Protocol of the Session on April 29, 2010

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Reißer, CDUFraktion.

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Es war im Dezember letzten Jahres, als wir in diesem Hause über den Bologna-Prozess gesprochen haben.Wir haben schon damals festgestellt, dass die Bologna-Reform, die im Jahre 1999 angestoßen wurde, eines der wichtigsten und ehrgeizigsten wissenschaftspolitischen Projekte der vergangenen Dekade war.

Der Bologna-Prozess hat in seiner Umsetzung – auch das haben wir das letzte Mal festgestellt, darauf brauche ich nicht mehr einzugehen – zu einer großartigen Reform geführt. Wir stellen aber fest, dass es bei der Umsetzung große Probleme gibt. Das habe ich auch das letzte Mal an dieser Stelle gesagt. Immerhin sind bereits 70 % der Studiengänge in Hessen auf Bachelor und Master umgestellt; das ist ein hoher Prozentsatz.Wir haben aber festgestellt, dass die Bereiche nur unzureichend organisiert sind und dass man die Studieninhalte neu gewichten sollte. Das hat man nicht so gemacht, wie es ideal wäre – um es so zu formulieren –, und so ist es zu einer Straffung, zu einer Reduzierung auf wenige Semester gekommen. Das hat bei den Studenten zu Mobilitätsverlusten geführt. Das ist ganz klar.

So weit die Analyse. Wir nehmen die Kritik ernst. Auch das haben wir vor wenigen Monaten in diesem Hause gesagt. Wir müssen aber auch sehen, dass dieser Umstellungsprozess – da unterscheiden sich unsere Meinungen – ganz klar bei den Hochschulen liegt. Sie tragen dafür die Verantwortung, denn sie haben größere Freiheiten.Wenn wir sie in die Autonomie entlassen, müssen sie ihrer Ver

antwortung gerecht werden und hier deutliche Zeichen setzen.

Das Land hat seinen Teil der Verantwortung übernommen, indem es die Strukturanpassungen möglich gemacht und dafür 2,5 Millionen c investiert hat. Das Land hat sich also nicht aus der Verantwortung gestohlen, sondern einen Beitrag geleistet, dass diese Strukturreform stattfinden konnte. Deshalb sind wir auf einem guten Weg.

Im Dezember letzten Jahres hat der Antrag, das weiterzuführen, in diesem Hause die Mehrheit von CDU und FDP gefunden. Die Fortführung ist in den zuständigen Arbeitsgruppen geleistet worden. Es haben bereits die notwendigen Sitzungen stattgefunden, um diesen Prozess vernünftig zu begleiten. Ich bin sicher, dass es in den Sitzungen auch entsprechende Informationen gab. Der Kollege Grumbach hat die Universität Frankfurt erwähnt: Ich weiß von der TU Darmstadt, die sich früher als die anderen Hochschulen mit dem Bologna-Prozess beschäftigt hat, weil sie viel früher in die Autonomie entlassen worden ist, dass man dort hervorragende Erfolge erzielt hat und auf einem guten Weg ist.Deswegen ist es wichtig,dass die Hochschulen ihre Aufgaben weiterhin in Autonomie wahrnehmen und dass dies vonseiten des Ministeriums begleitet wird. Auf diesem Wege sind wir, und ich glaube, es geht Stück für Stück in die richtige Richtung weiter. Die Debatte über die Anträge werden wir im Ausschuss weiter vertiefen. Ich denke aber, wir sind auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Reißer. – Frau Kollegin Wissler, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am letzten Freitag wurde die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks veröffentlicht. Das ist eine Studie, die alle drei Jahre vom Studentenwerk und vom Bundesbildungsministerium herausgegeben wird. Darin werden unter anderem die Auswirkungen der zweistufigen Studiengänge auf das Leben von Studierenden beschrieben. Die Studierenden leiden am Bachelor, ist dort nachzulesen. Jeder Fünfte empfindet die Last als zu hoch. Ganz besonders gilt das natürlich für die Studierenden, die neben ihrem Studium arbeiten müssen.Viele Studierende kommen auf eine 50-Stunden-Woche – und mehr. Das politische, familiäre oder kulturelle Engagement ist da natürlich noch gar nicht eingerechnet.

Frau Ministerin, ich hielt damals – ähnlich wie Frau Kollegin Dorn – die Idee von einem Kummerkasten für alles andere als den Problemen angemessen, die wir an den Hochschulen haben. Nichtsdestotrotz würde mich natürlich interessieren, wie der Kummerkasten von den Studierenden angenommen wurde, ob eine Evaluierung in Vorbereitung ist oder ob es irgendetwas gibt, was Sie uns zu dem Kummerkasten sagen können, was an Äußerungen dort eingegangen ist.

Meine Damen und Herren,mit der sogenannten BolognaReform sollte ein einheitlicher europäischer Hochschulraum entstehen: vergleichbare Hochschulabschlüsse,Verkürzung der Studienzeiten, mehr Praxisorientierung, er

höhte Mobilität von Studierenden und eben die Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master. Wir haben schon im Dezember darüber gesprochen: Inzwischen herrscht an den Hochschulen vor allem Frust über die Reform. Die schöne neue Campuswelt entpuppt sich als Lernfabrik, und zehn Jahre Bologna-Prozess waren kein Grund, zu feiern, sondern eher ein Grund für Proteste.

(Beifall bei der LINKEN)

Durch die Reform haben sich die Lern- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen verschlechtert; denn der Stoff aus acht Semestern wurde einfach in sechs Semester gepresst. Das sogenannte Bulimie-Lernen ist die Folge: Die Studierenden lernen kurz vor den Prüfungen schnell alles auswendig und spucken es anschließend wieder aus.

Den Studierenden wurde versprochen, dass sie innerhalb Europas problemlos die Hochschulen wechseln könnten. Heute stellen sie fest, dass das nicht einmal zwischen den Hochschulen Berlin und Frankfurt funktioniert. Die Bachelorstudiengänge sind oftmals viel zu spezialisiert, und Auslandssemester passen überhaupt nicht in die dicht gedrängten Studiengänge und zu der engen Taktung des Studiums.

Zwei Drittel aller Studierenden arbeiten, um sich ihr Studium zu finanzieren. Das kollidiert natürlich mit den Anwesenheitspflichten und den engen Prüfungsrhythmen. Immer mehr Studierende leiden an Stress, an Überforderung und an Leistungsdruck.

Auch für das Personal an den Hochschulen hat diese Reform nur Verschlechterungen gebracht; denn die Bologna-Reform musste mit gleichbleibender Personalausstattung bzw. mit sinkenden Personalzahlen umgesetzt werden.

Wer ist schuld an der Misere? Bundesregierung und Landesregierungen versuchen jetzt, die Schuld auf die Hochschulen abzuschieben. Diese seien für die Umsetzung der Reform zuständig.

Aber der Fisch stinkt vom Kopf her. Der Bologna-Prozess wurde meiner Meinung nach nicht falsch umgesetzt, sondern er stand auf einer falschen Grundlage; denn bei der Umgestaltung der Hochschulen standen nicht die soziale Durchlässigkeit oder die Demokratisierung im Vordergrund, sondern Wettbewerbsfähigkeit und Standortlogik durch Entqualifizierung einerseits und Elitebildung andererseits. Bei der Bologna-Reform bedeutete das vor allem eine Verkürzung der Studienzeit und die Reduzierung der Studieninhalte auf eine kurzfristige Arbeitsmarktbefähigung. Die Studiengänge wurden stärker auf wirtschaftliche Bedürfnisse ausgerichtet und verkürzt, damit die Absolventen dem Arbeitsmarkt möglichst schnell zur Verfügung stehen.

Nach dem Bachelorstudiengang wurde der Masterstudiengang als eine weitere Bildungshürde eingezogen. Der Masterabschluss soll einer kleinen Elite vorbehalten bleiben. Wir betrachten den Bachelorabschluss als eine geistige Enteignung. Er bedeutet eine Abwertung der akademischen Abschlüsse. Das macht sich natürlich auch bei den zukünftigen Gehaltsaussichten und den Tarifverträgen bemerkbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt jetzt vonseiten der Wirtschaftkritik an den Bachelorabsolventen. Für die Unternehmen sind die jungen Leute immer selbst schuld daran, dass sie keinen Arbeitsoder Ausbildungsplatz finden. Heute beschweren sich die

Unternehmen zum Teil darüber, dass die Absolventen zu jung sind; früher hieß es, die Absolventen seien zu alt.

Was ist zu tun? Ich denke, die ersten Schritte zur Entschärfung des durch die Bologna-Reform entstandenen Drucks sind, dass der Lerndruck reduziert und die Regelstudienzeit für die Bachelorstudiengänge erhöht wird. Weder Quote noch Note darf die Zulassung zum Masterstudium beschränken. Der Master muss zum Regelabschluss werden.

Wenn Bologna-Werkstätten oder runde Tische dazu beitragen können, in den Hochschulen eine Debatte darüber in Gang zu setzen, wie die Auswirkungen der BolognaReform abgemildert werden können, finde ich das sinnvoll. Aber erstens haben wir eine grundlegende Kritik an der Bologna-Reform, und zweitens befürchte ich, dass sich die Verbesserung ohne mehr Geld für die Hochschulen, das in die Personalausstattung und in einen besseren Betreuungsschlüssel investiert wird, einfach nicht umsetzen lassen wird.

Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich bin gleich fertig. – Ich denke, da hätte die Frau Ministerin eine ganze Menge zu tun. Aber das, worüber wir heute Nachmittag diskutiert haben, nämlich eine weitere Kürzung bei den Mitteln, wird die Zustände eher verschlechtern, statt sie abzumildern oder zu verbessern.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Dr. Büger, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute befassen wir uns zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate mit der Bologna-Reform. Damit keine Zweifel aufkommen: Gegen eine hochschulpolitische Diskussion im Plenum ist von meiner Seite nie etwas einzuwenden; denn über das, was in den letzten zehn Jahren in Hessen entstanden ist, gibt es sehr viel Gutes zu berichten.

Wir befassen uns hier aber innerhalb weniger Monate erneut mit einem Thema, bei dem erstens alle demokratischen Parteien dasselbe wollen, nämlich die Bologna-Reform, sodass es beim Ziel gar keinen Dissens gibt, das zweitens klar in den Aufgabenbereich der Hochschule fällt, d. h. in die innere Organisation des Studiums, und bei dem drittens vonseiten der Hochschulen erhebliche Anstrengungen unternommen werden und auch Erfolge vorzuweisen sind.

Ich habe mich erst kürzlich in einem Schreiben an alle hessischen Hochschulen gewandt und um Auskunft über den Sachstand bezüglich der Bologna-Reform gebeten. Ich habe mich auch in persönlichen Gesprächen – zuletzt am Freitag – nach der Weiterentwicklung und nach dem Sachstand erkundigt. Zuletzt habe ich das in Mittelhessen gemacht.

Auf Basis der Rückmeldungen darf ich hier feststellen, dass die hessischen Hochschulen erstens an vielen Stellen bei der Umsetzung der Bologna-Reform entweder keine Probleme hatten oder dass diese bereits gelöst sind. Insbesondere betrifft das die Fachhochschulen, bei denen die Umstellung aufgrund der Struktur der Studiengänge besonders reibungslos erfolgt ist.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens haben die Hochschulen an den Stellen,an denen Verbesserungen erforderlich waren, massive Anstrengungen unternommen bzw. unternehmen sie noch, um diese Probleme zu lösen.

Drittens haben die Hochschulen gemeinsam mit den Studierenden verschiedene Wege beschritten, um die Probleme – Herr Reißer hat es bereits erwähnt –,z.B.die Prüfungsanforderungen, die Verschulung des Studiums und die Modularisierung betreffend, zu lösen. Es wurden alle am Studium Beteiligten in diesen Prozess eingebunden. Auch das ist im Übrigen ein sehr gutes Zeichen. Es zeigt, dass die Bedenken und die Mitbestimmungsrechte vor Ort ernst genommen werden. Es zeigt im Übrigen auch, dass die Hochschulautonomie funktioniert.

(Beifall bei der FDP)

So schreibt ein Hochschulpräsident unter „Maßnahmen der Landesregierung, die bei der Umsetzung und Fortführung der Ziele des Bologna-Prozesses helfen können und den Hochschulen den nötigen Gestaltungsspielraum geben“ – ich zitiere –: „Das novellierte Hochschulgesetz ist ein gutes Beispiel.“ Dem kann ich mich vollumfänglich anschließen.

(Beifall bei der FDP)

Arbeitsgruppen wie die in dem SPD-Antrag geforderten Werkstätten existieren bereits vielerorts. Es ist schade, dass Herr Schäfer-Gümbel, der diesen Antrag mit unterschrieben hat, bei der Beratung dieses Punktes nicht anwesend ist. Er hätte nämlich sehr gut bei seiner Universität vor Ort, in Gießen, nachfragen können. An der Universität Gießen existiert längst eine entsprechende Arbeitsgruppe.

Vonseiten des Präsidenten der Universität Gießen wurde mir übrigens mit auf den Weg gegeben,dass er den Begriff „Werkstätten“ als äußerst unglücklich empfindet, da die Weiterentwicklung der Studienstruktur wenig mit mechanischem Schrauben zu tun hat und es auch nicht darum gehen kann, den Holzhammer auszupacken.

(Beifall bei der FDP)

Nun zum Antrag der GRÜNEN. Die Idee der Zwangsbeglückung der Hochschulen durch einen runden Tisch wird auch beim zweiten Aufguss nicht besser. Unsere Hochschulen brauchen Ruhe zum Arbeiten. Sie sind in der Lage, die Struktur ihrer Studiengänge festzulegen.

(Günter Rudolph (SPD): Da müssen Sie ihnen aber auch das Geld geben!)

Ich bin davon überzeugt, dass sie dabei viel besser als wir hier sind. Lassen wir ihnen doch die Zeit, und bringen wir ihnen das Vertrauen entgegen – auch Sie –, ihre Studiengänge eigenverantwortlich festzulegen.

Im Übrigen finde ich den Antrag der GRÜNEN entlarvend. Die Landesregierung soll kritisiert werden, weil sie – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „die Verantwortung für die Bologna-Reform weiter auf die Hochschulen abschiebt“. Der Kern des Problems scheint mir bei den

GRÜNEN wie auch bei der SPD und den LINKEN zu sein, dass sie eigentlich gar keine Autonomie wünschen, sondern die Hochschulen bevormunden wollen, um ihre politischen Vorstellungen dort hineinzutragen.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb wundert es mich auch nicht, dass es eigentlich erst des Regierungswechsels 1998/1999 von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb bedurft hat, um mit der Hochschulautonomie Ernst zu machen. Deshalb wundert es mich auch nicht, dass die in der kurzen 17. Wahlperiode von RotRot-Grün beschlossenen QSL-Mittel mit einem bürokratischen Aufwand behaftet sind, über den sich die Hochschulleitungen bei mir beschweren.

(Beifall bei der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Bei Ihnen beschweren!)