Protocol of the Session on June 28, 2012

„Wir lassen uns nicht nervös machen, und das geben wir auch nicht zu“ – das ist genau das, was zurzeit in der Bildungspolitik dieser Landesregierung stattfindet. – Ich sehe Heiterkeit bei Leuten, die früher die Kultuspolitik in diesem Land verantwortet haben. Frau Wolff, ich kann gut verstehen, dass auch Sie das erheitert, was im Moment hier passiert. Aber eigentlich ist das nicht lustig.

(Judith Lannert (CDU): Das finden wir auch nicht! Wir nehmen das ernst! Sie machen nur Klamauk heute Morgen!)

Den Schulen waren Ruhe und Verlässlichkeit versprochen worden. Die Schulen sehen sich der vierten Kultusministerin bzw. dem vierten Kultusminister in vier Jahren gegenüber, und sie haben es mit einem heillosen Chaos zu tun, was die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit betrifft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist doch ein Stück aus dem Tollhaus: für die Schülerinnen und Schüler, die zurzeit das Gymnasium besuchen und die zu Recht darauf hingewiesen haben, wie hoch die Belastungen im G 8 sind; für deren Eltern, die jeden Tag gespürt haben, was die vermurkste Einführung von G 8 auch für den Familienalltag bedeutet; und für die Vereine

in diesem Land, die gemerkt haben, welche Auswirkungen G 8 auf das Vereinsleben hat.

Jetzt heißt es seitens dieser Regierung: Ach, wissen Sie, das war eigentlich nur eine Idee von uns; wir haben Sie zwar in den letzten acht Jahren beschimpft, wenn Sie Kritik geübt haben, aber jetzt machen wir es vielleicht wieder anders. – So kann man Bildungspolitik nicht machen. So kann man mit den Eltern, den Schülern und den Lehrern in diesem Land nicht umgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wie sollen sich eigentlich die Eltern fühlen, die derzeit für ihre Kinder, die die Grundschulzeit hinter sich haben, eine Entscheidung treffen müssen, wenn ein Ministerpräsident auf einem CDU-Parteitag mir nichts, dir nichts erklärt: „Vielleicht ermöglichen wir jetzt die Wahlfreiheit für die Gymnasien“? Das wurde kurz vor Schuljahresende gesagt, kurz vor der sehr wichtigen Entscheidung, wie es nach den Ferien weitergeht. Wie sollen sich diese Eltern fühlen?

Dann stellt man fest: Der Ministerpräsident hat zwar geredet, aber vorher nicht nachgedacht. Mit seiner Kultusministerin hat er sich schon gar nicht unterhalten. Die Kultusministerin sagt, sie wolle alles ergebnisoffen prüfen. Herr Irmer sagt wiederum: Das muss nicht geprüft werden, das wird gemacht. – Herr Blechschmidt sagt: Das ist die Privatmeinung von Herrn Irmer. – Dann gibt es eine Erklärung der Kultusministerin: Es wird so gemacht. – Anschließend tritt Herr Kollege Döweling ans Rednerpult und sagt: Wir prüfen es vielleicht noch einmal. – So kann man doch keine Bildungspolitik in diesem Land machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Um es hier sehr deutlich zu sagen: Wir GRÜNE stehen schon seit Jahren für die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Aber man muss es auch so machen, dass es die Schulen nicht verunsichert. Man muss erst denken und ein Konzept vorlegen, und dann darf man reden. Genau das hat die Koalition nicht gemacht, und das zeigt einmal mehr: Regieren muss man nicht nur wollen, regieren muss man auch können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will auch sehr deutlich sagen: Uns geht es um Verlässlichkeit und um Entwicklungsperspektiven für unsere Schulen. Beides muss zusammenkommen: Verlässlichkeit und Entwicklungsperspektiven. Die Wahlfreiheit ist eine Entwicklungsperspektive. Der Fehler der Regierung ist, dass es durch die schnelle Umsetzung an Verlässlichkeit mangelt.

Der Fehler von anderen Fraktionen in diesem Haus, die hier die generelle Rückkehr zu G 9 propagieren, ist, dass das auch das Gegenteil von Verlässlichkeit wäre, wenn die Politik jetzt allen Schulen von oben wieder überstülpen wollte: „Ihr müsst zurück auf Los; die ganze Arbeit der vergangenen Jahre war umsonst.“ Das funktioniert auch nicht. Deshalb brauchen wir Verlässlichkeit und Entwicklungsperspektiven. Der konstante Faktor in der hessischen Bildungspolitik ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Bauer (CDU): Konstanz in der Opposition ist auch gut!)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Das Wort hat Herr Abg. Irmer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zwar ganz schön, wenn man gelegentlich Vergleiche aus der Fußballsprache bemüht. Ich glaube aber nicht, dass es der Bedeutung des Themas angemessen ist, um das sehr deutlich zu sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Gerhard Merz (SPD): Haben wir hier eine Aktuelle Stunde, oder was? – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich stelle für die CDU und die FDP fest: G 8 hat sich bewährt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist in Deutschland und in Europa Standard. Ich sage sehr deutlich – –

(Fortgesetzte Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Hören Sie doch einfach einmal zu, und hören Sie auf, ständig dazwischenzublöken. Ich habe das Mikrofon und bin ohnehin lauter als Sie, auch wenn Sie mit Ihrer charmanten Stimme versuchen, mich zu übertönen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Das, was Schüler in Deutschland und in Europa in Sachen G 8 können, können hessische Schüler auch.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Richtig!)

Sie müssen sich doch einmal die Frage stellen: Warum ist der Zustrom an die hessischen Gymnasien ungebrochen, trotz oder wegen G 8? – Das ist doch eine berechtigte Frage.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Erste Aussage. Wenn das alles so schlimm wäre, wie Sie sagen, dann müssten doch die Besucherzahlen einbrechen. Es müsste einen dramatischen Rückgang geben. Das Gegenteil ist aber der Fall.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Zweitens. Ich freue mich, dass G 8 von den GRÜNEN nicht mehr infrage gestellt wird, weder in Hessen noch in Nordrhein-Westfalen, noch in Baden-Württemberg. Das sage ich im Übrigen an die Adresse der Sozialdemokraten: Es gibt in Schleswig-Holstein eine interessante Koalitionsvereinbarung. Dort haben SPD und GRÜNE beschlossen, keine weiteren G-9-Gymnasien genehmigen zu wollen. Das ist auch eine interessante Feststellung.

Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass, wenn wir die Möglichkeit eröffnen, und das wollen wir, die Wahl zwischen G 8 und G 9 zu haben, ein kleiner Prozentsatz der G-8-Gymnasien davon Gebrauch machen wird. Das ist auch in Ordnung.

(Holger Bellino (CDU): Ja!)

Wir haben, nur um zwei Beispiele zu nennen, in Nord rhein-Westfalen 600 Gymnasien. Dort hat man die Möglichkeit geschaffen, dass sie entscheiden können. 13 von 600 Gymnasien haben das beantragt. In Baden-Württemberg gibt es 400 Gymnasien, da gibt es eine Umstellungsphase von derzeit 22. Darüber reden wir. Wir haben in Hessen 168 Gymnasien, und ich weiß nicht, was herauskommen wird, ob es 5, 10 oder 15 % sein werden. Ich sage Ihnen sehr offen: Das ist mir auch relativ egal. Wenn sie das machen wollen, sollen sie es tun.

Kritik gab es jetzt beispielsweise von der Oberstudiendirektorenkonferenz, die aber sinnigerweise gleichzeitig gesagt hat: Eigentlich ist G 8 vernünftig gelungen. – Sie kritisieren jetzt aber, dass wir diese Wahlmöglichkeit eröffnen. Das muss man akzeptieren. Die VhU kritisiert es, weil G 8 für die Volkswirtschaft wichtig sei. Ich sage einmal an die Adresse der Freunde aus der VhU: Nicht alles im Leben kann man unter dem Primat der Wirtschaft sehen. Es gibt auch andere Aspekte.

(Beifall bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Selbstverständlich, das ist eine Binsenweisheit.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Zeit ist ein wichtiges Thema, deshalb haben wir gesagt: Wir nehmen die Sorgen von Eltern und Schülern natürlich wahr und ernst, ob die Kinder möglicherweise überfordert sind. Deshalb haben wir in den letzten Monaten – für Sie zugegebenermaßen überraschend, für uns überhaupt nicht –

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

intern viele Gespräche mit Schulleitungen, Pädagogen, Eltern usw. geführt. Der Tenor war unisono: Ja zu G 8, es hat sich bewährt, und die Anfangsprobleme sind überwunden. Es gibt aber Schüler, denen es guttun würde, wenn sie ein klein wenig mehr Zeit haben könnten. – Wir wollen ihnen diese Zeit geben; denn wir wollen, dass jedes Kind den für ihn höchstmöglichen Schulabschluss erreichen kann. Das ist unser klarer Anspruch.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Im Übrigen: Wenn wir von selbstständiger Schule sprechen, dann gehört es perspektivisch natürlich dazu, dies in die Dispositionsfreiheit der Schule zu geben. Wahlfreiheit, meine Damen und Herren, ist für die Union und die FDP ein Markenzeichen schlechthin. Es gibt kein Bundesland in Deutschland, in dem die Eltern so viele Wahlfreiheiten, so viele Wahlmöglichkeiten haben wie in Hessen. Das soll auch so bleiben. Das ist auch ein entscheidender Unterschied zu Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist doch geradezu Zynismus pur, wenn diejenigen, die von uns mehr Wahlfreiheit fordern, die Gleichen sind, die für die Gemeinschaftsschule, eine Schule für alle, eintreten und damit die Wahlfreiheit in letzter Konsequenz abschaffen wollen. Deshalb ist Ihre Kritik unglaubwürdig.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Machen wir uns doch nichts vor: Egal, was wir machen, es ist immer falsch. Sie nölen.

(Beifall bei der CDU)

Bleiben wir bei unserer Position, dann heißt es: „Sie sind beratungsresistent, nicht flexibel, das geht zulasten der Schüler.“

(Demonstrativer Beifall des Abg. Torsten War - necke (SPD))