Protocol of the Session on September 4, 2013

Wir kommen damit zur Abstimmung über diesen Dringlichen Entschließungsantrag. Wer diesem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Keine. Dann stelle ich einstimmige Annahme fest. Vielen Dank.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 51 auf:

Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Aufnahme syrischer Flüchtlinge schnellstens in Hessen ermöglichen – Drucks. 18/7707 –

und Tagesordnungspunkt 54:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Familiennachzug syrischer Flüchtlinge ermöglichen – Drucks. 18/7710 –

Als Redezeit wurden fünf Minuten pro Fraktion vereinbart. Als erste Wortmeldung liegt mir die von Frau Kollegin Öztürk von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.

(Widerspruch bei der LINKEN – Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Unser Antrag ist älter!)

Entschuldigung. Ich bin belehrbar. – Frau Kollegin Cárdenas, bitte.

Sehr geehrter Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben zwei Anträge zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge vorliegen: einen Antrag der LINKEN, den wir bereits in der letzten Woche angekündigt und allen Fraktionen zugesandt hatten – in der Hoffnung, dass daraus ein interfraktioneller Antrag des gesamten Landtags werde –,

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und die Antwort darauf, einen Antrag der restlichen vier Fraktionen, der einen Punkt von uns herausgreift, nämlich den des Familiennachzugs.

Natürlich hätten wir den Antrag gerne mit unterschrieben, aber wie auch bisher und auch beim letzten Tagesordnungspunkt sagt die Union: LINKE oder wir. – Diese ideologisch verbohrte Haltung der Unionsfraktion, keine Anträge gemeinsam mit der LINKEN stellen zu wollen, nicht einmal bei einem uns alle verbindenden humanitären Anliegen, ist schon lange nur noch lächerlich und wird von allen mit Vernunft begabten Menschen mit Kopfschütteln quittiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Sache selbst. Die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland ist ein wichtiges Anliegen der Fraktion DIE LINKE, und das nicht erst seit heute. Wir haben in dieser Wahlperiode bereits einige Initiativen im Bund und in Hessen mit diesem Ziel eingebracht. Denn auch schon vor der aktuellen Eskalation war die Menschenrechtslage in Syrien furchterregend. Das hat die deutschen Behörden leider nicht davon abgehalten, selbst ganze Familien abzuschieben. Einige auf dieser Grundlage deportierte Flüchtlinge sind dann in den Foltergefängnissen des syrischen Geheimdienstes gelandet. Das ist ein Ergebnis der unbarmherzigen Abschiebepolitik, die endlich beendet werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Die verheerende Bilanz des Bürgerkrieges ist, dass über 2 Millionen Menschen aus Syrien – Männer, Frauen und Kinder, auch unbegleitete Kinder – auf der Flucht sind. Die Bundesregierung hat im Mai beschlossen, 5.000 besonders schutzbedürftigen syrischen Flüchtlingen vorübergehenden Schutz zu gewähren. Im Juni folgte der einstimmige Bundestagsbeschluss, der den Bundesländern das erforderliche Einvernehmen gab, eigene Aufnahmeanordnungen für Familienangehörige von Syrern zu erlassen.

Über die entsetzliche humanitäre Lage in Syrien und den Nachbarstaaten sind wir uns hier im Haus einig, über die grundsätzlichen Ziele wahrscheinlich auch. Angesichts der Lage sind die 5.000 nur ein erster, richtiger Schritt. Hessen wird sogar nur 365 Menschen aufnehmen. Liebe Kolleginnen, das sind verschwindend kleine Zahlen angesichts des Leides in Syrien und in den Nachbarstaaten. Das liegt weit unter dem, was wir leisten könnten und leisten müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Von den in Hessen lebenden 2.804 Syrerinnen und Syrern haben sich viele zur Sicherung des Lebensunterhalts ihrer Verwandten bereit erklärt. Die kommunalen Kapazitäten würden also gar nicht in Anspruch genommen. Noch im Juli sah aber das Innenministerium laut „FR“ keine Notwendigkeit für ein eigenes Aufnahmeprogramm. Diese Verweigerungshaltung ist unseres Erachtens völlig inakzeptabel. Wir haben die Folgen davon auf der Podiumsdis

kussion der Diakonie letzte Woche eindrücklich von einem hier lebenden Syrer, der jeden Tag um seinen Vater bangt, geschildert bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit drängt, jeder Tag zählt. Deshalb hoffe ich sehr, dass der Antrag, den die anderen vier Fraktionen eingebracht haben, tatsächlich den umgehenden, sofortigen Erlass einer Aufnahmeanordnung nach sich zieht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt Bundesländer, die schon sehr viel mehr getan haben, selbst CDU-geführte, aber jetzt holen wir ein bisschen auf. Zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Thüringen wollen mehr als ihr Kontingent aufnehmen. Viele andere Länder haben bereits eigene Aufnahmeanordnungen erlassen.

Über die Frage des Familiennachzugs hinaus muss die Landesregierung nach unserer Auffassung aber noch mehr tun: Sie muss erstens den bereits bei uns in Hessen lebenden syrischen Staatsangehörigen statt einer Duldung einen sicheren Aufenthaltsstatus geben.

Hier eine wichtige Anmerkung: Leider hat es im Punkt 3 des Antrags durch eine Vorversion eine Verwechslung gegeben: Es darf natürlich nicht „mit einer Duldung“, sondern es muss „statt einer Duldung“ heißen. Das war leider nicht mehr zurückzuholen.

Die Landesregierung muss sich zweitens auf Bundesebene für eine deutliche Kontingenterhöhung einsetzen.

Meine Damen und Herren, auch wenn nun 5.000 Flüchtlinge nach Deutschland geholt werden und noch einige Tausend zu ihren Verwandten kommen können, bleiben die Grenzen der EU für die anderen syrischen Flüchtlinge geschlossen. Sie müssen lebensgefährliche Wege über das Meer auf sich nehmen und viel Geld bezahlen, um die Mauern der Festung Europa zu überwinden. Ich bitte Sie daher, zu bedenken: Humanitäre Aufnahmeaktionen bleiben heuchlerische Makulatur, wenn zugleich die Abschottung perfektioniert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir, DIE LINKE, fordern daher: Grenzen auf für Menschen in Not. Wer in Europa Schutz sucht, darf nicht an Mauern und Stacheldraht scheitern. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Öztürk für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bitte schön.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen ausdrücklich den gemeinsamen Vorgang und den gemeinsamen Beschluss, den wir gleich in Sachen Aufnahme von syrischen Familienangehörigen nach Hessen fassen werden, begrüßen. Ich glaube, dass dieses Thema in Zeiten des Wahlkampfs hätte instrumentalisiert werden können. Das ist jetzt nicht der Fall, sondern wir lassen humanitäre Hilfe vor Wahlkampf walten. Das ist ein wichtiges und richtiges Zeichen. Deswegen möchte ich zu Beginn sagen, das ist

ein gutes Signal, und mich bei allen im Hause, die das tragen werden, bedanken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sehen jeden Tag dramatische Bilder aus Syrien. Die Bürgerkriegssituation spitzt sich immer mehr zu, und seit dem Giftgasanschlag sind noch mehr Familien von Vertreibung und Flucht betroffen, was wir im Fernsehen tagtäglich verfolgen.

Den größten Teil der Flüchtlinge haben bisher der Libanon, Jordanien, die Türkei und der Irak aufgenommen. Wir sehen auch, dass jeden Tag Familien in Hessen an uns Politiker in den Wahlkreisen herantreten und sagen, sie möchten gerne ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen.

Bisher haben wir auf der einen oder anderen Ebene schon große Unterstützung geleistet. Die möchte ich hier auch erwähnen. Es ist nicht zu verschweigen, dass die Europäische Union seit Entstehen der Krise rund 515 Millionen € Unterstützungshilfe bereitgestellt hat. Es ist auch nicht zu verschweigen, dass 328 Millionen € für humanitäre Hilfe den Nachbarländern, also der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak, zur Verfügung gestellt werden. Hinzu kommen weitere Beträge. Insgesamt werden 1,3 Milliarden € vonseiten der Europäischen Union als Unterstützung in Zeiten der Krise für die syrischen Flüchtlinge und die Nachbarländer zur Verfügung gestellt.

Ich möchte aber klarmachen, dass diese finanzielle Unterstützung kein Ersatz dafür ist, wenn Familien in Hessen an uns herantreten und den Wunsch äußern, dass sie ihre Angehörigen gerne aufnehmen wollen, zumal sie finanziell in der Lage sind, das zu tun.

Deswegen ist es richtig, dass wir heute diesen Antrag gemeinsam auf den Weg bringen. Frau Cárdenas hat schon erwähnt, dass es in anderen Bundesländern wie SchleswigHolstein, Baden-Württemberg oder Hamburg schon Initiativen gab. Eine Aufnahmeanordnung ist in diese Richtung erlassen worden. Wir wollen das heute beschließen. Ich bin sehr froh, dass auch von der Regierung her, vom Innenministerium her, bisher Signale gesendet worden sind, dass diese Aufnahmeanordnung so umgehend wie möglich erfolgen wird, sodass auch wir syrischen Familien die bürokratischen Hürden verringern können und ihre Angehörigen zu uns kommen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Von wie vielen Personen reden wir? – In Hessen leben ca. 2.373 syrische Familien. Von denen haben 542 einen unbefristeten Aufenthalt, und rund 1.831 haben einen befristeten Aufenthalt. Das sind Menschen, die natürlich, auch wenn die EU genug Hilfen zur Verfügung gestellt hat, nicht zu Hause sitzen und warten werden, bis die Familien im Rahmen des 5.000er-Flüchtlingskontingents überhaupt kommen können.

Für die Flüchtlinge, die im Rahmen dieses 5.000er-Kontingents aufgenommen werden sollen, gibt es die eine oder andere Hürde, auf die wir hier nicht eingehen wollen. Von daher ist es wichtig und richtig, dass wir das Signal senden und sagen: Familien und Angehörige zweiten oder dritten Grades können aufgenommen werden.

Ich will auch gar nicht lange reden, sondern will zum Schluss noch erwähnen, dass wir GRÜNE diesen Giftgasanschlag zutiefst verurteilen. Das ist eine Tat, die zu verurteilen und die bestürzend ist. Wenn gegenüber der Zivilbevölkerung diese Giftgaswaffen eingesetzt werden und unschuldige Menschen darunter leiden, ist das eine Tat, die wir nicht einfach hinnehmen können.

Was wir aber machen können: Wir können auf der einen Seite den UN-Bericht abwarten und auf der anderen Seite auch Mut zur Deeskalation beweisen, damit wir vielleicht doch von einem Militärschlag absehen können, denn das hat in Syrien immer mehr Fluchtgründe hervorgerufen.

Deswegen ist mein Appell zum einen außenpolitisch, vielleicht noch eine politische Lösung zu schaffen, zum anderen innenpolitisch an unsere syrischen Mitbürger, dass sie ihre Angehörigen aufnehmen können. Das ist heute ein gutes Signal vor der Wahl. Von daher bedanke ich mich und möchte damit enden, will aber nur noch sagen, dass wir DIE LINKE in ihrem Antrag unterstützen werden, auch wenn sie jetzt in diesem gemeinsamen Antrag nicht dabei ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Bauer, Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Flüchtlingselend, Angst und Schrecken – wir alle kennen die schlimmen Nachrichten, die furchtbaren Bilder. Menschen verlieren ihre Angehörigen, ihre Häuser, ihre Existenzgrundlage, ihre Heimat. Wir alle kennen diese Berichte über tragische Schicksale. Gestern vernahm ich in den Nachrichten die Zahl, dass jede Minute vier Flüchtlinge über die syrische Grenze gehen und ihre Heimat verlassen.

Es ist gut, dass wir deshalb im Hessischen Landtag im weitestgehenden Konsens das Thema aufgreifen; denn das Thema ist wirklich nicht geeignet, sich in parteipolitischen Schützengräben des Wahlkampfs aufheizen zu lassen

(Hermann Schaus (DIE LINKE): In der Tat! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das müssen Sie mal in Ihrer CDU sagen!)

und in den Wahlkampf gezogen zu werden. Was in Syrien nun schon im dritten Jahr geschieht, darüber muss man hier keine großen Worte verlieren; denn der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen fasst die Lage mit folgenden Worten zusammen, denen wir als CDU-Fraktion uns auch anschließen können: