Protocol of the Session on December 10, 2009

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Haben Sie schon einmal etwas von der Eigenverantwortung der Schule gehört?)

Herr Irmer, Sie können dazu gleich Stellung nehmen. – Wir fragen nach der Anzahl und nach der Entwicklungstendenz bei privaten Nachhilfeanbietern in Hessen. Die Regierung antwortet – ich zitiere –:

Zur Zahl privater Nachhilfeanbieter bzw. deren Entwicklung seit 2000 sind der Hessischen Landesregierung mangels Information keine Aussagen möglich.

Es kommen nicht mehr viele Punkte.Wir fragen, wie viele der hessischen Schulen zurzeit über eigene Schulkonten verfügen und wie das Hessische Kultusministerium diesbezüglich seiner Aufsichtspflicht nachkomme. Die Regierung antwortet – ich zitiere –: Das

... ist der Hessischen Landesregierung derzeit nicht bekannt.

Wir fragen nach der Verteilung der Armut auf Schulformen in Hessen. Die Regierung antwortet:

Bezüglich der Verteilung von Armut und Schulformen in Hessen liegen, soweit bekannt, keine (amt- lichen) statistischen Auswertungen vor.

So geht das auf rund 107 Seiten fast durchgehend weiter. Dennoch – das ist interessant – hat die Beantwortung viereinhalb Monate gedauert. Ich unterstelle nicht, dass Sie die Antworten nicht geben wollten, sondern ich gehe davon aus, dass sich die Verwaltung redlich bemüht und vielleicht sogar selbst gewundert hat, wie wenig Datenmaterial tatsächlich vorliegt.

Sehr geehrte Damen und Herren,können Sie sich ein größeres Armutszeugnis als das vorstellen, dass eine Regierung keine empirischen Unterlagen und Grundlagen für ihr eigenes Handeln zu benennen vermag? Nach eigener Aussage, so muss man wohl sagen, weiß sie selbst nicht, was sie tut und warum sie es tut.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf: Das erklärt vie- les!)

„Das erklärt vieles“, das sehe ich auch so. – Ich betone in aller Deutlichkeit: Die Regierung besitzt immer wieder die Dreistigkeit, sowohl die Armut kleinzureden als auch die soziale Selektivität des dreigliedrigen Schulsystems wegzureden. Seit dem Vorliegen der Antwort tut sie das aber nachweislich ohne eine Datengrundlage. Notwendig scheint mir hier neben einer anderen Regierung mittelfristig vor allem eines zu sein: eine Bildungsberichterstattung, die es ermöglicht, Politik aufgrund rationaler Entscheidungen und Beweggründe für die Bürgerinnen und Bürger zu machen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält nun Herr Abg. Merz für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Was man nicht weiß, das eben brauchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen.

So heißt es bei Goethe. Das sagt Faust zu seinem Famulus Wagner.An diesen Satz habe ich mich bei der Lektüre der Antwort auf die Große Anfrage erinnert.

Ich habe mich auch an die Geschichte erinnert, die Douglas Adams in seiner wunderbaren Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis“ erzählt. In einem entfernten Teil des Universums baut eine Gruppe Lebewesen einen Computer, um ein für alle Mal die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Universums und überhaupt von allem herauszufinden. Der Computer rechnet siebeneinhalb Millionen Jahre und findet am Ende heraus, dass die Antwort „42“ lautet.

(Beifall des Abg.Torsten Warnecke (SPD))

Dann wird ein noch viel größerer Computer gebaut, um herauszufinden, wie eigentlich die Frage dazu lautet.

Ich glaube,das hätten Sie auch tun sollen,anstatt von einer Prämisse auszugehen, wie sie in der Vorbemerkung – –

(Alexander Bauer (CDU): Das kann man nachlesen!)

Das habe ich nur gesagt, damit das einmal in einem Landtagsprotokoll erscheint. – Das hätten Sie vielleicht auch tun sollen, anstatt von einer Prämisse auszugehen, wie sie in der Vorbemerkung des Fragestellers formuliert wurde. Sie zitieren aus einer Studie der OECD aus dem Jahre 1996. Freundlicherweise ist die Quelle angegeben. Ich habe mir die Mühe gemacht, das einmal nachzugucken.

Aus der zitierten Studie der OECD leiten Sie die These ab, es könne eine Strategie der Regierungen geben, die zunehmenden Kosten für das Bildungswesen und für die Bildung der Kinder auf die Eltern abzuwälzen. Bei dieser zitierten Äußerung handelt es sich durchaus nicht um eine Empfehlung der OECD.Vielmehr handelt es sich um eine wissenschaftliche Studie der OECD, bei der es gar nicht um die Verhältnisse in den Industrieländern und schon gar nicht in der Bundesrepublik Deutschland geht.

Vielmehr handelt es sich um eine Studie über Entwicklungsländer und deren Verhältnis zu den Geberländern. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine vertiefende Studie über Ecuador, Venezuela, die Philippinen, die Elfenbeinküste und Marokko. – So viel wollte ich zu den Vorarbeiten zur Formulierung der Großen Anfrage sagen.

Nichtsdestoweniger ist eines wirklich bemerkenswert. Da hat Frau Cárdenas recht. Es ist bemerkenswert, was die Große Anfrage da zutage gefördert hat. Es ist bemerkenswert, festzustellen, was die Hessische Landesregierung alles nicht weiß. Ich will hinzufügen, dass sie das zum Teil nicht wissen kann. Denn die Fragen sind zum Teil so formuliert, dass man schon vom Ansatz her erkennen kann, dass diese Fragen nicht beantwortet werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Klatschen Sie nicht ganz so schnell. – Es gibt auch eine ganze Reihe Fragen, zu denen ich aus meiner bescheidenen Kenntnis als ehemaliger Schuldezernent einer Sonderstatusstadt, also einer Stadt, die Schulträger ist, meine: Es gibt dabei auch Fragen, die zu beantworten gewesen wären, wenn man einfach bei den Schulträgern abgefragt hätte. Das hätte man tun können, wenn man tatsächlich ein Interesse daran gehabt hätte, das herauszufinden, was durchaus in unserem Interesse liegen könnte, nämlich das, wie die realen Verhältnisse an unseren Schulen sind.

Das alles ist nicht geschehen. Das ist schade.

Ich will nur einige wenige Dinge herausgreifen und beleuchten. Es wäre besser gewesen, das dem Ausschuss zur vertiefenden Beratung zu übergeben und das dort zu vertiefen. Ich hatte das auch empfohlen. Nun ist es halt nicht so. Jetzt müssen wir sehen, wir mit den siebeneinhalb Minuten Redezeit zurechtkommen.

Ich glaube, dass es überhaupt keinen Zweifel daran geben kann, dass ein erheblicher Teil der Kosten für die Bildung unserer Kinder von den Eltern zu tragen ist. Insofern finde ich die Bemerkung auf Seite 12, dass nur ein Bruchteil der Kosten von den Eltern zu tragen sei, eher kühn.

Jeder weiß, dass die Kosten für Nachhilfe ständig steigen. Ob das jetzt vor dem Hintergrund von G 8 noch einmal gestiegen ist, sei dahingestellt. Jeder weiß, dass die Kosten für die Bücher zu einem erheblichen Teil auf die Eltern abgewälzt werden. Jeder weiß, dass es die Kopierpauschalen gibt. Das hätte man nicht zu fragen brauchen. Die gibt es. Jeder weiß das. Jeder weiß, dass viele Dinge, wie die Computer und andere Lernmittel, selbstverständlich von den Eltern zur Verfügung gestellt werden müssen.

Das ist übrigens einer der Punkte, bei denen ich wirklich über die Antworten enttäuscht war. Wir haben so viele Programme zur Ausstattung der Schulen mit Computern gehabt, dass das tatsächlich etwas vertiefter hätte behandelt werden können.

Ich finde es z. B. bemerkenswert – das ist auch noch einmal nachzuarbeiten –, wie wenige Laptop-Klassen es in Hessen gibt. Das findet man auf Seite 6. Es sind insgesamt nur 161 Klassen. Das ist angesichts der Vielzahl der Klassen und der Bedeutung der Nutzung der elektronischen Medien sicherlich deutlich zu wenig. Hier müsste mehr geschehen.

Ich fand auch den Informationsstand der Landesregierung über den Zustand der Schulbibliotheken sehr beklagenswert. Ich finde, da müsste mehr getan werden. Wir wissen, auch diese Frage hätte sehr leicht mit einer Abfrage bei den Schulträgern beantwortet werden können.

Ich will auch etwas zu der Situation der Kinder sagen, deren Eltern nach SGB II leben. Heute kam die Nachricht heraus, dass jedes zwölfte Kind in Hessen in einem SGBII-Haushalt lebt. Vor diesem Hintergrund wäre es sicherlich wichtig, die Sozialberichterstattung so zu verfeinern, dass man auch etwas über die soziale Lage der Kinder in unseren Schulen und etwas über die Verteilung erfährt.Es mag sein, dass das mit den gegenwärtig vorhandenen Mitteln nicht möglich ist. Aber dieser Fragestellung sollte man sicherlich noch einmal mit anderen Mitteln vertieft nachgehen, gegebenenfalls mit Fallstudien oder mit anderen Methoden der empirischen Sozialforschung.

Ohne dass man das genau weiß, kann man sagen, dass es dringend erforderlich wäre, dass die Fahrtkostenerstattung für Kinder geregelt wird, die in SGB-II-Haushalten oder in Hartz-IV-Haushalten leben und die Oberstufe besuchen wollen. Es ist dringend erforderlich, dass ein neuer Bedarfssatz für die Kinder festgelegt wird. Ich bin gespannt, was die neue Bundesregierung hinsichtlich dieser Fragestellung zustande bringen wird.

Das alles sind Fragestellungen, die mit der Antwort auf die Große Anfrage nicht erledigt sind. Dazu geht aus der Antwort nichts hervor. Sie sind aber tatsächlich von Belang, wenn es uns wirklich darum geht, allen Kindern in unseren Schulen unabhängig vom Einkommen ihrer El

tern eine gute Zukunft zu gewährleisten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Bauer. Er spricht für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Sich mit Anträgen oder Anfragen der linken Partei zu beschäftigen, hat immer seinen eigenen Reiz. Freunde einfacher Weltbilder werden dort stets bestens bedient. Auch die vorliegende Große Anfrage zur Lernmittelfreiheit zeigt die Ideologie der Antragsteller. Erstaunlich ist z. B. immer wieder, mit den Vorstellungen der LINKEN hinsichtlich Datenerhebung des Staates konfrontiert zu werden.

Meine Damen und Herren der LINKEN, zur Erledigung Ihres Anliegens bedarf es eines Meldewesens, das dafür sorgt, dass jede von Lehrkräften erstellte und an Schüler verteilte Kopie, jedes von Schülerseite zu führende Arbeitsbuch für den Fremdsprachenunterricht, jeder im Kunstunterricht oder zu Hause verwendete Pinsel erfasst werden, eines Meldewesens, das dafür sorgt, dass jede Leihgebühr der Schulbibliotheken, die in die Zuständigkeit der Schulträger fallen, nach Wiesbaden weitergemeldet wird.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Meine Damen und Herren, das existiert nicht, und das wird mit uns auch nicht existieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Man staunt auch, wenn man Ihre Frage zu jeglichen den Schülerinnen und Schülern und Eltern entstehenden Schultransportkosten liest. Wie und von wem sollen solche Zahlen denn erhoben werden? Wie soll die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die private Nachhilfe in Anspruch nehmen, die nicht der staatlichen Aufsicht unterliegt, erfasst werden? Auf solche Ideen kann man nur kommen, wenn man sich ein vor 20 Jahren zu Grabe getragenes Staatswesen zum Vorbild nimmt. In Ihrer Rechnung kommt die Freiheit nicht vor, und deshalb geht Ihre Rechnung auch nicht auf.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

In Ihrer Welt ist alles planbar, wenn nur alles auf das Bürokratischste erfasst wird – Planwirtschaft auch in der Schulwirtschaft. Die Landesregierung weiß im Übrigen auch nicht, wie alt die Bücher sind, die in den Schulbibliotheken stehen. Aber ganz gewiss stammen sie nicht aus dem 19. Jahrhundert, aus dem Sie Ihre Ideen beziehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE):Aber mit D-Mark!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,eine falsch verstandene Gleichheit,die sich in Gleichmacherei versteigt,zeigt der LINKEN Gedanken in Frage 14 d. Hier bemüht der Fragesteller die im Grundgesetz erwähnte Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und möchte vor diesem Hintergrund verhindert wissen, dass an unterschiedlichen Schulen unterschiedliche Kos

ten für Arbeitsbücher,Malpinsel oder Klassenfahrten entstehen.