Protocol of the Session on April 25, 2013

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Blechschmidt hat das sehr besonnen gemacht. Das will ich ausdrücklich loben. Aber ich glaube nicht, dass das der richtige Anlass ist. Ich glaube, wenn man die Reflexe nach diesem furchtbaren Bombenanschlag sieht, auf die ich gleich noch eingehen werde, lohnt es sich in der Tat, vertieft darüber zu diskutieren und die Frage zu stellen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wir sollten uns die Freiheit wegen solch furchtbarer Ereignisse nicht einschränken lassen und gleich reflexhaft nach neuen Sicherheitsvorkehrungen rufen. Das sollten wir in der Tat nicht tun. Aber ich glaube nicht, dass die Aktuelle Stunde dafür geeignet ist. Herr Kollege Blechschmidt, sie ist dafür einfach zu kurz.

Ich bin etwas verwundert, dass die FDP in Hessen dieses Thema anspricht. Aus meiner Sicht kann das nur so sein: Die restlichen Mitglieder des Hauses sehen es so wie Sie, die Abgeordneten der FDP, dass man besonnen reagieren sollte. Insofern verstehen wir das als ein Stück weit Warnung in Richtung des Koalitionspartners CDU. Denn es waren in den letzten Wochen nur die Mitglieder der CDU und der CSU, die sich bei dieser Debatte sehr unsäglich verhalten haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Herr Bauer, ich will das einmal sagen: Es waren Bundesminister Friedrich, CSU, und der Vorsitzende des Innenausschusses, Bosbach, CDU, die in der Tat versucht haben, dieses schreckliche Ereignis politisch zu nutzen und Ängs

te zu schüren. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat in der letzten Woche vor einer Verharmlosung der terroristischen Gefahr gewarnt. Ich zitiere:

Unsere freie westliche Welt ist in Gefahr, da hilft es nicht, zu verharmlosen …

(Holger Bellino (CDU): Das ist doch richtig!)

Herr Bellino, das hat meines Erachtens niemand getan. Er forderte mehr Videoüberwachung in Deutschland. Das ist genau die falsche Reaktion auf ein solch schlimmes Ereignis.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Verhalten des Bundesinnenministers ist in der Sache nicht hilfreich. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Es verunsichert die Menschen dieses Landes. Meines Erachtens ignoriert es auch, dass die Videoüberwachung heute schon an gefährlichen Plätzen möglich ist. Gerade bei solchen großen sportlichen Ereignissen wie einem Marathon ist es in Deutschland möglich, dass am Start und am Ziel per Video überwacht wird. Das wird auch gemacht. Wie Herr Kollege Frömmrich schon gesagt hat, hilft es leider nicht, ein solch furchtbares Ereignis zu verhindern. Aber es hilft bei der Aufklärung. So war es auch in Boston.

Aber es gibt überhaupt keine Veranlassung, mehr Videoüberwachung zu fordern. Denn es gibt sie bereits. Sie wird auch gut eingesetzt. Ich glaube, da gibt es nichts zu kritisieren.

Ich bin schon überrascht, wie die Debatte in der letzten Woche geführt wurde. Denn es sind dem Bundesinnenminister, Gott sei Dank, eine Reihe an Menschen aus der Gesellschaft entgegengetreten, was ich sehr gut fand. Unter anderem hat Ihre Bundesjustizministerin von der FDP mehr Besonnenheit eingefordert.

Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Voßkuhle, hat mehr Besonnenheit in der Debatte gefordert. Er hat noch hinzugefügt, dass man seiner Ansicht nach in Deutschland die Herausforderungen, die es nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 gegeben hat, insgesamt sehr überzeugend bewältigt habe. Die Aufarbeitung in diesem Land sei weniger hysterisch als in manch anderen Ländern erfolgt. Auch seien die Bürger bis heute erstaunlich gelassen geblieben.

Das hat Herr Voßkuhle ausdrücklich betont. Ich glaube, das ist in unserer Gesellschaft ein hoher Wert. Da sollte nichts durch eine seltsame Diskussion verschoben werden.

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hat gewarnt. Er hat gesagt:

„Ich warne vor solchen reflexhaften Forderungen.“ Es komme auf die Verhältnismäßigkeit der Sicherheitsmaßnahmen an. Außerdem dürfe der Wert von Videoaufzeichnungen auch nicht überschätzt werden.

Ich finde es schon erstaunlich, dass Bundesinnenminister Friedrich auf all diese besonnenen Reaktionen im Hinblick auf den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Voßkuhle, mit der Bemerkung reagiert – ich zitiere –:

Wenn Verfassungsrichter Politik machen wollen, mögen sie bitte für den Deutschen Bundestag kandidieren.

Das ist nicht nur eine Ausnutzung der furchtbaren Situation gewesen. Er hat diejenigen, die in der Debatte besonnen reagiert haben, auf diese Art übel kritisiert. Da hat der Bundesinnenminister seinen Job verfehlt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Mitglieder der SPD wollen keine totale Kontrolle der öffentlichen Räume. Es kann sinnvoll sein, Videoaufnahmen an kritischen und potenziell gefährlichen Orten zuzulassen, bei denen die Gefahr von Anschlägen besteht. Das deckt sich unserer Auffassung nach mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – das ist auch die Auffassung der FDP –, das die Videoüberwachung an gefährlichen Orten zulässt.

Dem entspricht auch, dass die Ordnungsbehörden in Hessen befugt sind, Kriminalitäts- und Gefahrenschwerpunkte im öffentlichen Raum per Videotechnik zu überwachen. Das wird gut gemacht.

Ich war vor Kurzem in Limburg in einer Polizeistation. Da waren die Bilder, z. B. vom Bahnhofsvorplatz oder von einer Unterführung im öffentlichen Raum, sofort aufgeschaltet.

(Alexander Bauer (CDU): Wie viele Bahnhöfe sind das denn?)

Frau Kollegin Faeser, Sie müssen Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, das mache ich. – Das ist sicherlich eine sinnvolle Sache. Es gibt keinen Grund, ein solch furchtbares Ereignis so auszunutzen, wie es gemacht wurde.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich einen Hinweis an die Mitglieder der FDP geben. Ich hätte mir gewünscht, dass das liberale Gedankengut, das heute hier angesprochen wurde, auch in den letzten Jahren vorhanden gewesen wäre. Wo war es denn während der Debatte über die Stärkung der Kontrollrechte des Verfassungsschutzes? Wo war es denn, als es um Regelungen im HSOG ging? Wo war es denn, als es um die Absenkung der Quoren beim Volksentscheid und beim Bürgerbegehren ging?

Hessen braucht mehr liberales Gedankengut. Das gilt gerade für die Sicherheitspolitik. Das geht aber nur mit RotGrün und nicht mit Schwarz-Gelb.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Faeser, vielen Dank. – Das Wort erhält nun Herr Abg. Hermann Schaus für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Anschlag in Boston war furchtbar. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten den Toten, den Verletzten, ihren Angehörigen und den Bewohnern einer verunsicherten Stadt. Denn in ei

ner völlig friedlichen Situation wurde Unschuldigen furchtbares Leid zugefügt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wer die Bilder gesehen hat und sie sich erneut vor Augen führt, bleibt fassungslos zurück. Alle Erklärungen, wer, was, warum zu so etwas fähig ist, bleiben letztendlich Stückwerk. Solches Unrecht ist letztendlich durch nichts erklärbar und durch nichts zu rechtfertigen.

Die FDP will mit ihrer Aktuellen Stunde – Herr Dr. Blechschmidt, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten ein anderes Thema gewählt – offensichtlich etwas verhindern, was ich dennoch in Zweifel ziehe. Ich habe den Eindruck, Sie versuchen, mit dem Verweis auf diesen Anschlag in Boston in dieser Aktuellen Stunde eine innenpolitische Debatte herbeizuführen, um sich für den anstehenden Wahlkampf von der CDU abzugrenzen. Ich bin mir ziemlich sicher – auf Herrn Bellino ist Verlass, er wird nach mir reden –, dass wir diese Unterschiede gleich hören.

(Holger Bellino (CDU): Es tut mir leid, dass ich Sie da enttäuschen muss!)

Aus hessischer Sicht ist ein solches Vorgehen aber eine groteske Verrenkung. Denn CDU und FDP haben in Hessen bislang völlig einmütig die Sicherheitsgesetze immer nur verschärft, während sämtliche Forderungen nach mehr Bürger- und Freiheitsrechten von beiden Fraktionen einhellig immer wieder zurückgewiesen wurden. Wir haben in Hessen das schärfste Polizeirecht, das reaktionärste Kontrollrecht – und gegen die Ausweitung der Videoüberwachung in Hessen hatte die FDP noch nie etwas einzuwenden.

Jetzt kommt die Zustimmung zur Ausforschung der Bestandsdaten. Die hessische FDP ist sogar ihrer eigenen Ministerin in Berlin regelmäßig in den Rücken gefallen, wenn es um die Vorratsdatenspeicherung ging. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Ihnen das Wort „Bürgerrecht“ oder der Name einer Menschenrechtsorganisation jemals über die Lippen gekommen ist.

Meine Herren von der FDP, was wir vorgeführt bekommen, ist also ein doppeltes Spiel – und das bezeichne ich als „scheinheilig“.

Wie am Sonntag in einem Kommentar des Westdeutschen Rundfunks nach den Anschlägen richtig gesagt wurde, finden derartige Gewaltakte weltweit täglich statt: in Syrien, im Irak, in Afghanistan – und auch im Kaukasus, aus dem die vermutlichen Täter stammen. Aber Boston – so der Kommentar – ist uns näher, weil es unser Kulturkreis ist und weil wir uns selbst mit betroffen und mit bedroht fühlen. Deshalb beherrscht nur das eine über die Tage die Medien, während über andere Anschläge mit nicht weniger schlimmem Leid überhaupt nicht berichtet wird.

Ich warne aber davor, eine Situation maximaler medialer Aufgeregtheit politisch zu nutzen, um mit schnellen Lösungen daherzukommen. Auch der Ausbau der USA zu einer Festung kann dieses Land nicht vor Anschlägen bewahren. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit vor Anschlägen, weder in den USA noch bei uns. Der immer gleiche Ruf nach mehr Überwachung, Kontrolle und Technikeinsatz wird uns das Problem des Terrorismus nicht vom Halse schaffen können. Die Sicherheitsgesetze mit all ihren gravierenden Einschränkungen dürfen nicht zum Normalzustand einer Demokratie werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Folgendes zum Abschluss sagen: So lange wir von einem System aus Rüstung, Krieg und Unrecht profitieren – wir Deutsche –, so lange werden wir uns mit noch so hohen Mauern und noch so vielen Kameras nicht vor deren Folgen schützen können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Kollege Schaus. – Das Wort hat der Kollege Alexander Bauer, CDU-Fraktion, Bergstraße.

(Holger Bellino (CDU), an Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) gewandt: Tut mir leid!)

Hochverehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was während des Boston-Marathons geschah, ist schrecklich. Es ist in der Tat eine Tragödie. Auch wir trauern um die unschuldigen Opfer, und unser Mitgefühl gilt allen Angehörigen.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Dieser feige Anschlag in Boston hat uns allen wieder vor Augen geführt, mit welchem Gefahrenpotenzial wir in unserer westlichen Gesellschaft leben und jederzeit zu rechnen haben. In der Tat gibt es keine absolute Sicherheit.

Dieser Anschlag wurde leider nicht verhindert, auch nicht durch die vorhandenen Videokameras. Aber er wurde durch Videoaufnahmen aufgeklärt. Die Täter wurden durch Zuhilfenahme von Videoaufnahmen ausfindig gemacht. Die Bilder lieferten wichtige Ermittlungsansätze.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Da sind wir schon beim Thema!)