Protocol of the Session on September 4, 2013

Meine Damen und Herren, keiner hat hier kalte Füße. Es bläst nur ein bisschen von unten. – Das Wort hat der Kollege Willi van Ooyen, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD entdeckt im Wahlkampf das Thema Steuerehrlichkeit. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass das eigentlich ein Dauerthema sein sollte, können wir dem im Kern natürlich zustimmen.

(Unruhe)

Insgesamt ist die Unterschriftenkampagne der SPD auch nichts Falsches. Das ist eine Idee der Linken aus den Siebzigerjahren.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, zur Fairness in diesem Hause: Hören wir bitte dem Kollegen van Ooyen zu.

Ich habe gerne als einer der Ersten bei der Vorstellung dieser Kampagne auf der Unterschriftenliste unterschrieben. Allerdings hat die SPD die Messlatte für ihre Politik nach der Wahl ausgesprochen hoch gelegt. Ich habe meine Zweifel, ob die SPD das, was sie vor der Wahl verspricht, nach der Wahl auch wirklich umsetzt.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Hört die Signale!)

Lieber Herr Kollege Schäfer-Gümbel, es ist wenig glaubwürdig, wenn eine Partei, die von 1998 bis 2009 den Finanzminister gestellt hat, nun verspricht, durch Steuerrechtsänderungen alles wiedergutzumachen, zumal der ehemalige Bundesfinanzminister als Kanzlerkandidat gekürt wurde. Eines muss man feststellen: Was die SPD vor der Wahl verspricht und was sie nach der Wahl macht, sind durchaus unterschiedliche Dinge.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bauer (CDU): Ach was!)

Es stand schon in der ersten Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün im Bund, dass die Wiedereinführung der Vermögensteuer geprüft werden soll. Passiert ist das bis heute nicht. Man erinnert sich auch noch sehr gut an Franz Müntefering, der den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl versprach, keinesfalls die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um schließlich nach der Wahl zu verkünden, dass es unfair sei, die SPD an ihrem Wahlversprechen zu messen. Das Ergebnis war, dass die Mehrwertsteuer mit den Stimmen der SPD um 3 % erhöht wurde.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da gab es aber auch noch eine andere Partei, die damals mitgestimmt hat! – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Diese rot-grüne Situation muss man natürlich noch einmal besonders hervorheben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich bin damit einverstanden, dass nun zusammengefügt wird, was zusammengehört! – Weitere Zurufe von der SPD)

Der Bundesfinanzminister hieß damals übrigens Peer Steinbrück und ist heute Spitzenkandidat – Kanzler wird er ja wohl nicht werden.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

Insofern war es dann auch wenig überraschend, dass dieser Peer Steinbrück sich verplappert und Steuersenkungen in Aussicht stellt, kaum ist die SPD mit ihrer Kampagne zu mehr Steuerehrlichkeit an den Tag gerückt.

(Unruhe)

Peer Steinbrück ist dann, genauso wie Herr Gabriel, schnell zurückgerudert und hat deutlich gemacht, dass es zunächst um Steuerehrlichkeit geht und dann irgendwann vielleicht auch um Steuersenkungen. Klar ist doch: Das war ein Versuchsballon der SPD. Wahlkampfstrategen haben das überlegt, um die öffentliche Meinung zu testen.

Deshalb ist die Kampagne der SPD, sosehr ich sie inhaltlich natürlich teile und für richtig halte, eben nur ein Teil der Lösung der Probleme, die wir im Steuersystem haben. Die SPD, Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat es angekündigt, will das Thema Steuerehrlichkeit im Wahlkampf ganz nach vorne stellen. Das ist zwar schön, nur nutzt es nichts, mehr Steuerehrlichkeit zu fordern, wenn man ein Steuersystem hat, in dem Vermögende keine Vermögensteuer zahlen und Konzerne, nachdem sie sich legal arm gerechnet haben, historisch niedrige Steuersätze zahlen.

(Beifall bei der LINKEN – Unruhe)

Steuerehrlichkeit und Steuergerechtigkeit gehören zusammen. Es sind zwei Seiten einer Medaille.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist eigentlich selbstverständlich, dass die geltenden Steuersätze eingehalten werden. Ich sehe ein, Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat darauf hingewiesen, in Hessen ist es auch selbstverständlich, dass erfolgreiche Steuerfahnder für verrückt erklärt werden. Wenn Steuerehrlichkeit keine Selbstverständlichkeit ist, da hat die SPD recht, dann muss man darüber nachdenken, wie man das ändern kann.

(Anhaltende Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich um Aufmerksamkeit. Wer Gespräche zu führen hat, möge sie bitte draußen führen. Wer nicht mehr kommen möchte, bleibe weg. Aber bitte führen Sie die Gespräche nicht hier im Saal.

(Zuruf von der SPD: Heute ist es langweilig! Die al- te Leier!)

Jeder Kollege kann hier vortragen, was er will. Jeder kann seine Empfindungen ausleben, so wie er will. Es gehört jedoch zur Fairness, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Aussagen in einem vernünftigen akustischen Rahmen vorzutragen, nur darum bitte ich.

Danke, Herr Präsident. – Wir haben in Deutschland historisch niedrige Steuersätze auf hohe Einkommen, Konzerngewinne und große Erbschaften. Ich frage mich schon, wie weit wir eigentlich gekommen sind, wenn es die SPD schon als eine große Forderung ansieht, die Steuergesetze einfach nur konsequent durchsetzen zu wollen. Andererseits muss man in einem Land, in dem der Verkehrsminister Warnschilder für Radaranlagen aufstellen lässt, Ähnliches für den Finanzminister befürchten.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum die SPD im Wahlkampf Unterschriften für die konsequente Durchsetzung der bereits geltenden Steuergesetze sammelt, aber nicht für eine Vermögensteuer und einen höheren Spitzensteuersatz eintritt, das bleibt rätselhaft. Die Andeutung, dass im Saarland höhere Spitzensteu

ersätze gefordert werden als von der SPD in Hessen, halte ich natürlich nicht für eine Entschuldigung.

Ich halte die Vermögensteuer in Hessen mittlerweile für verfassungsmäßig geboten. In der Hessischen Verfassung ist die Umverteilung zwischen Arm und Reich direkt vorgesehen. Es gibt schon einen Grund dafür, warum die Liberalen die Verfassung bei ihrer Verabschiedung nicht mit beschlossen haben. Art. 38 sagt Folgendes:

… Zu diesem Zweck hat das Gesetz die Maßnahmen anzuordnen, die erforderlich sind, um die Erzeugung, Herstellung und Verteilung sinnvoll zu lenken und jedermann einen gerechten Anteil an dem wirtschaftlichen Ergebnis aller Arbeit zu sichern und ihn vor Ausbeutung zu schützen. …

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann nichts anderes heißen, als dass der Staat die Aufgabe hat, die Unterschiede von Vermögen und Einkommen zu begrenzen. Was das Vermögen angeht, sehen wir eine zunehmende Spaltung in dieser Gesellschaft.

Davon ist im SPD-Wahlkampf keine Rede. Sie haben Angst, die Ankündigung von Steuererhöhungen für Reiche könnte Sie Wählerstimmen kosten. Dabei ist doch völlig klar, dass wir für die Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat, deutlich höhere Einnahmen brauchen.

Wir haben das in unserem Antrag noch einmal sehr deutlich gemacht und nach vorne gestellt. Für uns müssen die Einnahmen des Staates an dem orientiert werden, was die Menschen an öffentlichen Leistungen benötigen. Insbesondere für die Kommunen müssen hier dringend Mittel des Landes zur Verfügung gestellt werden.

Der Staatsgerichtshof hat dankenswerterweise vorgegeben, das zu ändern, allerdings läuft die Frist bis Ende 2015. Ich denke, die Kommunen können so lange nicht warten. Wer nicht will, dass in Kassel Schwimmbäder geschlossen und landauf, landab Kitagebühren erhöht werden, der muss sich eben auch für eine ordentliche Finanzausstattung der Kommunen einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür sollte die Landesregierung die KFA-Kürzung zurücknehmen. Statt eines sogenannten Schutzschirms, der nichts anderes als ein Sozialkürzungsprogramm ist, brauchen die Kommunen eine ordentliche Finanzausstattung, und zwar sofort.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn die Forderung der SPD nach mehr Steuerehrlichkeit noch etwas dazu beiträgt, unser Gemeinwesen ordentlich zu finanzieren, werden wir das unterstützen. Wir werden also dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Besonders gern stimmen wir dem auch zu,

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

weil wir uns freuen, dass die SPD unsere Forderung, mehr Steuerfahnder und Betriebsprüfer einzustellen, übernommen hat. In den Haushaltsberatungen haben Sie sich bei unserem Antrag, weitere 100 Steuerfahnder und Betriebsprüfer einzustellen, noch enthalten, siehe Drucks. 18/6587.

Eines kann ich Ihnen aber auch versprechen: Ich sehe es anders als Franz Müntefering. Ich finde es keineswegs unfair, die SPD an ihren Wahlversprechen zu messen. Genau das werden wir nach dem 22. September 2013 tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD): Das können Sie dann auch!)

Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Nächste Wortmeldung vom Kollegen Noll, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, verehrter Herr Kollege Rudolph, ich kann Ihre Temperaturempfindungen schon verstehen – wenn man in den Keller fährt, bekommt man kalte Füße; das ist leider so. Aus diesem Grunde mag es an etwas anderem liegen.