Protocol of the Session on June 22, 2010

Sie wird das nach der Sommerpause tun. – Die SPDFraktion hat jetzt ebenfalls einen Gesetzentwurf vorgelegt und beteiligt sich an der Diskussion. Wir begrüßen das zunächst. In diesem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sind durchaus einige positive Aspekte vorhanden, zu denen ich kurz Stellung nehmen möchte.

Zunächst einmal begrüßen wir es sehr, dass Sie den Blick von den Einrichtungen weglenken und sich stärker einem personenzentrierten Begriff der Pflege zuwenden. Das ist auch unser Anliegen.Auch wir führen in unserer Fraktion Diskussionen zu diesem Thema. In Ihrer Pressemitteilung haben Sie außerdem darauf hingewiesen, dass Sie die Bürokratie im Bereich der Pflege stärker abbauen wollen. Dieses Anliegen begrüßen wir durchaus, nur wird das aus unserer Sicht mit diesem Gesetzentwurf noch nicht gewährleistet.

(Beifall bei der FDP)

Ein paar Punkte möchte ich noch verdeutlichen. Sie differenzieren zum einen völlig zu Recht den Begriff Pflegeeinrichtungen. Sie versuchen damit, der Verschiedenartigkeit der verschiedenen Wohnformen in den Heimen Rechnung zu tragen. Das ist ein durchaus sinnvolles Ansinnen. Auf der anderen Seite differenzieren Sie die verschiedenen Pflegeeinrichtungen so stark aus, dass wir die Befürchtung haben, dies wird bei der anschließenden Kontrolle zu einem Mehraufwand führen, wenn man herausfinden muss, welche Regelungen für welche Einrichtung gelten.

Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Wir haben auf der einen Seite betreutes Wohnen mit allgemeinen Unterstützungsleistungen. Solche Einrichtungen fallen nicht unter dieses Gesetz.Auf der anderen Seite haben wir selbst organisierte Wohngemeinschaften, in denen die Bewohner Unterstützungsleistungen wählen können. Ich denke, schon die Wortwahl verdeutlicht, dass diese Einrichtungen sehr nahe beieinanderliegen.

Sie können in der Ausschusssitzung erläutern, wie das gemeint ist. Sie haben hier sehr differenzierte Pflegebegriffe, und ich glaube, in der Praxis wird es zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Sie können das in der Ausschussberatung gern widerlegen.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Die Praxis ist etwas differenzierter!)

Die finanziellen Mehrbelastungen hat Herr Dr. Bartelt schon angesprochen. Die Baukostenzuschüsse und die Personalmindestausstattung werden zu einer finanziellen Mehrbelastung führen. Der Rechtsanspruch auf Einbettzimmer wird ebenfalls zu Mehrbelastungen führen.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Glauben Sie, dass es nicht verständlich ist, ein Einzelzimmer zu verlangen?)

Dagegen haben wir gar nichts. Die Frage ist nur, wann das umgesetzt werden soll. Den Rechtsanspruch auf die Einbettwohnung haben Sie sofort umgesetzt; auch die Personalmindeststandards gelten bei Ihnen sofort. Insofern kommen auch die zusätzlichen Kosten sofort auf uns zu. Bei den Einbettwohnungen lassen Sie uns immerhin zehn Jahre Zeit.Aber auch da stellt sich die Frage, ob das so schnell umgesetzt werden kann. Das müssen wir noch sehen.

Grundsätzlich geht das in eine gute Richtung. Aber die Frage ist, ob all das, was wünschenswert ist, in einem Ge

setz geregelt werden muss.Wir sehen die Gefahr, dass die Kostenträger überfordert werden.

(Beifall bei der FDP – Dr.Thomas Spies (SPD):Sollen Bettlägerige und Demenzkranke in dasselbe Zimmer?)

Herr Dr. Spies, kommen Sie doch nicht immer gleich mit solchen moralischen Keulen. Das ist unglaublich. Natürlich wollen auch wir die bestmögliche Pflege für die Menschen. Die Frage ist nur, wie wir das erreichen. Wenn wir die Kostenträger überfordern, indem wir etwas in das Gesetz schreiben,was in der Realität nicht umgesetzt werden kann, ist damit niemandem gedient. Insofern brauchen wir hier nicht die große moralische Keule herauszuholen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Richtig ist, es muss weniger Bürokratie geben. Das, was Frau Müller angesprochen hat, nämlich dass die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und die Prüfung durch die Heimaufsicht stärker verzahnt werden müssen, ist ein zentraler Punkt. Das ist richtig. Es kann nicht sein, dass getrennt kontrolliert wird und dass von den verschiedenen Prüfungsorganen zum Teil unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe angelegt werden. Da gehen wir mit Ihnen konform. Wir müssen langfristig zu einem Gleichklang der Prüfungen kommen. Damit die Einrichtungen nicht überfordert werden,müssten die Prüfungen am besten gemeinsam und auf der Grundlage gemeinsamer Maßstäbe durchgeführt werden.

Ein ganz zentraler Punkt sind für uns auch die Dokumentationspflichten. Wir werden langfristig dazu kommen müssen, die Dokumentationspflichten, so gut es eben geht,auf das Nötigste zu beschränken,damit die Pfleger in den Einrichtungen wieder Zeit haben, sich um die Menschen zu kümmern – das ist das, wofür sie eigentlich da sind –, statt sich stundenlang damit zu beschäftigen, irgendwelche Papierchen auszufüllen, was der Pflege letzten Endes nichts bringt.

(Beifall bei der FDP)

Qualitätsstandards sind wichtig.Aber wir müssen die Dokumentation und die Bürokratie allgemein auf ein Mindestmaß herunterführen.

Ich möchte noch zu einem Punkt Stellung nehmen, der in dieser Aussprache schon öfter erwähnt wurde. Es geht um die Frage, ob die ambulante Pflege ebenfalls in dieses Gesetz aufgenommen werden muss. Das ist aus unserer Sicht ein zweischneidiges Schwert.

Auf der einen Seite ist es sinnvoll, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Pflege zu schaffen.Das ist durchaus sinnvoll; denn dadurch bekommt man Rechtssicherheit. Auf der anderen Seite besteht immer die Gefahr, dass man,wenn man einen Bereich regelt,der bis jetzt gar nicht geregelt ist, auch diesen mit Bürokratie überzieht. Diese Gefahr sehen wir. Man muss sich auch die Frage stellen, warum ein Bereich, der vorher nicht geregelt war, auf einmal geregelt wird, wenn es doch heißt, in dem Bereich läuft es eigentlich.Warum soll dieser Bereich also mit aufgenommen werden? Das ist ein Punkt, über den wir sicherlich weitere Diskussionen führen werden.

Für uns ist klar:Wir müssen bei der Qualität Mindeststandards einführen. Ich denke, da gehen wir alle konform. Aber das Ziel muss sein, dass auf der einen Seite die Menschen in den Einrichtungen mehr Wahlfreiheit und mehr Mitspracherechte bekommen und dass auf der anderen

Seite die Menschen,die in diesem Einrichtungen arbeiten, wieder mehr Zeit haben,um sich um das zu kümmern,wofür sie eingestellt worden sind: um die Menschen. Darum muss es gehen. Deswegen müssen wir die Bürokratie in diesem Bereich zurückführen.

Die Landesregierung wird einen Gesetzentwurf vorlegen, der diesem Ansinnen Rechnung trägt.

(Dr.Thomas Spies (SPD):Wann?)

Mit Ihrem Gesetzentwurf wurde sozusagen der Aufschlag zur Diskussion gemacht. Über all das werden wir im Ausschuss gemeinsam beraten. Ich denke, im Endeffekt werden wir zu einem sehr guten Ergebnis kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön, Herr Mick. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Schott zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der näheren und in der ferneren Zukunft wird das Thema Pflege in unserer Gesellschaft einen deutlichen Bedeutungszuwachs erfahren. Das ist hinlänglich bekannt.Auch der zuständige Minister hat erkennen lassen, dass er diese Einschätzung teilt. Die Pflege von Menschen nimmt in unserer Gesellschaft einen immer größeren Stellenwert ein, haben Sie,Herr Banzer,bei der Eröffnung des ersten Pflegestützpunktes gesagt.

Der Bedeutungszuwachs ist allerdings keinesfalls allein eine Sache der Zunahme der Anzahl der Menschen, die der Betreuung und Pflege bedürfen. Es handelt sich also nicht nur um einen quantitativen Bedeutungszuwachs. Zunehmen wird nämlich auch die Multimorbidität, und zunehmen wird vor allem die Anzahl dementer Menschen. Die Pflege dieser Menschen, wobei gleichzeitig deren Würde gewahrt werden muss, bedingt auch einen qualitativen Bedeutungszuwachs.

Die Lösung dieser Aufgabe wird weder leicht, noch wird sie durch ein Gesetz ein für alle Mal erreicht. Mit Sicherheit wird dies eine Aufgabe sein, bei der auch zukünftige Generationen nach neuen Ansätzen, Lösungen und Modellen suchen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines möchte ich am Anfang meiner Ausführungen in aller Deutlichkeit für die Zukunft betonen: Bei allen organisatorischen und juristischen Modellen, die zukünftig entwickelt werden, und bei allen technischen Innovationen, die zukünftig die Betreuung und die Pflege erleichtern, muss festgehalten werden: Ob als Beruf ausgeübt oder gegenüber Angehörigen oder Freunden, Betreuung und Pflege ist und bleibt eine Tätigkeit, die sowohl physisch also auch psychisch und emotional anstrengend ist. Deshalb verdienen Betreuung und Pflege einschränkungslos höchste Anerkennung.

Ich möchte hinzufügen, ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn wir den kommenden Anforderungen gerecht werden wollen, die derzeit gewissermaßen im gesellschaftlichen Durchschnitt gewährte Anerkennung deutlich erhöht werden muss. Das betrifft sowohl die moralische als auch die finanzielle Anerkennung.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, diesen qualitativen Aspekt, nämlich dass Betreuung und Pflege von Menschen ein Gradmesser für die Humanität einer Gesellschaft sind, haben Sie ebenfalls erkannt. Ich finde das ausdrücklich lobenswert.

Nur, Herr Minister, warum liegt trotz Ihrer löblichen Einsichten nur der Gesetzentwurf einer Oppositionsfraktion vor – und das, obwohl der Landespflegeausschuss bereits im letzten Jahr eine Vorlage gefordert hat? Erneut ist es also so, dass die Opposition die Landesregierung vor sich hertreibt, sogar vor sich hertreiben muss, damit in Hessen überhaupt etwas passiert.

Aber das ist noch nicht alles.Während die Opposition mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs die Arbeit der Regierung übernimmt, ist es fraglich, ob die zwar im Amt befindliche, aber nicht regierende Koalition überhaupt schon eine gemeinsame Arbeitsgrundlage für einen Gesetzentwurf hat.Von dem, was die SPD hier vorgelegt hat, scheinen CDU und FDP jedenfalls meilenweit entfernt zu sein.

Herr Hahn – er ist nicht mehr da –, Sie haben recht mit Ihrer Einschätzung des Zustands der Bundes-FDP und der Koalition in Berlin. Allerdings gilt das für die Hessische Landesregierung mindestens genauso.

(Judith Lannert (CDU):Thema verfehlt!)

Für die Menschen in Hessen muss das nicht in jedem Fall ein Nachteil sein. Intention und Grundrichtung des Gesetzentwurfs der SPD sind nämlich allemal besser als der derzeitige Zustand. Schon deshalb ist die Initiative der SPD zu begrüßen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition, der in den letzten Jahren nicht viel mehr als Streichungen, Kürzungen und Sozialabbau eingefallen ist, besser wäre als der heute auf der Tagesordnung stehende, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen.

Meine Damen und Herren, ich möchte exemplarisch einige Punkte nennen, bei denen wir gegenwärtig gravierende Mängel sehen. Die Situation in den Pflegeeinrichtungen ist momentan von einer deutlich unzureichenden Personalausstattung gekennzeichnet. Für die zu Pflegenden bedeutet das Unterversorgung. Für die Pflegerinnen führt das zur psychischen und physischen Überbelastung.

Zu diesem Punkt gehört auch die bereits angedeutete zu niedrige Bezahlung der Pflegekräfte. Dabei ist die Bezahlung ein wesentlicher Teil der gesellschaftlichen Anerkennung. Vielfach wird gerade das Gegenteil von aktivierender Betreuung und Pflege betrieben.

Das ist eine Pflege, die intensiv auf die Verbesserung des individuellen Zustands abzielt. Das kann etwa durch Ansporn und Unterstützung geschehen. Es sollte aber zumindest keine weitere Verschlechterung eintreten. Stattdessen passiert häufig eine deaktivierende,körperlich und geistig ruhigstellende Betreuung, um einen individuellen Zustand herbeizuführen, der den Patienten pflegeleichter macht.

Die derzeitigen baulichen Mindestanforderungen hinsichtlich des Platzbedarfes werden in Zukunft nicht mehr ausreichen. Wir werden es mit einer Zunahme der Multimorbidität und damit mit einer Zunahme der erforderlichen Pflegeintensität zu tun bekommen. Menschenwür

dige Pflege wird unter anderem bedeuten, dass die Betten von beiden Seiten zugänglich sein müssen. Dafür ist mehr Platz erforderlich, als momentan vorgeschrieben ist.

Der gegenwärtige Pflegebegriff ist körperbezogen. Betreuung und Pflege heißt aber auch – ich spitze das hier bewusst etwas zu –, dass es nicht nur Körperpflege mit etwas Bewegung und Essenszufuhr, sondern auch kommunikative und soziale Zuwendung gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE hat die Absicht, diese Mängel zu beheben. Das wird Geld kosten. Das ist keine Frage. Mit dem Konzept der solidarischen Bürgerversicherung haben wir nicht nur ein Konzept zur solidarischen Finanzierung des Gesundheitswesens, sondern auch zur solidarischen Finanzierung der Pflege vorgelegt. Ich gestatte mir, darauf hinzuweisen, dass wir das hier schon einmal eingebracht haben.