Protocol of the Session on July 8, 2009

(Horst Klee (CDU): Olé!)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße den Antrag der Regierungsfraktionen durchaus in Teilen, da er, wenn man ihn gutwillig interpretiert, bedeutet, dass auch in Hessen endlich Bewegung in die Integrationsdebatte kommt. Vor allem freuen mich Begriffe wie „Diskriminierung unterbinden“ oder „umgehend umsetzen“; denn ich weiß, wie viele in diesem Land sehnsüchtig darauf warten, dass der Ratifizierung auch Taten folgen.

Nicht so sehr freut mich, dass Sie als Ziel der UN-Konvention lediglich nennen – Zitat –,„die Chancengleichheit behinderter Menschen zu fördern“. Ich muss Ihnen klar sagen: Das reicht nicht. Die UN-Konvention geht weiter; denn sie besagt, dass die Chancengerechtigkeit behinderter Menschen „zu gewährleisten“ ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Unser Vorschlag wäre,die Formulierung durch die aus der UN-Konvention selbst zu ersetzen. Aber das können wir sicherlich noch im Ausschuss besprechen.

Auch bezogen auf die beiden unter Punkt 2 genannten Gesetze und ihre Umsetzung besteht in Hessen noch erheblicher Handlungsbedarf. Nach wie vor sind die Kommunen in Hessen nicht zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet. Die Angst davor, die Zeche zahlen zu müssen, ist so groß, dass auf eine gesetzliche Regelung vorsichtshalber verzichtet wird. Das hat Herr Kollege Utter im Zusammenhang mit Konnexität gemeint.

Der Versuch, allein über Zielvereinbarungen Barrierefreiheit herzustellen, funktioniert offensichtlich nicht. Verbindlichere Vereinbarungen bzw.gesetzliche Regelungen sind für die Kommunen notwendig. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, eine Separierung auf allen Ebenen – im öffentlichen Leben, in der Schule, aber auch im Arbeitsleben – zu verhindern und bestehende Separierungen abzubauen.

Auch bei den Werkstätten muss sich etwas ändern. Ausschließlich auf die Arbeit in Werkstätten angewiesen zu sein entspricht nicht dem Grundsatz der Inklusion, selbst nicht dem der Integration.Vielleicht sind wir uns darin sogar einig.

Zum Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Punkt 1 dieses Antrags ist unbedingt zu unterstützen. Ich habe, noch unter dem Eindruck der ersten nationalen Konferenz des Bundesministers Scholz in Berlin, bei der Diskussion über den Haushaltsentwurf im März dargestellt, dass es bestimmte, zwingend herzustellende Bedingungen für die Umsetzung gibt: Gesetze müssen angepasst werden. Im Schulgesetz muss der Vorrang der inklusiven Bindung festgehalten werden. Das Lehrerbildungsgesetz muss sicherstellen, dass allen Regelschulpädagogen, auch denen der Sekundarstufenschulen, grundlegende sonderpädagogische Kenntnisse und ein ausreichendes Handwerkszeug vermittelt werden, um zieldifferent zu unterrichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gilt für die Ausbildung der Lehrer wie auch für die Fort- und Weiterbildung – Letztere am sinnigsten über sogenannte SCHILFs, also über schulinterne Lehrerfortbildungen –, damit eine Schule auch über ein gemeinsames Leitbild nämlich Inklusion, sowie über von allen geteiltes Wissen und Handwerkszeug verfügt.

Ich sehe auch deshalb dringenden Handlungsbedarf, weil die verunsicherten Sonderpädagogen und Förderschulen, die sich durch die Konvention fälschlicherweise marginalisiert, an den Rand gedrängt fühlen, dringend der Versicherung bedürfen, dass gerade jetzt ihre besonderen Kompetenzen gefragt sind und auch in Zukunft stark gefragt sein werden.Es wird nicht weniger Kinder geben,die der Unterstützung der Sonderpädagogen bedürfen. Es wird aber andere Förderorte und andere Settings geben müssen, damit gemeinsames Lernen wirklich wieder im Vordergrund stehen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Henzler, Sie sollten schnellstens entsprechende Änderungsvorschläge zu den beiden Gesetzen vorlegen. Dazu hatte ich bereits vor Wochen aufgefordert, und dazu fordert Sie auch dieser Antrag auf. Sie können sich da auch an anderen Bundesländern orientieren. Das dürfte meiner Ansicht nach kein großes Ding sein,sodass wir tatsächlich umgehend, sobald wir die Gesetzesänderung vorliegen haben, eine Anhörung beschließen und terminieren können, in der der gesetzgeberische Handlungsbedarf sowie Fragen der Umsetzung, sprich: der Anpassung der faktischen Situation an die neuen Erfordernisse, besprochen werden können.

Vielleicht überlegen Sie auch, zusätzlich so etwas wie einen runden Tisch einzurichten. Das würden wir als LINKE gern dann unterstützen, wenn es sich nicht um eine Verzögerungstaktik handelt, sondern um die Umsetzung der Verpflichtung, die sich ergebenden notwendigen Änderungen unter Mitwirkung aller Beteiligten, also auch der Behindertenorganisationen, vorzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Darüber hinaus brauchen wir, so ist jedenfalls meine Meinung, zeitnah viele Aktionspläne, viele runde Tische, auf kommunaler und auf Kreisebene. Dieser Impuls sollte ebenfalls vom Ministerium ausgehen, und entsprechende Bemühungen auf diesen Ebenen sollten vom Ministerium unterstützt werden.

Frau Henzler, ich weiß, Sie haben im Augenblick viele Baustellen zu beackern und viele Brandherde zu löschen und zu befrieden. Aber diese Baustelle hier schleifen zu lassen würde sich meiner Meinung nach rächen.

Zu Punkt 2 des GRÜNEN-Antrags. Vor einem Wunschund Wahlrecht der Eltern möchten wir LINKEN überhaupt erst gewährleistet wissen, dass die Eltern unabhängig beraten werden, welche Schule für ihr Kind die richtige ist.Viele Eltern berichten uns,dass sie sich bei der Beantragung eines gemeinsamen Unterrichts für ihr Kind vom Staatlichen Schulamt oder von anderen schulischen Stellen nicht unabhängig beraten fühlen. Zum Teil berichten sie sogar, dass ihnen von einem gemeinsamen Unterricht offen abgeraten wurde. Diese Forderung nach einer unabhängigen Beratung war übrigens eine zentrale Forderung der Elternverbände auf der ersten nationalen Konferenz in Berlin, der meines Wissens dort nicht widersprochen wurde.Erst nach Sicherstellung dieser unabhängigen Beratung können wir über den Sinn eines Wunschund Wahlrechts der Eltern sprechen.

(Beifall bei der LINKEN)

Punkt 3 des GRÜNEN-Antrags können wir ebenfalls unterstützen. Allerdings sehen wir es nicht so wie Herr Mick, dass es ein Streit um Begriffe – Inklusion und Integration – sei.Wir denken schon, dass es wichtig ist, hier zu einer eindeutig besseren Interpretation und Umsetzung zu kommen. Wir wissen, dass Integration immer Wiedereingliederung und Inklusion „gar nicht erst ausgliedern“ heißt. Das ist ein diametral anderes Verständnis.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe,dass da nicht ein weiterer Konflikt mit der CDU angelegt ist, die eher zu dem Integrationsbegriff tendiert.

Es liegt bereits eine Übersetzung in sogenannte leichte Sprache vor, die auch von Behindertenorganisationen entwickelt wurde. Sie wurde bereits auf der ersten nationalen Konferenz verteilt. Ich kann sie Ihnen gern zur Verfügung stellen.

Abschließend möchte ich die Bitte aussprechen, dass wir in dieser Sache schnell und unterstützt vom ganzen Haus vorankommen, um Diskriminierung und Separierung abzubauen.Wir als LINKE sind auf jeden Fall dabei.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich schon auf die Diskussion, die im Ausschuss auch zu der Großen Anfrage der GRÜNEN stattfinden wird, zu der ich heute nichts gesagt habe. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Das Wort hat Herr Staatsminister Banzer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die eigentlich, wenn man den sonst kritischen Grundtenor von Stellungnahmen zu Großen Anfragen Revue passieren lässt, doch sehr positive Würdigung der Antwort auf die Große Anfrage.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das Ministerium ist gut!)

Ich teile die Meinung, wir sind in der Behindertenpolitik in den letzten Jahren ein großes Stück vorangekommen. Ich glaube, dass Deutschland insgesamt in der Behindertenpolitik einen ganz erheblichen Schritt vorwärtsgekommen ist. Das ist ein neues Politikfeld, das sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Wenn Sie sich anschauen, wann die entsprechenden Gesetze erlassen wurden, können Sie dies nachvollziehen. Es ist schon erfreulich, dass wir uns in diesem Bereich, wo wir international nicht an der Spitze sind – wenn Sie sich Schweden, Skandinavien oder die USA anschauen, wo in diesem Bereich sehr viel mehr geleistet wird –, aufgemacht haben, diesen Vorsprung zu reduzieren und aufzuholen.

Ich glaube, dass wir uns in Hessen in diesem nationalen Geleitzug wirklich sehen lassen können. Die Schwerpunkte sind zu Recht genannt worden.Im Bereich der Arbeit in der vorschulischen Betreuung können wir wirklich sagen,dass wir auf dem richtigen Weg sind.Ich denke,dass wir im öffentlichen Personennahverkehr genauso auf dem richtigen Weg sind wie im Bereich des Bauens. Herr Dr. Jürgens, wenn von 53 Bauobjekten, die in dieser Anlage aufgeführt sind, eines in Gießen eher suboptimal gelöst wurde, dann glaube ich nicht, dass es fair ist, von diesem einen auf alle 53 zu schließen, sondern da ist, zum Teil unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel, schon einiges geschehen.

Wie geht es mit der Behindertenpolitik weiter? Ich finde das die spannendere Frage. Dort stehen wir vor einem Paradigmenwechsel, der uns noch sehr viel Arbeit machen wird.Wir müssen nämlich davon wegkommen,dass wir sagen, den Menschen mit Behinderungen gilt unsere Fürsorge,gilt der fürsorgepolitische Aspekt,sondern wir müssen zu einer Konzeption kommen, in der wir versuchen, den Menschen mit Behinderungen echte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, am Gesamtleben zu ermöglichen. Das ist noch einmal etwas anderes, als nur den Menschen mit Behinderungen etwas Gutes zu tun: sie teilhaben zu lassen, sie als Person ernst zu nehmen. Das ist ein Stück Mehraufwand.

So friedlich, wie das daherkommt, muss man schon sehen, dass es eine ganze Anzahl von Betroffenen gibt, die das mit gespaltenen Gefühlen sehen. Denn all die Institutionen, die für Menschen mit Behinderungen sicherlich segensreich gewirkt haben, haben dies aus dem fürsorgerischen Aspekt heraus getan, letztlich aber auch aus einem Aspekt heraus, in dem der betroffene Mensch mit Behinderungen relativ stark entmündigt ist.

Wenn wir jetzt eine Politik beginnen und ins Werk setzen, in der der Mensch mit Behinderungen die Möglichkeit hat, möglichst viel selbst zu bestimmen und zu gestalten, bis hin zu dem Thema des persönlichen Budgets und den Diskussionen, die wir dazu haben, dann wird dies auch Anforderungen an diese Institutionen verändern. Das kann nicht nur positive Effekte auslösen, sondern da wird es auch die eine oder andere Diskussion und den einen oder anderen Umstellungsprozess geben. Ich glaube aber, das ist nötig, das ist der nächste konsequente Schritt.

Wenn man sich anschaut, dass die Schweden, die ich eben als ein Land genannt habe,das in diesen Fragen besonders sensibel und besonders erfolgreich ist, ihr nationales Behindertenprogramm „Vom Patienten zum Mitbürger“ überschrieben haben, dann sieht man, wo die Intention hingeht und wo auch wir als Hessische Landesregierung in den nächsten Jahren unseren Schwerpunkt setzen werden.Teilhabe bedeutet eben Wahrnehmung von möglichst vielen Rechten selbst, Stärkung der Menschen mit Behin

derungen,dass sie diese Rechte wahrnehmen können,und das bedeutet insbesondere, dass wir ihnen gesellschaftliche Teilhabe in einem Bereich eröffnen, der für uns alle von entscheidender Bedeutung ist; das ist der Arbeitsmarkt. Deswegen müssen wir auch in Zeiten der Krise versuchen,einen Beitrag zu leisten,dass wir möglichst vielen Menschen mit Behinderungen den Arbeitsplatz erhalten oder einen Arbeitsplatz verschaffen können. Die unterstützten Arbeitsprogramme, die in den letzten Jahren insbesondere auch von meinem Ministerium angestrengt und unterstützt wurden,weisen den richtigen Weg.

Wir haben ganz erfreuliche Zahlen hinsichtlich der Beteiligung Hessens am Bundesprogramm für jugendliche Arbeitnehmer und für Auszubildende. Ich denke, da sind wir auf dem richtigen Weg.

Der Paradigmenwechsel, den diese Gesellschaft durchzuführen und zu erreichen hat, ist eine Aufgabe, die den politischen Streit nicht unbedingt zum Wettbewerb braucht. Vielmehr geht es darum, die Vorurteile in einer Gesellschaft und die Grundeinschätzungen einer Gesellschaft zu verändern. Wir würden sehr viel mehr davon profitieren, wenn wir dabei gemeinsam an einem Strick ziehen würden.

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Das heißt „an einem Strang ziehen“, nicht „Strick“!)

Herr Staatsminister Banzer, vielen Dank. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Große Anfrage besprochen.

Der Antrag und der Dringliche Antrag werden dem Ausschuss überwiesen?

(Axel Wintermeyer (CDU): Ja!)

Der Antrag unter Tagesordnungspunkt 26 und der Dringliche Antrag unter Tagesordnungspunkt 42 werden dem Ausschuss überwiesen. Besteht da Einvernehmen? – Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 20 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Jahresabschluss 2008: Weimar bleibt Schuldenkönig und schadet Hessen – Drucks. 18/228 –

Ebenfalls rufe ich Tagsordnungspunkt 24 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Haushaltsabschluss 2008 – Mehrbelastungen erfolgreich gemeistert – Drucks. 18/300 –

Zuerst hat sich Herr Kollege Marius Weiß zu Wort gemeldet. Bitte sehr. Die Redezeit beträgt fünf Minuten.

(Axel Wintermeyer (CDU): Jetzt hat er schon so lange darauf gewartet, nämlich dreimal!)

Das ist sogar das vierte Mal. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist der vierte Versuch. Beim vierten Versuch hat es dann endlich geklappt.