Sechstens. Auch den hessischen Betrieben wollen wir die Möglichkeit eröffnen, sich als Betriebe an den entsprechenden Impfaktionen zu beteiligen. Es liegt aber auf der Hand, dass eine Belieferung der Betriebe erst dann erfolgen kann, wenn die anderen Risikoimpfaktionen, Zielgruppenaktionen stattgefunden haben.
Siebtens.Kindergärten und Schulen sind immer wieder im Fokus der Diskussion, insbesondere weil wir wissen, dass Kinder bei dieser Erkrankung eine besonders gefährdete Gruppe sind. Ich glaube, dass deutlich gemacht werden muss, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Pandemie ein Schließen von Kindergärten und Schulen nicht mehr unter seuchenfachlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt werden kann. Der Virus ist nun einmal überall.
Man kann an sich nur an die Eltern, an die Erzieherinnen und Erzieher und an die Lehrer appellieren, dass sie darauf achten, dass Kinder, die erkrankt sind, zu Hause blei
ben. Ich glaube nicht, dass wir durch die Schließung von Kindergärten und Schulen zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verbreitung des Virus noch beschränken oder reduzieren können. Vielmehr ist es wichtig, dass sich die Kontaktpersonen von Kindern bei ihrem Impfverhalten auch der besonderen Verantwortung bewusst sind,dass es nicht nur um ihre eigene Gefährdung geht, sondern auch um die Gefährdung der Kinder, der ihnen anvertrauten jungen Leute.
Achtens.Die Intensität und Verbreitung des Virus wird an der sogenannten Praxisquote gemessen, d. h. der Anteil der in der Praxis vorgestellten Personen wird festgestellt. Daraus schließt man auf den Verbreitungsgrad. Wir müssen mit Besorgnis feststellen, dass diese Praxisquote in Deutschland momentan bereits 48 % beträgt. Das heißt, die Hälfte aller vorgestellten Patienten hat den Schweinegrippevirus. Das ist ungefähr die gleiche Größenordnung wie in Großbritannien. Großbritannien liegt in dieser Erkrankungswelle ungefähr vier bis sechs Wochen vor Deutschland und hält sich jetzt schon seit mehreren Wochen auf diesem Niveau von 48 %. Daraus kann man rückschließen, dass die Erkrankung, wenn sie in Deutschland in den gleichen Dimensionen wie in Großbritannien verläuft, ungefähr vier bis sechs Wochen in der Intensität anhalten wird, in der wir sie jetzt erleben.
Interessanterweise spielt gegenwärtig die saisonale Grippe dagegen so gut wie keine Rolle. Bei den Sentinelproben, die wir in den Praxen durchführen, hat die saisonale Grippe einen Anteil zwischen 1 und 2 %.Wer also die Frage hat:„Gegen was sollte ich mich impfen lassen?“,der kann nur eine sehr eindeutige Antwort bekommen.
Neuntens.Wir sind nun zweifelsfrei in der sehr viel intensiveren zweiten Infektionswelle angelangt. Es ist dabei nicht auszuschließen – ich glaube, dass es richtig ist, nicht in Panik und Katastrophenschutzmeldung zu machen, aber man muss es sachlich feststellen –, dass sich die Pathogenität des Virus erhöht.
Ich bin auf der Zielgeraden. – Uns machen die Beispiele in der Ukraine und in Bulgarien Sorge. Es gibt Hinweise, die noch nicht abschließend geklärt sein können, dass es sich dort um Mutationen des Schweinegrippevirus handelt. Das Argument, dass auch an der saisonalen Grippe sehr viele Menschen erkranken und versterben würden, relativiert sich, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass, verglichen mit der saisonalen Grippe, viermal so viele Schwangere durch die Schweinegrippe betroffen sind und dass die Krankenhausaufenthalte von Kindern, die an der Schweinegrippe erkrankt sind, massiv über dem Durchschnitt der an der saisonalen Grippe erkrankten Kinder liegen.
Ich glaube, wir müssen diese Seuche, die Impfung gegen diese Seuche als eine Herausforderung an eine pluralistische Gesellschaft verstehen. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft mit völliger Transparenz. Es ist das gute Recht jedes Einzelnen, natürlich auch jedes einzelnen Arztes, sich zu äußern. Es sollte sich aber jeder Einzelne gut überlegen, wie er sich zu dem Thema neue
Grippe äußert.In den vergangenen Wochen und Monaten war über die neue Grippe viel zu lesen und zu hören. Man kann sich die Frage stellen,ob sich wirklich jeder Einzelne verantwortlich insbesondere gegenüber den sogenannten Risikogruppen verhalten hat. Jeder Virusträger gefährdet nicht nur seine eigene Gesundheit, sondern mit dem jeweils stattfindenden Anpassungsprozess des Virus auf dem einzelnen Körper ist jedes Mal das Risiko einer weiter gehenden Veränderung des Virus, einer Mutation, verbunden. Er muss sich im Klaren sein, dass er außerdem ein Gefährdungspotenzial für die Menschen auslöst, die über ein schwächeres Immunsystem verfügen.
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass eine rechtzeitige Impfung der beste Schutz gegen die sich unverändert ausbreitende neue Grippe ist. Daher kann ich nur appellieren, dass sich möglichst viele Menschen impfen und nicht durch die kontroversen Diskussionen der vergangenen Wochen verunsichern lassen. Aber es bleibt ein freiwilliges Angebot. Es besteht keine Impfpflicht.
An dieser Stelle bedanke ich mich ausdrücklich bei allen Mitwirkenden, insbesondere bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gesundheitsämter der Kommunen, den Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen sowie den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und – das will ich hinzufügen – bei den Mitarbeitern der Abteilung Gesundheit unseres Ministeriums, die in den letzten Monaten ebenfalls einen tollen Job gemacht haben. Ohne ihre tatkräftige Mitarbeit wäre diese Impfaktion nicht zu leisten. Sie sind der Beweis für ein auch in außergewöhnlichen Situationen gut funktionierendes Gesundheitssystem in Hessen. Zugleich richtet sich mein Dank auch an die Politik, die bisher sehr solidarisch und sehr verantwortlich reagiert hat.
Herr Staatsminister Banzer, vielen Dank. – Das Wort hat nun in der Aussprache Herr Kollege Dr. Spies, SPD-Fraktion.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mein sehr verehrter Herr Staatsminister, lassen Sie mich ausdrücklich seitens der SPD-Fraktion positiv erwähnen, dass wir eine Regierungserklärung aus dem Sozialministerium bekommen haben. Das ist etwas, was wir lange vermisst haben.Das ist etwas,was es in diesem Hause lange nicht gab. Deshalb möchten wir ganz ausdrücklich betonen: Es freut uns, dass nunmehr auch das Sozialministerium bzw. das Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit einen Status in der Regierung einnimmt, der es ihm erlaubt, Regierungserklärungen abzugeben.
Wir stellen fest: Das Sozialministerium scheint etwas zu sagen zu haben und einen Stellenwert zu haben, der ihm das erlaubt.
Mein sehr verehrter Herr Staatsminister, natürlich ist das Thema wichtig.Es ist auch durchaus interessant.Aber was Sie uns heute hier vorgetragen haben, ist, mit Verlaub, eine Aufklärungsbroschüre gewesen und vielleicht ein bisschen technische Rechenschaft, eine Darlegung geordneten Verwaltungshandelns, an Informationen, die man in vielen Broschüren und auf vielen Homepages bekommt.
Es war vielleicht auch ein Aufsatz für eine Boulevardillustrierte. Wollte ich die Debatte zu einer Regierungserklärung in diesem Stil fortsetzen, würde ich jetzt vielleicht dem geschätzten Hause darlegen, wie das praktische Impfen stattfindet, oder ähnliche Dinge.
Meine Damen und Herren, nein, ohne Zweifel waren die Inhalte wichtig.Aber von einer Regierungserklärung, von der ersten Regierungserklärung eines Sozialministers seit vielen Jahren, da hätten wir allerdings mehr erwartet, schon was die Themensetzung angeht, mit Verlaub, Herr Staatsminister.
Wir hätten erwartet, dass wir etwas über die Sozialpolitik der Regierung für Hessen erfahren, z. B. welche sozialpolitischen Grundsätze diese Regierung vertritt,
z. B. wie sie mit Fragen der drohenden Armut angesichts der Wirtschaftskrise in Hessen aus sozialpolitischer Sicht umgehen will, z. B. welche arbeitsmarktpolitischen Perspektiven sie besäße. Das wäre ein angemessener Gegenstand für die eine Regierungserklärung, die es denn vielleicht pro Jahr aus dem Sozialministerium gibt. Herr Staatsminister,wir wollen Ihnen zugestehen:Sie sind noch nicht so lange in diesem Amt, aber immerhin doch neun Monate. Da hätte die Geburt etwas umfangreicher werden können.
Sie haben sich auf das Thema Gesundheit konzentriert, ohne Zweifel ein wichtiges Thema. Gestern haben Sie uns über die Presse erklärt, Sie widmen sich dem Thema Versorgung im ländlichen Raum. Das können wir über eine Pressemitteilung erfahren. Das hätten Sie zum Gegenstand einer Regierungserklärung machen können: wie Sie die zukünftige Versorgung sichern wollen. Der Landtag hat Sie vor einem halben Jahr damit beauftragt, diese Frage zu klären und uns darzulegen.
Oder, Herr Staatsminister, Sie hätten uns erklären können, wie Sie mit der Systematik der kassenärztlichen Versorgung in der Kassenärztlichen Vereinigung, mit den Berechnungen von Versorgungen und dem demografischen Wandel umgehen wollen. Oder Sie hätten uns eine Perspektive zu den Krankenhäusern geben können. Dazu gibt es Papiere aus Ihrem Haus,die durch die Gegend flottieren.Allein, der Landtag erfährt nichts.
Zuletzt, Herr Staatsminister:Wenn es um das Thema Prävention gehen sollte, dann hätten Sie vielleicht noch ein bisschen mehr erzählen können als eine technische Darlegung über das Impfen.
Aber, Herr Minister, das kann es doch nicht gewesen sein, dass Sie uns nur eine Informationsbroschüre darlegen; denn selbst wenn man sich auf Prävention konzentriert, gibt es ganz andere Dimensionen, z. B. die Frage der allgemeinen Impfbereitschaft, und nicht nur die Frage, wo Sie Impfstoff bestellt haben.
Herr Staatsminister, die Frage der Ernährung, des Umgangs mit Armut und Gesundheit wäre für Prävention eine Herausforderung gewesen. Die Frage innovativer Ansätze, eine Strategie für mehr Gesundheit in Hessen – das wären Gegenstände einer Regierungserklärung gewesen. Es steht doch gar keine Wahl an. Es gibt keine Not
wendigkeit, diese Gelegenheit zu nutzen, nur um nachzuweisen, dass Sie Ihre Arbeit ordentlich machen.
Herr Staatsminister, ein letzter Punkt. Wenn Sie schon zum Thema Gesundheit eine Regierungserklärung abgeben,dann hätten wir allerdings in der gegenwärtigen Lage auch erwartet, dass Sie auf den Koalitionsvertrag eingehen, der jetzt über dieses Land kommt, und auf die Haltung der Landesregierung zu den anstehenden wesentlichen Fragen wie der Merkel-Pauschale und der Neuordnung des Gesundheitsfonds. Das sind Fragen, die für die Gesundheit der hessischen Bevölkerung erhebliche Auswirkungen haben werden.
Sie hätten sich zur künftigen Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung äußern können, zu einem Präventionsgesetz oder dazu, wie Sie in Hessen einen Beitrag dazu sehen.
Herr Staatsminister, wenn wir Ihnen nicht mehr zugetraut hätten, wären wir auch nicht so enttäuscht. Aber wir stellen fest, mit Verlaub: Herr Staatsminister, Sie bleiben hinter den Möglichkeiten Ihres Hauses, Sie bleiben hinter Ihren Möglichkeiten zurück, wenn Sie zum Gegenstand der Regierungserklärung des Sozialministers nicht mehr machen als eine solche Darlegung über die Schweinegrippe.
Dann kommen wir zum Inhalt dessen, was Sie uns dargelegt haben. Das Management des Umgangs mit der Schweinegrippe ist ordentlich abgewickelt worden. Zunächst einmal ausdrücklichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses für die Mühe, die sie sich gemacht haben.Ausdrücklichen Dank an alle,die sich um die Versorgung der Menschen in dieser für viele keineswegs sorgenfreien Zeit kümmern. Die ausdrückliche Feststellung: Es ist gelungen, Impfstoff herzustellen. Es ist gelungen, Impfungen zu planen usw.
Aber, Herr Staatsminister, da hört es ganz schnell wieder auf. Denn ganz offenkundig kleckern so langsam die Punkte ein, an denen es doch nicht so ganz funktioniert hat. Sie haben vorhin selbst darauf verwiesen, dass der Hersteller,bei dem das Land seinen Impfstoff bestellt hat, mit der Produktion nicht hinterherkommt.Welche Lösungen sind für diesen Fall angedacht worden? Jeder hätte wissen können, dass ein biologisches Produkt wie das Wachsen von Viren in bestimmten Konstellationen möglicherweise schneller oder weniger schnell funktioniert, und man hätte sich auf die Frage einstellen müssen, was eigentlich passiert, wenn es zu Lieferengpässen kommt.
Herr Staatsminister, warum hat eigentlich keiner daran gedacht, dass man neben den üblichen Impfstoffen, die über Hühnereier produziert werden, möglicherweise für Menschen, die eine Hühnereiweißallergie haben – wir sind mit einem konkreten Fall befasst –, einen Impfstoff sicherstellt? Denn in Hessen gibt es keinen Impfstoff für Menschen mit Hühnereiweißallergie. Er ist bislang nicht besorgbar.
Meine Damen und Herren, man hätte an dieser Stelle auch bei der Kommunikation etwas früher intervenieren können. Denn das scheint mir die vielleicht viel spannendere Frage im Umgang mit der Schweinegrippe zu sein: Welcher Eindruck ist bei den Leuten entstanden, was diese Krankheit angeht? Es gibt eine offensichtlich breite Verunsicherung, und zwar in vielfältiger Hinsicht. Es gibt
Es gibt eine sehr eigenartige Debatte über unterschiedliche Impfstoffe, die in Wahrheit keiner wirklich beurteilen kann. Es gibt eine noch viel skurrilere Debatte über die Wirkungen möglicher Beimischungen oder auch nicht. Wir stellen fest, die flächendeckende Impfung ist nicht nur geplant nicht möglich, sie braucht auch noch länger, als man gedacht hat. Letztendlich stehen dahinter – das erscheint mir unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Relevanz dieser Erkrankung wesentlich – doch Bilder, die uns eine ganz skurrile Vorstellung vom Zustand dieser Erkrankung liefern. Mit Begriffen wie denen, die durch die Gegend geistern, hat man fast die Vorstellung, wir hätten es mit Seuchen wie im Mittelalter zu tun. Wir stellen einen hohen Grad an Irrationalisierung fest. Wir stellen einen hohen Grad an Emotionalisierung fest, ein Bild, das vor allem Verunsicherung herbeiführt.
Es erscheint mir viel wesentlicher, dass durch die Medialisierung und die damit verbundene Emotionalisierung des Themas bei den Menschen der Eindruck entstanden ist, als wäre entweder die Impfung ungeheuer gefährlich oder die Nichtimpfung, und in beiden Fällen fehlen uns die gebotene Distanz und Ruhe, um damit umzugehen. Letztendlich beobachten wir eine Hysterisierung in den Medien, die im Zweifelsfall nur von Schaden sein kann.
Das merkt man an einfachen Beispielen wie dem, dass jeder einzelne Todesfall öffentlich kommuniziert wird. Ohne eine Bezugsgröße und ohne die Darstellung, wie sich der Verlauf der Erkrankung und die Schwere der Erkrankung in Wirklichkeit in Relation setzen,kann mit dieser Aussage niemand etwas anfangen.
Manch einer erklärt, dass die Impfung, zumindest mit den Zusatzstoffen, so außerordentlich gefährlich sei. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Weg zum Kinderarzt allemal gefährlicher ist als das, womit man dort geimpft werden kann.
Meine Damen und Herren, das macht den entscheidenden Punkt aus, den wir bei dieser Krankheit politisch reflektieren sollten, nämlich die Frage: Warum gelingt es so gar nicht, den Menschen einen hinreichend gelassenen und beruhigten Umgang mit dieser Krankheit zu ermöglichen?
Friedrich der Große hat gesagt: Die Journaille, wenn sie reüssieren will,darf sie nicht genieret sein.– In Fragen von Krankheiten und ihrer öffentlichen Kommunikation ist sie es allemal nicht.Tatsächlich sehen wir uns vor allem einer sehr eingeschränkten Fähigkeit gegenüber, mit den Risiken, die das Leben mit sich bringt, ein bisschen entspannter umzugehen. Tatsächlich ist die Debatte durch Unsicherheit geprägt.
Vielleicht sollte auch Politik dazu übergehen, einzugestehen, dass solche Entscheidungen wie die, die im Zusammenhang mit der Schweinegrippe getroffen werden, vor allem von Unsicherheiten geprägt sind, dass unsere Vorstellung der vollständigen technischen Machbarkeit im Gesundheitswesen irreal ist, dass das Versprechen, man könne das alles ohne Weiteres im Griff haben, irrig ist und dass die Vorstellung,die von Ärzten,aber auch von der Gesellschaft als Ganzes übernommen wird, die Vorstellung von der Allmachbarkeit im Gesundheitswesen und der Allmacht des Gesundheitswesens, höchst trüge