Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Kindergesundheitsschutz-Gesetzes – Drucks. 18/5720 –
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des hessischen Kindergesundheitsschutz-Gesetzes vor. Das Kindergesundheitsschutz-Gesetz, das aus dem Jahr 2007 stammt, ist bis zum Ende dieses Jahres befristet. Es ist damals auf der Grundlage einer intensiven Diskussion über einen wirksamen Kinderschutz unter dem Eindruck schrecklicher Kindesmisshandlungen in Familien entstanden.
Wir waren eines der ersten Bundesländer, die sich um einen effektiven Kinderschutz gekümmert haben. Nach fünf Jahren können wir sagen: Das Gesetz hat sich hervorragend bewährt. Es ist ein unverzichtbarer Bestandteil und Baustein unserer Kinderschutzmaßnahmen geworden.
Ich will das mit ein paar Zahlen verdeutlichen. Die Teilnahme an den Kindervorsorgeuntersuchungen, also den U1- bis U9-Untersuchungen, ist deutlich gestiegen und liegt in Hessen in der Zwischenzeit bei 98 %.
Hessenweit haben im vergangenen Jahr 350.000 Kinder an den Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen. Dagegen lag die Teilnahmequote im Bundesdurchschnitt nur bei 80 %. In Hessen betrug sie 98 %.
Durch die Vorsorgeuntersuchungen können nicht nur Gesundheitsgefährdungen und Fehlentwicklungen in einem frühen Stadium erkannt und behandelt werden. Die regelmäßigen Untersuchungen führen auch zu Schutz vor Vernachlässigungen und Missbrauch. Die Jugendämter überprüfen die Fälle, in denen trotz zweifacher Erinnerung der Eltern die Kinder keiner Untersuchung zugeführt werden. Dabei konnten die Jugendämter in den vergangenen Jahren Fälle von Kindeswohlgefährdung feststellen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Fälle, in denen Jugendhilfemaßnahmen eingeleitet wurden.
Trotzdem gibt es gleichzeitig aus den Jugendämtern Kritik. Es wird gesagt, dass zu viel Bürokratie sei.
Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Für mich ist das ein großer Erfolg des Kinderschutzes in Hessen. Der Erfolg dieses Gesetzes lässt sich nämlich nicht anhand der Zahl der Kindeswohlgefährdungen oder am bürokratischen Aufwand der Jugendämter messen. Es kommt auf das einzelne Kind an. Jede einzelne Kindeswohlgefährdung, die verhindert werden kann, ist ein Erfolg dieses Gesetzes.
Ein weiterer positiver Effekt ist die Steigerung der Quote der Impfpässe. Fehlende Impfpässe sind ein Problem. Denn es gibt keinen Impfzwang. Trotzdem sind die Eltern verpflichtet, vor Aufnahme ihres Kindes in eine Gemeinschaftseinrichtung dessen Impfung nachzuweisen oder schriftlich zu erklären, dass sie mit der Impfung des Kindes nicht einverstanden waren.
Das Fehlen der Impfpässe der Kinder bei den Schuleingangsuntersuchungen ist in den Jahren 2007 bis 2010 um 20 % gesunken. Auch das ist ein riesiger Erfolg.
Bei der praktischen Umsetzung haben wir insbesondere zu Beginn erhebliche Herausforderungen gehabt. Wir sind in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten weitergekommen. Beispielsweise haben wir die Zahl der Fehlermeldungen deutlich reduziert.
Wir haben das Mahnverfahren in ein Einladungsverfahren umgestellt. So werden Eltern nicht mehr nachträglich gemahnt, die Vorsorgeuntersuchung durchzuführen, sondern vor dem eigentlichen Termin werden sie auf diese Untersuchung aufmerksam gemacht. Das hat die Akzeptanz deutlich erhöht.
Änderungs- und Ergänzungsbedarf besteht bei den Regelungen über die verbindliche Teilnahme von Kindern an den Früherkennungsuntersuchungen auf behandelbare Stoffwechsel- und Hormonerkrankungen. Durch das Gendiagnostikgesetz hat der Bund von der ihm zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und somit die bisher bestehende Gesetzgebungskompetenz des Landes für diesen Bereich verdrängt.
Aus diesem Grund können Früherkennungsuntersuchungen nur noch im Rahmen des Gendiagnostikgesetzes durchgeführt werden. Dies beinhaltet insbesondere die freiwillige Teilnahme an diesen Untersuchungen durch Einwilligung der Berechtigten nach erfolgter ordnungsgemäßer Aufklärung.
Wir wollen an dieser Stelle sehr deutlich machen, dass das, was im Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen in der sogenannten Kinderrichtlinie niedergelegt ist, sich ausdrücklich auch auf die U1- bis U9-Untersuchungen bezieht, und haben dies ebenfalls in diesem Gesetz geregelt.
Eingedenk der Kritik der Jugendämter wollen wir diese stärker als bisher an der Fortentwicklung der Arbeit des Hessischen Kindervorsorgezentrums teilhaben lassen, weil das Vorsorgezentrum die gesetzlichen Regelungen in die Praxis umsetzt. Sie sollen auch einen besseren Einblick in die Arbeit des Vorsorgezentrums erhalten.
Deshalb haben wir im Gesetzentwurf den Kindervorsorgebeirat bei dem HKVZ um eine Vertreterin oder einen Vertreter der hessischen Jugendämter erweitert.
Ich weiß, zurzeit werden intensive Diskussionen über die Frage des Standorts von einzelnen Vorsorgemaßnahmen geführt. Seien Sie sicher, dass wir diese Diskussion in der nächsten Zukunft mit großer Intensität führen werden, dass wir datenschutzrechtliche Belange – insbesondere wenn es um Daten hessischer Kinder geht – sehr deutlich im Blick haben. Wir wollen die erfolgreiche Arbeit des HKVZ der letzten fünf Jahre auch in den nächsten fünf Jahren fortsetzen.
Ich denke, das ist ein tolles Gesetz. Es hat sich bewährt. Es ist ein wesentlicher Beitrag zum Kindeswohl und zur Verringerung der Gefährdung des Kindeswohls. Ich gehe davon aus, dass dieser Gesetzentwurf die Zustimmung des Landtags finden wird. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Grüttner. – Ich eröffne die Aussprache. Als Erster wird Herr Dr. Spies für die SPD-Fraktion zu Ihnen sprechen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 5. November 2009 beschloss der Hessische Landtag, festzustellen: Hessen ist „Vorreiter bei verbindlichen Früherkennungsuntersuchungen“, weil es nur durch frühzeitige Untersuchungen möglich ist, „Kinder wirksam vor Misshandlung und Verwahrlosung zu schützen“. Und weiter: Er „beauftragt die Landesregierung, in dieser Legislaturperiode einen Kindergesundheitsbericht im Rahmen des Landessozialberichts zu erstellen, der auch eine Statistik über Kindeswohlgefährdung enthält“.
Meine Damen und Herren, genau das wäre die Evaluation des hier zur Diskussion stehenden Gesetzes gewesen, die man gebraucht hätte, um diese Novellierung vorzubereiten und durchzuführen.
Meine Damen und Herren, leider ist davon überhaupt keine Rede. Eine Evaluation liegt – jenseits der Teilnahmequoten – nicht vor. Gerade das, was im Rahmen des Landessozialberichts dazu hätte berichtet werden sollen, hat in keiner Weise stattgefunden. Weder wurde die Kindergesundheit unter z. B. sozialdemografischen Gesichtspunkten untersucht, noch wurden eine auch nur nennenswerte Darstellung der festgestellten Kindeswohlgefährdungen und daraus resultierende Maßnahmen vorgelegt.
Das ist außerordentlich bedauerlich. Denn wir alle wissen, und der Herr Minister hat darauf hingewiesen: Dieses Gesetz hat unbestritten eine gewisse Wirkung, was die Vorlage von Impfausweisen und die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen angeht. Aber es zeichnet sich durch einen beachtlichen bürokratischen Aufwand aus, der angesichts der überaus geringen Zahl von aufgrund dieses Gesetzes entdeckten Kindeswohlgefährdungen in keinem Verhältnis dazu steht – wenn man berücksichtigt, dass man mit den gleichen Möglichkeiten, mit dem gleichen Aufwand möglicherweise sehr viel intensiver Kindeswohlgefährdungen – und um die ging es bei der Schaffung dieses Gesetzes – entdecken könnte.
Das ist bedauerlich. Denn diese Evaluation hätte es möglich gemacht, im Zusammenhang mit der Beratung dieser Gesetzesnovelle sehr viel genauer zu prüfen, an welchen anderen Stellen Verbesserungen möglich sind, an welchen anderen Stellen man sich auch an den Entwicklungen in zahlreichen anderen Bundesländern hätte orientieren können, in denen es teilweise deutlich früher Evaluationen gegeben hat als bei uns.
Gerade deshalb glauben wir, dass die Frage, ob dieses Gesetz der Weisheit letzter Schluss ist, bislang überhaupt nicht beantwortet werden kann. Denn tatsächlich wurde die Beurteilung dieses Gesetzentwurfs durch die Landesregierung jedenfalls uns nicht kenntlich gemacht, und leider hat das auch im Landessozialbericht nicht stattgefunden.
Hinzu kommt, dass dieses Gesetz bei der Förderung der Kindergesundheit, auf die der Herr Minister in seiner Rede eben in besonderer Weise eingegangen ist – also in
welcher Art und Weise wir dazu beitragen können, dass die Kinder in Hessen gesund aufwachsen –, jenseits der Verpflichtung zu einer üblichen Früherkennungsuntersuchung wenig leistet, obwohl es an dieser Stelle sehr viele und umfangreiche Aufgaben gibt.
Wir alle kennen – und die KiGGS-Studien haben das wieder einmal sehr deutlich gemacht – den sehr engen Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Kindergesundheit. Aus der sozialstatusabhängigen Kindergesundheit resultieren lebenslang Gesundheit und Lebenserwartung: Kinder, die im falschen Stadtteil geboren werden, leben zehn Jahre weniger als Kinder, die im richtigen Stadtteil geboren werden. Das wäre eine Herausforderung, der sich die Landesregierung leider weder mit diesem Gesetz – obwohl es doch ausdrücklich im Namen steht – noch an anderer Stelle angemessen stellt.
Die Prävention, also die Vorbeugung bei der Gesundheitsentwicklung der Kinder, steht hier deutlich zu weit zurück. Ich will das gar nicht alles im Detail ausführen. Wir haben dieses Thema morgen bei dem Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst gleich nochmals. Auch dort steht das alles nicht drin.
Meine Damen und Herren, präventive Gesundheitsförderung für Kinder kann sich nicht darauf beschränken, die von den Krankenkassen bezahlten U-Untersuchungen einzufordern, sondern muss darüber hinaus offensiv und aus eigenem Antrieb aktiv werden, um die Gesundheit der Kinder bereits zu fördern, bevor man in der anschließenden Früherkennungsuntersuchung etwas finden kann. Dass alle Kinder geimpft sind, ist ohne Zweifel eine gute Sache. Aber im 21. Jahrhundert sind wir auch an dieser Stelle weiter.
Deshalb werden wir mit großem Interesse der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf entgegensehen und wären dankbar, wenn uns dann die Landesregierung auch in Kenntnis setzen könnte, wie ihre Evaluation der Wirkungen und der Aufwands-Nutzen-Analyse in diesem Zusammenhang aussieht. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Spies, Sie haben jetzt sehr weit ausgeholt und das Thema Kinderschutz sehr umfassend beleuchtet.
Ich denke, wir sollten einmal wieder zum Kern dessen zurückkommen, worum es hier geht. Denn anders, als es der Titel nahelegt, ist dieses Gesetz, das wir hier beraten, kein umfassendes Gesetz zur Kindergesundheit. Der Minister hat ja die Genese dieses Gesetzes dargestellt – was damit geregelt werden sollte, was damals der Anlass für dieses Gesetz war.
Heute beraten wir über die Novelle dieses Gesetzes. Diese Novelle bringt lediglich kleinere, redaktionelle und
kosmetische Verbesserungen für ein Gesetz, das sich im Wesentlichen bewährt hat. Das, was dieses Gesetz regelt, haben Sie auch nicht explizit kritisiert. Deswegen möchte ich mich auf die wesentlichen Änderungen des Gesetzes beschränken.
Wie bereits ausgeführt wurde, regelt dieses Gesetz die Teilnahme an mehreren Untersuchungen. Es handelt sich um die U-Untersuchungen – U1 bis U9 –, die als prominenteste Beispiele in der medialen Diskussion immer wieder Erwähnung finden, um das Kindersprachscreening KiSS, über das auch im Zusammenhang mit Migration und Kindern mit Sprachdefiziten diskutiert wird, aber auch um das Neugeborenen-Stoffwechselscreening und das Neugeborenen-Hörscreening.
Insbesondere die letztgenannten Screenings erfahren durch die Novelle eine Änderung. Das Stoffwechselscreening befasst sich damit, dass Kindern Blutproben entnommen werden, um erbliche Stoffwechselerkrankungen frühzeitig diagnostizieren und behandeln zu können. An dem sogenannten Stoffwechselscreening nahmen 2011 etwa 98 % der Kinder in Hessen teil. Das ist eine sehr gute Quote.
Am Hörscreening, sozusagen der Paralleluntersuchung für Hörerkrankungen, die ebenfalls im frühkindlichen Alter, wenn sie denn diagnostiziert werden können, besser behandelt werden können, haben 96 % der Kinder in Hessen teilgenommen. Auch das ist noch eine sehr gute Quote.