Ich habe Ihnen an dieser Stelle schon einmal gesagt: Das Gymnasium scheint ein bisschen Ihr Feindbild zu sein. Frau Kollegin, Sie haben ja auch in Ihrer Rede gesagt, im Gymnasium sei alles etwas anders. Sie schreiben in Ihrem Antrag unter Punkt 6: „Alle Lehrerinnen und Lehrer müssen für den Unterricht heterogener Gruppen qualifiziert werden“. Sie denken wohl immer, das sei gerade im Gymnasium nicht der Fall. Mitnichten ist das nicht der Fall. Jede Schülergruppe in diesem Land hat eine gewisse Heterogenität. Heterogenität ist der Alltag in diesem Land, egal in welcher Schulform.
Wenn Sie sich einmal die Lehrerausbildung anschauen, dann werden Sie feststellen, dass gerade der Umgang mit heterogenen Lerngruppen einer der wichtigsten Lerninhalte ist. Deshalb kann man nur sagen – auch zu Ihren Schlussfolgerungen, wie „Schule für alle“ –, das geht völlig an dem vorbei, was in diesem Lande Realität ist. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Nun komme ich zu dem Antrag der GRÜNEN, wo es in der Tat um den Kern dieser Debatte geht, nicht um Schulformen und Ähnliches, sondern darum, wie wir die Inklusion in Hessen umsetzen. Im Wesentlichen geht es um einen Verordnungsentwurf aus dem Kultusministerium, um Klassengrößen, um Förderstunden usw. Wenn ich mir den Gesamtduktus des Antrags ansehe: Es gibt dennoch wenig, dem wir zustimmen können. Der einzige Punkt ist, dass Sie schreiben, man könnte sich grundsätzlich vorstellen, dass die Zuweisung der Förderschullehrerinnen und lehrer in Zukunft dem Bedarf folgt. Das ist ein Punkt, den man sehr wohl unterstützen kann. Dann frage ich mich allerdings, warum Sie im selben Antrag den Verordnungsentwurf aus dem Kultusministerium kritisieren, mit dem genau solche Aspekte verstärkt gefördert werden sollen.
Für die FDP-Fraktion in diesem Hause gilt der Leitsatz: so viel Inklusion wie möglich, aber so viel individuelle Förderung wie nötig. Das gebietet nämlich das Kindeswohl. Das wollen wir in diesem Lande umsetzen. Deswegen stimme ich dem Vorredner von der CDU-Fraktion zu: Wir werden die Förderschule in diesem Land erhalten. Wenn Sie sich die einzelnen Kinder anschauen, dann sehen Sie, es wird nicht möglich sein, eine flächendeckende Inklusion umzusetzen. Inklusion ist nämlich ein Prozess. Das lehrt die Erfahrung aus anderen Ländern, wie beispielsweise Kanada, die vor 20 bis 25 Jahren mit der Umsetzung angefangen haben.
Selbst heute ist man dort noch nicht so weit, Herr Kollege van Ooyen, dass man eine flächendeckende Umsetzung bis in alle Details erreicht hat –
Das sagen die Leute dort selbst. Wir waren mit dem Kulturpolitischen Ausschuss in Kanada. Auch dort sind also noch Bedarfe vorhanden. Hier den Eindruck zu erwecken, man könnte das in Hessen von heute auf morgen umsetzen, ist unredlich, und das instrumentalisiert das Leid der Betroffenen, die sich eine solche Beschulung vielleicht wünschen. Wir müssen aber schauen, wie wir das in der Fläche umsetzen können.
Deswegen ist es richtig und wird von uns unterstützt, dass es zwei Modellprojekte in diesem Land geben soll. Das Modellprojekt im Landkreis Offenbach wurde schon mehrfach angesprochen, fand auch im ganzen Haus Unterstützung. Es hat aber mit Grundschulkindern begonnen, sodass man noch gar nicht im Bereich einer weiterführenden Schule ist. Sie müssten das wissen, Frau Habermann. Man ist einfach noch nicht so weit. Da sind sicher noch viele wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. Deswegen sagen wir klar: Es ist der richtige Weg, dass das fortgeführt wird und dass man prüft, ob man aus einem Kreis für die Fläche Erfahrungen ziehen kann.
Schauen Sie sich einmal die Landkarte in Hessen an. Wir haben, es ist völlig richtig, den gemeinsamen Unterricht seit Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre. Er ist in gewissen Bahnen so weitergelaufen. Wir haben aber auch verschiedene andere Modelle. Im Landkreis Fulda haben wir beispielsweise eine sehr interessante Verzahnung der Jugendhilfe mit integrativen, inklusiven Maßnahmen. Das habe ich mir angeschaut und kann jedem nur empfehlen, sich das anzusehen. Außerdem haben wir verschiedene andere Ansätze. Diese funktionierenden Ansätze jetzt kaputt zu machen wäre unverantwortlich. Das ist nicht der Weg, den CDU und FDP in diesem Hause beschreiten wollen.
Wir wollen eine Umsetzung der Inklusion mit Augenmaß und mit Verstand. Man muss schauen, was in der Fläche machbar ist. Deswegen steht beispielsweise ein Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz. Frau Habermann, Sie haben
vorhin gesagt, die Eltern müssten fragen, ob die Beschulung ihres Kindes in einer bestimmten Schule überhaupt leistbar ist. Natürlich müssen sie das tun. Das muss doch jedes Elternpaar, wenn es sein Kind an einer Schule anmeldet. Da muss man sich als verantwortungsvolle Eltern im Vorfeld doch fragen, ob eine Beschulung dort möglich oder nicht möglich ist.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU Sind dort die sächlichen, die räumlichen und die personel- len Ressourcen vorhanden? Das gehört zur Wahrheit. Das haben wir schlicht und ergreifend in das Gesetz hineinge- schrieben. Deshalb wollen wir den Eltern auch weiterhin ein Wahlrecht gewähren. Sie können sagen, ob sie den in- klusiven Weg zu gehen versuchen oder ob für ihr Kind möglicherweise der geschützte Raum einer Förderschule die bessere Alternative ist, wo es mit anderen betroffenen Kindern erstmalig zusammentreffen und erfahren kann, dass es Kinder mit ähnlichen Handicaps gibt, wie es sie selber hat. – Auch das ist nämlich ein Punkt, der immer zu kurz kommt. Reden Sie einmal mit Betroffenen über ihre Erfahrungen. Das geht bei Ihnen in der Debatte immer unter. Das finde ich nicht gut. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)
Ich will noch zwei oder drei Sätze zu dem Verordnungsentwurf sagen, weil er immer wieder kritisiert wird, gerade von einer großen Lehrergewerkschaft. Es ist ganz lustig. Ich habe vorhin eine Pressemeldung dieser Gewerkschaft gelesen, das glich der Rede von Frau Habermann. Das mag Zufall sein. Da geht es immer wieder um den Punkt der Klassengröße. Es ist in diesem Verordnungsentwurf ganz klar geregelt: Es gibt einen Bestandsschutz für bestehende Maßnahmen. Es wird also niemand schlechter gestellt.
Des Weiteren will man den Einsatz der Ressourcen flexibilisieren. Das muss man tun, weil die Landschaft in Hessen so unterschiedlich ist, wie ich es beschrieben habe. Man kann genau schauen: Braucht ein Kind drei Stunden, fünf Stunden, zehn Stunden individuelle Förderung, muss die Klasse verkleinert werden oder nicht? Die Ressourcen, die man nicht mehr braucht, kann man natürlich anderen Kindern zugutekommen lassen. Das ist doch vernünftig. Das ist eine klare Geschichte. Wir haben den Beratungs- und Förderzentren klare Zuständigkeiten zugewiesen, die wir über die Verordnung regeln werden. Leider hat der Landeselternbeirat die Verordnung abgelehnt. Das ist aus unserer Sicht schade. Wie ich der Presse entnommen habe, bezieht sich die Kritik des Landeselternbeirats nicht so sehr auf den Verordnungsentwurf, sondern auf Dinge, die im Schulgesetz geregelt sind, z. B. den Ressourcenvorbehalt. Deswegen finde ich es im Sinne der Betroffenen schade, dass dieser Entwurf jetzt abgelehnt wurde und weitere Verfahren durchlaufen muss, bis er in Kraft tritt. So hätten nämlich alle Beteiligten in diesem Land Rechtssicherheit gehabt.
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende meiner Rede. – Rechtssicherheit – das ist es, was die Schüler, die Eltern und auch die Lehrer in diesem Land brauchen. Abschließend kann ich nur sagen: Viele Wege führen nach Rom. In Hessen werden immer mehr dieser Wege dazu führen, dass die Inklusion umgesetzt wird. Wir arbeiten daran, und wir machen das mit Herz, Verstand und Augenmaß.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Inklusion ist nicht nur ein bildungspolitisches Thema, sondern sie geht die ganze Gesellschaft an. Gerade gesellschaftliche Veränderungen, die viele Emotionen auslösen, müssen in Ruhe und sehr behutsam herbeigeführt werden.
Deswegen stimme ich Herrn Kollegen Döweling voll und ganz zu und bitte sehr ernsthaft um eine Versachlichung der Debatte; denn wir Politiker tragen auch hier eine besondere Verantwortung. Die Wortwahl im Antrag der LINKEN ist menschlich verachtend und politisch überhaupt nicht zu tolerieren.
Sie sprechen von „Ausgrenzen“ und „Aussondern“ sowie von einer „strafenden und beschämenden... ,schwarzen’ Pädagogik“. Mit diesen Ausdrücken werden alle Förderschulen sowie überhaupt alle Lehrkräfte in Hessen beleidigt.
Aber auch die GRÜNEN sind bei diesem sensiblen Thema auf billigen Stimmenfang aus. Sie fördern Wunschvorstellungen und machen Versprechungen, z. B. dass es die Inklusion sofort und für alle Kinder geben soll. Damit wecken Sie auf der einen Seite Hoffnungen bei den Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen, und auf der anderen Seite schüren Sie Ängste bei den Eltern, die ihre Kinder in einer Förderschule optimal gefördert sehen wollen.
In Art. 4 der UN-Konvention, auf die sich hier alle beziehen, heißt es sehr deutlich, die Verwirklichung der Rechte sei „nach und nach“ zu erreichen, und in Art. 7 steht, das Wohl des Kindes sei „vorrangig zu berücksichtigen“. Genau dem entspricht unser Schulgesetz.
Genau dem entspricht auch die Verordnung, die übrigens nicht zurückgezogen worden ist. Dass es so lange dauert, ist dem Umstand geschuldet, dass wir die Vertreter möglichst vieler Verbände angehört haben und möglichst viele Menschen daran beteiligen wollten.
Der Schwerpunkt der Inklusion in Hessen liegt seit über zehn Jahren bei der Prävention, also dem Halten des Kindes in der Regelschule, wenn in den Lernprozessen die ersten Schwierigkeiten auftreten. Deshalb sind von den fast 1.500 Förderschullehrkräften, die an allgemeinbildenden Schulen eingesetzt sind – an den Förderschulen haben wir weitere 2.400 Förderschullehrkräfte, so viele wie noch nie in diesem Land –, über 900 mit vorbeugenden Maßnahmen beschäftigt. Daher werden in Hessen – Herr Wagner, das ist eine sehr stolze Zahl – 95,6 % aller Kinder in einer Regelschule unterrichtet und nur 4,4 % in einer Förderschule. Das ist bundesweit ein Spitzenwert.
Natürlich setzen wir uns auch Ziele. Wir wollen – obwohl der Wert bundesweit hervorragend ist – die Zahl der Kinder, die eine Förderschule besuchen, weiter verringern. Wir werden in den beiden Modellregionen damit beginnen.
Aufgrund dieser intensiven Präventionsarbeit erhalten sehr viele Kinder Fördermaßnahmen. Es wird aber kein amtliches Fördergutachten erstellt, und sie sind deshalb nicht in den Statistiken erfasst. Deswegen sind die Zahlen in der Bertelsmann-Studie auch so widersprüchlich. In Hessen wird die Inklusion also gelebt; denn wir fördern die Kinder im Rahmen von Präventionsmaßnahmen in den Regelschulen sehr früh und halten sie dort.
85 % der Kinder mit einem amtlich festgestellten Förderbedarf werden in einer Förderschule unterrichtet. Darunter sind die Kinder, deren Eltern das unbedingt wollen, weil sie finden, dass ihre Kinder dort am besten aufgehoben sind. Darunter finden sich aber auch viele Kinder, die einer sehr intensiven, ganz individuellen Förderung bedürfen, wie sie eben nur an den hoch qualifiziert arbeitenden Förderschulen besonders gut geleistet werden kann.
Die Blista in Marburg, das Antoniusstift in Hofheim, das St. Vincenzstift in Aulhausen und die Förderschule in Friedberg sind erwähnt worden. Diese Schulen leisten eine hervorragende Arbeit. Die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Angehörigen anderer Berufsgruppen an diesen Schulen leisten eine hervorragende Arbeit. Das Land kann auf diese Förderschulen stolz sein und den Menschen, die dort arbeiten, ganz herzlich dafür Danke sagen.
Lassen Sie mich jetzt ein paar Worte zu der Kritik an der Verordnung sagen. Wir alle predigen immer wieder und sind uns auch darin einig, dass die individuelle Förderung und mehr eigenständige Regelungen für die Schulen sehr wichtig sind. Das gilt auch für die Umsetzung der Inklusion.
Die bisherige Regelung sieht aber vor, dass, sobald ein Kind mit Förderbedarf in eine Klasse aufgenommen wird, diese sofort verkleinert werden muss. Warum muss das eigentlich bei jeder Beeinträchtigung so sein? Manche Kinder brauchen in bestimmten Situationen eine persönliche Assistenz, und manche brauchen bauliche Veränderungen, aber eine sofortige Verkleinerung der Klasse benötigen sie nicht unbedingt in jedem Fall. Also werden zukünftig die Klassengröße und die Zuweisung der zusätzlichen Stunden für Förderschullehrer an den Bedürfnissen jedes einzelnen Kindes ausgerichtet.
Auch ist es wichtig, dass nicht, wie es bisher an vielen Schulen der Fall ist, nur ein einziges Kind mit Förderbedarf in eine Klasse geht. Gerade diese Kinder brauchen eine Peergroup, bestehend aus anderen Kindern, die ebenfalls anders sind, damit sie sehen, dass das Anderssein dazugehört.
Es gibt auch Zweifel an der behördlichen Erfassung und Zuweisung der Förderschullehrer an die Beratungs- und Förderzentren. Die Förderschullehrer werden nach dem Zuweisungserlass künftig zwar nominal am BFZ verortet, sind aber ein fester Bestandteil des Lehrerkollegiums der Schule, in der sie eingesetzt sind. Das gilt genauso für die Sprachheillehrer: Sie sind zwar nominal dem BFZ zugeordnet, bleiben aber weiterhin ein fester Bestandteil des Kollegiums der Schule, an der sie tätig sind. Gerade für diese Lehrer ist es sehr wichtig, dass sie am BFZ einen fachlichen Erfahrungsaustausch mit anderen Förderschullehrern haben.