Protocol of the Session on June 27, 2012

Ich verunglimpfe hier überhaupt niemanden, weil ich mit keinem einzigen Wort irgendeiner Mutter abgesprochen habe, dass sie eine gute Erziehungsarbeit macht. Jede Mutter und jeder Vater, die das machen wollen, sollen es auch tun. Es ist nicht mein Gesellschafts- und Familienbild. Ich habe aber überhaupt nichts dagegen, wenn jemand das tut. Aber was Sie hier tun, ist – –

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Wenn Sie es mit mir besprechen möchten, dann sagen Sie es bitte so, dass ich es verstehe.

Frau Schott, Sie haben das Wort.

Sie tun hier so, als hätten Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit nichts miteinander zu tun. Wenn ich im Monat so viel verdiene, dass ich mir eine Kinderfrau leisten kann, dann taucht das nicht auf. Wenn ich mir von den wenigen Tagesmüttern eine nehmen kann, dann taucht das auch nicht auf. Das ist doch nicht die Situation der Durchschnittsfrau, die irgendwo in der Fabrik am Band oder bei Schlecker – das ist jetzt nicht mehr der Fall – oder in anderen Läden steht.

(Holger Bellino (CDU): Das haben Sie doch die ganze Zeit bekämpft!)

Mit dem Einkommen, das sie nach Hause trägt, kann sie sich keine Kinderfrau leisten, damit kann sie noch nicht einmal von einer Kinderfrau träumen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie kann sich vielleicht einmal im Monat einen Babysitter leisten, damit sie ins Kino gehen kann. Sie kann aber nicht tagtäglich für ihre Erwerbstätigkeit eine Kinderfrau bezahlen. Sie ist auf einen Betreuungsplatz angewiesen. Genau darum geht es hier. Genau da ist der Zusammenhang, den Sie hartnäckig leugnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mehrheit der Gesellschaft steht offensichtlich nicht mehr im Mittelpunkt Ihres Blickfeldes.

(Beifall bei der LINKEN – Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU): Liebe Güte, so viel dummes Zeug auf einmal!)

Das Wort zur Antwort hat Frau Kollegin Wiesmann.

Herr Präsident, liebe Kollegen! Ganz kurz zu den beiden Interventionen. Herr Merz, mich ärgern die Studien, die landauf, landab angeführt werden,

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und zwar nicht aufgrund einer vorgefassten Meinung, sondern weil diese Studien, mit denen ich mich intensiv befasse, seitdem sie auch noch ins Feld geführt werden, angeblich die Überlegenheit der Krippenerziehung gegen über einer frühen innerfamiliären Betreuung herausstellen. Das hatte Frau Schott angeführt.

(Gerhard Merz (SPD): Das habe ich nicht gesagt!)

Ich gehe jetzt auf Sie beide ein. – Ich erkläre, warum ich versucht habe, mit einem Beispiel deutlich zu machen, dass in meiner Betrachtung der gesamten Diskussion sehr wenig neutral und nüchtern im Sinne der Familien, sondern sehr anhand vorgefasster Meinungen und Überzeugungen debattiert wird. Das will ich Ihnen zur Kenntnis geben, wenn dieses Thema zum dritten Mal in diesem Haus diskutiert wird. Es gehört zur Betrachtung der Wirklichkeit dazu.

Die OECD bringt die Headline in die Zeitung: Betreuungsgeld ist bildungspolitischer Unfug. – In ihrem Bericht hat sie keinen Nachweis dafür. Das Gleiche gilt für den vierten Bildungsbericht, der vor ein paar Tagen mit einer ähnlichen Schlagzeile auf dem Markt war.

Das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Das ist mein Versuch, zu einer sachorientierten Debatte beizutragen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Zum anderen will ich Herrn Merz sagen: Ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie eben gesagt haben. Ich lasse die Bezugnahme auf den Zoo jetzt einmal weg. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihr ausdrückliches Bekenntnis zur Vielfalt und zum Respekt vor der Vielfalt der Lebensmodelle. Das ist, ehrlich gesagt, für jemanden von der SPD nicht ganz selbstverständlich.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist ja unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wir haben da auch schon anderes gehört.

(Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Lufthoheit über den Kinderbetten hat die SPD in der Diskussion auf Bundesebene schon vor Jahren erkennbar und ausdrücklich angestrebt.

Frau Abgeordnete, ich möchte die Mahnung von vorhin jetzt in Richtung der anderen Seite äußern. – Meine Damen und Herren, bitte mäßigen Sie sich.

Ein Letztes. Es ist hier angemahnt worden, ich hätte mich nicht klar zu unserer Beurteilung der Folgen des Urteils geäußert. Ich habe deutlich gesagt: Wir stehen zur Konnexität, wir wollen eine faire Lastenteilung bei dieser Herkulesaufgabe, die teilweise zwar schon geleistet ist, teilweise aber noch vor uns liegt. All das habe ich mit Bedacht gesagt.

Ich habe aber nicht die Absicht, und es ist auch nicht meines Amtes, den schwierigen Verhandlungen, die vor der Landesregierung stehen, hier vorzugreifen, indem ich mich zur konkreten finanziellen Ausgestaltung dieser Dinge äußere.

Ich bin voller Zuversicht, dass das jetzt mit großer Zügigkeit und hohem Verantwortungsbewusstsein auf den Weg kommt. Ich finde das richtig. Es dient der Qualität und dem Platzausbau in der Kinderbetreuung in diesem Lande. Am Ende werden wir uns in der Realität gemeinsam über einen großen Erfolg freuen können.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich erteile das Wort Herrn Abg. Bocklet für die Fraktion die GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt mir nach dem Verfolgen des Dialogs zwischen Frau Wiesmann und Herrn Merz schwer, meine vorbereitete Rede zu halten, weil ich glaube, dass das, was Sie, Frau Wiesmann, heute hier zum Besten gegeben haben, bestimmte Tatbestände komplett verkennt.

Wir hatten in diesem Saal eine große Gemeinsamkeit, nämlich das Bekenntnis zum Konnexitätsprinzip. Als die Debatte im Jahre 2009 darum ging, ob bei der Mindestverordnung der Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“ gilt, und wir Ihnen vorgerechnet haben, dass das Land nicht bezahlt, haben Sie diese Gemeinsamkeit verlassen. Ein Ausdruck dessen sind die 40 Millionen €, die für diesen Bereich im Landeshaushalt ausgewiesen sind. Daher sind Ihre Vorwürfe, die Opposition baue hier eine Schimäre auf und treibe sie durch das Land, nicht gerechtfertigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, hätten Sie mit dem Erlass der Mindestverordnung auch die für die Kommunen entstehenden Kosten übernommen, hätten Sie heute diese Debatte nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ein Zweites. Sie negieren, Sie wollen nicht sehen, dass viele Eltern dringend einen Betreuungsplatz brauchen. Wir können die Zahlen gerne durchdeklinieren. Sie haben noch im Dezember 2011 gesagt, Ihnen genüge eine 35prozentige Quote, weil diese beim vierten Gipfel so vereinbart wurde. Schon damals haben wir GRÜNE Ihnen in einem Haushaltsantrag präsentiert, dass das zu wenig ist, dass wir eine höhere Quote brauchen. Im März kam dann die Veröffentlichung des Ministers, der zugeben musste, Sie haben zu wenig Geld eingestellt, um diese 35-%Quote zu erreichen. Daraufhin haben wir GRÜNE Ihnen erklärt, dass diese 35 % zwar eine nette Quote sind, dass das aber dem tatsächlichen Bedarf nicht entspricht. Ihr Landesjugendamt, Ihr Sozialministerium hat nämlich erhoben, dass wir 58.000 Stellen in diesem Land brauchen und dass das weit mehr ist als das, was Sie über Investitionsmittel und Betriebskostenzuschüsse finanzieren. Wenn wir all das sehen, dann muss ich Ihnen sagen: Sie haben die Situation komplett verschlafen, und es steht Ihnen nicht zu, die Opposition zu beschimpfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es fehlen Tausende von Betreuungsplätzen, es fehlen 3.500 Fachkräfte. Den Kommunen, die all das zur Verfügung stellen müssen, fehlen folgende Gelder: 340 Millionen €, vorenthalten aus dem Kommunalen Finanzausgleich, ein dreistelliger Millionenbetrag aus der Mindestverordnung und die Mittel für Betriebs- und Investitionskosten für die U-3-Betreuung. Über die Grundschulbetreuung reden wir dabei noch gar nicht. Das Fehlen dieser Mittel führt dazu, dass viele Eltern in Hessen keine Betreuungsplätze finden. Das ist nicht nur eine kommunale Aufgabe, sondern auch eine Landesaufgabe. Da versagen Sie kläglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich will mich auch nicht zu der Frage äußern, wer hier im Hause welches Weltbild hat. Beim Betreuungsgeld ist Folgendes entscheidend. Wenn wir Qualität schaffen wollen, dann müssen wir dafür finanzpolitisch Prioritäten setzen. Sie können das Blatt drehen und wenden, wie Sie wollen, Sie werden mit dem Betreuungsgeld keine Wahlfreiheit schaffen. Niemand wird für 100 oder 150 € zu Hause bleiben. Das wissen auch Sie. Das werden Sie aber nicht zugeben.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Die Modelle, über die Frau Wiesmann öffentlich in Zeitungen diskutiert, sind interessante Vorschläge. Sie sind aber nicht die Position der Bundesregierung, und sie werden das auch nicht werden. Fakt ist, dass jemand, der schon jetzt zu Hause betreuend tätig ist, sich darüber freut, wenn er 150 € bekommt. Sie lösen damit aber null Komma null Probleme in diesem Land, weder für die Familien noch für die Tausenden von Eltern, die einen Betreuungsplatz suchen. Das ist der Punkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie kommen mit uralten Schlachten daher. Das sind die Spätfolgen Ihres Traumas, das Sie als CDU haben, Ihres erzkonservativen Familienbildes aus dem letzten Jahrhundert: Kinder, Küche und Kirche. Sie haben das Wort „Rabenmütter“ geprägt. Das waren die Konservativen, nicht die GRÜNEN und auch nicht die SPD. Die Trau

mata, die Sie von damals haben, bemühen Sie sich jetzt aufzuarbeiten. Laden Sie die aber nicht bei uns ab. Wir haben kein Problem mit Ideologie und Familienbild. Wir wollen Wahlfreiheit für alle Familienmodelle; die verhindern Sie in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Wenn wir also über den Gesamtzusammenhang reden, muss man sagen, dass die Kommunen deutliche Defizite haben, ihre Spielräume hinsichtlich der Betreuungsplätze auszuweiten. Das werden Sie doch nicht ernsthaft bestreiten. Ich habe es angesprochen: Eine riesige Millionensumme aus dem Kommunalen Finanzausgleich steht den Kommunen nicht zur Verfügung, bei der Mindestverordnung geben Sie nur 40 Millionen €, und die U-3-Betreuung ist nicht auskömmlich finanziert. Da müssen Sie doch den Gesamtzusammenhang sehen. Mit dem Betreuungsgeld wird das Geld verpulvert, das eigentlich in die Infrastrukturen investiert werden müsste. Diesen Gesamtzusammenhang sehen Sie nicht. Sie setzen die ideologische Brille auf und sagen: Wir wollen denen etwas Gutes tun. – Aber Sie schaden in Wirklichkeit dem Ausbau der Infrastrukturen in Hessen.

Jetzt komme ich zu einem direkten Vorwurf an mich. Sie glauben, das grüne Krokodil würde hier Krokodilstränen weinen. Frau Wiesmann, ich möchte Ihnen dazu nur sagen: Als ich im Jahre 2009 eine Anfrage zum Fachkräftemangel gestellt habe, gab es hier ein großes Gelächter. Es hieß, das sei Panikmache. Es hieß, es gebe fast keinen Fachkräftemangel. Auch bei der Frage, wie wir die U-3Plätze finanziell ausstatten, haben Sie uns unterstellt, wir würden Panik machen. Bei der Mindestverordnung haben Sie gesagt, alles sei nur Panikmache, es sei gar nicht so schlimm. Ich glaube, dass Sie dazu kommen müssen, schneller zu reagieren, dass Sie sich nicht wie ein Hund zum Jagen tragen lassen sollten – um bei der Zoologie zu bleiben –, sondern endlich einmal die Bedarfe befriedigen sollten, die es im Land gibt, statt es immer erst dann zu tun, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Das ist das Ätzende an der Familienpolitik in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie nennen den Bocklet das „grüne Krokodil“. Ich habe unter Wikipedia nachgeschlagen. Ein Krokodil bringt in seiner Lebenszeit 20 bis 80 Junge zur Welt. Das schaffe ich in der Tat nicht.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Das ist auch gut so!)