Für uns ist der Schulkrieg lange vorbei. Das sage ich Ihnen ganz klar. Wenn jetzt die GRÜNEN sagen, sie hätten den Schulfrieden und die Wahlfreiheit erfunden – was auch immer –, entgegne ich ihnen: Schauen Sie einmal in das Wahlprogramm, mit dem wir 2008 und 2009 zu den Wahlen angetreten sind. Dort werden Sie genau die Aussage finden, dass für uns, die FDP, nicht die Schulstruktur, sondern die Unterrichtsqualität entscheidend ist. – Es geht darum, wie wir qualitativ hochwertigen Unterricht gewährleisten können, und nicht darum, innerhalb welcher Struktur er stattfinden muss. Das ist die eigentliche Frage, um die wir uns kümmern sollten.
Wir haben Ihnen oft die Hand gereicht und gesagt: Lassen Sie uns doch diese Strukturdebatten beenden. – Aber man sieht an dem Programm, das die SPD vorgestellt hat – von der LINKEN will ich erst gar nicht anfangen –, dass sie es einfach nicht will.
Auch den GRÜNEN muss ich sagen, dass ich einen Denkfehler bei ihnen feststelle. Das längere gemeinsame Lernen, das Sie alle in der Opposition so gern propagieren, gibt es in Hessen schon.
Wir haben im Unterschied zu Baden-Württemberg und zu anderen Ländern integrierte und kooperative Gesamtschulen. Das ist ein diametraler Unterschied zu anderen Ländern. Das gibt es also in Hessen schon. Deshalb brauchen wir keine neue Schule, keine Gemeinschaftsschule und kein Kartenhaus der Bildung – wie auch immer Sie Ihre Konzepte nennen mögen. Das ist alles völlig unnötig; denn wir haben in Hessen bereits eine Schulvielfalt. Deswegen brauchen wir Ihre Konzepte nicht.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir reichen Ihnen gern die Hand. Aber Sie müssen auch bereit sein, sie zu ergreifen. Das sehe ich bei Ihnen nicht.
(Beifall bei der FDP – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben eine lange gemeinsame Opposition! Das ist ein Zeichen, dass es funktioniert!)
Schauen Sie sich einmal Ihre Konzepte an. Wenn ich in dem Konzept der SPD lese, es soll kein Sitzenbleiben mehr geben, jeder kann so lange zur Schule gehen, wie er will – zwölf, 13 oder vielleicht auch 14 Jahre –, und es soll keine Druck ausgeübt werden,
sage ich: Das ist alles wunderbar. Ich bin auch kein Freund davon, dass man die Kinder gleich mit Leistungsanforderungen bombardiert. Es ist völlig richtig, dass sie langsam
hineinwachsen. – Aber, Frau Kollegin Habermann, ich sage Ihnen auch eines: Das Leben ist kein Ponyhof.
Deswegen müssen wir die Kinder irgendwann mit der Realität konfrontieren, und deswegen sollten wir auch in unserem Schulsystem dafür sorgen. Wir können doch nicht jedem versprechen, dass er nach 13 oder 14 Jahren sein Abiturzeugnis in die Hand gedrückt bekommt, ohne sich dafür angestrengt zu haben. Das ist nicht die Realität in diesem Lande, auch wenn Sie es gern so hätten. Deswegen müssen wir das in unserem Schulsystem entsprechend abbilden. Ein ohne Anstrengungen zu schaffendes Abitur, so, wie es von Ihnen propagiert wird, wird es mit uns in diesem Haus nicht geben.
Ich sage es noch einmal ganz klar zum Mitschreiben – auch für die GRÜNEN –: Die Erfinder der Wahlfreiheit und die Beender des Schulkriegs sind nicht Sie in diesem Haus. Schauen Sie einmal nach Schleswig-Holstein. Dort waren es nicht die GRÜNEN, die den Gymnasien wieder die Wahl zwischen G 8 und G 9 ermöglicht haben, sondern CDU und FDP. Genauso werden wir das jetzt auch in Hessen machen.
Ich sage es noch einmal: Für uns ist der Schulkrieg lange beendet. Wir reichen Ihnen gern die Hand. Ich habe allerdings berechtigte Zweifel, dass Sie sie ergreifen werden. Aber schauen wir einmal; man lernt schließlich nie aus im Leben.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hessische Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen der FDP und der CDU sorgen in Hessen dafür, dass in den Schulen jedes Kind die bestmögliche Bildung und insbesondere eine individuelle Förderung enthält. Schülerinnen und Schüler sind unterschiedlich. Das zumindest ist eine Erkenntnis, die in der heutigen Diskussion fraktionsübergreifend geteilt wurde. Wenn aber Schülerinnen und Schüler unterschiedlich sind und wenn wir sie in ihrer Unterschiedlichkeit respektieren, unterstützen und fördern wollen, damit sie ihre Neigungen, Potenziale und Fähigkeiten bestmöglich entfalten können, brauchen wir in Hessens Schulen ein System, das auf Freiheit, auf Vielfalt und auf Qualität gestützt ist; denn das ermöglicht Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
Wir haben in Hessen eine Schulpolitik, die unseren Schulen diese Freiheiten gibt, damit sie ihre Schülerinnen und Schüler individuell fördern können. Sie können bei der Gestaltung des Unterrichts und in der innerschulischen Organisation alle Möglichkeiten nutzen, um diese individuel
le Förderung sicherzustellen. Frau Habermann, den flexiblen Schuleingang haben wir nach dem Schulgesetz schon, und er wird in Hessen auch praktiziert. Aber es ist die Entscheidung der jeweiligen Schule, das zu machen.
Ganztagsangebote haben wir an 50 % der Schulen, und wir bauen sie weiter aus. Wir bauen sie stärker und mit höheren Zuweisungen aus, als Sie von der SPD das momentan verkünden.
Ein Schulcurriculum gibt es bereits, und es wird auch Unterstützung in Form von Beratungen, Konferenzen und Fortbildungen angeboten, um aus den gemeinsamen Kerncurricula und Bildungsstandards Profile und eigene Schulcurricula zu entwickeln.
Die selbstständige Schule bietet unseren Schulen noch mehr Gestaltungsspielräume, auch bei der Lehrergewinnung, z. B. im Zusammenhang mit der pädagogischen Versetzung. Herr Kollege Wagner, auch diese Möglichkeit gibt es schon. Es sind auch Feedbacksysteme eingeführt worden, bei denen Schülerinnen und Schüler ihren Lehrern eine Rückmeldung darüber geben, wie gut sie sich von ihnen unterstützt und gefördert fühlen.
Frau Kollegin Habermann, die Voraussetzung dafür ist aber, dass wir ein vielfältiges Schulsystem haben, in dem Eltern für ihre Kinder die aus ihrer Sicht am besten geeignete Schule aussuchen können. Das bezieht sich sowohl auf die Schulform als auch auf die Länge des Bildungsgangs, den sie haben möchten. Deswegen wird diese Landesregierung die Eltern und deren Möglichkeit, für ihr Kind die nach ihrer Ansicht am besten geeignete Schule auszuwählen, immer verteidigen. Sie sollen nicht die Schule nehmen müssen, die die SPD ihnen zugestehen möchte.
Das ist eindeutig und durch wissenschaftliche Studien untermauert, zuletzt durch die Fend-Studie. Dort wurde in einer Langzeituntersuchung gezeigt, dass nicht die Schulstruktur für den Bildungserfolg eines Kindes entscheidend ist, sondern das, was in einer Schule stattfindet. Das heißt, es geht nicht darum, wieder einmal, wie es die SPD möchte, das dreigliedrige Schulsystem gegen das integrierte Schulsystem auszuspielen, sondern wir müssen uns darüber unterhalten, was in unseren Klassenräumen stattfindet und wie wir hier Qualität garantieren.
Genau um diese Qualität, die ganz maßgeblich von der Person des Lehrers und seinem Unterricht abhängig ist. geht es der Landesregierung. Die Hattie-Studie dürfte auch Ihnen, Frau Kollegin Habermann, bekannt sein. Deswegen habe ich die Hoffnung, dass wir diese alten Debatten endlich beiseitelegen und dazu kommen, über methodisch-didaktische Fragen und auch über die personellen Kompetenzen unserer Lehrkräfte zu reden.
Frau Habermann, wir sollten einmal einräumen, dass es diese hervorragend ausgebildeten Lehrkräfte sind, die jeden Tag in jeder Klasse unseres Landes unermüdlich dabei sind, Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern und zu unterstützen. Sie vermitteln ihnen nicht nur Wissen, sondern unterstützen sie als Lernbegleiter auch bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung und eröffnen ihnen somit Zu
kunftschancen. Dann können diese jungen Menschen, die alle – wirklich alle – ihre Potenziale haben, ihren eigenen Weg gehen und später sowohl persönlich als auch beruflich erfolgreich sein.
Die Hessische Landesregierung, insbesondere der Haushaltsgesetzgeber – hier: die Landtagsabgeordneten –, unterstützt uns Gott sei Dank durch zusätzliche Investitionen in die Zukunft der jungen Menschen. Über den Einzelplan ist gestern beraten worden, und ihm wurde heute Morgen auch zugestimmt. Deswegen werden wir weiterhin dafür kämpfen, dass auf der Basis von Freiheit, Vielfalt und Qualität Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in diesem Land existieren.
Dass wir das haben, das können wir beweisen. Meine Damen und Herren von der Opposition, das lässt sich für Hessen an ganz einfachen Zahlen nachweisen. Bildungsgerechtigkeit ist aber keine Frage von Abiturquoten, wie Ihr Fraktionsvorsitzender das hier gestern diskutiert hat, indem er der Landesregierung vorwirft, dass sie durch verschiedene Schulformen und verschiedene Bildungsgänge die Schüler in Bildungsverlierer und Bildungsgewinner einteilen würde.
Ich habe es gestern schon betont und sage es noch einmal: Es ist eine Frechheit, Hauptschüler oder Realschüler als Bildungsverlierer in diesem Land zu bezeichnen.
Dieses Bundesland, das Bundesland Hessen, hat wie kaum ein anderes eine Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit in seinem Schulsystem. Da kann man den „Chancenspiegel“ der Bertelsmann Stiftung nicht genug zitieren. In Hessen haben die Kinder gerade aus bildungsfernen, aus unteren sozialen Schichten eine überdurchschnittlich hohe Chance, im Schulsystem aufzusteigen und bis in das Gymnasium zu gelangen. Wir unternehmen sehr, sehr viele Anstrengungen, um gerade auch Seiteneinsteiger zu integrieren, die zum Teil sogar als Analphabeten in unserem Land ankommen, die geringe Deutschkenntnisse haben, sowie Migranten zu integrieren und ihnen die Möglichkeit bis hin zu den höchsten Bildungsabschlüssen zu eröffnen.
Aber dieses System wirkt auch. 59 % unserer Realschüler gehen weiter in Richtung Abitur – auf ein berufliches Gymnasium, eine gymnasiale Oberstufe oder eine Fachoberschule. 40 % der Hochschulzugangsberechtigungen, also der Abiture, werden im beruflichen System erreicht. Das heißt, das sind Kinder, die über die Hauptschule, über die Realschule, über die duale Ausbildung oder eine der beruflichen Schulen zum Abitur und vielleicht auch weiter in das Studium gehen. Wir haben bundesweit den höchsten Anteil an Studienanfängern. Das heißt, diese Abiture werden nachher auch benutzt, um weitere Qualifikationen zu eröffnen.
Ein ganz wichtiger Punkt, der heute in der Debatte erstaunlicherweise noch nicht angesprochen worden ist, ist, dass wir in den letzten fünf Jahren die Schulabbrecherquote quasi halbiert haben.
In Hessen verlassen noch 2,6 % der Schulentlassenen hessische Schulen ohne irgendeinen Schulabschluss. Das heißt noch nicht, dass sie an dieser Stelle nicht weitermachen; denn auch um diese Kinder bemühen wir uns. Auch diese Kinder fangen wir mit unseren Berufsvorbereitungsjahren und unseren beruflichen Schulen auf. Das EIBE-Programm ist ein solches Programm, das sich in einer quasi 1:1-Betreuung darum bemüht, dass solche Jugendliche noch einen berufsqualifizierenden Abschluss bekommen. Die Tatsache, dass wir den Rest schon mit entsprechenden Abschlüssen in diesem Land haben, zeigt doch deutlich, dass die Mär, die Sie heute hier wieder erzählen wollten, dass unser System keine Durchlässigkeit, keine Anschlussfähigkeit garantieren würde, schlicht eine Fiktion von Ihnen ist, mit der Sie Ängste schüren wollen. Dieses Land wird sich immer dafür einsetzen, jedes einzelne Kind mitzunehmen. Dafür stehen Parteien wie die FDP und die CDU. Aber dafür brauchen wir eine vielfältige Bildungslandschaft, Freiheit und Qualität. Das werden wir auch weiter in diesem Land garantieren.
Ich finde es schade, dass die SPD in diesem Land Chancengleichheit mit Gleichmacherei verwechselt. Das wird uns nicht zu einem Ergebnis führen. Wir brauchen individuelle Förderung. Deswegen werden wir weiterhin als Hessische Landesregierung dafür stehen: nicht für alle das Gleiche, aber für alle das Beste. – Danke.
Vielen Dank, Frau Beer. – Frau Habermann hat sich zur weiteren Aussprache gemeldet. Frau Habermann, Sie haben fünf Minuten Redezeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kultusministerin, es ist mir gestern schon aufgefallen, dass Sie teilweise sehr salopp und auch unzutreffend mit bildungspolitischen Begriffen umgehen und Vorrednern Dinge in den Mund legen, die diese gar nicht gesagt haben. Ich möchte das auch gerne belegen. Sie reden von der Durchlässigkeit, und Sie reden vom „Chancenspiegel“ der Bertelsmann Stiftung. Sie sagen, dass mein Fraktionsvorsitzender gestern erklärt habe, dass Haupt- und Realschüler Absteiger seien. Frau Kultusministerin, das ist bewusst die Unwahrheit gesagt.