Da passt es nicht so richtig ins Bild, dass in einem großen Land Europas, dessen demografische Probleme vielleicht minimal geringer sind als unsere – jedenfalls ist die Geburtenrate in Frankreich nicht signifikant besser als unsere –, derjenige, zu dem die drei Wettbewerber um den Oppositionsvorsitz im Deutschen Bundestag der nächsten Legislaturperiode hingepilgert sind, am Ende als eine der ersten Maßnahmen das Renteneintrittsalter mit 60 Jahren wieder einführen will.
Das sind genau die falschen Signale. Europa muss auch an diejenigen außerhalb Europas, die im Moment unsere Staatsfinanzierung mit organisieren, indem sie den deut
schen und den europäischen Institutionen das Geld, das sie verwalten, zur Finanzierung zur Verfügung stellen, Signale aussenden, die bewirken, dass sie am Ende darauf vertrauen, dass die Europäer die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Die Bandbreite dieser zu ziehenden Lehren ist relativ groß. Wenn ein Land dauerhaft Mitglied der Eurozone bleiben will, in dessen Verfassung steht, dass Reeder keine Steuer zu zahlen haben, wird es diese Regeln in naher Zukunft zu ändern haben. Das ist relativ einfach.
Aber dazu gehört auch, dass wir nicht den Blick davor verschließen dürfen, dass Strukturreformen weiterhin notwendig sind. Der verbonzte, unglaublich betonierte Arbeitsmarkt in Italien, dessen Regelung durch die Beschlüsse des italienischen Parlaments in den letzten Tagen zum Glück ein Stück weit gelockert worden ist, hat auch dazu beigetragen, dass die Wachstumskräfte dort nicht haben Platz greifen können.
Das gilt auch für die Entscheidungen, die jetzt in Frankreich bevorstehen, wo wichtige Reformen der letzten Jahre offensichtlich zurückgedreht werden sollen. Das sind genau die Signale, die wir nicht brauchen und die das Vertrauen in Europa jedenfalls nicht stärken werden.
Herr Staatsminister, Sie haben eben von einem „betonierten Arbeitsmarkt“ in Italien gesprochen. Können Sie näher erläutern, was Sie darunter verstehen?
Ich kann nur aus dem Gedächtnis Herrn Monti zitieren, der gesagt hat, das größte Problem des italienischen Arbeitsmarktes sei, dass es eine unglaubliche Sicherheit für diejenigen gibt, die Arbeit und Wohlstand haben, aber nahezu einen Ausschluss derjenigen, die keine Arbeit und keinen Wohlstand haben, und dass die Übergänge erleichtert werden müssen, sodass mehr Menschen eine Chance haben, in den Arbeitsmarkt hineinzukommen.
Dazu gehörten offensichtlich aber auch Lockerungen von Kündigungsschutzmöglichkeiten, um wirtschaftlich effektiver arbeiten zu können. Herr Schaus, ich weiß, in Ihrem Weltbild kommt das nicht vor. Aber da kann ich leider auch nichts dafür.
Lassen Sie mich zum Schluss aber noch etwas zur Finanztransaktionssteuer sagen. Naturgemäß ist es die Aufgabe der Hessischen Landesregierung, die in besonderer Weise eine Verantwortung für den Finanzplatz Frankfurt und damit für den Finanzplatz Deutschland hat, darauf zu achten, dass diejenigen Steuerquellen, die dort generiert wer
den, auch auf Dauer erhalten bleiben. Manche, die sich im föderalen Wettbewerb an den Diskussionen beteiligen und manche Vorschläge unterbreitet haben, deren Tauglichkeit man sicherlich bestreiten kann, leben von unseren Einzahlungen in den Länderfinanzausgleich ziemlich veritabel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb werden wir darauf zu achten haben, dass das, was jetzt auf dem Instrumentenweg der verstärkten Zusammenarbeit auf europäischer Ebene versucht wird zusammenzubringen, den Anforderungen entspricht, die der Kollege Noll eben zitiert hat – eine Steuer zu erheben, die am Ende auch gezahlt werden kann. Nicht, dass wir uns wunderschöne Bilder ausmalen, was für eine Steuer wir erfinden, und dafür sorgen, dass diejenigen, die die Steuern zahlen sollen, am Ende aus Deutschland verschwinden, sodass wir am Schluss nicht nur keinen Steuerertrag haben, sondern hier auch die Arbeitsplätze verloren haben.
Die Umsetzung dessen hinzubekommen, wird ein beträchtliches Stück Arbeit sein. Das wird extrem kompliziert. Wir werden als Hessische Landesregierung sehr darauf achten, dass am Ende den deutschen Interessen nicht dadurch geschadet wird, dass an manchen sehr feinen Stellschrauben bei der Gestaltung dieser Steuer Entscheidungen getroffen werden, deren langfristige Auswirkungen in der politischen Debatte des Augenblicks nicht überblickt werden können. Das wird im Rahmen der Umsetzung des Fiskalpaktes in den nächsten Wochen und Monaten unsere Aufgabe sein. Diese Aufgabe werden wir annehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ändert nichts an der Tatsache, dass es ein gutes Signal für Deutschland und Europa ist.
Wir werden dem Fiskalpakt und dem ESM selbstverständlich im Bundesrat zustimmen. Herr Kollege Schmitt, wir hätten auch zugestimmt, wenn so manche Durcheinanderverhandlungsstrategie der A-Länder-Seite nicht stattgefunden hätte. Ich glaube, wir hätten uns jetzt manche Diskussionen und die Zerschlagung so manchen Porzellans auf nationaler Ebene ersparen können, wenn wir uns in den Umsetzungsdiskussionen darauf konzentriert hätten, das im Laufe des Jahres zu machen und nicht eine Debatte über die Erfüllung einer internationalen Verpflichtung mit aus Sicht der Europäer eher schwierigen, kleineren Detailfragen in der nationalen Umsetzung zu belasten. Das Außenbild Deutschlands hat sich an dieser Stelle jedenfalls nicht zum Vorteil verändert. Aber das sind die Realitäten in diesem Land, die wir offensichtlich zur Kenntnis nehmen müssen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Schäfer. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Debatte.
Ich gehe davon aus, dass beide Anträge an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Das ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend „Fiskalpakt“ „stoppen“ und Kommunen „schützen“, Drucks. 18/5837, zusammen mit dem Dringlichen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN betreffend Europäischer Stabilitätsme
chanismus und Fiskalpakt nach Verhandlungen zustimmungsreif – weitere Schritte zur Euro-Rettung müssen folgen, Drucks. 18/5879. – Beide gehen an den Haushaltsausschuss.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erlaube mir, mir hier das Rederecht zuzuteilen, weil ich einen Spitzenbeamten aus unserer Verwaltung verabschieden möchte, der heute das letzte Mal an der Sitzung teilnimmt. Er geht zwar erst am 31. August, aber bis dahin haben wir keine Sitzung mehr. Er ist immerhin unser stellvertretender Landtagsdirektor, sodass ich glaube, dass dieser Rahmen der richtige ist, Herrn Stritter hier im Parlament zum ersten Mal zu verabschieden. Die anderen Abschiedsfeierlichkeiten werden in den nächsten Wochen laufen. Er ist jetzt in der Altersteilzeit; er geht in die Phase hinein, die altersteilzeitmäßig ansteht.
Herr Stritter ist 1950 in Wiesbaden geboren. Er ist Jurist. Er hat in Freiburg studiert; das soll für Juristen ja etwas Besonderes sein. Er ist 1989 beim RP Darmstadt in den öffentlichen Dienst eingetreten. Er war beim Hessischen Landesamt für Umwelt. Er kam 1991 zu uns in den Hessischen Landtag. 1998 wurde er, wie Sie wissen, Abteilungsleiter und ist seit März 2010 stellvertretender Direktor beim Hessischen Landtag.
Er ist zweifelsohne mittendrin in dieser Verwaltung und ein wesentliches Glied dieser Verwaltung. Er ist einer, der sich gerade um dieses Haus und um alles, was hier laufen muss, verdient gemacht hat, dem wir zu danken haben und dem wir als Landtag alles Gute wünschen. Er ist sehr sportbegeistert. Er läuft Berge hoch, und zwar schnell, die wir kaum gehen. Er ist einer, der den Gesundheitszirkel im Hessischen Landtag organisiert hat. Das ist sein Baby, welches er inszeniert hat, und es wird über seine Zeit hinaus hier verbleiben.
Nein, der Präsident macht nicht mit, er ist an dieser Stelle ungeeignet. – Ich glaube aber, er hinterlässt uns Spuren, die uns noch weiterhin begleiten werden. Ich wollte einfach die Gelegenheit wahrnehmen, ihm heute Mittag in Ihrem Namen, weil es jetzt sein letzter Sitzungsteil ist, herzlich zu danken und ihm alles Gute für die Zukunft zu wünschen. Lieber Herr Stritter, alles Gute.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können jetzt in die Mittagspause eintreten. Ich unterbreche die Sitzung bis 14:15 Uhr.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns in der Plenarsitzung fortfahren. Die Reihen sind zwar noch ein bisschen leer. Aber wir können dennoch beginnen.
Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend marktwirtschaftliche Industriepolitik ist integraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft – Drucks. 18/5535 –
Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend hessische Industrie stärken – Chancen der ökologischen Modernisierung nutzen – Drucks. 18/5886 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als erster Redner hat sich Herr Krüger von der FDP-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Krüger, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wenn die deutsche Industrie so schnell und so pünktlich wäre wie die Kolleginnen und Kollegen im Landtag zu Beginn der Sitzung, dann, so muss ich offen sagen, sähe ich etwas schwarz.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe der Abg. Kai Klose (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Lassen Sie mich meinen Beitrag mit zwei Vorbemerkungen beginnen. Die erste Vorbemerkung ist eine Feststellung von Tatsachen, nämlich dass Hessen wirtschaftlich exzellent dasteht: mit 3,3 % Wachstum,
mit einer Arbeitslosenquote von unter 6 % im letzten Jahr, einem durchschnittlichen Reallohnzuwachs von 1,4 % im letzten Jahr sowie einer Exportquote, nach der Hessen das drittstärkste Exportland in Deutschland ist.
Bei meiner zweiten Vorbemerkung hoffe ich auf die Zustimmung aller demokratischen Fraktionen in diesem Hause. Ich hoffe auf die Gemeinsamkeit, auf deren Grundlage wir das Thema Industriepolitik diskutieren. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause alle einig, dass Politik selbst keine Arbeitsplätze schafft, außer bei der Polizei, der Schule und in der Justiz, und dass Arbeitsplätze immer noch von Unternehmen und Unternehmern geschaffen werden.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Und Unternehmerinnen!)