Aber was bei diesem Antrag der Fall ist und auch bei dem aus Niedersachsen der Fall gewesen ist: Sie ignorieren schlicht und einfach die verfassungsrechtliche Position der Kirchen. Es gilt Art. 140 Grundgesetz, und danach ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft „ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Das heißt, die Kirchen genießen in unserer Verfassung einen besonderen Status. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Position.
Was Sie mit diesem Antrag fordern, ist die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts, schlicht und einfach. Aber dies ist nicht Ihre Aufgabe. Es ist auch nicht Aufgabe der Landesregierung, über das kirchliche Arbeitsrecht zu urteilen. Es ist in der Tat entgegen der Auffassung, die Herr Kollege Spies hier geäußert hat, eine kirchenrechtliche Frage. Sie berührt die Grundsätze des verfassungsgemäßen Rechts der Kirchen. Es ist eine kirchenrechtliche Frage.
Aber es ist weiß Gott keine Glaubensfrage. Denn eine Glaubensfrage hat damit weiß Gott nichts zu tun. Ich sage ganz bewusst: „weiß Gott nichts zu tun“. Denn Glaubensfragen stehen erst recht nicht in der Disposition des Hessischen Landtags. Wer seine Argumentation wie der Kollege Wagner auf Glaubensfragen gründet, der weiß nicht, wovon er redet. Es geht hier um eine verfassungsrechtliche Frage.
Bei den Worten von Herrn Wagner dachte ich am Anfang: Menschenskinder, nee, was macht er? Das ist eine richtig softe Einleitung. – Es war aber nur die Einleitung zur Begründung, weshalb man Verfassungsrecht nicht wahrt und versucht, in kirchenrechtlichen und kircheninternen Angelegenheiten Einfluss zu nehmen, was diesem Landtag und dieser Fraktion nicht zusteht.
Es ist eine stillschweigende Goutierung des Antrags der LINKEN, wobei sich Herr Spies gar nicht geäußert hat, wie die SPD dazu steht. Er hat gar nichts zu dem Antrag gesagt.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So diskutieren das noch nicht einmal die Kirchen!)
Aber selbstverständlich diskutieren die Kirchen es so. Herr Wagner, glauben Sie einmal – schon wieder „glauben“ –, gehen Sie einmal davon aus, dass die Landesregierung mit den Kirchen in diesen Fragenstellungen einen intensiven Dialog führt.
Sie müssen gar nicht weit gucken. Sie brauchen nur zehn Tage zurückzuschauen. Es gibt jährlich ein Gespräch der Landesregierung mit den Spitzen der evangelischen und katholischen Kirchen. Das ist seit vielen Jahren Tradition. Natürlich waren die anstehende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und die Frage eines „Dritten Wegs“ Gegenstand eines solchen Dialogs.
Von den Kirchen habe ich auch noch nie gehört, was Sie sagten, – Herr Utter wurde da falsch verstanden, und Sie sind relativ schwach auf der Brust in Ihrer Argumentation –: Es gibt keine einzige Aufgabe der Kirchen, die 100 % von der öffentlichen Hand finanziert wird. Wenn das der Fall wäre, würde ich mir damit viele Dialoge und viele Gespräche sparen. Wenn Herr Utter als Beispiel gesagt hat, man habe in einem Kindergarten vier Gruppen, und rein rechnerisch sei die vierte Gruppe, die aufgemacht wurde, zu 100 % aus Kirchenmitteln finanziert, weil die Zuschüsse der öffentlichen Hand nicht reichen, dann hat er nicht mit eingerechnet, dass die Investitionskosten in das Haus, dass die Leitung mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden. Viele Sachen werden unterstützt.
Sie sind in Ihrer Argumentation an dieser Stelle schlicht und einfach schwach, weil Sie keine Ahnung haben, wovon Sie reden, und an dieser Stelle herumeiern.
Deswegen sage ich: Ich will verdeutlichen, dass es weder dem Landtag noch einer Fraktion zusteht, irgendeinen Einfluss auf die Aufgaben der Kirchen oder der Diakonie zu nehmen, ganz zu schweigen von einer Einmischung in die Lohnfindung in den kircheneigenen Kommissionen.
Da hat sich der „Dritte Weg“ durchaus bewährt. Er hat durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts eine neue Dimension bekommen. Es ist vollkommen in Ordnung, dass im Hinblick auf die gemeinsame Verantwortung für den Verkündungsauftrag Arbeitsrechtsregelungen vereinbart werden und in dem Moment, wenn eine Vereinbarung nicht zustande kommt, noch unterschiedliche Fragestellungen mit erörtert werden. Dass es an einer solchen Stelle die Chance gibt, dass man auch streiken kann, halte ich für vollkommen in Ordnung.
Aber letzten Endes hat das zentrale Prinzip der Kirche, nämlich Partnerschaft, Parität, faire Konfliktregelung und keine einseitige kirchenrechtliche Möglichkeit zur Aufhebung geltender Bestimmung, Rechtskraft erfahren. Das ist konstitutiv für das Kirchenrecht. Insofern finde ich das an dieser Stelle ausgesprochen wichtig.
Im Übrigen haben die Kirche und die Diakonie mit der Verabschiedung der Kirchlich-Diakonischen Arbeitsvertragsordnung konsequent die Entgeltstruktur verändert und die unteren Entgeltgruppen dem Marktniveau angepasst. Seit 2008 wurde diese Arbeitsvertragsordnung zweimal weiterentwickelt, wobei auch ein Vergleich mit dem Lohnniveau anderer vergleichbarer Entgelttabellen wie beispielsweise des TVöD zugrunde gelegt worden ist.
Jetzt kommt es: So ist des Weiteren auch die Aufforderung, die in dem Antrag zu lesen ist, an die Diakonie, mit ver.di in Tarifverhandlungen einzutreten, nicht notwendig, da ver.di zwar nicht mehr in dem Gremium der Kirche, der Arbeitsrechtlichen Kommission, vertreten ist, jedoch bis 2010 dort vertreten war und für die seit 1. April 2012 neue Legislaturperiode der Arbeitsrechtskommission einfach keine Vertreter mehr entsandt hat, obwohl sie eingeladen worden sind.
Sie haben sich schlicht und einfach einen solchen Dialog und solchen Verhandlungen verweigert. An dieser Stelle eine Aufforderung in Form eines Musterantrags zu formulieren, der aus Niedersachen oder wo auch immer abgeschrieben ist, ist schlicht und einfach überflüssig.
Ich denke, wer die Verfassung achtet und kennt, der kann für Ihr Anliegen kein Verständnis haben, auch nicht aus der Opposition heraus.
Herr Minister, ich habe mit meinem Wortbeitrag zu unserem Antrag in sehr ausgewogener Art und Weise versucht, zu klären und deutlich zu machen, was auf der einen Seite verfasste Kirche ist, wo Glaube und die Verfassung letztendlich auch bis in die Bedingungen und die Arbeitsverhältnisse hineinwirken, und wo es darum geht, dass sich kirchliche Einrichtungen auf dem Markt – der Begriff ist mehrfach gefallen – in Konkurrenzsituation zu anderen im sozialen Bereich bewegen. Der Kern der Diskussion ist ein sehr politischer. Um den haben Sie sich komplett herumgemogelt.
Das ist nämlich die Frage: Welche sozialen Standards ist diese Landesregierung bereit in diesem Bereich einzugehen? – Das hat etwas mit den Kosten zu tun. Das wissen Sie genauso, wie ich das weiß. Das ist aber der Kern der Auseinandersetzung.
Es geht nicht um Kirchenschelte, sondern darum, den Blick darauf zu werfen, dass ein großer Bereich in Hessen entsteht, eine diakonische Einrichtung mit über 30.000 Be
schäftigten, die sich letztendlich auf diesem Markt bewegt und damit auch Einfluss auf die gesamten Bedingungen hat, wie Sozialleistungen erbracht werden. Das ist das Thema.
Insofern – ich will das an der Stelle einmal aktuell sagen – geht es mir auch nicht um Kirchenschelte, wenn ich darauf hinweise, dass sich in der Bundespflegesatzkommission 2010 mit der gleichen Argumentation, die Sie heute vorgetragen haben, als Einziger der Vertreter der Diakonie dagegen gewandt hat, dass eine Erhöhung der Mindestlöhne auf 9,50 € in der Altenpflege erfolgt. Seine Begründung war: Das tangiert das Selbstverständnis der Kirchen, und das ist dadurch gefährdet.
All diejenigen, die mit Recht auf das Selbstverständnis der Kirche hinweisen, müssen aber genau schauen, um welche Einrichtung es sich da handelt. Wenn es sich um gemeinnützige GmbHs handelt, wenn es sich um Konzerne handelt, die auf dem sozialen Markt tätig sind und in Konkurrenz stehen, dann ist das eine ganz andere Frage. Dann ist die Frage, inwieweit das Selbstverständnis und damit das, was die Verfassung den Kirchen an Schutzmöglichkeiten mitgegeben hat, in der Diskussion stehen.
Das ist das eine. Darauf hinzuweisen, ist im Interesse aller, die soziale Leistungen empfangen und damit leben müssen.
Sie haben vorhin Herrn Wagner gefragt, wo es die Beispiele für 100-%-Finanzierung gäbe. Ich kann Ihnen zahlreiche Beispiele nennen. Ich will nur eines herausgreifen: die ambulante Gemeindekrankenpflege, Herr Minister. Die ambulante Gemeindekrankenpflege ist ein Bereich, der in starker Weise von der Diakonie geprägt ist und zu 100 % aus dem Auftragsaufkommen der Sozialversicherung finanziert wird – zu 100 %.
Wenn Sie die Altenpflege und die Krankenpflege betrachten, werden Sie genau zu dem gleichen Ergebnis kommen. Darin stecken keine Gelder der Kirche mehr. Da werden dankenswerterweise ganz wichtige Leistungen erbracht. Aber das ist genauso ein sozialer Wirtschaftsbetrieb wie andere auch.
Die verfassungsrechtliche Position haben wir nicht ignoriert. Die hat das BAG genau beschrieben, indem es das Streikrecht auch im kirchlichen Bereich gewährleistet sehen will. Das sollen und müssen wir zur Kenntnis nehmen, und das erfreut mich auch sehr.
Ein Letztes, Herr Minister. Es ist richtig: Anlass unseres Antrages sind der Zusammenschluss der Diakonie und die damit verbundenen Verschlechterungen, die damit verbundenen Proteste und Bewegungen, die es aus den Reihen der Beschäftigten der Diakonie Hessen gibt.
Ich sage dazu und muss mich da gar nicht verstecken: Natürlich haben unsere Kolleginnen und Kollegen in Niedersachsen das bereits thematisiert, weil es das gleiche Problem in Niedersachsen, weil es das gleiche Problem in jedem anderen Bundesland gibt. – Herr Minister, erlauben Sie mir eines: Es ist nichts anderes als billige Polemik, wenn Sie darauf hinweisen und Ihre Rede darauf abstellen. – Ich kann nur sagen: Abschreiben von sich selbst ist erlaubt. Das, was Herr Guttenberg gemacht hat, war etwas anderes.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Einmal mehr hat der amtierende Sozialminister in einer sozialpolitischen Debatte den unpassendsten Beitrag geleistet.
Ich bin dem Kollegen Utter, dem Kollegen Rock, dem Kollegen Spies sehr dankbar für ihre differenzierten Beiträge zu diesem Thema. Der Einzige, der wieder völlig neben der Spur gelegen hat, ist der amtierende Sozialminister.
Herr Minister, Sie haben mich für meine Position angegriffen, dass aus besonderen Rechten auch besondere Verantwortung entsteht. Das hat wortgleich der Kollege Rock auch gesagt. Das haben Sie nicht angegriffen. Der Kollege Rock hat teilweise, wie ich finde, sogar noch deutlichere Worte gefunden, welche Verantwortung daraus entsteht. Dazu sagen Sie nichts. Aber wenn es ein GRÜNER sagt, dann finden Sie, ist es der Niedergang des Abendlandes. Ihnen geht es doch überhaupt nicht mehr um die Sache, Herr Grüttner.
Herr Grüttner, ich muss Ihnen sagen, ich bin sehr dankbar, dass meine Kirche die Frage der Mitarbeiterrechte sehr viel differenzierter als der amtierende Sozialminister dieses Landes diskutiert. – Vielen Dank.
Ich möchte noch drei Anmerkungen zu der Debatte und zu einzelnen Punkten machen. Zunächst einmal möchte ich etwas zu den berühmten 100 % sagen. Da sieht man, dass Begrifflichkeiten, wenn sie nicht wirklich exakt ausgeführt werden, zu Missverständnissen führen.