Protocol of the Session on January 29, 2013

Die Steigerung von alldem hat allerdings in der letzten Woche Herr Greilich geliefert, als er erklärt hat – ich will das hier wörtlich zitieren, weil es wirklich unglaublich ist –:

Die Diskussion über Gerechtigkeit und zunehmende Armut werde weiter zunehmen. Aber es gebe keine Verarmung. Es gehe heute vielen besser, und den Bedürftigen werde geholfen. Die Medienlandschaft nehme allerdings diese Diskussion gerne auf, und in unserer „Armutsindustrie“ lasse es sich gut leben.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Unverschämt!)

Herr Greilich, eine solche Beschimpfung von Kirchen, Sozialverbänden und den Betroffenen habe ich selten erlebt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich will es noch einmal auf den Punkt bringen. Wenn wir über Wirtschaftspolitik reden, dann reden wir nicht über die Umsetzung von Lobbypositionen Einzelner, sondern der Fokus unserer wirtschaftspolitischen Überzeugungen ist: Wie stärken wir Wirtschaft und Arbeit? Da ist, wie gesagt, der Fokus auf der Schaffung und Sicherung von Arbeit, von der man am Ende des Monats ohne den Gang zum Amt leben kann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Rentsch, es erschüttert mich schon,

(Zuruf von der CDU: Unglaubwürdig!)

wenn Sie an dieser Stelle kein Wort dazu sagen. Ihren peinlichen Versuch, die Frage von Herrn Clement – der inzwischen nicht mehr unserer Partei angehört; darüber sind wir, ehrlich gesagt, als Sozialdemokraten nicht so traurig; das will ich ausdrücklich sagen –

(Zurufe der Abg. Clemens Reif und Manfred Pentz (CDU))

mit der Frage um die Agenda 2010 zu vermischen, nehmen wir ganz locker und gelassen hin. Die Agenda 2010 und ihre Teilelemente, beispielsweise die Initiative Zukunft, Bildung und Betreuung, die energetische Sanierung, die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die Durchsetzung des Grundsatzes von Fordern und Fördern, waren alle völlig richtig.

(Beifall bei der SPD)

Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Davon haben wir nichts zurückzunehmen.

Wir haben allerdings zur Kenntnis genommen – insofern nimmt die SPD, die in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag feiern darf, für sich auch immer in Anspruch, dass sie aus Fehlentwicklungen lernt –,

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

dass das, was wir z. B. beim Thema Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bei der Leiharbeit angeboten haben, um Auftragsspitzen in Unternehmen leichter abzufedern, anschließend massenhaft unter anderem durch die Gründung von sogenannten christlichen Gewerkschaften missbraucht wurde. Gott sei Dank wurden diese Gewerkschaften mittlerweile von der Bundesarbeitsgerichtsbarkeit im Prinzip aus der Welt geschafft. Dieser Missbrauch war erstens nie beabsichtigt, und wir sind zweitens nicht bereit, das einfach hinzunehmen. Deswegen werden wir den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auch in der Leiharbeit durchsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt auch für die Niedriglohnentwicklung. Die nehmen wir zur Kenntnis. Deswegen sind wir auch weiterhin für einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und zwar gerade auch deswegen, weil wir, anders als die Union, die im Moment über Lohnuntergrenzen fabuliert, der Auffassung sind, dass gerade dort, wo Gewerkschaften und Arbeitgeber in der Sozialpartnerschaft nicht mehr in der Lage sind, zu Verhandlungsergebnissen zu kommen, Mechanismen geschaffen werden müssen, die dafür sorgen, dass zumindest eine Grenze eingezogen wird, die nicht unterboten wird. Denn wir akzeptieren nicht, dass in diesem Land – damit ist jetzt allerdings die gesamte Bundesrepublik gemeint – inzwischen 6 Millionen Menschen für weniger als 8 € die Stunde arbeiten. Das ist für uns Wirtschaftspolitik, wie wir sie verstehen: Wir wollen, dass Menschen von ihrer Hände und Kopf Arbeit am Ende des Monats selbstständig leben können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Rentsch, ich werde nicht müde, das zu wiederholen: Genau dazu haben Sie nichts gesagt.

Ich will wieder zum Thema Ziel, Sinn und Zweck von Wirtschaftspolitik kommen. Ich glaube, dass es neben dem Schaffen und Sichern von Arbeit zwei weitere wirklich große konzeptionelle Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik gibt.

Das Erste ist die Bewältigung der Energiewende. Wenn wir davon sprechen, sprechen wir inzwischen von der sozialen Energiewende, weil sie auch etwas mit der Sicherung von Arbeit zu tun hat, weil sie etwas mit der Bezahlbarkeit zu tun hat, weil sie etwas mit dem Industriestandort und vielem anderen mehr zu tun hat. Für uns ist Energiewende nicht nur, zu erklären: „Wir sind jetzt auch für den Atomausstieg“ – ich bin nach wie vor froh, dass diese Seite des Hauses inzwischen auch zu dieser Überzeugung gekommen ist –, und anschließend Windkraft abstrakt zu begrüßen, sondern dazwischen gibt es noch ziemlich viel im Hinblick auf Energieeffizienz, Energieeinsparung, Bezahlbarkeit von Energie, Industriepolitik, Speichertechnologien und Netzausbau zu tun. Herr Rentsch, ich hätte mir von Ihnen als zuständigem Wirtschaftsminister schon gewünscht, dass Sie zu dem Thema Energiewende als einer der zentralen Herausforderungen für Arbeit und Wirtschaft in Hessen wenigstens einen Satz gesagt hätten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))

Unser Ziel bleibt klar: Wir wollen Hessen zur ressourcenund energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt machen. Das ist unser klares Ziel. Denn wir glauben, dass wir damit Arbeit, Einkommen und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft sichern. Das sind keine kleinen Baustellen. Da muss man sich anstrengen. Aber dazu haben wir, wie gesagt, von Ihnen gar nichts gehört.

Das gilt letztlich auch für die dritte große Herausforderung. Sie haben das Thema zweimal leicht gestreift, nämlich bei der Position, die die Europäische Union vor vielen Jahren im Rahmen der Lissabon-Strategie festgelegt hat, dass Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden muss. Das hat ganz viel mit der Förderung des Einzelnen zu tun. Das hat viel mit Bildung zu tun. Dazu werde ich aber gleich im Einzelnen kommen.

Damit würde ich gern zu den technischen Punkten kommen, die Sie angesprochen haben. Wir haben ein bisschen über die Ausrichtung geredet. Ich will ganz ausdrücklich mit dem Thema Infrastruktur anfangen. Ich will Ihre Terminanfrage ausdrücklich bejahen. Ich bin sehr bereit, das mit Ihnen zu machen. Ich mache Ihnen aber einen Vorschlag. Ich halte Sie im Kern für einen schlauen Menschen. Deshalb gehe ich davon aus, dass Sie wissen, dass die Frage von Haushalts- und Finanzströmen eine Frage ist, die nicht der Magistrat der Stadt Frankfurt, sondern die Stadtverordnetenversammlung entscheidet.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Deswegen bin ich dafür, dass wir den Termin mit Peter Feldmann gemeinsam machen. Ich bin sehr dafür, aus Mediationsgründen auch Boris Rhein als ehemaligen Kandidaten mitzunehmen. Wir laden zu diesem Termin Herrn Cunitz, Herrn Becker sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden von Schwarz-Grün ein, die das nämlich am Ende in der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt durchsetzen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Rentsch, damit wir beide uns völlig einig sind, sage ich sehr klar: Ich erwarte – ich weiß doch, welche Gespräche Sie auf den entscheidenden Metern und in entscheidenden Zeitfenstern zu Ihrer Allianz geführt haben –, dass sich die Stadt Frankfurt als der Hauptgewinnler des wirtschaftlichen Ertrags des Frankfurter Flughafens auch aktiv an den Lärmschutzmaßnahmen in der Region beteiligt.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP) – Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vorsitz.)

Das sage ich im Übrigen seit Langem auch intern. Ich nehme allerdings zur Kenntnis, dass jetzt offensichtlich der Zuspruch insbesondere auch aus dem Unionslager ziemlich übersichtlich war. Ich bin sehr gespannt, wie die Gespräche mit den Mehrheitsfraktionen in Frankfurt laufen. Wir werden aber ganz sicher zu der Terminvereinbarung kommen.

Da Sie den Flughafen angesprochen haben, will ich das auch gern noch einmal machen. Sie wissen, dass wir in den letzten Jahren immer gesagt haben, dass wir auf der Grundlage der Mediation für den Ausbau des Frankfurter Flughafens sind und eine klare Position halten.

Aber es sind zwei Dinge passiert: Mit Ihrem Wortbruch bei der Mediation, beim Nachtflugverbot, bei den Klagen gegen das eigene Versprechen

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

haben Sie beim zentralen Infrastrukturausbau in Frankfurt unendlich viel Vertrauen zerstört.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Vertrauensverlust trägt über den Tag hinaus – ich werde nicht müde, das hier immer und immer wieder zu wiederholen –, weil die Menschen kein Vertrauen mehr in Politik haben, dass das, was ihnen als Ausgleichsangebot formuliert wird, anschließend auch umgesetzt wird.

Ich will dazu ausdrücklich sagen, dass es da ein juristisches Problem gibt, nämlich dass die Mediation als politisches Zugeständnis bisher als formales Instrument im Planungsrecht nicht verankert war. Meine sehr verehrten Damen und Herren von Schwarz-Gelb, ich würde mich freuen, wenn wir es gemeinsam hinbekommen würden – noch haben wir ja sechs Monate Zeit –, Initiativen zu starten, Mediationsverfahren im Planungsrecht zu verankern, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passieren kann, wenn es ein solches Versprechen gibt.

(Beifall bei der SPD)

Auch da bin ich für Terminanfragen jederzeit offen und würde mich freuen, wenn das mit den Mehrheitsfraktionen ginge, Herr Rentsch.

Das gilt allerdings nicht nur für das Thema Flughafen. Dieses Thema wird uns im Übrigen noch lange Zeit beschäftigen, weil der von Ihnen angerichtete Vertrauensverlust groß ist.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Und was machen Sie?)

Wir haben angeboten, was Sie an Vertrauen zerstört haben, in einem neuen Anlauf zu erneuern, weil die Auseinandersetzung – das sieht man tagtäglich – nicht beendet ist und alle Beteiligten nach einem Ausweg suchen, überhaupt wieder eine Gesprächsbasis hinzubekommen.

Was Sie als Dialog anbieten, ist doch nur der verzweifelte Versuch gewesen, Ihren Wortbruch zu kaschieren. Deswegen ist Ihre Glaubwürdigkeit bei solchen Angeboten völlig zerstört – nicht die persönliche, aber die politische.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) und Wolfgang Greilich (FDP))

Deswegen höre ich viele Ihrer Bemerkungen zum Thema Infrastrukturausbau gern. Aber Sie machen doch kein Angebot zu dieser Frage.

Ihr Lamento über die Themen Straße und Schiene teile ich, wenn Sie sagen: Wenn Schäuble das macht – gemeint sind die Kürzungen im Verkehrswegeplan –, sei er der Totengräber der deutschen Volkswirtschaft. – Das sind starke Worte. Ich bin gespannt, ob der Ministerpräsident und die Union diese Bemerkung teilen und welche Konsequenzen sie daraus ziehen.