Protocol of the Session on September 16, 2009

(Beifall bei der SPD und der Abg. Ursula Ham- mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ohne Gabriels Veto wäre Biblis B Mitte Juli dieses Jahres wieder angefahren worden – nach der hessischen Atomaufsicht.

Meine Damen und Herren, die Kollegin Hammann hat es schon dargestellt: Biblis A hat vor wenigen Tagen das 35jährige Jubiläum gefeiert. Ein Blick in die Störfallstatistik des Bundesamtes für Strahlenschutz zeigt sehr deutlich, wie anfällig beide Kraftwerke sind, nicht nur Biblis A, sondern auch Biblis B. Biblis A ist mit 406 meldepflichtigen Ereignissen auf Platz 3 der bundesweiten Statistik.Biblis B ist nicht wesentlich besser, es hat 399 Ereignisse vorzuweisen und steht damit auf Platz 4 der Negativliste.

(Zuruf von der SPD: Hessen vorn!)

Das alles zeigt, wie notwendig es ist, dass diese alten und störanfälligen Reaktoren, wie im Atomkonsens vereinbart, endlich stillgelegt werden.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ja unglaublich. Da schließt die Politik mit der Atomindustrie einen Vertrag – sicherlich einen Kompromiss, natürlich auch mit politischen Vorgaben. Aber immerhin, die Atomindustrie hat sich im Gegenzug dafür auch Laufzeiten erkämpft.Aber was tut die Atomindustrie,wenn sie ein bisschen die Chance sieht, dass es politische Mehrheiten gibt, davon wieder auszusteigen? Sie hält sich tagtäglich nicht mehr an diese Vereinbarung, sondern versucht sie aufzubohren. Mittlerweile ist sie in Hessen einmal juristisch gescheitert, als sie versucht hat, was völlig ausgeschlossen war – dafür musste man nicht viel Hirnschmalz aufwenden –, Laufzeiten von Mülheim-Kärlich ausgerechnet auf Biblis A zu übertragen. Da ist die Atomlobby auch juristisch gescheitert.

Aber ich finde, man sollte sich künftig seine Vertragspartner sehr gut aussuchen. Eines scheint mir klar zu sein: Mit Stromern jedenfalls kann man keine Verträge machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Ministerpräsident ist heute nicht da, aber die Hälfte des Kabinetts – –

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Doch, er ist da! – Thors- ten Schäfer-Gümbel (SPD): Er ist im Raum!)

Entschuldigung.Aber dann kann ich darauf Bezug nehmen. – Herr Koch, Sie sagen Ja zur Laufzeitverlängerung, und als Gegenleistung sollen die Gewinne, die gemacht werden, für den Klimaschutz eingesetzt werden. Diese Vereinbarung, die Sie abschließen wollen – das zeigt der Atomkonsens –,wird nur wenige Monate halten,wenn Sie sie überhaupt hinkriegen. Das ist doch die Erfahrung aus Verträgen mit der Atomindustrie. Es wird überhaupt nicht die Chance bestehen, dass Sie so etwas durchsetzen können.

Die vier großen Stromfirmen in Deutschland – E.ON,Vattenfall, wie sie alle heißen – haben 20 Milliarden c Gewinn im Jahr 2008 gemacht. Pro Einwohner sind das 240 c. So viel führen wir über die Stromrechnung für die Gewinne der großen Firmen ab. Das zeigt die Dimensionen. Das zeigt auch, wie gut die Atomlobby und die großen Stromfirmen in Deutschland verdienen und wo Spielräume für Preise in diesem Lande sind. Wer sich über die angeblichen Mehrkosten über das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufregt, der sollte bitte auch einmal auf die Gewinnseite der großen Unternehmen schauen und sehen, welche Gewinne dort erzielt werden. Dort sind Möglichkeiten des Zugriffs.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Der zweite Bereich, den ich ansprechen will, ist die Frage: Wie sicher ist Biblis, und wie gut und sinnvoll ist ein Atomkonsens? Die fürchterlichen Terroranschläge von New York, Nine-Eleven, haben sich vor wenigen Tagen gejährt. Es ist festzustellen, dass Biblis A – das haben Studien deutlich gemacht, die bekannt geworden sind – über keinen Schutz vor Flugzeugabstürzen verfügt, ob terroristisch herbeigeführt oder durch einen Unfall. Biblis A verfügt nicht über eine externe Notstandswarte. Ein großes Problem bei allen Kraftwerken, die älter sind, ist natürlich auch, ob der Reaktorkern, dieser Stahlkern, auf Dauer versprödet.

All diese Probleme sind augenfällig in Biblis. Deswegen gibt es aus unserer Sicht gar keinen anderen Weg, als endlich den Atomkonsens umzusetzen und, wie vorgesehen, Biblis A und B zu ihrem Ende zu führen.

Die Debatte über die Endlagerung,um einen anderen Aspekt anzusprechen, ist wichtig. Es war auch einmal Konsens in diesem Lande, dass Atomenergie nur dann weiter betrieben werden kann, wenn die Endlagerung gesichert ist.Nach 35 Jahren Biblis A und 40 Jahren Atomenergie in Deutschland müssen wir feststellen: Diese Frage ist offener denn je. Das Beispiel, dass wir ein Flugzeug gestartet haben, für das wir noch keine Landebahn gebaut haben, ist zwar alt, aber es trifft sehr gut die Situation, mit der wir es zu tun haben.

Wenn wir feststellen, dass in Asse anstelle von 9 kg Plutonium 28 kg Plutonium lagern – mit der giftigste Stoff, den es gibt –, dass eine solche Abweichung vorkommen kann, dann fragt man sich, ob wir in Deutschland in einer Bananenrepublik leben oder in einem Staat, wo so etwas kontrolliert wird. Das Proliferationsrisiko ist auch ein wichtiges Argument: ob aus der zivilen Nutzung der Atomenergie – das wurde am Beispiel Iran diskutiert – atomare Stoffe abgezweigt werden können, die dann militärisch genutzt werden können.

Herr Kollege Schmitt, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dass dort keine gesellschaftliche Empörung entsteht, ist unglaublich und verstehe ich bis zum heutigen Tag nicht.

(Petra Fuhrmann (SPD):Das ist eine Riesensauerei dort!)

Ich komme zum Schluss und sage:Wir müssen aussteigen aus der Atomenergie. Es gibt überhaupt keinen anderen

Weg, als verstärkt in erneuerbare Energien einzusteigen. Das ist die Zukunftstechnologie, die auch mit hohen Arbeitsplatzgewinnen verbunden ist. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herzlichen Dank. – Das Wort hat die Abg. Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Da der Landtag bekanntlich das Organ ist, das die Landesregierung kontrollieren soll, verfolge ich natürlich die Aktivitäten der Landesregierung stets aufmerksam. So war ich schon erstaunt, als ich in der Terminliste der Landesregierung, die uns regelmäßig zugeht, las, dass sich der Ministerpräsident an einer Demonstration beteiligt.

Der LINKEN wird von der rechten Seite des Hauses gerne vorgeworfen, die Straße politisch zu nutzen und dadurch womöglich Unruhe zu schüren. Nun hat der Ministerpräsident die Straße für sich entdeckt und demonstriert auf der von Frau Hammann angesprochenen Demonstration in Biblis unter dem Motto: „Kernig in die Zukunft“.

RWE organisiert eine Demonstration für Atomenergie, lässt seine Auszubildenden in Bussen ankarren, sorgt für Verpflegung. Die Demonstration findet während der Arbeitszeit statt und gilt als Arbeitszeit.Aber es ist angeblich eine ganz unabhängige politische Willensbekundung und natürlich alles ganz freiwillig.

In der Presse wurde dagegen ein Auszubildender zitiert: Er würde lieber an einer Antiatomdemo am Samstag in Berlin mitmarschieren, aber Lehrstelle sei Lehrstelle, und die sei immer noch besser als die Bundeswehr.

RWE missbraucht die Ängste der Beschäftigten und der Azubis vor Arbeitsplatzverlust für ihre Interessen, und der Ministerpräsident unterstützt diese Pro-AtomkraftJubelveranstaltung mit seiner Teilnahme und erklärt dann noch, es sei ein gutes Zeichen, dass „junge Menschen für ihre Zukunft demonstrieren“.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Eine „strahlende“ Zukunft für unsere Kinder – RWE macht es möglich, mit Unterstützung des Ministerpräsidenten.

Dann gab es in Anwesenheit des Ministerpräsidenten auch noch Ausschreitungen. Gegendemonstranten berichten, sie seien mit Äpfeln beworfen worden und aus der Demonstration gedrängt worden. Weder die Staatskanzlei noch die hessische CDU haben sich von diesen Ausschreitungen distanziert.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Hört, hört!)

Sie lassen sich vor den Karren der Atomlobby spannen. Sie schüren die Ängste von Auszubildenden. Da Sie den Umstieg auf erneuerbare Energien verzögern und verschleppen und eher damit beschäftigt sind, Ihre unsägliche Kampagne gegen Windräder zu forcieren, bieten Sie den jungen Menschen auch keine Alternative. Ängste schüren und in die Sackgasse führen – das ist Populismus der schlimmsten Sorte.

(Beifall bei der LINKEN – Leif Blum (FDP): Damit kennen Sie sich aus!)

Diese Landesregierung ist sich für nichts zu schade. Der Ministerpräsident – schade, er ist leider nicht da, vielleicht ist er wieder außerparlamentarisch aktiv und blockiert eine Straße zur Erreichung seiner politischen Ziele – –

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Scherz! – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oder zieht eine Hütte am Kühlturm von Biblis hoch!)

Vielleicht kettet er sich an, damit Biblis an bleibt. – Vor knapp zwei Wochen haben 50.000 Menschen in Berlin gegen Atomkraft demonstriert, und zwar ganz unbezahlt und in ihrer Freizeit. RWE schafft es noch nicht einmal, die Menschen aus der Region für ihr Anliegen zu mobilisieren, was auch völlig verständlich ist. Der Reaktorblock Biblis A ist das älteste in Betrieb befindliche deutsche Atomkraftwerk.Die Unfallrisiken steigen mit jedem Jahr. Deshalb darf Biblis nicht mehr ans Netz gehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits eine Laufzeitverlängerung für Biblis A abgelehnt, und das begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die meisten Menschen wissen seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl, dass die Atomenergie keine Antwort auf die drängenden Fragen der Energieversorgung bietet. Dieser Unfall hat bis dato 70.000 Menschen das Leben gekostet und weite Teile Europas radioaktiv verseucht. Kleinere Unfälle, bei denen Radioaktivität freigesetzt wird, ereignen sich praktisch am laufenden Bande in den weltweit 440 Kernkraftwerken.

Ich muss mich immer wieder wundern, dass gerade die Innenminister der CDU bei der Abwehr terroristischer Gefahren sehr viel gefahrenbewusster argumentieren als bei der Gefahr atomarer Katastrophen, die sehr viel mehr Menschen treffen können als jeder Terroranschlag; es sei denn, er richtet sich gegen ein Atomkraftwerk.

Die Kernenergie ist der Werbekampagne der großen Vier zum Trotz keine saubere Energiequelle. Zu behaupten, Kernenergie sei klimafreundlich, weil die Kraftwerke kaum CO2 ausstoßen, ist hanebüchen. In die Berechnung gehört sehr viel mehr hinein. Wenn man sich die gesamte Produktionskette betrachtet, wird klar, dass die Kernenergie bei Weitem keine saubere Technik ist, nicht einmal im Hinblick auf die Luftbelastung, und schon gar nicht im Hinblick auf die atomaren Abfälle, die sie produziert.

(Heiterkeit des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Sie amüsieren sich, Herr Hahn? Gut, die Endlagerfrage ist wohl wirklich zum Kreischen komisch.

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Ja, aber nicht über Sie, Frau Wissler!)

Die Atomlobby gibt auch keine Antwort auf das weiterhin ungelöste Problem der Endlagerung von 450 t radioaktivem Müll, den allein die deutschen Kernkraftwerke pro Jahr produzieren. Wo dieser Abfall gelagert werden soll, bis sich seine Giftigkeit irgendwann in Hunderttausenden von Jahren abgebaut hat, darauf hat keiner eine Antwort gefunden.Wir denken nur an die rostigen Atommüllfässer in Asse.

Klar ist, schon Anfang der Achtzigerjahre gab es größte Bedenken gegen Gorleben als Lager für Atommüll. Die Kohl-Regierung hat damals Gutachter unter Druck ge

setzt und Sicherheitsbedenken unter den Teppich gekehrt, um Gorleben durchzusetzen. Heinz Riesenhuber, der damalige Bundesforschungsminister, hat dazu maßgeblich beigetragen – Frau Hammann hat es schon gesagt – und kandidiert jetzt auf Platz 2 der hessischen Landesliste der CDU erneut für den Bundestag. Der Vollständigkeit halber sage ich: Auf Platz 1 kandidiert bekanntlich Franz Josef Jung und auf Platz 3 Erika Steinbach.Da kann man der CDU zu diesem attraktiven personellen Angebot nur gratulieren. Sie haben ein ganz tolles Trio gefunden – jeder für sich ein unkontrollierbares Sicherheitsrisiko.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Die Kernkraftwerksbetreiber verdienen jährlich 300 Millionen c an jedem abgeschriebenen Kraftwerk und besonders viel an den alten und unsicheren Werken, deren Laufzeit sie deshalb gerne verlängern möchten. An der Börse wird derzeit verstärkt auf einen Wahlsieg von Schwarz-Gelb spekuliert – und damit auf längere Laufzeiten von Atomkraftwerken.Analysten raten zum Kauf von E.ON- und RWE-Aktien. Die Börse interessiert sich bekanntlich nicht für das Leck in Krümmel oder die Dübel und Sumpfsiebe in Biblis;denn die Kosten für diese Dinge tragen ja nicht die Konzerne, sondern die Steuerzahler und die Menschen, die Opfer erhöhter Krebsrisiken sind. Drastische Kurssprünge werden erwartet, sollte es eine schwarz-gelbe Bundesregierung geben.Ein Plus von 15 % sei durchaus möglich. Das zeigt wieder einmal deutlich, wer von Ihrer Politik in Wirklichkeit profitiert. 150.000 c spendet E.ON Jahr für Jahr an CDU und FDP. Ich finde das ein bisschen knauserig. Eine so konsequente Interessenvertretung sollte dem Unternehmen eigentlich mehr wert sein.