Protocol of the Session on September 27, 2012

Ich will es noch einmal sagen: Die Armut, die Armutsbekämpfung und die soziale Gerechtigkeit hängen nicht nur, aber auch mit dem finanziellen Einkommen zusammen. Natürlich hängen sie auch mit der Teilhabe an Bildung, am Erwerbsleben, an gesundheitlicher Versorgung sowie am kulturellen, sozialen und politischen Leben zusammen. In all diesen Bereichen – das stellen Sie fest, je genauer Sie in diesen Armuts- und Reichtumsbericht hineinschauen – kommt dieser Bericht zu eindeutigen Aussagen.

Unser aktuelles Bildungssystem fördert jedoch weiterhin strukturelle Ungleichheiten, frühschulische Selektion, und ein hierarchisches Bildungsangebot verhindert den sozialen Aufstieg und die Chancengleichheit. Lassen Sie mich nur eines zitieren:

Das deutsche Bildungssystem ist damit … nicht in der Lage, benachteiligte Kinder in ihren aktuellen Klassenverbänden zu fördern und familiär bedingte Bildungsungleichheiten auszugleichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist eine Ohrfeige für die Schulpolitik, auch in Hessen, wenn wir das sagen dürfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Lassen Sie mich nur noch zwei sachliche Beiträge zu dem Thema machen:

Erstens. Wir haben allein in Hessen über 11.000 alleinerziehende erwerbsfähige Arbeitslose. Es gelingt uns seit zehn Jahren nicht, diese Alleinerziehenden in Lohn und Brot zu bringen. Warum? – Weil wir eine mangelhafte Integrationspolitik für Alleinerziehende haben und die Kinderbetreuung fehlt. Das ist eine Aufgabe der öffentlichen Haushalte.

Zweitens. Wir haben noch immer 29.000 Jugendliche in den Warteschleifen. Auch da muss etwas passieren. Wir haben das „Konzept zur Neugestaltung des Übergangs Schule-Beruf“ vorgelegt. Auch dort müssen die öffentlichen Haushalte dazu beitragen, dass jeder Jugendliche einen Abschluss bekommt.

Bei der Frage des Mindestlohns haben Sie auch in Hessen viel zu lange zugewartet, einzugestehen, dass wir höhere Einkommen brauchen. Auch dort geht es immer um die Frage: Was regelt der Staat, und wie kann er das in vielen Bereichen finanzieren? – Es ist daher auch eine Frage dessen, wie die öffentlichen Haushalte tatsächlich ausgestattet sind, und ob sie auskömmlich finanziert sind. Dazu will ich Ihnen noch einmal sagen: Sie geben in all diesen Bereichen keinerlei Antworten und setzen auf Bundesebene alles daran, dass dort keine Lösungen gefunden werden.

Wir GRÜNE haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt. Wir haben zum Thema Einkommensteuer – der Spitzensteuersatz muss verändert werden – einen Vorschlag auf dem Tisch liegen, auch zur Erbschaftsteuer, zur befristeten Vermögensabgabe und zur Finanztransaktionssteuer. All diese Vorschläge werden dazu beitragen, dass die öffentlichen Haushalte in eine bessere Situation kommen und dass sie so ausgestattet sind, dass wir die Zukunftsaufgaben wie Bildung, Integration, Kinderbetreuung und vieles mehr tatsächlich angehen können. Nur so können wir beides verhindern, dass wir auf der einen Seite eine weitere Spaltung haben; auf der anderen können wir gleichzeitig präventiv dafür sorgen, dass die Armut nicht weiter ansteigt. Es ist selektive Ignoranz, immer zu sagen: Uns geht es doch eigentlich ganz gut, der Rest interessiert mich nicht und ist nur linke Ideologie. – Das ist verblendet und führt zu keiner Lösung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir unterstützen den Antrag der SPD. Wir haben in Nr. 4 gerade in der Diskussion der verschiedenen Modelle leichte Abweichungen, aber die Tendenz ist völlig richtig: Wir müssen dazu aufrufen, dass in dieser Gesellschaft gerechter verteilt wird. Auch wir GRÜNE unterstützen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene den Aktionstag „Umfairteilen“. Diesen tragen wir mit. Wir glauben, dass es das Gebot der Stunde ist, dass man mit Augenmaß spart, aber auch die Einnahmen des Staates mit Augenmaß erhöht. Deswegen müssen wir diese Steuern erheben. Wir müssen klarer umverteilen. Wir brauchen auch ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass das, was Sie als CDU und

FDP tun, ein klares Ignorieren der großen Probleme ist, die der Armuts- und Reichtumsbericht beschreibt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Das Wort hat Herr Abg. René Rock (Seligenstadt), FDP.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es interessant, dass wir hier über einen Entwurf diskutieren, der so noch gar nicht abgestimmt und sozusagen noch nicht in der Öffentlichkeit ist. Wir reden am Ende über einen Entwurf bzw. Bericht, der so dick wie ein Telefonbuch ist, wo jeder einen Satz findet, über den er sich ereifern kann und sich wiederfindet.

(Zuruf von der SPD)

Ich denke, man muss das in aller Ruhe und nicht in einer Aktuellen Stunde, vielleicht einmal bei einem Setzpunkt, ordentlich erörtern können. Innerhalb von vier, fünf Minuten bei dem Bericht in die Tiefe zu gehen, ist gar nicht möglich. Aber darum geht es Ihnen auch gar nicht; es geht Ihnen nicht um den Bericht. DIE LINKE möchte die übliche Umverteilungsdebatte führen, die sie hier immer zur Aktuellen Stunde erklärt, wenn ihr nichts einfällt. Von daher finde ich es interessant, dass Sie wieder mal irgendwo einen Schlenker gefunden haben, um die Rede, die Sie immer halten, hier mal wieder gehalten zu haben: nichts Neues aus dieser Ecke.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dann erlebe ich immer wieder, dass Sie anstatt eine Strukturdebatte darüber zu führen, wie der Arbeitsmarkt organisiert sein muss, die Nachhaltigkeit der Rente gesichert ist und andere ganz wichtige Dinge für die Bevölkerung, diese nicht führen, nicht führen können und nur die Rolle rückwärts wollen, und dass diese Strukturdebatte bei Ihnen einfach von einer Neiddebatte überdeckt wird, einer billigen und falschen Neiddebatte, um sich mit den wirklichen Themen in diesem Land nicht auseinandersetzen zu müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Dr. Thomas Spies (SPD): „Neiddebatte“?)

Frei nach Robin Hood: Ich hole es bei den Reichen und verteile es bei den Armen. – So einfach ist die Welt nur nicht, und das müssten Sie eigentlich mittlerweile gemerkt haben.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Doch! – Norbert Schmitt (SPD): Ihr macht es halt umgekehrt!)

Ich möchte den Kollegen von den LINKEN an dieser Stelle auch sagen: Es stimmt einfach gar nicht, was Sie sagen. Sie tun so, als würde das Vermögen in Deutschland nicht besteuert. Es ist geradezu lächerlich, was Sie hier vortragen. Dieses Land ist mit Steuergesetzen ausgestattet wie kaum ein anderes. Überall in diesem Land werden in der Steuergesetzgebung Vermögen und alles Mögliche erfasst. Wenn Sie einmal an die Schenkungs- und Erbschaftsteuer denken und die verschiedenen Steuerarten zusammenfas

sen, werden Sie feststellen: Auch das Vermögen in Deutschland wird in gewisser Weise besteuert. – Wenn Sie dann den europäischen Vergleich machen, werden Sie feststellen: Wir sind da im guten Mittelfeld. Sie erzählen einfach fachlichen und sachlichen Blödsinn.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Überhaupt nicht!)

Wenn ich dann dies von Ihnen höre, ich weiß es nicht, aber ich glaube, Herr Schaus war es gewesen, rate ich Ihnen: Sagen Sie das einmal den 2.000 Beschäftigten von Neckermann. Ich glaube, den 2.000 Beschäftigten von Neckermann ist es nicht wichtig, ob Sie 100 € mehr Arbeitslosengeld bekommen, sondern dass sie bald wieder einen Arbeitsplatz haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja, in den Ministerien, so wie die FDP das macht!)

Das ist die Frage, die diese Menschen umtreibt: Wann habe ich wieder einen Arbeitsplatz? – Nicht, ob ich 50 oder 100 € mehr Zuschuss bekomme.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Was? – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Nein!)

Damit ist, glaube ich, auch auf den Punkt gebracht, dass Sie diese Debatte einfach nicht verstehen. Sie verstehen nicht, worum es in dieser Gesellschaft wirklich geht. Es geht darum, Chancen zu schaffen, und es geht darum, für den einzelnen Menschen Aufstiegschancen zu schaffen. In dieser Gesellschaft kann man im Detail mit Sicherheit noch etwas verbessern. Dieser Diskussion stellen wir uns. Daran arbeiten wir, und wir versuchen, besser zu werden, statt sich hierhin zu stellen und zu sagen: Ich nehme es bei den Reichen, dann ist das Problem gelöst.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wenn ich mir den Antrag der SPD anschaue, stelle ich fest: Da geht es nur darum, Steuereinnahmen zu generieren.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist auch nötig!)

Es geht Ihnen um die Wohlfahrt des Staates, aber nicht um die des einzelnen Bürgers, weil er diese Steuereinnahmen nämlich bezahlen muss.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Frage lautet doch immer: Will ich einen reichen Staat, oder möchte ich eine Bevölkerung, die mit dem Geld, das sie mit harter Arbeit verdient, auch etwas anfangen kann? Darin unterscheiden wir uns aber nur in den Debatten, Herr Spieß. Bei der SPD bin ich beruhigt, da werden mir die LINKEN wahrscheinlich zustimmen: Sie reden immer über Reichen- und Vermögensteuer, über Umverteilung und führen hier all diese Debatten im Mund. Wenn Sie dann aber regieren, holen Sie die Tatsachen doch ganz schnell ein.

Wir wissen doch: Wenn Sie dann mit einem vernünftigen Partner an der Seite regieren, machen Sie eine Steuerreform, entlasten die Unternehmen und reduzieren die Höchststeuersätze. Das ist doch dann die Politik der SPD. Von daher schreckt mich Ihr Redebeitrag überhaupt nicht, weil ich weiß: Wenn Sie regieren, machen Sie eine ganz andere Politik, als wenn Sie hier reden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Ach du lieber Gott!)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Sozialminister, Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Reden von Herrn van Ooyen und anschließend von Herrn Dr. Spies gehört hat, war es schon sehr bezeichnend, dass es nicht um eine Auseinandersetzung in vielen Punkten ging, sondern es war eher ein Streit zwischen den LINKEN darüber, wer linker ist, wer eher versucht, irgendetwas zu vereinnahmen, und wer im Grunde genommen als Erster eine Idee gehabt hat, die eigentlich so alt ist wie die Diskussionen, die wir zum jetzigen Zeitpunkt führen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Links überholt uns keiner!)

Natürlich wird immer wieder der Versuch unternommen – mir fällt zu den Stichwörtern „Karl Marx“ etwas ein, aber das lasse ich jetzt, denn das gehört eher zu den Themen, die wir dann nach der Frau Wissler – –

(Janine Wissler (DIE LINKE): Da haben Sie keine Ahnung!)

Frau Wissler, fragen Sie einmal Ihren Nachbarn; er grinst, deswegen wissen wir an dieser Stelle schon, worüber wir reden.

Die Frage ist, ob Sie jetzt etwas zum Anlass nehmen und diese Diskussion im Grunde genommen führen, um letztendlich eine Demonstration, eine Kundgebung, die am kommenden Samstag stattfindet, zum Thema innerhalb der Plenarrunde zu machen. Der Aufhänger ist dann der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, über den wild diskutiert wird und der hier zum Gegenstand wilder inhaltlicher Auseinandersetzungen gemacht wird, wobei ich glaube, dass Sie ihn gar nicht kennen. Ich habe Ihnen gestern schon gesagt: Das ist der Entwurf.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Aber hallo!)

Ich glaube mit Sicherheit nicht, dass irgendeiner von Ihnen diesen Entwurf gelesen hat, weil es nämlich ein Entwurf ist, der erstens zwar auch in Teilen in der Öffentlichkeit ist, aber zweitens, wenn Sie ihn richtig gelesen hätten, dann natürlich eine vernünftige Exegese hätte haben müssen.

(René Rock (FDP): Das ist der Beweis!)

Herr Bocklet, Sie haben in fünf Minuten so viel erzählt, was nicht stimmt, dass ich gar nicht die Zeit habe, um Ihnen das zu erklären. Herr Kollege Hahn hat eben gesagt, ich könne mir die Zeit nehmen, Ihnen den Bericht vorzulesen. Insofern kann ich das gerne machen.

(Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))