Protocol of the Session on May 23, 2013

Mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors steigt das Armutsrisiko für breite Schichten der Bevölkerung. Niedrige Einkommen bedeuten auch niedrige Renten. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die zunehmenden prekären Arbeitsverhältnisse werden zu einer explodierenden Altersarmut führen.

Die Gewerkschaften setzen sich seit Jahren für einen gesetzlichen Mindestlohn ein; denn der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttoinlandsprodukt sinkt in Deutschland so dramatisch wie in keinem anderen Industrieland. Während die Lohnstückkosten im EU-Durchschnitt seit Einführung des Euro um 22 % gestiegen sind, sind sie in Deutschland gerade einmal um 7 % angestiegen.

Für diese Stagnation der Löhne und das Anwachsen des Niedriglohnsektors gibt es viele Gründe. Der DGB Hessen nennt an erster Stelle die „arbeitsmarktpolitische[n] Weichenstellungen der jüngsten Vergangenheit, insbesondere … die Hartz-Gesetzgebung“, also die Liberalisierung der Leiharbeit durch Hartz I, die Einführung der Minijobs durch Hartz II und natürlich Hartz IV und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln.

Der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder hat wörtlich erklärt: „Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen“. Den haben wir jetzt. Der ist politisch so gewollt gewesen, und er ist ganz bewusst durch gesetzliche Regelungen gefördert worden.

Dass der Mindestlohn heute überhaupt notwendig ist, hängt natürlich damit zusammen, dass die Liberalisierung des Arbeitsmarkts die Kampfkraft der Gewerkschaften geschwächt hat und damit die Tarifverträge geschwächt wurden. Auch das muss immer wieder gesagt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun ist es so, dass Hessen keinen allgemein verbindlichen gesetzlichen Mindestlohn festlegen kann. Das geht nur auf Bundesebene. Dort blockieren derzeit CDU und FDP ein Vorankommen beim gesetzlichen Mindestlohn. Das heißt aber nicht, dass man in Hessen gar nichts tun kann. Das Land hat die Möglichkeit, innerhalb seines Einflussbereichs Mindestlöhne festzusetzen, beispielsweise im öffentlichen Dienst und bei öffentlichen Unternehmen. Auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hat das Land eine Verantwortung. Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen, dürfen durch öffentliche Aufträge nicht auch noch belohnt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist der Kern unseres Gesetzentwurfs. Er ist die zweitbeste Lösung. Die beste Lösung wäre ein gesetzlicher Mindestlohn. Aber unser Gesetzentwurf versucht, in allen Bereichen, wo das Land direkt Einfluss nehmen kann, also bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, bei öffentlichen Unternehmen, und wo das Land selbst Arbeitgeber ist, dafür zu sorgen, dass ein Mindestlohn garantiert ist.

Unser Gesetzentwurf – Herr Decker, deshalb war ich etwas überrascht über Ihre harsche Kritik – orientiert sich an einer Regelung in Bremen, wo der rot-grüne Senat eine solche Regelung eingeführt hat.

(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Decker (SPD): Abgeschrieben!)

Wenn Sie das für stümperhaft halten, was Ihre Kollegen in Bremen machen, bitte schön.

Ich fand es eine interessante Initiative, wie die Bremer das gemacht haben. Es ist sinnvoll, genau zu schauen – das ist nicht abschreiben –, was vielleicht in anderen Bundesländern vernünftig läuft, und sich daran zu orientieren, was man davon in Hessen umsetzen kann. Ich fand die Regelung in Bremen sehr sinnvoll. Deswegen, haben wir überlegt, könnte man die in Hessen übernehmen.

Uns ist natürlich sehr bewusst, dass dieses Gesetz vielen Beschäftigten in der privaten Wirtschaft erst einmal überhaupt nicht hilft. Das ist vollkommen klar, weil sie davon nicht erfasst werden. Denen hilft nur ein bundesweit einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn.

Meine Damen und Herren, ein Mindestlohn muss so hoch sein, dass er zum Leben reicht. Deshalb fordern wir einen Mindestlohn von 10 € in der Stunde. Ich sehe auch nicht, dass es hier einen Überbietungswettbewerb gibt. 10 € die Stunde macht bei einer 40-Stunden-Woche gerade einmal 1.600 € brutto aus. Wer das für zu viel hält, der muss aufhören – das an die Adresse der FDP –, den Menschen zu erzählen, dass sich Leistung wieder lohnen muss.

Ich denke, dass Arbeit vernünftig entlohnt werden muss. Deshalb sind 1.600 € brutto für eine Vollzeitstelle das Mindeste, was Menschen verdienen müssen, um nicht in absoluter Armut zu leben.

Meine Damen und Herren, wir brauchen gute Löhne. Wir brauchen in erster Linie höhere Tariflöhne. Wir brauchen

starke Gewerkschaften, aber wir brauchen auch einen Mindestlohn, damit dem Lohndumping endlich Einhalt geboten wird.

Deshalb bitte ich Sie im Interesse der Beschäftigten in diesem Land, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich denke, dass sich die Regelung in Bremen bewährt hat. Ich hoffe, dass es bald auf Bundesebene die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gibt. Aber bis dahin müssen wir nicht nichts tun, sondern wir können die Regelungen schaffen, die das Land heute schaffen kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Klose von den GRÜNEN, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach einem Jahr kommt heute der Gesetzentwurf der LINKEN für ein Landesmindestlohngesetz zurück ins Plenum, und zwar leider – ich finde, das muss man an dieser Stelle auch sagen – ohne dass der Landtag die Chance hatte, sein Wissen über Sinn oder Nicht-Sinn eines solchen Gesetzes durch eine Anhörung, wie sie sonst bei jedem Gesetzentwurf üblich ist, zu erweitern. CDU und FDP haben nämlich im Ausschuss mit ihrer Mehrheit verhindert, dass es überhaupt zu einer Anhörung kommt.

Das ist höchst bedauerlich, denn Politik lebt vom Dialog. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man sich dem verweigert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben immerhin in Gestalt Ihres parlamentarischen Geschäftsführers, Herrn Bellino, erst vor wenigen Wochen Folgendes erklärt – Herr Bellino, ich darf Sie zitieren –:

Die Volksvertreter sind bei der Erarbeitung von Initiativen, insbesondere Gesetzen, gut beraten, auch die Argumente der Interessenvertreter – der sogenannten Lobbyisten – zu hören.

Herr Bellino, ich stimme diesem Satz ausdrücklich zu. Aber das gilt dann eben nicht nur für Gesetze, die Sie einbringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Immer dann sind die prima!)

Politik trifft Entscheidungen durch das Abwägen von Argumenten, jedenfalls machen wir das so. Deshalb sollten wir uns alle miteinander nicht weigern, klüger zu werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. So weit musste das zum Verfahren vorausgeschickt werden.

Nun kurz zum Gesetz selbst. Das Mindestlohngesetz, das DIE LINKE vorgelegt hat, wäre – das wissen Sie selbst und haben Sie eben noch einmal gesagt – leider nur sehr begrenzt wirksam. Was wir in Deutschland endlich brauchen, ist ein echter, ein allgemein verbindlicher bundesweiter Mindestlohn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Wir brauchen diesen Mindestlohn, und wir brauchen endlich auch mehr wirksame Kontrollen. Im vergangenen Jahr wurden allein im Bauhaupt- und Baunebengewerbe sage und schreibe 1.690 Ermittlungsverfahren wegen Nichtgewährung des Mindestlohns eingeleitet, wie die Bundesregierung kürzlich auf Anfrage unserer Bundestagsfraktion erklärt hat. Diese Zahl stieg in den letzten Jahren stetig an.

Das belegt das Problem, und es zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist. 1,3 Millionen Menschen sind trotz Erwerbstätigkeit auf das Arbeitslosengeld II angewiesen. Ein Viertel von ihnen arbeitet sogar Vollzeit und braucht trotzdem diese Aufstockung. Armut trotz Arbeit – und das in einem der reichsten Länder der Welt. Wir finden das beschämend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wenn gleichzeitig der Niedriglohnsektor in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren so dramatisch angewachsen ist, dass wir in Europa an der unrühmlichen Spitze stehen, dann tut das sein Übriges. Deshalb wollen wir GRÜNE einen generellen Mindestlohn von 8,50 €. Wir wollen einen Mindestlohn, der jährlich angepasst wird, und zwar wie in Großbritannien von einer Kommission aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft. Wir haben das auch in unserem hessischen Tariftreue- und Vergabegesetz fixiert.

Nachdem die Bundes-CDU ganz zaghafte Schritte in diese Richtung unternimmt – es darf aber bloß nicht Mindestlohn heißen –, bewegt sich plötzlich in den letzten Wochen auf Geheiß von Philipp Rösler die FDP mit kleinen Trippelschrittchen. Ich bin jetzt schon sehr gespannt, was uns der Herr Rock zum Verhalten der hessischen FDP erzählen wird, ob sie nämlich ihrem Bundesvorsitzenden folgt, der Folgendes dazu gesagt hat: „Die Liberalen sollten den Blick auf die Lebenswirklichkeit werfen“

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist nie zu spät!)

so sein Satz zum Mindestlohn –, oder ob sie Herrn Rentsch folgt, von dem ein anderes Zitat zum Mindestlohn überliefert ist. Auch das muss ich zitieren. Herr Präsident, ich entschuldige mich vorher.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat nämlich gesagt: Der Mindestlohn ist Schwachsinn. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Klose. – Ich rufe Herrn Kollegen Dr. Bartelt für die Fraktion der CDU auf.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum wiederholten Male stellt eine Oppositionsfraktion einen Antrag zum Thema Mindestlohn, obgleich die Landesgesetzgebung überhaupt nicht zuständig ist. Aber das ist ja das gemeinsame Thema der drei Oppositionsfraktionen, wobei Sie bedenken sollten, dass der Spitzenmann der Opposition in Berlin, Herr Steinbrück, beim Thema Min

destlohn in erster Linie an Mindestlöhne für Bundeskanzler und Bundesminister denken würde.

(Holger Bellino (CDU): Hört, hört, hört!)

Aber das Thema zieht nicht mehr. Ich begründe das gleich. Deshalb stellt DIE LINKE einen so verkrampften Antrag,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Sogar einen Gesetzentwurf!)

dass selbst ihre Bündnispartner SPD und GRÜNE im Ausschuss nicht zustimmen konnten. Aus dem Antragstext, in dem Sie 10 € Mindestlohn für Angestellte im Land, in den Kommunen, bei den Zuschussempfängern und den öffentlichen Auftragnehmern fordern, nur ein Zitat:

Es können Mehrkosten entstehen unter anderem durch höhere Lohnausgaben und durch die Kontrolle der Einhaltung des Gesetzes. Diese sind nicht genauer zu beziffern. Im Allgemeinen trägt ein Mindestlohn zur Entlastung der öffentlichen Haushalte bei.

Ich glaube, damit kommentieren Sie Ihren Antrag ausreichend. Deshalb lohnt die Beschäftigung mit Ihrem Antrag jetzt nicht weiter.

Warum geht Ihnen das Thema Mindestlohn verloren? – Meine Damen und Herren, die Menschen sehen, dass unter der Bundeskanzlerin Merkel für vier Millionen Arbeitnehmer branchenbezogene Mindestlöhne eingeführt worden sind. Sie gelten für elf Branchen: