Protocol of the Session on May 9, 2012

Frau Lannert, solange Sie aber auf der Bremse stehen und die FDP zusätzlich noch die Handbremse fest umklammert hat,

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN)

bewegt sich im Bund nichts. Das haben die Debatten in den letzten Wochen in Bundestag und Bundesrat leider wieder bewiesen. Deshalb hat sich die Freie Hansestadt Bremen als Erste auf den Weg begeben, einen Mindestbruttolohn von 8,50 € für alle Bereiche festzulegen, auf die die dortige öffentliche Hand Einfluss hat. Sie haben es bereits gesagt, Herr Kollege Decker: Die hessische LINKE hat diesen Gesetzentwurf im Wesentlichen in Bremen abgeschrieben.

Ein Landesmindestlohngesetz – ich sagte es eingangs bereits – kann nur eine begrenzt wirksame Krücke sein. Wir werden den Gesetzentwurf dennoch konstruktiv begleiten und sind gespannt, wie ernst es insbesondere die hessische Union tatsächlich meint. Stehen Sie an der Seite Ihres nordrhein-westfälischen Kollegen Karl-Josef Laumann, der sagt, wer arbeite, müsse auch auf einen grünen Zweig kommen, oder sortieren Sie sich an der Seite Ihres designierten Wirtschaftsministers ein, der den Mindestlohn in der „HNA“ vor wenigen Monaten als „Schwachsinn“ tituliert hat?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Klose. – Als nächster Redner hat sich Herr Rock von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Rock.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist an der Zeit, dass man versucht, bei dieser Gespensterdebatte die Realität ins Spiel zu bringen.

(Günter Rudolph (SPD): Warum redet dann jemand von der FDP?)

Wir haben sehr oft über einen Mindestlohn diskutiert. Dennoch wundern mich solche Vorstöße immer wieder. Wenn auf der Karte – die wir eben gesehen haben – der Länder, die einen Mindestlohn eingeführt haben, auch Angaben über die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen, über die Arbeitslosenquote insgesamt und über das Wirtschaftswachstum abgedruckt wären, wenn Sie alle diese Indikatoren nebeneinandergelegt hätten, dann hätte das ein ganz anderes Bild ergeben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Daher kann man die Organisation des Arbeitsmarktes nicht pauschal mit einem politischen Lohn in Ordnung bringen. Das kann aus unserer Sicht nur der falsche Weg sein. Zutreffend ist, dass es Fehlentwicklungen bei der Lohnfindung gibt. Darauf muss man reagieren. Das sehen wir ein. Daher haben CDU und FDP schon in der Vergangenheit reagiert. Wer hat das Entsendegesetz gemacht? Das hat Schwarz-Gelb gemacht. Wer hat das Bauhauptgewerbe mit einem gesetzlichen Mindestlohn versehen? Das war Schwarz-Gelb. Wer hat Regelungen für die Zeitarbeit gefunden? Das war Schwarz-Gelb. Das waren nicht Sie. Das haben wir gemacht, weil wir in Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern stehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Sie wollen – das ist der entscheidende Unterschied zu uns – einen politischen Lohn in Deutschland einführen. Das ist deshalb falsch, weil einer der großen Vorteile, den wir gegenüber anderen Volkswirtschaften haben, der ist, dass bei uns die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber den „richtigen“ Lohn aushandeln. Das ist ein großer Wettbewerbsvorteil, ein großer Vorteil für die Menschen, ein großer Vorteil für den Arbeitsmarkt. Das wollen Sie ohne Not kaputtmachen, indem Sie politische Löhne einführen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Nein, wir wollen die Voraussetzungen für die Bekämpfung von Armut schaffen!)

Das ist falsch, und diese Vorstöße werden wir dauerhaft bekämpfen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Zu den Reden der Vertreter der Roten und der GRÜNEN. Die Roten haben schon öfter in Deutschland regiert, die GRÜNEN haben nur einmal in Deutschland regiert – aber immerhin schon einmal. Was haben Sie eigentlich gemacht, als Sie in Deutschland regiert haben?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Gute Frage!)

Damals haben Sie keinen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Jetzt müssten die LINKEN eigentlich nicken und sagen, dass ich recht habe. Die GRÜNEN haben genau das Gegenteil gemacht. Sie haben einen Niedriglohnsektor eingeführt. Gemeinsam mit Schwarz-Gelb haben sie sich dafür entschieden, die Hartz-Reformen durchzuführen und den Arbeitsmarkt an wichtigen, entscheidenden Stellen zu flexibilisieren, zu entbürokratisieren, zu lockern. Das hat dazu geführt, dass wir heute in Europa hervorragende Beschäftigungsquoten haben, wohingegen die Länder, die zur gleichen Zeit gesetzliche Mindestlöhne beschlossen haben, heute am Arbeitsmarkt unglaubliche Probleme haben. Das müssen Sie doch einmal erkennen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde es wirklich schade, dass Sie immer wieder versuchen, sich von diesen richtigen politischen Entscheidungen zu verabschieden, hier so tun, als seien Sie damals nicht dabei gewesen, und hier erzählen, Sie wollten gesetzliche Mindestlöhne einführen. Ich habe große Zweifel, ob Sie das auch machen würden, weil ich nämlich glaube, dass Sie in Wirklichkeit die Gefahr kennen. Es liegt doch auf der Hand: Wenn es einen Markt hat, dann gibt es auch einen Marktpreis für Arbeit. Wenn der ge

setzliche Mindestlohn über diesem Marktpreis liegt, dann wird keine Arbeit mehr angeboten, und man verliert Arbeitsplätze. Wenn der gesetzliche Mindestlohn unter dem Marktpreis liegt, dann ist er unschädlich, dann könnten wir ihn theoretisch einführen, denn man verliert keine Arbeitsplätze. Da er aber ein politischer Lohn ist, würde der gesetzliche Mindestlohn aufgrund der Konkurrenz unter den politischen Parteien immer weiter nach oben geschraubt. Er würde am Ende jede Menge Arbeitsplätze kosten. Ein Beispiel dafür habe wir ja schon: Die SPD fordert 8,50 € pro Stunde, die LINKE 10 € pro Stunde. Wer bietet mehr? Die Piraten fordern vielleicht 20 € pro Stunde. Man muss daher immer davor warnen, in Deutschland politische Löhne einzuführen. Das tun wir, und genau das ist richtig.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den GRÜNEN, man kann wirklich nicht sagen, dass sich die Bundesregierung mit diesen Themen nicht ernsthaft auseinandergesetzt habe.

(Wolfgang Decker (SPD): Die CDU hat es getan, das stimmt!)

Wir haben in der Zeitarbeitsbranche etwas geschafft, was Sie nie geschafft haben. Wir haben uns der dortigen Probleme angenommen und entsprechende Regelungen getroffen, die am 1. Januar in Kraft treten werden. Von daher gesehen kann man nicht sagen, wir würden uns diesem Thema nicht zuwenden.

Wenn man sich den Gesetzentwurf der LINKEN anschaut, liest man dieselben abgedroschenen Floskeln, die Sie hier immer vor sich hertragen. Dazu muss ich ganz einfach sagen: Dafür sind Mindestlöhne überhaupt keine Lösung. Wie wollen Sie denn Menschen mithilfe von Subventionen von Niedriglöhnen befreien? Was soll das? Wir haben doch mit politischer Absicht gesagt, wir wollen, dass die Menschen arbeiten gehen, und wenn das Geld nicht reicht, geben wir als Staat etwas dazu. Das ist besser, als wenn die Menschen zu Hause bleiben und ganz von staatlichem Geld leben müssen. Das war und ist doch die von Rot-Grün und von Schwarz-Gelb gewollte Politik. Wir wollen, dass die Menschen arbeiten gehen, auch wenn der Verdienst nicht langt. Wir helfen ihnen gern, damit es für die Familie langt. Das ist doch der bessere Weg. Für den stehen wir alle; das müssen wir so machen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Warum wollen Sie denn hier unbedingt etwas bekämpfen, was erfolgreich ist? Das ist falsch. Es ist wichtig, dass man eine Abwägung trifft, wo ein staatlicher Eingriff notwendig ist und wo nicht.

Aber in Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie eigentlich etwas ganz anderes. Sie haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem Sie z. B. auf die Vergabe Einfluss nehmen und einen Mindestlohn von 10 € festgesetzt haben. Dabei zahlt der Staat – wir selbst, unsere Tarifpartner und der öffentliche Dienst – manchen Lohngruppen sogar weniger. Wir würden also den Unternehmen etwas vorschreiben, was wir selbst nicht mit letzter Konsequenz einhalten.

Das ist krude. Sie haben hier eine Kommission eingesetzt. Alle wissen, dass eine Weiterentwicklung beim Mindestlohn ein schwieriges Thema ist. Es gibt Tausend Überlegungen dazu, wie man das entpolitisieren kann. Sie haben gesagt, Sie würden, wenn ein Mindestlohn von 10 € festgesetzt wird, einfach noch eine Regelung über eine Dynamisierung einfügen. An dieser Stelle besteht natürlich im

mer die Gefahr, dass sich das auf den Arbeitsmarkt auswirkt.

Ich muss Ihnen auch sagen: Es gibt ein EuGH-Urteil, das sogenannte Rüffert-Urteil, aus dem Jahr 2008. Darin geht es um die Arbeitnehmerentsenderichtlinie. Das Land Niedersachsen ist verklagt worden. 2008 haben wir hier darüber gesprochen. Das Land Niedersachsen hat seine Vergaberichtlinie in Anerkennung diese Urteils dahin gehend abgeändert, dass sie nur noch bei Lohnbranchen angewandt wird, in denen es einen allgemein verbindlichen Mindestlohn gibt. Dann dürfen sie das nämlich. Aber dort, wo es ihn nicht gibt, widerspricht das europäischem Recht. Das ist doch überhaupt keine Frage mehr. Darüber haben wir alle diskutiert; das ist akzeptiert.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Warum kann man das in Bremen machen? Ist Bremen nicht in der Europäischen Union?)

Man kann das so lange machen, bis einer klagt. – Ich will damit nur sagen: Der Gesetzentwurf ist zum einen von vorne bis hinten abgeschrieben und zum anderen dabei noch verschlimmbessert worden. Das wird von uns sehr kritisch gesehen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das überrascht uns nicht!)

Wir teilen den Grundtenor nicht. Wir finden diesen Gesetzentwurf nicht wirklich klug durchdacht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist völlig überraschend!)

Er widerspricht europäischem Recht. Ich kann jetzt schon sagen, dass wir diesen Gesetzentwurf mit großer Wahrscheinlichkeit ablehnen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Herr Staatsminister Posch, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Ich will einen Satz vorwegschicken, der gilt – damit kann ich unmittelbar an das anknüpfen, was Herr Kollege Rock gesagt hat –: Die Lohnfindung ist in der Bundesrepublik Deutschland keine Sache der Politik, sondern eine Sache der Tarifvertragsparteien.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deswegen muss man auch einmal darauf verweisen, dass dieses Prinzip gar nicht so erfolglos war. Wenn ich mir ansehe, wie wir aus der wirtschaftlich schwierigen Situation herausgekommen sind, muss ich ausdrücklich sagen: Daran haben die Tarifvertragsparteien – alle beide – einen maßgeblichen Anteil. Wenn wir uns heute die Arbeitslosenstatistik ansehen, kommen wir zu dem Ergebnis, dass dies im Prinzip nicht funktioniert.

Ich gebe zu, dass es gleichwohl Bereiche gibt, in denen man mit dem, was die Tarifvertragsparteien in diesem Fall nicht verhandelt haben, nicht zufrieden ist. Dann sage ich den Betreffenden: Ihr müsst euch dazu bereitfinden, von

eurer Verpflichtung, Tarifverträge abzuschließen, tatsächlich Gebrauch zu machen, und dürft nicht auf die Politiker warten. – Es kann nicht sein, dass die Politik der Reparaturbetrieb derer ist, die ihre Rechte aus der Tarifautonomie nicht wahrnehmen. Das ist der falsche Weg. Das ist nicht die Aufgabe der Politik.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Natürlich ist sie der Reparaturbetrieb! Das ist doch logisch!)

Da sind wir grundsätzlich unterschiedlicher Auffassung. Dass wir uns Ihnen wirtschaftspolitisch nicht nähern, bedarf, glaube ich, keiner weiteren Erläuterung. Sie können das machen. Wohin das geführt hat, wissen wir. Das haben wir in dem anderen Teil Deutschlands erlebt. Dort gab es eben keine Tarifautonomie.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Mindestlohn! – Weitere Zurufe)

Tut mir leid, normalerweise hätte ich das nicht gesagt. Aber auf derartige Zurufe kann man nicht anders reagieren.

Zur Sache selbst: Wir müssen uns einmal anschauen, wie die Situation des Niedriglohnsektors überhaupt ist. In Hessen ist der Niedriglohnsektor insgesamt kleiner als in anderen Bundesländern. Experten unterschiedlichster Couleur – das nehme ich sehr ernst – kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Bereich gerade Menschen, die gering qualifiziert sind oder gar keinen Schulabschluss haben, Arbeit finden. Die Untersuchung der Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“ zeigt, dass innerhalb eines Jahres immerhin 24,1 % aller Geringverdiener in eine normal bezahlte Beschäftigung aufsteigen.