Das werfe ich Ihnen vor. Damit ist für uns klar: Ihnen geht es nicht darum, eine Debatte über die Verkehrssicherheit anzuzetteln, sondern Sie wollen eine Debatte anzetteln, in der Sie sich mit den GRÜNEN in Fundamentalpositionen um ein Tempolimit von 120 km/h streiten können und in der Sie ansonsten kritiklos die Landesregierung einfach loben, darüber hinaus aber keine weiterreichende Perspektiven aufzeigen.
Ich habe gefordert, und das ist mein gutes Recht als Parlamentarier, dass die Landesregierung – dafür ist sie da, dafür wird sie bezahlt – diese Herausforderung in punkto Verkehrssicherheit für die kommenden Jahre aufnimmt
Vielen Dank, Herr Kollege Frankenberger. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Müller von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDPFraktion, in Person Herr Müller, bezeichnet das Benennen der steigenden Zahl der Verkehrstoten als geschmacklose Instrumentalisierung der Opfer und ihrer Angehörigen.
Wir sind zur Landesregierung ein bisschen freundlicher und sagen: Die Landesregierung verhält sich so ignorant wie immer und blendet völlig aus, dass die Zahl der Verkehrstoten in den Jahren 2011 und 2012 gestiegen ist –
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU und der FDP)
im Jahr 2012 gegen den Bundestrend und gegen den Trend in der gesamten EU, wo die Zahl der Verkehrstoten um 9 % gesunken ist. Deswegen haben Sie in Ihrem Antrag nur die Zahlen von 2000 bis 2010 erwähnt. Ehrlicher wäre es gewesen, Sie hätten auch die restlichen Zahlen aufgenommen.
Ich behaupte auch nicht, dass man aus den Ergebnissen der beiden letzten Jahre einen Trend ablesen kann. Man kann aber sagen, dass man die Zahlen zum Anlass nehmen sollte, darüber nachzudenken, ob man beim Thema Verkehrssicherheit das Richtige tut, ob Technikgläubigkeit und Verkehrsleitsysteme allein die Zahl der Verkehrstoten vermindern können oder ob es nicht an der Zeit wäre, ein ambitioniertes Straßenverkehrssicherheitsprogramm aufzulegen. Davon ist bei Ihnen aber nichts zu erkennen.
Wir finden, es ist an der Zeit, dass insbesondere die FDP die Spur wechselt und sich ernsthaft mit dem Thema Verkehrssicherheit auseinandersetzt, ohne Geschwindigkeitsbegrenzungen reflexhaft zu verteufeln. Wie wir festgestellt haben, ist die CDU da anscheinend schon weiter. Wir haben uns darüber gefreut, dass die CDU gerade eine Kampagne zum Thema Verkehr durchführt, die im Netz verbreitet wird. Jeden Tag können wir da lesen: Wer hat es gemacht? – Die CDU hat es gemacht.
Es kommt noch besser. – Als Erstes wird auf das Jahr 1983 hingewiesen, in dem die erste Tempo-30-Zone eingeführt wurde, und zwar von CDU-Bürgermeister Uwe Hampe aus Buxtehude. Wir bekamen viel Gegenwind, heißt es
da, aber Hampe sollte Recht behalten, denn: „Die Unfallzahlen gehen fast um die Hälfte zurück, und die Buxtehuder Idee setzte sich durch.“
Dieses Dokument wurde von hessischen Abgeordneten, unter anderem von Herrn Tipi, gestern noch verbreitet. Diese Idee finde ich sehr schön. Deshalb plädieren wir in unserem Antrag für ein generelles Tempolimit von 130 km/h und hoffen, damit die CDU auf unsere Seite zu bekommen. Das könnten Sie ruhigen Gewissens unterstützen, einen entsprechenden Antrag im Bundesrat einbringen und später sogar sagen: „Wir haben es gemacht.“ Wir unterstützen Sie dabei gerne.
Sie haben dabei nicht nur die hessischen GRÜNEN an Ihrer Seite, sondern auch die Mehrheit der Bundesbürger würde Sie unterstützen. Nach einer Umfrage des Instituts für Marktforschung Leipzig aus dem Jahre 2007 begrüßt eine Mehrheit der Bundesbürger ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Dass ein generelles Tempolimit eine Placebopolitik von gestern sei, wiederlegen zum einen ganz einfache Regeln der Physik, zum anderen die Empirie.
Nehmen wir als Erstes die Physik. Ich verweise auf die Deutsche Hochschule der Polizei, die ebenfalls ein generelles Tempolimit in Deutschland fordert. Zur Untermauerung der Forderung hat die Deutsche Hochschule der Polizei eine Untersuchung zur Verkehrssicherheit auf deutschen Autobahnen gemacht. Gleich zu Beginn zitiert sie eine Berechnung zur tödlichen Wirkung des Zusammenpralls eines Pkw und eines erwachsenen Fußgängers. Es wurde festgestellt: Bereits ab 60 km/h ist der Zusammenprall für den Fußgänger absolut tödlich; bei 30 km/h ist er in 30 % der Fälle tödlich.
Die Empirie liefert gleich mehrere Erkenntnisse. Das Beispiel der schneebedeckten Fahrbahn zeigt eindeutig, dass die gefahrene Geschwindigkeit Einfluss auf die Zahl der Verkehrsunfälle, auf die Schwere der Verletzungen und die Zahl der Toten hat.
Zwischen November 1973 und März 1974 galt wegen der Ölkrise ein generelles Tempolimit auf Bundesautobahnen. Die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten sank um 50 %. Von 1984 bis 1987 galt auf einigen hessischen Autobahnen ein Tempolimit von 100 km/h. Hierdurch sank die Zahl der Toten und Schwerverletzten auf den betroffenen Abschnitten um 25 bis 50%.
Das sind Gründe genug, um über ein generelles Tempolimit nachzudenken. Das Argument, dass die meisten Unfalltoten auf Landstraßen zu beklagen seien, stimmt zwar, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, aber wenn man sich anschaut, dass Autobahnen und Bundesstraßen lediglich 10 % der Straßennetzlänge ausmachen, aber 50 % der Verkehrstoten auf diesen Straßen zu beklagen sind, dann kann man das nicht mehr so einfach behaupten.
Ich kann Ihnen das aber gerne noch in absoluten Zahlen veranschaulichen. Die Zahlen stammen ebenfalls von der Deutschen Hochschule der Polizei: Pro 1.000 Straßenkilometer gab es 2010 durchschnittlich 1.623 Verunglückte. Auf den Autobahnen waren es 2.287, auf Bundesstraßen 1.912, auf Landesstraßen 964 und auf Kreisstraßen 420 Verunfallte. Bei den Durchschnittszahlen ist das Verhältnis ähnlich. Die Zahlen erspare ich Ihnen.
Wir haben uns auch die hessischen Straßen angeschaut, die Länge des Straßennetzes und die jeweiligen prozentualen Anteile der Autobahnen, Bundesstraßen usw., und sind dabei zu den gleichen Ergebnissen gekommen. Hessen befindet sich da im Trend, und man kann durchaus sagen, dass die meisten Verkehrstoten auf den Autobahnen zu beklagen sind.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ul- rich Caspar (CDU): Sie müssen die Verkehrsbelastung mit einbeziehen!)
Eine weitere ganz interessante Zahl, wiederum von der Deutschen Hochschule der Polizei – wenn Sie die Veröffentlichung noch nicht gelesen haben, kann ich sie zur Lektüre sehr empfehlen –: Im Jahre 2010 wurden insgesamt 430 Menschen bei Unfällen auf Autobahnen getötet. Davon starben 284 auf Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung, 18 in Abschnitten mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h, 63 in Abschnitten mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h und 42 in Abschnitten mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h. Alles spricht also für unseren Vorschlag einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h.
Aus all diesen Zahlen zieht der Polizeirat Lothar Sandkühler zu der Frage, ob die Einführung eines generellen Tempolimits ein Sicherheitsgewinn wäre, das Fazit, dass durch ein generelles Tempolimit die Verkehrssicherheit steigt, die Verletzungsschwere sinkt, der Verkehrsfluss weiter verbessert wird und die Staugefahr sinkt. – Das wäre also eine kostengünstige Möglichkeit, die Projekte „Staufreies Hessen“ und „Null Verkehrstote“ Wirklichkeit werden zu lassen, wenn Sie sich dazu bequemten.
Hinzu kommt, dass bei einem generellen Tempolimit die demografische Entwicklung berücksichtigt würde. Es wurde vorhin schon erwähnt, dass die meisten Verunglückten ab einem Alter von 60 Jahren zu beklagen sind. Durch eine geringere Geschwindigkeit nehmen die subjektive Sicherheit zu und die Aggressivität ab.
Nehmen wir also die aktuellen Zahlen zum Anlass, mehr für die Verkehrssicherheit zu tun. All das ist kein Selbstläufer und nicht allein mit Verkehrssteuerungen zu lösen. Vermeidbare Todesfälle dürfen nicht toleriert werden. Es wird also Zeit, dass sich Hessen zum strategischen Ziel „Null Verkehrstote und Schwerverletzte“ bekennt, entsprechende Maßnahmen ergreift und Ziele formuliert.
Ein effektiver und kostengünstiger Baustein hierfür – ich glaube, ich habe es deutlich genug dargelegt – ist eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Ein weiterer Baustein ist, immer auch die besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmer in den Blick zu nehmen, nämlich Fußgänger, Motorradfahrer
Vorschläge dafür gibt es genug. Es gibt Masterpläne en masse. Die EU hat Pläne vorgelegt. In anderen Ländern, wie Schweden, wird das Ziel bereits verfolgt und umgesetzt. Klare Strategien sind zu erkennen. In Deutschland wurde das leider noch nicht übernommen. Hessen könnte hier Vorreiter werden. Andere Bundesländer machen es vor.
Wir unterstützen Fahrerassistenzsysteme, aber es könnten z. B. auch ökonomische Anreize über die Kfz-Steuer gesetzt werden. Es gibt viele Möglichkeiten. Wir brauchen in Hessen endlich eine Gesamtstrategie, um den Straßenverkehr so sicher zu machen, dass keine Menschen mehr zu Tode kommen oder schwer verletzt werden.
Ich weiß, dass Ziele nicht Ihr Ding sind. Sie könnten aber bei der Verkehrssicherheit einmal damit anfangen, sonst haben Sie, genau wie bei den erneuerbaren Energien, bei der Windkraft oder beim Mobilitätsindex, die rote Laterne. Setzen Sie sich also für das letzte Jahr endlich einmal Ziele, und legen Sie einen Masterplan „Null Verkehrstote“ auf. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Als nächster Redner hat sich Kollege Caspar von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege.
(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gegenruf des Ministers Florian Rentsch: Ach Tarek, was ist aus dir geworden?)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auf einer Durchgangsstraße mit einer hohen Verkehrsbelastung ist eine Fahrradfahrerin, 33 Jahre alt, unterwegs. Sie fährt in der falschen Verkehrsrichtung. Ein Autofahrer biegt aus einer Seitenstraße ein, und es kommt zu einem Unfall. Die 33-Jährige kann noch ins Krankenhaus gebracht werden; doch dort verstirbt sie. Sie hinterlässt einen Ehemann und eine vierjährige Tochter. Die Tochter wird sich später kaum noch an ihre Mutter erinnern können. Sie wird ihr Leben lang unter einem Trauma zu leiden haben.
Ich schildere einen zweiten Fall: Ein 19-jähriger junger Mann fährt in der kalten Jahreszeit abends auf einer Landstraße. An einer Stelle ist es glatt. Er gerät auf die andere Fahrbahn, kollidiert mit einem anderen Fahrzeug und stirbt noch an der Unfallstelle. Die Eltern tragen ihn zu Grabe.