Protocol of the Session on December 12, 2012

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Geschäftsordnung! – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich würde Ihnen vorschlagen: ein bisschen ruhiger. Ich denke, wir können geschäftsordnungsmäßig auf die Abstimmung verzichten, weil die Landesregierung entsprechend vertreten ist.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Beuth, es wurde beantragt, dass darüber noch einmal abgestimmt wird. Ich möchte, dass das auch ausgezählt wird. – Bitte schön, Herr Greilich, zur Geschäftsordnung.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Der Innenminister ist nicht entschuldigt!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss schon sagen, dass ich mich etwas wundere.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Er ist nicht da, und Sie wundern sich! – Weiterer Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Hier wird diskutiert – – Frau Präsidentin, ich würde gerne zur Geschäftsordnung reden.

Bitte mehr Ruhe. Lassen Sie Herrn Greilich zu Wort kommen.

(Nancy Faeser (SPD): Bitte zur Geschäftsordnung! – Gegenruf der Abg. Judith Lannert (CDU): Wenn Sie einmal zuhören würden!)

Ich rede nur zur Geschäftsordnung. Ich komme leider nicht dazu, da ich dauernd gestört werde. Das ist das eigentliche Problem.

Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gestellt, die Landesregierung herbeizuzitieren. Die Landesregierung ist da. Die Landesregierung war die ganze Zeit da. Der zuständige Sozialminister saß auf seinem Platz. Jetzt ist der Innenminister auch wieder da. Vorher war sein Staatssekretär da.

(Lachen bei der LINKEN)

Die Landesregierung ist zu jedem Punkt vertreten, der hier zu beraten ist. Insofern ist jeder Versuch, mit irgendwelchen künstlichen Geschäftsordnungsdebatten die Sache zu

verzögern, einer, der Ihrem Sachantrag letztlich widerspricht, Herr Kollege Schaus. Deswegen bitte ich zur Geschäftsordnung einfach darum, diese Abstimmung nicht zu wiederholen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Er ist da!)

Ich weiß, dass der Minister da ist. Jetzt stehe ich hier, und ich habe im Moment das Wort. Aber ich bin jetzt fertig. – Vielen Dank.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP und der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Greilich. – Wir fahren in der Tagesordnung fort. Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Öztürk von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Ich möchte gerne das Haus daran erinnern, dass wir hier zwar zu einem Setzpunkt der LINKEN reden, weswegen wohl manche Fraktionen meinen, sie könnten hinausgehen.

(Allgemeine Unruhe – Glockenzeichen der Präsiden- tin)

Aber es geht inhaltlich darum, dass wir über ein Bundesverfassungsgerichtsurteil sprechen wollen, in dem ganz klar ausgesagt wird, dass die Menschenwürde in Deutschland als eine Menschenwürde für alle Menschen gilt und nicht nach Aufenthaltsstatus oder Staatsbürgerschaft unterschieden wird. Es geht um unser Grundgesetz. Von daher ist es wichtig, dass alle anwesend sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD der LINKEN)

Frau Kollegin, einen Moment bitte. – Ein bisschen mehr Ruhe auf der rechten Seite.

Ich finde es einfach famos, wenn wir als Parlamentarier, die die Demokratie und die Menschenwürde hochhalten wollen, damit umgehen, wenn es Menschen in unserem eigenen Land trifft. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Jahr eindeutig zum Thema Asylbewerberleistungsgesetz geurteilt. Was heute in der Debatte zur Sprache kommen soll, ist, was die Konsequenzen aus diesem Bundesverfassungsgerichtsurteil sind und wie sich die Landesregierung dafür einsetzen kann, dass Konsequenzen aus dem Urteil gezogen werden – nicht mehr, nicht weniger. Von daher bitte ich Sie um ein wenig mehr Respekt auch für die Betroffenen, die zu Tausenden draußen stehen, protestiert haben und von uns ein bisschen Respekt verlangen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchten wir die Zeit und die Debatte heute nutzen, um Forderungen, die wir seit

Jahren auch auf der Bundesebene gestellt haben, hier zu wiederholen, nachdem das Bundesverfassungsgericht über die Asylbewerberleistungshöhe und über die Frage geurteilt hat, ob die Menschenwürde von Geduldeten und Flüchtlingen die gleiche Menschenwürde wie von HartzIV-Empfängern und anderen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land ist. Das ist schon etwas Einschlägiges, und wir müssen daraus Konsequenzen ziehen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit ihrem Dringlichen Antrag heute einen Vorschlag gemacht, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssten. Wir fordern in unserem Antrag, dass Sie sich, liebe Landesregierung und Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungsfraktion, auf Bundesebene dafür einsetzen, dass sowohl das Asylbewerberleistungsgesetz, aber auch die Residenzpflicht bundesweit abgeschafft werden, denn die Bewegungsfreiheit von Geduldeten und Flüchtlingen kann bundesweit nicht so eingeschränkt werden, wie es europaweit derzeit einzig in Deutschland geschieht.

Wir wollen auch, dass Sie sich dafür einsetzen, dass der Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt für geduldete Menschen und Flüchtlinge eröffnet wird, damit diese Menschen auch die Möglichkeit haben, zu arbeiten, ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern und ein menschenwürdiges Leben zu leben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir fordern Sie auf, sich dafür einzusetzen, dass auf Bundesebene der Zugang für diese Personengruppe zu den Integrationskursen ermöglicht wird – von mir aus nach einer bestimmten Mindestaufenthaltszeit. Wenn wir uns die Situation vor Ort anschauen, können wir es uns nicht leisten, diese Menschen von Integrations- und Sprachkursen auszuschließen. Das wissen zumindest meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss und, wenn wir ehrlich sind, auch aus der Härtefallkommission. Es gibt zahlreiche Einzelfälle, in denen wir merken, wie das Leben eines jungen Menschen hätte anders gestaltet werden können, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, zu arbeiten oder zumindest eine Ausbildung aufzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))

Deswegen fordern wir Ehrlichkeit in dieser Debatte. Wir fordern in dieser Debatte realistische Antworten. Wir können das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht einfach ignorieren, indem wir mit einem Gesetz auf Bundesebene nur den Satz im Asylbewerberleistungsgesetz erhöhen. Wir kommen nicht umhin, es schon allein aus finanzpolitischen Gründen abzuschaffen. Denn wenn das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft wäre und diese Personengruppe in die Leistungen nach Hartz IV integriert wäre – da geht es um das Sozialgesetzbuch XII und das Sozialgesetzbuch II –, dann würde der Bund natürlich für die Kosten herhalten müssen. Wir würden eine maßgebliche Erleichterung bzw. eine maßgebliche – jetzt fällt mir das Wort nicht ein –

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entlastung!)

Entlastung, genau, des Landeshaushalts und auch der Haushalte der Kommunen erreichen.

Man kann sich, Land auf, Land ab, die Situation der Kommunen anschauen. Sie gehen alle unter den kommunalen

Schutzschirm. Auf der anderen Seite sind Sie aber für die Unterbringung und für die Versorgung der Asylbewerber zuständig.

Wir sollten diesen Kommunen eine realistische Möglichkeit geben, ihre Aufgaben wahrzunehmen, nämlich die schutzsuchenden Personen menschenwürdig unterzubringen, sie medizinisch zu versorgen und sie mit Integrationsund Deutschkursen in die Gesellschaft einzuführen. Da können wir die Kommunen nicht alleine auf den Kosten sitzen lassen. Auch deswegen gilt es, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und diese Personengruppe in Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern aufzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Sie, die Mitglieder der Landesregierung, haben die Möglichkeit gehabt, im Bundesrat Ihre Meinung kundzutun. Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen sich hier nicht gleich hinstellen und sagen werden, das seien alles Bundesgesetze, die können wir gar nichts ändern.

Doch, Sie können sehr viel ändern. Sie, die Mitglieder der Landesregierung, haben zuletzt am 23. November 2012 im Bundesrat die Möglichkeit gehabt, einer Initiative BadenWürttembergs, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalens zuzustimmen, die genau das gefordert haben, nämlich die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Leider ist diese Initiative nicht durchgekommen, weil sich unter anderem auch Hessen an dieser Initiative nicht beteiligt und sie auch nicht unterstützt hat. Meine Herrschaften, das ist keine verantwortungsvolle Politik, schon gar nicht gegenüber den Kommunen und den Betroffenen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))

Wir haben im Oktober 2012 die Diskussion darüber geführt, dass die Zahl der Asylanträge in Deutschland enorm gestiegen ist. Die Antwort sowohl des Innenministers als auch des Bundesinnenministers darauf, dass die Zahl der Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien gestiegen ist, war, die Visafreiheit aufzuheben.

Jetzt frage ich Sie: Wenn man an das europäische Recht und an die europäische Integrationspolitik denkt, ist es dann die richtige Antwort, diesen Menschen aus den zwei Ländern, die ganz nah an die Europäische Union herangeführt werden sollen, zu erzählen: „Jetzt kommen eure Roma und Sinti, deswegen wollen wir die Visafreiheit für euch gänzlich abschaffen“? Ist das die europapolitisch richtige Antwort? Meiner Meinung nach ist sie es nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Wenn man sich die Zahlen anschaut, wenn man die Asylbewerberunterkünfte und die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen besucht, dann erkennt man, dass die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien, dem Iran und aus Afghanistan immer noch weitaus höher ist. Es sind immer noch diese Menschen, die ganz dringend darauf warten, dass ihre Asylanträge beschieden werden.

Leider müssen wir feststellen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den letzten Jahren sein Personal abgebaut hat. Es hat die Mittel stärker in die Abteilung für

die Integrations- und Deutschkurse verlegt. Dafür werden die Asylanträge langsamer bearbeitet.

Jetzt gibt es auch noch die Ansage, dass die Anträge der Sinti und Roma aus Serbien und Mazedonien vorrangig geprüft werden sollen. Das hat die Konsequenz, dass viele Flüchtlinge aus Syrien, die eine hohe Chance auf Anerkennung haben, viel länger auf eine Entscheidung über ihre Anträge warten müssen. Das kann meiner Meinung nach nicht die Antwort sein. Auch hier ist die Landesregierung gefragt, mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine andere Situation zu erreichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)