Protocol of the Session on December 12, 2012

Frau Abgeordnete.

Herr Bellino, das ist mir bekannt. Mir ist aber auch die Drucksache bekannt, wonach er zurückgezogen wurde. Insofern müssen sie das gleich aufklären, meine Damen und Herren.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Ich hatte zunächst die leise Hoffnung, dass Sie die Hinweise der Anzuhörenden ernst nehmen und zumindest die Kontrollrechte aufnehmen, die der Bund hat. Dann wären wir in Hessen ein Stück weiter. Es ist in der Tat beachtlich, dass wir, wenn wir heute das CDU/FDP-Gesetz verabschieden, weiter zurück sind als jedes andere Bundesland und der Bund. Meine Damen und Herren, was ist aus „Hessen vorn“ geworden? Leider erleben wir inzwischen in vielen Politikbereichen, dass Hessen inzwischen hinten ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich appelliere noch einmal an Sie, die Öffentlichkeitsregelung mit aufzunehmen. Wir müssen das verloren gegangene Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zurückgewinnen. Das geht nicht, wenn wir weiter mauern und Transparenz und Öffentlichkeit nicht den Vorrang geben. Es ist unser aller Aufgabe, ich denke, auch der Parlamentarier, das verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden zurückzugewinnen. Dazu gehören vor allem Transparenz und Öffentlichkeit. Deshalb appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Gesetzentwurf der Linkspartei will ich zum Schluss nur eines sagen. Meine Damen und Herren von der Linkspartei, es ist sicher der ganz falsche Weg, den Verfassungsschutz einfach abschaffen zu wollen.

(Beifall bei der SPD – Minister Boris Rhein: Aller- dings! – Alexander Bauer (CDU): Kann man mit so Leuten koalieren?)

Herr Bauer, vielleicht sollten wir einmal über den Gesetzentwurf der Linkspartei reden. – Ich will Ihnen ganz deutlich mitgeben: Eine wehrhafte Demokratie braucht einen wirksamen Verfassungsschutz. Es sind andere Dinge, die jetzt anstehen. Es besteht Reformbedarf. Sie brauchen einen Mentalitätswechsel beim Verfassungsschutz. Sie brauchen andere gesetzliche Regelungen, verpflichtende Regelungen, um gegenseitig zwischen den Ämtern in den Ländern und im Bund informiert zu werden. Sie brauchen einheitliche gesetzliche Regelungen für V-Leute.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wir wollen keine V-Leute!)

Ansonsten werden wir der Gefahren aus dem rechtsextremistischen Bereich, um die es Ihnen sonst so oft geht, meine Damen und Herren von der Linkspartei, eben nicht Herr werden können. Deswegen brauchen wir einen wirksamen Verfassungsschutz. Den Reformbedarf werden wir an anderer Stelle begutachten.

Deswegen bitten wir nochmals um die Unterstützung unseres Gesetzentwurfs. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nur zur Klarstellung: Mir liegt kein Hinweis darauf vor, dass der Änderungsantrag Drucks. 18/6738 zurückgezogen worden ist.

(Holger Bellino (CDU): Ja, er ist da!)

Wer immer mir das zugerufen hat, soll überprüfen, woher er das weiß.

Das Wort hat Herr Abg. Dr. Wilken.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wollen unsere Demokratie und unsere Freiheit vor denen schützen, die unsere Demokratie abschaffen wollen, vor denen, die einen Gottesstaat errichten wollen, vor Nazis – alten wie neuen. Deswegen müssen wir uns fragen, welche Rolle dabei der Verfassungsschutz spielt. Wir haben gerade gehört, die SPD will den Verfassungsschutz optimieren. Wie das mit dem Optimieren in diesem Haus bei dieser Regierung aussieht, haben wir gerade wieder gesehen. Woher nehmen Sie das Vertrauen, dass etwas grundlegend Falsches verbessert werden kann?

Die Menschen im ganzen Land betrachten mit Erschrecken, mit Verwunderung, dass in unserer Republik über ein Jahrzehnt lang eine Neonazitruppe mordend durch unser Land gezogen ist, größtenteils vollkommen unbehelligt. Entweder hat der Inlandsgeheimdienst, vulgo Verfassungsschutz, davon nichts mitbekommen. Dann ist er schlicht unfähig. Oder, viel schlimmer, er wusste es und hat weder Polizei, noch Justiz, noch die Öffentlichkeit und auch nicht uns als Parlament davon informiert. Dann ist er darüber hinaus noch gefährlich, und in beiden Fällen gehört er abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren im gesamten Haus, der Inlandsgeheimdienst, also der Verfassungsschutz, ist und bleibt ein Fremdkörper in einer Demokratie. Das Wort Verfassungsschutz führt doch in die Irre. Es ist eben nicht seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Grundrechte wie freie Meinungsäußerung oder die Versammlungsfreiheit ungerührt bleiben – im Gegenteil. Gerade mit der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel, nämlich Beschatten, Belauschen, Bespitzeln greift er in unsere Grundrechte ein. Dieses Grundproblem kann nicht mit einem Verfassungsschutz gelöst werden.

(Beifall bei der LINKEN – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, die Institutionalisierung des Verfassungsschutzes als ein nach innen gerichteter Nachrichtendienst ist gescheitert. Die erhoffte Funktion eines Frühwarnsystems, das über Bestrebungen gegen die im Grundgesetz und der Hessischen Verfassung verankerte Grund- und Menschenrechte rechtzeitig informiert, hat versagt.

Trotz teilweise intensiver Zusammenarbeit im Neonazimilieu konnten in den vergangenen zwei Jahrzehnten Hunderte Mordfälle und ein Vielfaches davon an Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund in der Bundesrepublik präventiv nicht verhindert und häufig im Nachhinein nicht aufgeklärt werden. Dem Aufklärungsinteresse von Parlament und Öffentlichkeit wurde mit Vernichtung der entsprechenden Akten begegnet.

Ein für die Gewaltprävention unfähiger und erst recht ein mit der rechten Szene verwobener Geheimdienst wird zur Gefahr für Gesellschaft und Demokratie, zumal er sich offenkundig jeglicher demokratischer Kontrollen entzieht.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist das!)

Mindestens zwei Aspekte unterscheiden den Verfassungsschutz von anderen staatlichen Behörden wie etwa der Polizei. Da liegt das Problem. Zum einen wird der Verfassungsschutz gegen Menschen allein aufgrund ihrer Gesinnung tätig – unabhängig von konkreten Tatbeständen. Das ist mit Blick auf die Bürgerrechte hoch fragwürdig. Das zweite Problem ist, er unterstützt diese V-Leute in jenen Gruppen, die er für Feinde der Verfassung hält. Um diese V-Leute führen zu können, entsteht der Zwang zur Geheimhaltung.

Wir können also zu keiner Verbesserung dieses Systems beitragen, wenn der Fehler in der Anlage des Systems von V-Leuten liegt, das deswegen die Geheimhaltung nach sich zieht und deswegen unkontrollierbar bleibt. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Geheimdienst widerspricht der Verfassungsschutz den demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit. Wäre er transparent, könnte er nicht im Geheimen arbeiten. Daraus resultiert die mangelhafte Kontrolle, die wir mit allen Gesetzentwürfen, die wir heute sonst noch beraten, nicht beheben können.

Meine Damen und Herren, die Verfassungsschutzbehörden – das haben wir schmerzlich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten lernen müssen – sind Teil des Systems Rechtsextremismus. Sie sind seit den Neunzigerjahren mit den V-Leuten in der Neonaziszene verstrickt – eine Problematik, die das letzte NPD-Verbotsverfahren auch zum Scheitern brachte.

Die Spitzel bekommen Honorare, die sie trotz Verbot auch in ihre eigenen Organisationen stecken, damit also die Neonaziszene stärken. V-Leute sind eben alles andere als Agenten des demokratischen Rechtsstaates. Im Falle von Neonazis sind sie meist Rassisten, Gewalttäter.

Brandstiftung, Körperverletzung, Mordaufrufe, Waffenhandel sind nur einige der Straftaten, die solche Leute zum Schutz ihrer Tarnung begehen. Vom Verfassungsschutz bezahlte V-Leute machen sich in diesen Szenen regelmäßig strafbar, werden aber vom Verfassungsschutz gegen Ermittlungen der Polizei abgeschirmt. All dies ist in einer Demokratie inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Was uns am meisten erschrecken sollte: Das System der Anwerbung von V-Leuten aus der neonazistischen und neofaschistischen Szene unterstützt eben diese Szene finanziell und stärkt sie. Gleichzeitig geraten Bürgerrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr. Deswegen müssen, wollen wir den Verfassungsschutz abschaffen.

Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts sollte Zweifel an der Tatsache wecken, wonach ein Mehr an Geheimdiensten auch ein Mehr an demokratischer Verfasstheit bedeutet. Das Konzept vom wehrhaften Staat ist eine Lehre aus der deutschen Geschichte. Nie wieder soll eine Bewegung die Macht erlangen, deren Ziel die Abschaffung jener Demokratie ist, das sie überhaupt erst zur Geltung kommen lässt. Die Demokratie ist nur dann stark, wenn sie durch die Macht ihres Beispiels überzeugt und nicht durch das Beispiel ihrer Macht.

(Clemens Reif (CDU): Dafür brauchen wir Sie nicht!)

Im emanzipierten Geist der Aufklärung müssen Menschen zum Nachdenken befähigt und ermutigt werden, statt ihnen vorzuschreiben, was sie nicht zu denken haben. Auf Angriffe gegen die Demokratie müssen Demokratinnen und Demokraten mit mehr Freiheit, mit mehr Partizipation und mit mehr Transparenz reagieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil wir eine wehrhafte Demokratie sind – offensichtlich brauchen Sie mich dazu eben doch –, stelle ich mich, stellen sich die Mitglieder meiner Partei aktiv aufmarschierenden Nazis in den Weg. Die Ironie ist, leider beschreibt das den Zustand unseres Staates, dass wir deswegen kriminalisiert werden.

(Holger Bellino (CDU): Es kommt darauf an, was Sie machen!)

Wir schlagen vor, das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz wird aufgelöst und durch eine Informationsund Forschungsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie als oberste Landesbehörde ersetzt. Die Anhörung hat gezeigt, dass dies machbar ist, dass alle damit verbundenen Probleme wie der Auftrag des Bundes oder weiterhin notwendige Sicherheitsüberprüfungen lösbar sind, wenn denn der politische Wille dafür da wäre, was in diesem Hause momentan offensichtlich nicht so ist.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Stimmt!)

Das bedaure ich. Es wäre an der Zeit, aus der jüngsten deutschen Geschichte mehr zu lernen. – Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Als nächster Redner hat sich Kollege Bauer für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Herr Bauer, bitte schön, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir brauchen auch weiterhin einen gut aufgestellten Verfassungsschutz, der kontrolliert, transparent und zukunftsfähig agiert. Der Verfassungsschutz hat einen wichtigen Beitrag für die Stabilität und Sicherheit unseres Landes in den letzten Jahrzehnten geleistet. Er deckt ein weites Spektrum ab, wenn ich z. B. den Bereich der Terrorabwehr, der Spionage oder auch der stark gestiegenen Wirtschaftsspionage erwähnen darf. Eine wehrhafte Demokratie darf sich Verfassungsfeinden nicht schutzlos ausliefern – das ist doch die Lehre aus Weimar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Eine freie Gesellschaft muss vermittelt bekommen, dass ihre Freiheit auch bedroht wird und deshalb schutzbedürftig ist.

(Beifall bei der CDU)