Protocol of the Session on March 20, 2013

Die Redner von der Regierungskoalition haben auch nicht erwähnt, dass es gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund auf dem Ausbildungsmarkt ganz besonders schwer haben. Bei der dualen Übergangsquote klafft noch immer eine große Lücke zwischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Es muss doch Aufgabe dieser Landesregierung sein, diese Lücke zu schließen und dafür zu sorgen, dass alle Jugendlichen die gleichen Chancen haben und Jugendliche mit

Migrationshintergrund nicht in dieser Form diskriminiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

In Hessen befinden sich besonders viele Jugendliche im Übergangsbereich, also in berufsvorbereitenden Maßnahmen, deren Arbeitsmarktchancen vergleichsweise schlecht sind; der Kollege Schäfer-Gümbel hat es bereits angesprochen.

Laut Wirtschaftsministerium mussten sich in Hessen „vergleichsweise viele Bewerber eine Alternative zur gewünschten Berufsausbildung suchen“ – und das, obwohl der Anteil der öffentlich geförderten Unterstützung in Hessen besonders hoch ist. Das zeigt natürlich auch die Schwäche der Programme, die es im Moment gibt.

Natürlich hatte das duale System immer eine staatliche Komponente; denn die Bildung in den Berufsschulen war selbstverständlich immer aus Steuergeldern finanziert. Aber weil die Unternehmen eben ihrem Teil der Aufgabe nicht nachkommen, ist darüber hinaus ein Wirrwarr von Ersatzangeboten entstanden, die von den Arbeitsagenturen, den Kommunen, dem Land und dem Bund finanziert und organisiert werden.

Es liegt in der Natur der Sache, dass niemand mehr einen genauen Überblick über diese Programme hat. Es wird geschätzt, dass bundesweit ungefähr 4,5 Milliarden € pro Jahr für diese Maßnahmen ausgegeben werden. Dennoch bleiben jedes Jahr 150.000 Jugendliche dauerhaft ohne Berufsabschluss und haben als Ungelernte geringe Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.

Ein Großteil der jungen Menschen, die eine vorbereitende Maßnahme durchlaufen, findet auch danach keinen Ausbildungsplatz. Deswegen will ich sagen: An der Stelle von einem Übergangssystem zu sprechen, ist eigentlich falsch; denn wir haben es hier nicht mit einem System zu tun, sondern vielmehr mit einem unsystematischen Durcheinander. Hier wird auch nicht der Übergang ins Berufsleben oder eine reguläre betriebliche Ausbildung sichergestellt; stattdessen werden in den Warteschleifen keine anerkannten Abschlüsse erworben, und die Arbeitsmarktchancen vieler Menschen, die diese Maßnahmen durchlaufen, bleiben schlecht.

Das Einzige, was passiert, ist, dass die Teilnehmer einige Schritte weiter in Richtung der sogenannten Ausbildungsreife gebracht werden sollen. Man muss einmal fragen, was eigentlich damit gemeint ist.

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Das Klagen über die fehlende Ausbildungsreife der heutigen Schulabgänger – das sage ich ganz ehrlich, Herr Lenders – halte ich in Teilen wirklich für ein Ablenkungsmanöver. Neu ist die ganze Debatte nämlich nicht. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat schon 1967 die mangelhaften Fertigkeiten der Azubis in Lesen, Schreiben und Mathematik für die Probleme bei der Ausbildung verantwortlich gemacht.

Fakt ist, dass wir eine rechnerische Lücke haben. Gemessen an den Bewerbern haben wir nicht genug Ausbildungsplätze im Angebot.

(Jürgen Lenders (FDP): Das stimmt doch nicht!)

Deswegen finde ich es einfach nicht in Ordnung, wenn die Unternehmen die Verantwortung für fehlende Ausbil

dungsplätze den Bewerben und den jungen Menschen zuschieben, statt selbst zu überlegen, welche Fehler sie bei der ganzen Sache begehen.

(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Lenders (FDP): Das stimmt nicht!)

In Hessen finden nur 42,4 % der Bewerber – auch das sind Zahlen des Wirtschaftsministeriums – einen ungeförderten Platz in der dualen Ausbildung. Das ist nicht einmal die Hälfte. 8 % finden dann noch einen Ausbildungsplatz, der gefördert ist. Deswegen muss man doch einmal die Frage stellen, was da schiefgeht, wenn nicht einmal die Hälfte der Bewerber einen Platz in der ungeförderten dualen Ausbildung findet. Da kann man sich nicht einfach hinstellen und sagen, die duale Ausbildung sei total erfolgreich, und noch der Opposition vorwerfen, sie wolle das zunichtemachen. – Werfen Sie das doch einmal den DAX-Konzernen vor: Diese machen doch die duale Ausbildung zunichte, indem sie einfach nicht ausreichend ausbilden.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss auch über die Frage der Qualität der Ausbildungen sprechen. Die DGB-Jugend hat eine umfassende Untersuchung dazu durchgeführt. Der Ausbildungsreport Hessen 2012 zeigt, dass die Qualität der Ausbildung in vielen Bereichen deutlich zu wünschen übrig lässt. Da werden Azubis häufig zu regulärer Arbeit herangezogen und als billige Arbeitskräfte missbraucht, anstatt dass ihnen etwas beigebracht wird. Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe sind Überstunden an der Tagesordnung, und die Vergütung reicht nur in ganz wenigen Berufsbildern für den Lebensunterhalt aus. In vielen Branchen liegt sie nicht wesentlich über einem Taschengeld. Es ist traurig, aber wahr, dass das wirtschaftsstarke Hessen bei der Ausbildungsvergütung das Schlusslicht unter den westdeutschen Bundesländern bildet.

Vor diesem Hintergrund besteht dringender Handlungsbedarf. Wir wollen es jungen Menschen ersparen, dass sie zum Teil jahrelang erfolglos Bewerbungen verschicken müssen und zum Schluss vielleicht das einzige Angebot annehmen, das sie überhaupt bekommen. Bei der Wahl einer Ausbildung geht es schließlich um eine Entscheidung für das Leben. In so eine Entscheidung sollte niemand aus dem Druck der Verhältnisse gezwungen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte in diesem Zusammenhang an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erinnern. Dieses hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass die Umsetzung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf freie Berufswahl erst dann erfüllt ist, wenn das Ausbildungsplatzangebot 12,5 % über der Zahl der Bewerber liegt. Erst dann kann man seinen Beruf wirklich frei wählen. Wenn das Verhältnis 1 : 1 ist, kann von einer freien Berufswahl überhaupt nicht die Rede sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Die DGB-Jugend hat sich deshalb lange Zeit für die Verankerung eines Grundrechtes auf Ausbildung im Grundgesetz eingesetzt. Das wäre formal eine Ausbildungsgarantie durch den Bund.

Vonseiten dieser Landesregierung erleben wir leider nur sehr wenig Initiative. Aus ihrer Sicht gibt es ja nie ein Problem, das haben die Redner hier noch einmal deutlich gemacht. Sie schauen sich die Statistiken zu dem Zeitpunkt

an, wenn die Bewerber in den Übergangsmaßnahmen geparkt worden sind und aus statistischer Sicht als versorgt gelten. Aber Sie schauen eben nur dabei zu, wie unter ganz erheblichem finanziellem Aufwand hier einfach nur dafür gesorgt wird, dass Menschen statistisch irgendwo geparkt werden, ohne dass sie eine Perspektive haben.

Der Vorschlag der SPD für eine Ausbildungsgarantie hat offensichtlich die Initiative der rot-grünen Landesregierung aus NRW zum Vorbild. Dort wurde das Projekt einer Ausbildungsgarantie vor drei Jahren aus der Taufe gehoben. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Schneider hat erklärt, dass sich die Landesregierung an der Ausbildungsgarantie messen lassen will.

In NRW hat das Projekt Ausbildungsgarantie bisher nicht alle Hoffnungen erfüllt. Das haben auch die Gewerkschaften kritisiert. Auf Nachfrage des „Deutschlandradios“ rückte das Arbeits- und Sozialministerium in Düsseldorf von dem Begriff ab und erklärte, es handle sich nicht um eine Ausbildungsplatz-, sondern lediglich um eine Ausbildungsgarantie. Es handelt sich also eher um ein politisches Bekenntnis als um einen einklagbaren Anspruch.

Dennoch begrüßen wir als LINKE dieses Bekenntnis ganz ausdrücklich. Das ist wichtig, reicht aber nicht aus. Die Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden. Auch Land und Kommunen sind hierbei in der Pflicht. Sie müssten mit gutem Beispiel vorangehen und Ausbildungsplätze schaffen, aber das tun sie nicht. Stattdessen nimmt die Bedeutung des öffentlichen Dienstes auf dem dualen Ausbildungsmarkt ab. Das ist auch eine Folge der schlechten finanziellen Ausstattung der Kommunen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Wissler, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Das Land muss erkennen, dass es hier in der Verantwortung ist. Die Unternehmen müssen aktiv in die Verantwortung genommen werden, z. B. durch die Ausbildungsplatzumlage. Es ist zweifelsohne Zeit für eine grundlegende Reform des sogenannten Übergangssystems. Hier müssen Programme gebündelt und teils neu ausgerichtet werden. Überbetriebliche Ausbildungsverbünde müssen wieder stärker gefördert werden.

Eines ist uns vor allem ganz wichtig, nämlich dass auch hier gilt: Bildung ist ein Menschenrecht. Das gilt eben auch für die Berufsausbildung. Deshalb dürfen die Lebensperspektiven junger Menschen nicht abhängig von der Konjunktur oder der Haushaltslage sein. Hier geht es um das Leben junger Menschen. Deswegen stellen Sie sich dieser Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Wissler. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Rentsch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In Europa wird diskutiert, wie man mit einem der größten Probleme, nämlich der hohen Jugendarbeitslosigkeit, umgeht. Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat es angesprochen: Wir – Herr Boddenberg, Herr Grüttner und ich – waren in Spanien, wo wir mit den Verantwortlichen lange und sehr intensiv diskutiert haben. Es ist doch erstaunlich, dass diese Region Madrid mit 6 Millionen Einwohnern eine Partnerschaft mit Hessen über die Frage geschlossen hat, die duale Ausbildung dort einzuführen, während wir diejenigen sind, die dafür Tipps und Hilfestellung geben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Schäfer-Gümbel, wie kann es eigentlich sein, dass Sie heute Morgen einen so unmotivierten Antrag vorbringen, Europa aber schaut, wie wir es geschafft haben, die Jugendarbeitslosigkeit so gering zu halten und eine so hohe Qualität der Ausbildung überhaupt sicherzustellen? Wie passt das denn zusammen?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Die Qualität der Ausbildung sinkt aber, Herr Minister!)

Da reicht es eben nicht – sogar die Linkspartei hat es kritisiert, insofern will ich Frau Wissler da eindeutig zustimmen –, Anträge abzuschreiben, sich dreimal auf die VhU zu beziehen und dann noch die Notassistenz in Form zweier Kurzinterventionen aus der Sozialdemokratie zu brauchen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich bin zu jeder Diskussion über die Frage bereit, was wir besser machen können. Aber bevor wir überlegen, was wir besser machen können, müssen wir erst einmal die Realität anerkennen. Ich glaube, dass wir ganz speziell in Hessen – Frau Kollegin Wissler hat auch diese Zahl genannt – die Situation haben, dass die Zahl der Ausbildungsplätze unterdurchschnittlich zurückgegangen ist im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, was zeigt, wie stark die Wirtschaft in Hessen ist, wie viel Verantwortung sie in Hessen übernimmt und wie gut die Struktur ist, die wir geschaffen haben, damit Unternehmen dort aktiv werden können.

Diese Situation zeigt doch, dass wir in Deutschland ein Erfolgsmodell haben zwischen Staat und Wirtschaft. Diese Zahlen belegen aber auch, dass wir es geschafft haben, das Thema Jugendarbeitslosigkeit über die letzten Jahre – daran war die Agenda 2010 nicht völlig unschuldig; denn Fördern und Fordern haben Sie eingeführt, und wir sagen Danke dafür, weil es richtig war, es so zu machen; denn vieles an der Stelle ist richtig gewesen – –

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das ist auch der Grund dafür, warum wir heute so gute Zahlen haben. Natürlich – da gibt es eine Gemeinsamkeit – müssen wir uns um jeden Jugendlichen kümmern, der es in diesem Bereich nicht schafft. Aber auch das sind Zahlen, die Frau Wissler gerade aus dem Bericht des Wirtschaftsministeriums verlesen hat. Wir haben ein Problem, dass viele Jugendliche Ausbildungsplätze suchen. – Immerhin hat sie gelesen, was wir vorgelegt haben. Das war nicht bei allen Rednern heute der Fall.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE), auf die Reihen von CDU und FDP deutend: Ja!)

Ich wollte die Linkspartei einmal loben. – Die Zahlen, die wir dort haben, zeigen, dass viele Jugendliche Ausbildungsplätze in Bereichen suchen, in denen es ein zu geringes Angebot gibt. Deshalb müssen wir schauen, und das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass wir das Angebot noch stärker mit der Nachfrage koordinieren und verbinden. Es ist unser Anspruch, dort besser zu werden.

Ich sage, wer sich die Zahlen in Hessen ansieht, kommt zu dem Ergebnis: Wir scheinen nicht alles falsch gemacht zu haben. Auf der einen Seite stehen den 535 unvermittelten und bei der BA gemeldeten Bewerberinnen und Bewerbern knapp 2.000 gemeldete freie Stellen im Ausbildungsjahr gegenüber. Das zeigt, zurzeit gibt es ein Überangebot bei den Ausbildungsstellen. Das ist die Realität. Aber wir müssen für viele Ausbildungsstätten – deswegen sind wir in einem so intensiven Diskurs zwischen Kultusministerium, Wirtschaftsministerium und Sozialministerium – die Qualität der Auszubildenden, der Schulabgänger steigern. Es ist unser gemeinsamer Anspruch, dort noch besser zu werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zwei Zahlen, und dann zu dem, was wir machen wollen. Herr Kollege Bocklet, Sie haben vom Übergangssystem gesprochen. Wir haben – ich will Ihr Gespräch nicht stören, aber ich sage es trotzdem, Entschuldigung – in den Bereichen einen Rückgang um über 6.000 Menschen in drei Jahren. Wir sind von 32.000 gekommen und liegen jetzt bei ungefähr 25.800. Das heißt, die Zahlen gehen zurück. Dieses Übergangssystem ist unbestrittenermaßen reformbedürftig. Deswegen sind wir nicht nur in einem intensiven Diskurs, sondern das Kultusministerium hat einen abgeschlossenen Vorschlag gemacht. Wir diskutieren zurzeit darüber, wie wir diesen Bereich noch besser machen können, weil unser Angebot auch dazu führen muss, dass wir bei den Fachkräften nach vorne kommen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein.

Wir haben Ausbildungsplatzinitiativen und Programme, z. B. die Strategie „OloV“, die „Optimierung der lokalen Vermittlungsarbeit im Übergang“. Dazu bekommen wir zurzeit von vielen anderen Ländern Anfragen, wie wir das organisieren. Wenn diese Maßnahmen, die mittlerweile ihre Wirkung gezeigt haben, in einer solchen Debatte keine Rolle spielen, sondern wenn nur allgemein fabuliert wird, was man besser machen könnte, dann wird das der Arbeit der vielen Tausenden Mitarbeiter auf Landesebene, in den BAs, in den Kommunen in Hessen nicht gerecht.