Protocol of the Session on April 29, 2010

Ein Zweites. Wir haben im vergangenen September auch über Kernenergie diskutiert, als damals die Auszubildenden von RWE für Kernenergie demonstriert haben. Sie haben diese Menschen als Pflichtdemonstranten und Schutzschilde bezeichnet.

Wenn Sie heute im „Spiegel“ vom 19.04.2010 nachlesen, dann lesen Sie dort – ich zitiere –:

Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke meldet Ende voriger Woche, dass ihre Partei mindestens 65 Reisebusse aus ganz Deutschland „bestellt und belegt“ habe. Ähnlich aktiv ist die SPD. Den Mitarbeitern des Willy-Brandt-Hauses sponsert Gabriel einen Betriebsausflug.Alle können kostenlos anreisen. Essen ist ebenso inklusive wie Selbstlob für das rot-grüne Ausstiegsgesetz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsere haben es selbst bezahlt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer auf der einen Seite diejenigen diffamiert, die für ihren Arbeitsplatz kämpfen, und auf der anderen Seite Betriebsausflüge organisiert, der redet hier über das Gleiche. Man sollte nicht die einen verurteilen und die anderen loben. Man sollte neutral bleiben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Lassen Sie mich doch einmal auf andere Protestbewegungen schauen. Das sollten Sie sich auch ins Gebetbuch

schreiben. Es gibt gegen nahezu jedes Projekt im Energiebereich Widerstand. Es gibt diesen Widerstand auch gegen Projekte im regenerativen Bereich.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

In Freiensteinau gab es am Wochenende eine Abstimmung, und zwar eine Bürgerbefragung, zum Thema Windräder. Die Mehrheit war für die Windräder. Die SPD vor Ort ist dagegen.

(Zurufe von der CDU: Och!)

Werden Sie deswegen nun sagen, dass wir aus der Windenergie aussteigen sollen? – Nein, das werden Sie nicht tun, und das werden auch wir nicht tun.

(Zurufe von der SPD)

Werden Sie überall dort die Finger davon lassen, wo es Widerstand gegen regenerative Energien gibt? – Nein,das werden Sie genauso wenig tun wie wir. Im Thüringer Wald kämpft eine linke Landtagsabgeordnete an der Spitze einer Bewegung gegen eine Stromleitung, die den Strom von den Windanlagen in Brandenburg zum Pumpspeicherkraftwerk bringen soll – eine wichtige Sache im Zusammenhang mit der Entwicklung regenerativer Energien.– Werden Sie künftig dagegen sein,dass regenerative Energien weiter ausgebaut werden – nur weil sich dort eine Demonstration gebildet hat?

Wir könnten weiter diskutieren über Hamburg, über die Fernwärmeleitung, die von BUND und Robin Wood bekämpft wird, wo es darum geht, die Energie eines Kraftwerks besser zu nutzen, indem die Wärme genutzt wird. Schauen Sie durchs Land. Egal, ob Sie über Biomaisflächen reden, über Geothermiekraftwerke, wo es Erdbeben geben kann – es gibt überall Widerstände. Wir müssen diese Widerstände

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ignorieren!)

zur Kenntnis nehmen. – Wir ignorieren sie nicht. Sonst würde ich Ihnen heute sagen, dass wir gar nicht über Ihre Aktuelle Stunde reden. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit diesen Widerständen umgehen.

(Zuruf von der SPD)

Ich möchte noch eines dazu sagen. Ich möchte abschließend das zitieren, Herr Al-Wazir, was die Forsa-Umfrage zu der Frage sagt, wie die Menschen in Deutschland zur Kernenergie stehen. Diese Umfrage ist im April gemacht worden, also im Vorfeld Ihrer Aktionen. Berichtet wurde am 20.04. Nach dieser Umfrage sind 44 % der Menschen in Deutschland für die Laufzeitverlängerung. 19 % sind unentschieden. Das bedeutet, dass 37 % – und damit weniger als die Befürworter – dagegen sind. Wenn Sie noch etwas tiefer in diese Umfrage einsteigen, dann lesen Sie dort auch: 81 % der Deutschen glauben, man brauche die Atomkraft noch. Ich zitiere aus dem „Focus“ vom 19.04.: „Dies sehen sogar 62 % der GRÜNEN- und 79 % der SPD-Anhänger so.“

Dieser Umfrage nach ist eine deutliche Mehrheit in Deutschland auf der Seite derjenigen, die sagen: Ja, wir brauchen die Kernenergie auch weiterhin, um einen Energiemix in Deutschland sicherzustellen, der auch einer sicheren und preiswerten Energieversorgung gerecht wird.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Es gibt ein großes Risiko.Das wissen wir.Das ist die Frage nach der Endlagerung. Da verweise ich noch einmal darauf, dass Herr Röttgen, der Umweltminister der CDU, diese zehnjährige Blockade aufgelöst hat,die Sie von SPD und GRÜNEN verschuldet und zu verantworten haben.

(Zuruf von der SPD)

Daran wird jetzt gearbeitet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich zusammenfassen.Wir nehmen Bedenken ernst, und wir kümmern uns darum. Ich weise aber auch darauf hin: Wir haben in Deutschland 17 Kernkraftanlagen.Wir haben 437 in der ganzen weiten Welt. 52 Anlagen sind weltweit im Bau. Ich bin gespannt, was der ansonsten hier auftretende Antikernkraftspezialist aus dem Kreis Bergstraße von der SPD momentan in China macht. Dort sind 11 Anlagen in Betrieb. 17 werden neu gebaut. Ich bin gespannt, wie er dort demonstriert.

Herr Kollege Stephan, Sie müssen zum Schluss kommen.

Abschließend möchte ich sagen, Herr Präsident: Unsere Anlagen in Deutschland sind sicher. Sie sind sicherer als die anderen Anlagen auf der Welt. Sie sollten weiter betrieben werden. Dazu steht die CDU. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass es mal so weit kommt!)

Vielen Dank, Herr Kollege Stephan. – Das Wort hat Frau Abg.Wissler für DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am vergangenen Samstag haben sich bundesweit knapp 150.000 Menschen an den Protesten für den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft beteiligt. Zwischen Krümmel und Brunsbüttel haben über 120.000 Menschen eine Menschenkette gebildet.In Ahaus haben über 7.000 Menschen demonstriert. In Biblis waren wir über 15.000 Menschen bei der Umzingelung des Atomkraftwerks. Ich denke, das ist ein erster großer Erfolg für eine neue Bewegung gegen die Atomkraft.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anlass für die Proteste ist die Ankündigung der Bundesregierung, die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern zu wollen. Meine Damen und Herren, letzten Montag jährte sich der GAU von Tschernobyl zum 24. Mal. Dieser Unfall hat bis dato 70.000 Menschen das Leben gekostet und hat weite Teile Europas radioaktiv verseucht.

Wenn wir von Biblis sprechen,dann sprechen wir über die Gesundheit und das Leben der Menschen in der ganzen Region und darüber hinaus. Biblis ist der älteste und mit über 800 meldepflichtigen Störfällen unsicherste Reaktor Deutschlands. Zudem liegt Biblis in unmittelbarer Nähe eines Knotenpunkts des europäischen Luftverkehrs. Bi

blis kann nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert werden. Das wissen Sie. Das wissen wir. Das birgt ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Aber die Landesregierung sorgt sich lieber um die angebliche Verspargelung der Landschaft durch Windräder, als sich um die Risiken der Atomenergie Sorgen zu machen. Die Betreiber verdienen täglich 1 Million c an jedem abgeschriebenen Atomkraftwerk, also besonders viel an den alten, deren Laufzeiten sie deshalb verlängern wollen. Biblis A – das wissen wir alle – hätte Ende letzten Jahres vom Netz gehen sollen. Die Reststrommengen haben sich nur deshalb nicht erschöpft,weil die Betreiber darauf spekuliert haben, dass es eine neue Bundesregierung gibt.

(Petra Fuhrmann (SPD):Vertragsbrüchig!)

RWE wollte Zeit schinden. Jetzt verhandelt die Bundesregierung mit den Konzernen über längere Laufzeiten. Dabei wird Biblis für die Versorgungssicherheit überhaupt nicht benötigt. Biblis war vom Netz, und in Hessen ist kein Licht ausgegangen.Aber, meine Damen und Herren, durch die Realität lässt sich die Landesregierung ja nicht beirren.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Manchen ist kein Licht aufgegangen!)

Die Regierungsfraktionen tragen hier immer wieder die Argumente der Atomwirtschaft vor – für eine strahlende Zukunft. Dafür werden sie bezahlt. Wir kennen das: Die deutschen Atomkraftwerke sind sicher, und die Titanic ist unsinkbar. – Bei beiden waren die Besitzer das Problem, denen der schnelle Profit wichtiger war als die Sicherheit und die Unversehrtheit der Menschen. In der Landesregierung haben die Atomkonzerne ihre besten Anwälte gefunden. Der Eisberg naht. Aber die Frau Ministerin sagt: „volle Kraft voraus“ und genehmigt, dass Biblis wieder an das Netz geht. Frau Ministerin, das ist wirklich unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fakt ist: Es gibt kein Endlager für radioaktive Abfälle. Auch für das Problem hat bisher weder die Atomlobby noch ihr parlamentarischer Arm eine Lösung gefunden. Die Unterlagen über Gorleben und die unsägliche Vertuschung der zahlreichen Warnungen werden gerade jetzt im Bundestag einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Meine Damen und Herren, wer angesichts der Räumung der rostigen Atommüllfässer von Asse, die den Steuerzahler 3,7 Milliarden c kosten wird – wohlgemerkt: die Steuerzahler und nicht die Verursacher –, über angeblich teure und unbezahlbare Solarenergie spricht, dem sind wirklich alle Maßstäbe verrückt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN )

Wenn man das Geld, das man in die Förderung der Atomkraft gesteckt hat, in erneuerbare Energien investiert hätte, dann wäre Atomkraft schon lange Geschichte, und Kohle würden wir heute nur noch zum Grillen verwenden.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Bei der Kundgebung in Biblis wurde gesagt,dass die AntiAKW-Bewegung nicht unter Gedächtnisschwund leidet. Denn die Atomkraft könnte in Deutschland schon Ge

schichte sein, wenn SPD und GRÜNE in ihrer Regierungszeit konsequenter gewesen wären, statt ein Abkommen mit den Energieriesen zu schließen, das offensichtlich das Papier nicht wert war, auf das die Konzerne ihre Unterschrift gesetzt haben.

(Beifall bei der LINKEN – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe gerade eine Wette gewonnen, Janine!)

Deshalb blieb der Ausstieg praktisch möglich. Darauf haben die Konzerne gesetzt. Das wurde am Samstag zu Recht kritisiert. Aber, meine Damen und Herren, es gibt eine breite gesellschaftliche Mehrheit gegen längere Laufzeiten, gegen Atomkraftwerke. Diesen Atomdissens haben Zehntausende auf die Straße getragen.

(Beifall bei der LINKEN)