Protocol of the Session on June 18, 2009

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Schulz-Asche für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Mick,Weihrauch hilft nicht gegen eine Pandemie,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

sondern schon eher der Herr Osmers, der hier anwesend ist. Deswegen erlauben Sie mir, dass ich in diesem Fall ausdrücklich die Informationspolitik des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit loben möchte.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU) – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Weihrauch!)

Meine Damen und Herren,das hat nichts mit Weihrauch zu tun.Das hat damit zu tun,dass rechtzeitig und sehr präzise informiert wurde.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Das hat nichts mit Ihrer Beweihräucherung zu tun, sondern wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht,dass diese Abteilung im Ministerium hervorragend

arbeitet und sehr dazu beiträgt, dass alle Epidemien oder Pandemien, die wir in den letzten Jahren hatten, vernünftig bearbeitet werden konnten. Deswegen sage ich ausdrücklichen Dank an das Ministerium.

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau!)

Jetzt zur Kritik.

(Axel Wintermeyer (CDU): Es war so schön!)

Wenn man schon eine Aktuelle Stunde zum Thema „gute Information der Bürgerinnen und Bürger“ macht – wie gesagt, ich glaube, dass das läuft –, dann würde ich Ihnen empfehlen,die Internetseite noch einmal zu überarbeiten. Wir haben gerade eine Diskussion darüber gehabt: Wir haben mündige Bürgerinnen und Bürger, die sich zunehmend auch in Gesundheitsfragen über das Internet informieren und im Internet auch ihre Bewertung abgeben möchten. Deswegen würde ich Ihnen empfehlen, den Teil im Internet zu aktualisieren, wo die häufig gestellten Fragen beantwortet werden. Dort sollte vielleicht auch die Zahl der aktuellen Fälle von – nach meinen Informationen – 16 in Hessen aufgenommen werden. Auch das gehört zu einer guten Politik, dass die Bürgerinnen und Bürger in allen Teilen des Internets informiert werden.

Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass es überhaupt keinen Grund zur Panik gibt. Wir haben 37.000 Infektionsfälle weltweit. Wir haben weltweit ungefähr 150 Tote. Es gibt sicher auch noch eine Dunkelziffer. Aber man geht davon aus, dass bei einer ganz normalen Grippewelle in Deutschland ungefähr 10.000 Menschen an dieser Grippe versterben. Das sind – das macht den Unterschied – in der Regel alte Menschen und Kinder, also schon geschwächte Menschen. Durch das Schweinegrippe-Virus sind offensichtlich vor allem junge Menschen gefährdet.Aber auch hier muss man sagen, dass die Todesfälle, die wir zu verzeichnen haben, in der Regel nur bei Menschen aufgetreten sind, die schon gesundheitlich vorbelastet waren.

Deswegen halte ich es auch für richtig,dass die WHO kein Risiko eingegangen ist, sondern bereits die Hochstufung auf die Stufe 6 einer Pandemie vorgenommen hat. Denn in der aktuellen Situation geht es nicht darum, dass die Entwicklung dramatisch wäre, sondern es geht vor allem darum, die Ausbreitung und insbesondere die Mutationsfähigkeit des Virus zu schwächen.Von daher ist es wichtig, die Pandemiestufe 6 auszurufen.

Meine Damen und Herren, wie gesagt, im Moment ist die Situation relativ ruhig. Aber wir befürchten alle, dass im Herbst, wenn die Konzentration normaler Grippeviren wieder ansteigt, die Gefahr von Mutationen steigt und sich das Virus damit gefährlich verändert.

Es gibt auch fachlich noch einige offene Fragen, die zu stellen sind. Dazu gehört die Frage, wann der Impfstoff tatsächlich zur Verfügung steht. Es ist noch nicht so ganz sicher, in welcher Menge er überhaupt produziert werden kann. Da werden wir als Landtag sicher weiter aktuell informiert werden müssen.

Es gibt die Frage nach dem Verfallsdatum und den Kosten der eingelagerten Impfdosen von Tamiflu. Dazu habe ich noch eine Kleine Anfrage im Verfahren. Es gibt sicher auch Fragen zu der Umsetzung des Pandemieplans in Hessen.Auch das sind meiner Meinung nach Fragen, über die wir in der Regel gut informiert werden. Es gibt – das hatte ich gestern in der mündlichen Frage schon einmal angeschnitten – die Frage des Schutzes im Pandemiefall von bestimmten Berufsgruppen: Feuerwehr, Polizei,

Ärzte, Krankenhauspersonal. All dies sind noch offene Fragen. Daher denke ich, dass noch einiges zu klären und zu diskutieren ist. Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund, schon zu lobhudeln.Wir müssen sehr fachlich und sehr sachlich an diesem Thema dranbleiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, wie gesagt, es gibt keinen Grund zur Panik. Wenn Sie im Internet schauen, werden Sie feststellen, dass es einige Firmen gibt, die regelrecht versuchen, eine Hysterie zu schüren, um Werbung für ihre eigenen Produkte zu machen.

Letztendlich gibt es im Moment zwei Empfehlungen, um der Infektion vorzubeugen. Einer kann man jetzt schon folgen. Der Minister hat es schon mehrfach empfohlen. Dieses Virus wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Das heißt, die häufigste Infektionsweise ist über die Hand in den Mund. Da reicht Händewaschen, am besten mit Seife. Das sollte man dazusagen. Sie sagen immer nur: Hände waschen. Man sollte die Hände mit Seife waschen, weil die Seife die Hülle des Virus zerstört und damit die Infektionskraft senkt.

Eine zweite Empfehlung,die jetzt aber noch nicht akut ist, ist die Empfehlung, den Aufenthalt von großen Gruppen in kleinen Räumen zu vermeiden.

(Minister Jörg-Uwe Hahn (FDP): Landtagssitzungen!)

Meine Damen und Herren, wir sind hier 118 Leute in einem sehr kleinen Raum. Wir sitzen hier zusammen und diskutieren dieses Thema. Ich hoffe, dass wir das auch im Herbst dieses Jahres noch tun können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Axel Winter- meyer (CDU):Wollen wir es hoffen!)

Das Wort hat Herr Minister Banzer. – Herr Minister, einen Augenblick bitte. Frau Schott, Sie hatten noch gar keine Wortmeldung? In der ersten Runde waren Sie noch nicht dran? Bitte schön, dann habe ich mich geirrt. Herr Minister,einen Augenblick bitte.Frau Schott möchte noch etwas mit auf den Weg geben. – Nur nebenbei: Bei einem Präsidentenwechsel ist es besonders wichtig, dass die Wortmeldungen früher abgegeben werden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die sachgerechte Information der Bevölkerung über Vorsichtsmaßnahmen, Verhaltensweisen und Risiken der Schweinegrippe, ohne Panik zu schüren, gehört zu den grundlegenden Aufgaben der Landesregierung. Deswegen darf man hier trotzdem einmal erwähnen, wenn es gut gelungen ist. Das ist wohl der Fall. Von daher ist es bis dahin mit meiner Auffassung d’accord. Allerdings verstehe ich auch nicht, dass man dafür eine Aktuelle Stunde anberaumen muss.

Wir haben einiges dazu gehört. Ich würde gerne die Gelegenheit nutzen, auf einen weiteren Punkt aufmerksam zu machen. Denn was fehlt, ist eine Vorsorgestrategie in einem umfassenden Sinne zur Verminderung des Pandemierisikos.

Dazu – das hat die Debatte bisher gezeigt – mangelt es an Einsicht in die Zusammenhänge zwischen einer industriellen Massentierhaltung und der Entstehung der für Menschen gefährlichen Schweinegrippeviren.

Als möglichen Ursprung für die Pandemien von 1957 und 1968 wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf die Vermengung von Vogel- und Menschenviren in Schweinen hingewiesen. Dies sei die wahrscheinliche Nahtstelle zwischen menschlichen und tierischen Krankheiten. Virologen sehen in der Industrialisierung der Viehproduktion die Hauptursachen der enormen Beschleunigung der Grippeevolution. 2003 veröffentlichte Bernice Wuethrich in der Zeitschrift „Science“ einen Bericht, in dem sie darlegt, dass nach Jahren der Stabilität das nordamerikanische Schweinegrippevirus auf eine evolutionäre Schnellstraße eingebogen ist. Seit seiner Entdeckung in den 1930er-Jahren zeigte das Virus nur geringe Veränderungen. Ab 1998 entstanden fast jährlich neue und hoch ansteckende Varianten.

Die Landwirtschaftorganisation Grain berichtet, dass groß dimensionierte industrielle Viehzuchtbetriebe in Nordamerika den idealen Nährboden für das Auftreten und die Verbreitung von neuen, hoch virulenten Influenzatypen geschaffen haben. Tausende von Tieren sind auf engstem Raum zusammengepfercht. Das ist ein idealer Ort für virulente Krankheitserreger. Das Immunsystem der Tiere ist überfordert bzw. kann sich aufgrund der unangepassten Tierhaltung nicht adäquat ausbilden. Der Ausbreitung von Krankheiten wird mit Medikamenten bis hin zur Gabe von Antibiotika entgegenzuwirken versucht, die sich dann im Tierkot wiederfinden.Treffend bezeichnet Mike Davis die mexikanische Schweinegrippe als eine genetische Schimäre, die wahrscheinlich im Kotschlamm einer industriellen Schweinemast erzeugt wurde.

Die industrielle Massentierhaltung vergrößert somit die Nahtstelle zwischen tierischen und menschlichen Krankheiten. Die Gewinne einer hoch industrialisierten Tierproduktion tragen somit für die Entstehung des Schweinegrippevirus H1N1 Mitverantwortung. CDU und FDP haben mit ihrer neoliberalen Wirtschafts- und Globalisierungspolitik über Jahre

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

zur Konzentration der Tierproduktion auf immer weniger und immer größere Betriebe beigetragen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Großbetriebe werden mit Subventionen gestärkt,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie war das in der DDR? Gab es da keine Massentierhaltung?)

kleinere Betriebe, wie aktuell das Beispiel der Milchbauern zeigt, werden in den Ruin getrieben. Entwicklungshilfe wird so fehlgeleitet, dass die Interessen global agierender Konzerne gewahrt, lokale und regionale Produktionsstrukturen aber im In- und Ausland zerstört werden. Es sind aber die kleineren Betriebe, die am ehesten eine an die naturräumlichen Gegebenheiten angepasste

(Wortmeldung des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Frau Kollegin, gestatten Sie Zwischenfragen?

nein, ich möchte zum Ende kommen – Tierhaltung betreiben können, ohne dabei Unmengen von Keimen zu verbreiten, die Gewässer zu überdüngen, Antibiotika, Tiermedizin und Schwermetalle in die Nahrungskette zu bringen und eben ohne das Risiko der Bildung neuer Krankheiten zu erhöhen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, solche Produktionsformen brauchen andere Rahmenbedingungen als die für eine großindustrielle Herstellung x-beliebiger Güter in globalisierten Märkten, und das wissen Sie.

Dazu nur ein paar Schlagwörter: Stärkung regionaler Vermarktung, Vergabe von Agrarsubventionen gebunden an ökologische Leistungen, Demokratisierung der Produktionsverhältnisse, faire Welthandelsbedingungen, Förderung der ökologischen Landwirtschaft im In- und Ausland.

Meine Damen und Herren, das ist der Teil der Pandemieprävention, über den wir von CDU und FDP noch nichts gehört haben und, ich vermute, auch nichts hören werden. Es verwundert mich auch nicht; denn es wird immer wieder die Strategie gefahren: Wir loben uns für das, was wir machen, ohne hinzugucken, was die Ursache ist, wo das hergekommen ist,was wir gerade bekämpfen müssen.Die jüngste Geschichte hat leider auch gezeigt,

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

das es ein Irrglaube ist, jenseits der Qualität der öffentlichen Gesundheitsvorsorge – ich komme sofort zum Ende – Pandemien durch schnelle Reaktion medizinischer Bürokratien eindämmen zu können. Insbesondere ist es für die Pharmaindustrie eine makabere Win-win-Situation: Mit ihren Medikamenten und Mittelchen ermöglicht sie erst die Massentierhaltung, an deren gefährlichen Nebenwirkungen sie dann mit Tamiflu und Co. wiederum Milliarden verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Jetzt hat Herr Minister Banzer das Wort.