Protocol of the Session on January 28, 2010

Nun können wir uns doch alle ganz bestimmt noch an die letzte Aktuelle Stunde erinnern, die auf Antrag der FDP gestellt worden ist. In der letzten Aktuellen Stunde ist in diesem Landtag die Minaretten-Debatte geführt worden. Es ist von den Regierungskoalitionen auch ein Antrag gestellt worden, in dem es ganz klar heißt,

… dass der Bau von Moscheen und Minaretten in Deutschland grundgesetzlich im Rahmen der bestehenden Gesetze gewährleistet ist... Der Landtag setzt sich fortlaufend und dauerhaft für die Umsetzung eines Klimas des gesellschaftlichen Miteinanders im Lichte von Toleranz und Akzeptanz ein.

Was wir heute von Ihnen erwarten, meine Damen und Herren, ist: Stehen Sie noch zu diesem Antrag, der im Rechts- und Integrationsausschuss beschlossen wurde, oder nicht?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Wenn ja, dann müssen Sie sich von den Äußerungen eines Herrn Irmer distanzieren. Alles andere macht Sie unglaubwürdig. Da gibt es kein Wenn und kein Aber. Wenn die Entschuldigung des Ministerpräsidenten Koch an Herrn Navid Kermani bei der Kulturpreisverleihung ernst gemeint war, wenn die Friedenspreisverleihung an Dekha Ibrahim Abdi ernst gemeint war, wenn die Absichten des Integrationsministers Hahn in der neuen Integrationspolitik ernst gemeint sind und wenn das alles keine Symbolpolitik sein soll, meine Damen und Herren, dann müssen Sie sich heute davon distanzieren und sich dazu äußern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Was hat das damit zu tun?)

Es ist unhaltbar, für einen Landtagsabgeordneten unwürdig, es ist unsäglich und beschämend, diese Äußerungen zu treffen. Das kann man nur immer wieder unterstreichen. Mir liegt es ganz besonders am Herzen, dass in diesem Landtag endlich die neue Politik, die angekündigt wurde, auch eingehalten wird. Herr Irmer muss sich ebenfalls äußern, ob er zu diesem Beschluss steht, ja oder nein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Es ist auch gar nicht so,dass nur die Opposition das Ganze kritisiert. Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass auch die Leute in der Koalitionsregierung, aus Ihren eigenen Fraktionsreihen keine Lust mehr auf dieses hinterwäldlerische Gedankengut haben. Sie wollen nicht mehr mit diesem Populismus in Verbindung gebracht werden. Die Frage ist nur, wann man einen Strich darunter zieht und sich endlich auch nach außen dazu bekennt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Herr Irmer, ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, zu dem Sie in Ihrem „Wetzlar Kurier“ ausgeführt haben. Sie reden von Christenverfolgung in islamischen Ländern. Das ist kein Thema, das sich dazu eignet, es zu instrumentalisieren oder für eigene Zwecke zu missbrauchen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Unglaublich! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das muss doch angesprochen werden! Warum blenden Sie das aus?)

Das ist ein Thema, für das wir uns seit Jahren einsetzen. Ich beispielsweise ganz persönlich setze mich für die Rechte der christlichen Minderheiten in der Türkei ein – ich mit meinen armenischen Freunden, mit meinen griechisch-orthodoxen Freunden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Was kritisieren Sie?)

Da habe ich nirgendwo, weder im armenischen Patriarchat noch bei den Griechisch-Orthodoxen, einen Herrn Irmer gesehen.Herr Irmer,es lohnt sich nicht,das für Ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich möchte gerne mit den Worten des Herrn Harald Müller von gestern Abend schließen, den wir bestimmt noch alle im Ohr haben. Er sagte:

Auf Furcht folgt Abneigung, auf Abneigung folgt Wut, auf Wut folgt Hass, auf Hass folgt Verbrechen. In dieser Entwicklungskette wird irgendwo die Schwelle zwischen Banalität und Monstrosität überschritten. Aus Banalität wächst das radikale Böse. Es ist für jede Demokratie lebenswichtig, den Anfängen zu wehren.

In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lebhafter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank,Frau Kollegin Öztürk.– Nächster Redner ist Herr Kollege Mick für die Fraktion der FDP.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die in Rede stehenden Zitate aus dem „Wetzlar Kurier“ berühren Themen, die seit jeher sehr emotional und leidenschaftlich diskutiert werden. Ich möchte mich trotzdem bemühen,meine Ausführungen relativ sachlich zu halten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zunächst für die FDP-Fraktion klarstellen, dass wir die im „Wetzlar Kurier“ zitierten Äußerungen nicht teilen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das von den LINKEN zitierte Gedicht besagt, kurz zusammengefasst, dass Zuwanderung falsch und generell

mit negativen Konsequenzen für Deutschland verbunden sei. Das sehen wir anders. Deutschland hat nach wie vor eine negative Zuwanderungsbilanz. Allein schon aus demografischen Gründen brauchen wir weiterhin gerade qualitative Zuwanderung. Natürlich bringt das Herausforderungen mit sich. Ja, das bringt auch Probleme mit sich, die auch offen angesprochen werden dürfen und müssen.Aber es ist doch gerade Aufgabe und Ziel unserer Integrationspolitik, diese Herausforderungen anzunehmen und diese Probleme zu bewältigen, um allen Menschen, die hier leben, ein gutes Leben zu ermöglichen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zum Thema Zuwanderung möchte ich auch noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Es ist auch so, dass Deutsche auswandern. Hunderttausende Deutsche suchen ihr Glück, suchen einen Neuanfang in einem anderen Land. Da ist es nur natürlich, dass auch Menschen aus anderen Ländern hierherkommen, um hier ihr Glück und einen Neuanfang zu suchen. Wir sollten nicht die Chancen und Freiheiten der globalisierten Welt, die wir Deutsche genießen, anderen Leuten per se verwehren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Kommen wir zum Thema Islamismus.Sehr verehrter Herr Kollege Irmer, damit wir uns nicht falsch verstehen:Auch ich persönlich empfinde Islamismus als eine Gefahr und als eine Bedrohung.

(Beifall der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Themen, die im „Wetzlar Kurier“ schlagwortartig benannt werden – Zwangsheirat, Ehrenmord, weibliche Genitalverstümmelung – sind ernsthafte Probleme und schlimme Verbrechen, die wir offen ansprechen und bekämpfen müssen. Keine Frage.

(Beifall)

Es geht hier nicht darum, diese Dinge aus Gründen einer Political Correctness oder eines Gutmenschentums totzuschweigen. Aber die überwältigende Mehrheit der Muslime sind eben keine Islamisten. 80 % der Muslime sind nicht einmal organisiert. Diese Menschen fühlen sich beleidigt, wenn sie mit Extremisten in einen Topf geworfen werden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es! – Janine Wissler (DIE LINKE): Ganz genau!)

Ich als Deutscher fühle mich auch beleidigt, wenn man sagt: „Alle Deutschen sind Rassisten“.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Wir teilen diese Ansicht. Aber es muss doch eher darum gehen, eine Art Aufstand der Anständigen in diesem Bereich herbeizuführen und den Extremisten zu verdeutlichen, dass sie mit ihrer menschenverachtenden Ideologie isoliert sind. Das ist für die Gesellschaft der bessere Weg.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Aussagen im „Wetzlar Kurier“ – ich habe es bereits gesagt – werden von uns nicht geteilt. Ich denke, das Handeln der Hessischen Landesre

gierung in der Integrationspolitik ist auch über jeden Zweifel erhaben. Denn die Regierung unter Ministerpräsident Koch und Integrationsminister Hahn führt eine mutige, offene und wegweisende Integrationspolitik durch. Darauf können sich die Menschen in Hessen auch weiterhin verlassen.

(Beifall bei der FDP)

Daran ändern auch Meinungsäußerungen im „Wetzlar Kurier“ nichts.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Wir haben eine andere Meinung. Aber jeder kann seine Meinung sagen. Die Hessische Landesregierung handelt konsequent und mutig. Daran ändert sich auch durch diese Publikation nichts. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Mick. – Nächster Redner ist Herr Kollege Merz für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Die ungute Saat islamistischer Hassprediger treibt immer mehr Frucht, und zwar bei den sogenannten Islamkritikern.“ Das sagte, fast auf die Minute genau vor einer Woche, die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Dr. Monika Lüke, bei der Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2009 an Dekha Ibrahim Abdi, eine kenianische Muslima.

Herr Kollege Irmer, Ihnen müssten bei diesen Worten eigentlich die Ohren geklungen haben. Gehört haben Sie diese Worte nicht, weil Sie bei dieser Veranstaltung ebenso wenig anwesend waren wie im letzten Jahr bei der Verleihung des Hessischen Kulturpreises an Navid Kermani. Sie, Herr Kollege Irmer, ziehen es offensichtlich vor, jeder tatsächlichen Begegnung mit Muslimen, die Ihrem Bild vom Islam nicht entsprechen, aus dem Weg zu gehen, weil Sie nur so Ihr Feindbild aufrechterhalten können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie lassen sich ihr tief sitzendes Ressentiment nicht durch die außerordentliche Vielfalt muslimischer Realität kaputt machen.