studierenden herunterrechnet, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Inflationsbereinigt werden den Hochschulen bis 2015 fast 20 % weniger Mittel pro Studierenden zur Verfügung stehen als im Jahr 1999. Inflationsbereinigt und unter Berücksichtigung der realen Studierendenzahlen sieht das also alles ganz anders aus. Man kann sich einmal die Tendenz anschauen. Das beantwortet die Frage, warum sich die öffentlichen Hochschulen seit Jahren beschweren, dass sie unterfinanziert sind. Mit dem Hochschulpakt bekommen die Hochschulen noch weniger Geld, müssen aber mehr Studierende ausbilden.
Die Aufgaben sind schon jetzt nicht zu bewerkstelligen. Ab 2012 kommen wegen der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit die sogenannten Doppeljahrgänge an die Hochschulen.Angesichts dessen gibt es nur zwei realistisch Szenarien: Entweder machen wir durch hohe NC oder Aufnahmestopps die Hochschulen dicht, oder wir lassen alle studieren;dann sinken aber die Clusterpreise,die Qualität
Frau Ministerin, Sie kürzen die Mittel für die Hochschulen, und ich unterstelle Ihnen, dass Sie dabei ein Ziel verfolgen. Sie haben nämlich das Ziel, die Studiengebühren wieder einzuführen. Das ist in Wirklichkeit Ihr Ziel. Spätestens 2015, wenn der Hochschulpakt ausläuft, werden die Hochschulen finanziell ausgeblutet sein.Dann sind die Rücklagen aufgebraucht, und die FDP wird erklären – –
Natürlich haben sie Rücklagen, Herr Irmer. – Dann kommt die FDP und erklärt: Jetzt machen wir ein Gesetz, das es den Hochschulen überlässt,ob sie Studiengebühren einführen wollen oder nicht. – Das können die Hochschulen dann ganz „demokratisch“ selbst entscheiden – als ob sie eine Wahl hätten, wenn das die einzige Möglichkeit ist, ihre Einnahmesituation zu verbessern. Damit können Sie praktischerweise den ganzen Ärger bei den Hochschulen abladen. Die können sich dann mit den Studierenden auseinandersetzen.
Wir brauchen eine am wachsenden Bedarf orientierte, regional ausgewogene Finanzierung öffentlicher Bildungseinrichtungen und keine Differenzierung in Elite- und Masseneinrichtungen, wie wir es gerade gesehen haben: Bei den öffentlichen Hochschulen wird gekürzt, für die EBS sind 30 Millionen c vorhanden.
Meine Damen und Herren, erst vor wenigen Tagen erschien der Bildungsbericht 2010,der erneut belegt,wie sozial selektiv das deutsche Bildungssystem ist. Wieder einmal wurde belegt: Kinder aus armen Familien, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder, deren Eltern keinen akademischen Abschluss haben, sind in diesem Bildungssystem benachteiligt. Die zentrale Aufgabe muss doch sein, eine Chancengleichheit herzustellen, damit der Bildungserfolg nicht von der Herkunft abhängig ist.
Meine Damen und Herren, der Bericht stellt eine zweite Tatsache heraus: Die Zahl der Nutzer privater Bildungseinrichtungen wächst stetig. Im Jahre 2007 wurden jede Woche bis zu zwei Privatschulen gegründet. Es ist eine fatale Entwicklung. Menschen, die es sich leisten können, bezahlen für eine bessere Bildung und für bessere Bedingungen für ihre Kinder, während der Rest an öffentlichen Schulen und Hochschulen lernt – in zu großen Klassen und bei einem schlechten Betreuungsverhältnis. Das ist eine Gefahr für das gesamte öffentliche Bildungssystem.
Ich komme zum Schluss.Die Zeit ist um.Wir sind der Meinung, wir brauchen gute Bildung für alle und keine exklusiven Bedingungen für wenige, was dann auf Kosten der Steuerzahler – der Allgemeinheit – bezahlt wird. Deren Kinder aber sitzen in überfüllten Hörsälen und in Schulen, in denen der Putz von der Decke bröckelt und die schlechte Betreuungsverhältnisse haben. Wir brauchen