Protocol of the Session on November 18, 2009

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ein Koalitionsvertrag, in dem die Studiengebühren abgeschafft werden? – Wo ist Ihr Applaus?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Herren von der FDP, ein Koalitionsvertrag, in dem ein deutliches Rauchverbot für die Gastronomie steht? – Wo ist Ihr Applaus?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehen Sie, das Problem an der Geschichte ist doch das Folgende: Florian Rentsch hat in der letzten Woche zu Recht gesagt – ich glaube ihm das auch –, dass er als FDPMann Probleme gehabt hätte, diesen Vertrag zu unterschreiben. Das ist der Unterschied: In anderen Bundesländern gibt es vielleicht etwas fortschrittlichere Landesverbände von CDU und FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Wolfgang Greilich (FDP): Herr Al-Wazir, Sie haben doch gleich gekniffen und es nicht einmal probiert!)

Herr Ministerpräsident, wissen Sie: In der Politik geht es eben um die Macht.Das ist so.Man braucht die Macht,um Inhalte umsetzen zu können. – Es geht aber um die Inhalte, und nicht nur um die Macht um der Macht willen. Das ist vielleicht ein Unterschied.

Aber wir wissen ja, dass es inzwischen in der CDU einige wenige gibt, die das auch verstanden haben. Ich wünsche innerparteilich gutes Gelingen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, am Ende Ihrer Rede haben Sie die aktuelle Steuerschätzung angesprochen. Wir haben eine Situation, in der die Unterfinanzierung der staatlichen Aufgaben noch lange nach dem Abflauen der Krise ihre Auswirkung auf die Haushalte und damit auch auf staatliches Handeln haben wird. Aber wir sind auf diese Situation nicht gut vorbereitet.Denn schon jetzt,Herr Ministerpräsident, haben wir einen Schuldenstand, der exorbitant hoch ist.

Ich fand es sehr spannend, dass Sie in Ihrer Rede eben gerade gesagt haben – wir alle haben es geahnt –,Sie werden am Freitag eine Eröffnungsbilanz des Landes Hessen vorstellen, wonach das Eigenkapital des Landes negativ ist.

Das war uns klar, Stichwort: Pensionslast. Die spannende Frage lautet aber, ob es auch negativ wäre, wenn die nicht dabei wäre – ob also die Schuldenmacherei der vergangenen Jahre am Ende irgendeinen Gegenwert gebracht hat, der mehr wert ist als die Schulden. Das wird eine spannende Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich will nicht so viel über die Vergangenheit reden. Herr Ministerpräsident, Sie müssen sich aber schon vorhalten lassen, dass das Land Hessen – als Sie Ministerpräsident wurden – etwas über 20 Milliarden c Schulden hatte, dass wir aber am Ende des Haushaltsjahres, über das wir gerade reden, deutlich über 40 Milliarden c Schulden haben werden. Das heißt, in Ihrer Regierungszeit wurde der Schuldenstand eben gerade einmal verdoppelt – und das ganz ohne immerwährende Krise; dabei waren auch steuerpolitisch viele gute Jahre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das meine ich mit der Frage, wie gut wir auf diese Situation vorbereitet sind.

Dann aber wird es spannend. Denn dann debattieren wir über die Frage:Welchen Staat wollen wir eigentlich?

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau!)

Welche Aufgaben soll der Staat eigentlich erfüllen? Welche Aufgaben sollen Private erfüllen? Was ist unsere Vorstellung von Gesellschaft?

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut! Genau das sind die Fragen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wird es dann wirklich spannend.

Herr Koch, ich fand es spannend, dass Sie damit angefangen haben, man könne auf Bundesebene Steuern – und dann wollten Sie irgendwie „senken“ sagen, haben dann aber „anpassen“ gesagt.

(Marius Weiß (SPD): „Verändern“ hat er gesagt!)

Oder „verändern“. Das, was Sie gerade machen, ist Wahnsinn. Ich sage das so ausdrücklich: Es ist Wahnsinn.

Schon jetzt, im Jahr 2010, haben wir eine geplante Neuverschuldung auf Bundesebene – wenn man die Bundesagentur mitrechnet –, die über 100 Milliarden c betragen wird. Das ist eine noch nie da gewesene Summe. Selbst im schlimmsten Jahr der Einheitslasten waren das 46 Milliarden c. Jetzt ist es mehr als doppelt so viel.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Schon jetzt haben wir im Landeshaushalt geplante Schulden für das nächste Jahr von 3,45 Milliarden c – so viel wie noch nie. Dabei ist noch nicht einmal das berücksichtigt, was auf Bundesebene gerade besprochen wird und bei dem Sie auch etwas im Bundesrat mitzureden haben. Und da wollen Sie immer weiter Steuern senken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist Wahnsinn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie mir das nicht glauben, will ich Ihnen vortragen, was der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – das sind im Volksmund die „Wirtschaftsweisen“ – in der letzten Woche veröffentlicht hat. Zitate:

Für zusätzliche Ausgaben oder Steuersenkungen bestehen keine Spielräume.

Die immense Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte muss ab dem Jahr 2011 konsequent zurückgeführt werden.

Es geht um die Frage: Welchen Staat wollen wir? – Ich fahre mit dem Zitat fort:

Ohne drastische Ausgabenkürzungen werden Steuererhöhungen nicht zu vermeiden sein.

Dann sagt der Sachverständigenrat selbst etwas dazu, ob man eigentlich wirklich drastische Ausgabenkürzungen machen kann. Es geht weiter:

Trotz angespannter Haushaltslage sollten eine Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus und der Bildungschancen für bisher benachteiligte Personengruppen höchste Priorität besitzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen noch etwas vortragen – ebenfalls vom Sachverständigenrat, vor allem für die Herren von der FDP –:

Steuersenkungen finanzieren sich,vorausgesetzt sie sind richtig konzipiert, zu einem bestimmten Teil, aber niemals vollständig selbst.... Steuersenkungs

versprechen ohne solide Gegenfinanzierung, wie sie sich im Koalitionsvertrag finden, sind unseriös.

Mehr muss man dazu nicht sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will das einmal ganz konkret am Beispiel des Landes Hessen deutlich machen. Wir haben einen Finanzplan, den wir ebenfalls diskutieren. Dieser sieht für das Jahr 2011 3,1 Milliarden c neue Schulden vor und 100 Millionen c „ungelöste Handlungsbedarfe“, wie der Finanzminister immer sagt. Wenn die 24 Milliarden c Steuerentlastungen, die im Koalitionsvertrag von CDU und FDP auf Bundesebene stehen, Realität werden, dann bedeutet das für das Land Hessen, dass noch einmal 800 Millionen c weniger in der Kasse sein werden. Das heißt, wir werden dann, wenn das, was Sie vorhaben, Realität wird, im nächsten Jahr 3,5 Milliarden c neue Schulden machen; und im Jahr darauf werden es 4 Milliarden c neue Schulden sein.Das heißt,wir werden dann in die Situation kommen, im Jahr 2011 mehr Schulden zu machen, als alle Lehrkräfte und Polizisten des Landes in einem Jahr an Gehalt bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wollen Sie das eigentlich auffangen? Deswegen reden wir hier über die Frage:Welchen Staat wollen wir? Das ist die spannende Debatte der nächsten Jahre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU)

Sie haben gefragt: Wie behandeln wir die Kinder? – Das heißt jetzt also auf Bundesebene Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Das ist eigentlich ein ziemlich komisches Wort, wenn ich das einmal so sagen darf. Es geht faktisch darum, den Hoteliers den reduzierten Mehrwertsteuersatz zu gewähren. Ich hatte eigentlich alle seriösen Finanzpolitiker einmal so verstanden, dass wir die Anzahl der Ausnahmen, d. h. diejenigen, die 7 % bezahlen, eigentlich reduzieren wollten. Jetzt wird noch eins draufgesetzt, bitte sehr: bayerische Seilbahnen, Hoteliers und Hundefutter. – Ist das seriös? Ich weiß es nicht.

(Günter Rudolph (SPD): Schnittblumen!)

Schnittblumen, dafür aber keine Windeln. – Egal, ich hatte es eigentlich einmal anders verstanden, aber bitte sehr.

Der größte Teil betrifft das Thema Kinderfreibetrag und Kindergelderhöhung. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Kosten des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, wie Sie das auf Bundesebene genannt haben, betragen insgesamt 8,5 Milliarden c,volle Jahreswirkung.Für die Länder sind es 2,3 Milliarden c. Nach unserem Überschlag bedeutet das für Hessen noch einmal 230 Millionen c, die obendrauf kommen und im nächsten Jahr fehlen werden. Da stellt sich nun wirklich die spannende Frage: Welchen Staat wollen wir?

Was machen Sie denn da? – Sie sagen, der Kinderfreibetrag und das Kindergeld werden erhöht. Das hört sich erst einmal gut an. Aber welche Auswirkungen hat das denn? – Ich werde nächstes Jahr ungefähr 900 c weniger Steuern zahlen, weil ich zu den Gutverdienenden mit zwei Kindern gehöre, für die der Freibetrag dann erhöht wird. Derjenige,der Normalverdiener ist,hat dann ungefähr die Hälfte, weil das bei ihm steuerlich gar nicht mehr so angerechnet wird, sondern es bleibt dann bei den 20 c Kindergeld pro Kind und Monat. Derjenige, der Hartz-IVEmpfänger ist, hat überhaupt nichts davon, weil es völlig

angerechnet wird. Das heißt z. B. ganz konkret: In meiner Heimatstadt, wo 19 % der Bevölkerung in irgendeiner Form – auch Aufstocker – im ALG-II-Bezug und auch ein Drittel der Kinder im Bezug sind, werden ein Drittel der Kinder davon überhaupt nichts haben. Ich dafür werde aber weniger Steuern zahlen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)