Diese Bundesrepublik hat ca. 3,2 Millionen Unternehmen. Davon sind 6.000 Großunternehmen. Alles andere sind mittelständische und kleine Unternehmen.
Ich übersetze das jetzt: Wir reden, beim Handwerksbetrieb angefangen, von ungefähr 5 bis 6 Millionen Eigentümerunternehmern, Angestellten, Vorständen, Geschäftsführern usw. Nach den Thesen, die Sie hier verbreiten, sitzen diese 6 Millionen morgens bei Champagner und Kaviar und überlegen sich 365 Tage im Jahr nichts anderes, als wie sie ihre Arbeitnehmer quälen können: durch Lohnverzicht, Dumping, Leiharbeit usw. Wer ein solches Zerrbild im Kopf hat, hat sich für jede wirtschaftspolitische Diskussion disqualifiziert.
(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU – Zu- rufe der Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) und Dr. Frank Blechschmidt (FDP))
Wir haben gerade erlebt, dass DIE LINKE sich jeglicher sinnvollen Diskussion über das Thema Wirtschaftspolitik und Industriepolitik widersetzt. Ich gehe davon aus, dass wir alle auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft stehen, die ursprünglich von Müller-Armack entwickelt und von vielen Wirtschaftsministern, von Ludwig Erhard und vielen anderen in der Folge, umgesetzt und bis heute weiterentwickelt wird.
Meine Damen und Herren, damit auch das klar ist und nicht wieder in der Debatte hochkommt: Dass die erste Krise in der Bundesrepublik und im Land Hessen überwunden werden konnte, ist ein Verdienst der Agenda 2010, mit allen Reformen, die dort angesetzt wurden.
Natürlich überwunden. Das ist der Punkt. Ich komme später noch einmal darauf zurück, dass Sie alles eifrig durcheinanderwerfen.
Wir wollen nicht vergessen, dass das Konjunkturprogramm auch im Land Hessen – das wurde gestern bereits erwähnt – einiges zum Wachstum und zur Stabilisierung des industriellen Sektors beigetragen hat. Wer sich damit beschäftigt hat, weiß, dass Kurzarbeit und alle anderen Maßnahmen wesentlicher Bestandteil der Überwindung der Krise Ende 2008/2009 waren. Das kann und soll auch nicht bestritten werden. Das alles war auf der Basis der Agenda 2010.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns auch darüber einig, dass der Staat lediglich die Rahmenbedingungen setzt – auf die ich noch zu sprechen kommen werde – und dass alles andere das Verdienst vieler Unternehmerinnen und Unternehmer, Angestellter, Vorstände, Geschäftsführer sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist. Das ist am Ende ein Profit für den Staat und für unsere Gesellschaft.
Es ist unstreitig, dass dieser Erfolg viele Väter hat. Streiten können wir darüber, ob es sinnvoll sein kann, solche Reformen wieder zurückzunehmen, wenn wir Strömungen festzustellen haben. Zu den zarten Pflänzchen, die sich in Bezug auf Arbeitsmarktreformen und anderes in Italien zeigen, wage ich ganz kühn die Prognose: Das werden wir trotz eines sozialistischen Präsidenten auch in Frankreich erleben. Denn auch dort wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass ein festgezurrter Arbeitsmarkt mit den Kündigungsfristen, wie sie dort gelten, langfristig Wirtschaftswachstum behindert.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Und die Rente mit 60, Herr Krüger!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich auch ein paar Bemerkungen zu dem heute Morgen, gestern und auch in der Vergangenheit diskutierten Thema Leiharbeit machen. Ich wundere mich tatsächlich – offensichtlich hat das mit dieser Glocke über uns zu tun –, wie fahrlässig mit dem Thema Leiharbeit umgegangen wird.
Angesichts des Zeugen, den ich anrufen möchte, müssten Sie im Grunde genommen von allen Seiten schon ruhig sein. Wer sich mit den Tarifverhandlungen der IG Metall, der Elektroindustrie und Metallindustrie in den vergangenen, den jetzt in den einzelnen Bezirken laufenden Tarifen wie auch den vielen Haustarifverträgen beschäftigt hat, der muss ganz einfach feststellen, dass Leiharbeit im industriellen Sektor – ich lege Wert darauf, dass das verstanden wird – offensichtlich kein Thema war und auch kein Zukunftsthema ist.
Es ist schlicht und ergreifend – außer in dem einen oder anderen Fall – nicht angesprochen oder in irgendeiner Form geregelt worden.
Diese Verelendungstheorien, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen, haben mit der betrieblichen Wirklichkeit null zu tun.
Ich weiß ein ganz klein wenig darüber Bescheid und kann mit Fug und Recht feststellen, dass Leiharbeit zwei positive Dinge bewirkt. Das eine ist: Es werden Menschen kurzfristig in Arbeit gebracht. Wer sich ansieht, welche Qualifikationen dazu erforderlich sind, und es trotzdem mit unterqualifizierten Beschäftigungsverhältnissen verwechselt, der hat – tut mir leid, das so salopp sagen zu müssen – von Tuten und Blasen keine Ahnung.
Zweitens ist es ein Übergang in eine feste Beschäftigung. Es ist die Möglichkeit für Unternehmen, Spitzen abzufangen und zu reagieren, das heißt zu atmen. Dies alles hat in der Zwischenzeit zumindest die industriell orientierte Seite der Gewerkschaften erkannt.
Dass es im einen oder anderen Bereich negative Auswüchse haben kann, will ich nicht bezweifeln. Aber dass wir in Hessen und in Deutschland insgesamt auch besser durch die Krise gekommen sind als andere, liegt natürlich an dem nach wie vor hohen Anteil an Industrie und Industrieproduktion in der Bundesrepublik und in Hessen.
Es ist nicht ausschließlich der Finanz- und Dienstleistungssektor, den wir natürlich alle – insbesondere in Wiesbaden und in der Frankfurter Umgebung – im Kopf haben, wenn wir immer wieder vergessen, welchen großen Anteil an der Wertschöpfung auch in diesem Lande die Industrie und die hessische Industrie hat.
Lassen Sie mich darüber hinaus noch einmal etwas anderes aufgreifen, wenn wir darüber reden, was Bundespolitik und Landespolitik hinsichtlich der Rahmenbedingungen bewegen können. Da ist in erster Linie Infrastruktur ein Thema, die entsprechend dem Bedarf ausgebaut und erhalten werden muss, damit Verkehr und Export auch über Grenzen hinweg – auf Straße, Schiene, Wasser und in der Luft – ermöglicht werden; ja, auch in der Luft, meine Damen und Herren.
Ich möchte alle Beteiligten noch einmal an die Realität erinnern: Es gibt keine virtuelle Transportmöglichkeit von Gütern und Menschen. Güter und Menschen müssen physisch transportiert werden.
Das ist eben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Gehen Sie doch beispielsweise einmal zu einem Anlagenbauer. Selbst wenn er hoch spezialisierte Ingenieure hat – wenn er seine Anlage verkauft, muss er irgendwann zur Inbetriebnahme seine Fachingenieure dorthin schicken; die müssen reisen. Auch Güter müssen transportiert werden. Nehmen wir einmal das große Thema der Automobilzulieferindustrie oder der Automobilindustrie in unserem Lande. Da gilt das genauso, meine Damen und Herren.
An dieser Stelle richten wir – insbesondere die CDU und die FDP – ein herzliches Dankeschön an den ehemaligen Wirtschaftsminister Posch. Ich gehe davon aus, dass auch Herr Rentsch dies weitertreiben wird; denn Infrastruktur ist für die Industrie die notwendige Luft zum Atmen.
Überdies geht es um die Zukunftsorientierung. Es geht um die Orientierung, dass Industrie den größten Teil – 90 % – der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und 77 % der Innovationsaufwendungen erbringt und eben nicht allein Vater Staat.
Noch ein letzter Satz: Das alles ist natürlich kein Anlass, sich hier in Hessen oder über dessen Grenzen hinaus auszuruhen, sondern wir müssen das Problem Fachkräftemangel, das Problem Energiekosten, das Problem Stabilität der Stromnetze angehen und lösen. Ich persönlich bin sehr, sehr optimistisch, dass unser neuer Wirtschaftsminister Rentsch mit Unterstützung von CDU und FDP diese Probleme lösen und gleichzeitig gegen Fachkräftemangel vorgehen wird. – Ich danke Ihnen.
Das war ein langer letzter Satz. Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Herr Kollege Klose vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Wir sprechen heute – jedenfalls war dies meine Erwartung – über soziale Marktwirtschaft und Industriepolitik, statt in erster Linie den Vortrag über statistische Daten fortzusetzen, den wir gestern schon hatten.
Herr Beuth, es ist sehr gut, dass Sie zumindest mir gegenüber kein Weisungsrecht haben. Mich müssen Sie schon überzeugen.