Ehrlich gesagt, angesichts der Art dieser Debatte ist mir das Reimen ziemlich vergangen. Ich finde schon, wir setzen uns hier mit einer schwierigen Frage auseinander, gerade in Hessen,
in einem Land, in dem die Väter unserer Verfassung sehr genau darüber nachgedacht haben, wie viel eine Verfassung wert ist, wenn sie sich nicht wehren kann, und genau das Gleichgewicht zwischen wehrhafter Verfassung und Freiheit immer wieder, auch in ihren Versammlungen, neu diskutiert haben.
Ich will die beiden Standardzitate – ich finde, man muss mit ihnen anfangen – für das große politische Spektrum noch einmal aufführen.
Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.
Das war die liberale Position, Voltaire zugeschrieben, sie stammt aber erst aus dem Jahre 1906. Das ist ein anderes historisches Datum. – Nun die andere:
Ich glaube, dieses Spannungsfeld beschreibt, worin unser Problem liegt. Wenn man nämlich in einem Staat lebt, dann muss der Spielraum für die Menschen, sich politisch zu äußern, relativ groß sein. Das kann man nicht im Schlagabtausch der Tagespolitik austragen, sondern das muss man ernsthaft diskutieren.
Ich will Ihnen nur einmal beschreiben, was in Deutschland Verfassungstreue heißt. Das würde heißen: Verpflichtung auf die Menschenrechte, Verpflichtung auf die Volkssouveränität, Verpflichtung auf die Gewaltenteilung, Verpflichtung auf die Verantwortlichkeit der Regierung, Verpflichtung auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Verpflichtung auf die Unabhängigkeit der Gerichte, Verpflichtung auf das Mehrparteienprinzip und Verpflichtung auf die Chancengleichheit für alle politischen Parteien.
Wenn Sie das in allen Details zu Ende diskutieren, werden Sie feststellen, dass wir noch ein paar Fragen zu beantworten haben, was die Einhaltung angeht. – Das ist übrigens ein Zitat des Bundesverfassungsgerichts, nicht dass Sie es für linksradikales Gedankengut halten. – Was heißt z. B. Chancengleichheit politischer Parteien? Das ist ein relativ schwieriger Prozess.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, das heißt aber andersherum: Die Debatte, die ihr über den
Rechtsradikalismus in Deutschland führt, könnt ihr mit dieser blinden Position: „Es darf niemanden geben, der diese Radikalen beobachtet“, so nicht führen. Das geht nicht. An der Stelle muss man sagen: Verfassungsschutz muss sein. – Was unsere Väter nicht wollten, war eine politische Polizei. Wir wollten ein getrenntes, nicht in den Polizeiapparat integriertes System, das nur der Verfassung und nichts anderem verpflichtet ist.
Die SPD hat dazu eine Geschichte, und die ist nicht einfach. Es war in der Tat Willy Brandt, der diesen Erlass mit vorangebracht hat. Es war der gleiche Willy Brandt – Kollege Frömmrich hat es gesagt –, der gesagt hat, es sei ein Fehler gewesen, und sich dafür entschuldigt hat. Hinter dieser Entschuldigung steht die SPD, klar, deutlich und offensichtlich.
Trotzdem sind wir an einem Punkt, an dem das nicht im Schlagabtausch funktioniert. Ich selbst habe lange Debatten mit Hans Krollmann hinter mir. Er hat sich damit gequält als jemand mit einer klaren Sicht auf Demokratie und Freiheit. Trotzdem hat er gesagt, er könne sich Positionen vorstellen, an denen es nicht gehe. Ich beschreibe eine simple Position: Ich würde Andreas Baader nie in den Leitstand eines Atomreaktors lassen – um ein abstraktes Beispiel zu nehmen, das keinen betrifft. Ob er öffentlich eingestellt wird oder nicht, so etwas muss möglich sein.
Darüber muss man im Einzelfall reden können. Die Frage ist: Wer entscheidet das? – Die Frage, die sich alle nicht gestellt haben, lautet: Können das eigentlich politische Exekutiven entscheiden? Oder sind wir nicht bei dieser Frage genau wie bei der Frage der Parteienverbote auf der Ebene, dass das eine Angelegenheit ist, die nicht nur von Organisationen, sondern im Einzelfall von Gerichten entschieden werden muss?
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte, die wir zwischendurch hatten, hilft uns nicht weiter. Wenn wir Freiheit und Demokratie wollen, werden wir noch ein bisschen nachdenken müssen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zu dem Thema Radikalenerlass, das die LINKEN nur als Vorwand für einen provozierenden Antrag genommen haben, nicht mehr viel sagen. Dieser Radikalenerlass – das hat Herr Kollege Frömmrich durchaus zutreffend herausgearbeitet – ist eigentlich nur verständlich aus dem historischen Kontext, ansonsten, im Nachhinein betrachtet, eine äußerst zweifelhafte Angelegenheit.
Diese Angelegenheit hat aber auch deutlich gemacht, dass unser Rechtsstaat funktioniert. Das, was Helmut Schmidt als damaliger Innensenator und späterer Bürgermeister von Hamburg erfunden und was Willy Brandt dann als Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz umgesetzt hat, war in diesem historischen Kontext erklärbar. Es schoss an etlichen Stellen über das Ziel hinaus. Da hat die deutsche Justiz funktioniert, so wie das sein muss.
Das war für Sie aber nur der Anlass, um wieder einmal eine Attacke auf unseren Rechtsstaat, unseren Verfassungsschutz zu reiten. Ich muss schon sagen, der Antrag in seiner Diktion – insbesondere ging es Ihnen ja um die Ziffer 3 – ist eine echte Provokation. Sie schreiben etwas von „Bespitzelung“, Sie fordern die Abschaffung der Geheimdienste. Ich will dazu nur vier Punkte anmerken.
Erstens. Ich kann nachvollziehen, dass es Ihnen aus Ihrer Tradition – die auch schon von mehreren Rednern angesprochen worden ist – nicht vorstellbar ist. Nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis: In Deutschland wird nicht bespitzelt, jedenfalls nicht staatlicherseits. Bespitzelung mag in Ihrer Partei – wie man der einen oder anderen Zeitung entnehmen konnte – noch etwas anders gehandhabt werden, aber in Deutschland bespitzelt der Staat nicht.
Zweitens. Herr van Ooyen, Sie müssen es sich schon anhören, wenn Sie es hier auf die Tagesordnung setzen. In Deutschland gibt es auch keine politisch motivierten Berufsverbote. Zugegebenermaßen ist das in anderen Ländern anders. Das war in anderen Ländern anders, in denen Sie nach wie vor Ihre politischen Wurzeln haben, und es ist auch heute noch in einigen Ländern anders,
wenn Sie die Staaten nehmen, mit denen Sie besonders freundschaftliche Beziehungen pflegen, ob das Kuba ist oder ob das Herr Chávez mit seinem Unrechtsregime ist. Dort können Sie in der Tat solche Anträge stellen.
Drittens. In Hessen gibt es auch keine Überwachung von Parteien oder Abgeordneten. Was es in Hessen aber gibt, ist die Beobachtung verfassungsfeindlicher Tendenzen, Bestrebungen oder Organisationen.
Im Rahmen dieses Auftrags des Verfassungsschutzes ist es deswegen auch richtig, dass der hessische Verfassungsschutz die hessische Linkspartei beobachtet, nicht überwacht. Man kann durchaus darüber nachdenken, ob Überwachungsmaßnahmen richtig sind. Das hat ein sehr unverdächtiger und aufrechter Freiheitskämpfer, der hier auch schon zitiert wurde, den Mitgliedern Ihrer Bundestagsfraktion in den letzten Tagen noch einmal sehr deutlich erklärt, nämlich der schon zitierte Joachim Gauck. Auch in diesem Punkt ist Joachim Gauck ein unverdächtiger und richtiger Kronzeuge.
Ich komme zu einem letzten und sehr einfachen Schlusssatz, der das Ganze auf den Punkt bringt: Die von Ihnen aus diesen Tatbeständen abgeleitete Forderung nach Abschaffung der Geheimdienste, womit Sie offenkundig insbesondere den Verfassungsschutz meinen, ist schlicht absurd.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nicht in die Versuchung geraten, wie Herr Kaufmann und Herr Frömmrich aufgezeigt haben, dass es wieder zu einer Symbiose kommen würde oder der eine den anderen braucht. Ich will das nicht machen. Wir haben in der letzten Plenarsitzung unsere Positionen zu diesem Thema deutlich gemacht. Man könnte viel zu dem sagen, was Sie aufgeschrieben haben. Man könnte sehr viel darüber debattieren, da gibt es schon die eine oder andere sehr deutlich formulierte Frage. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass Alexander Bauer das hier noch einmal so deutlich gemacht hat.
Was machen wir eigentlich hier? Wenn ich mir das Stichwort Radikalenerlass usw. usf. anschaue, dann kann ich nur sagen: Herr van Ooyen, wir führen eine Geisterdebatte. Wir debattieren, jedenfalls was Hessen betrifft, über etwas, was es gar nicht gibt.
In Hessen gibt es seit über drei Jahrzehnten keine Regelanfrage mehr. In Hessen gilt sei 1979 der gemeinsame Runderlass zur Überprüfung der Verfassungstreue von Beamtinnen und Beamten für den öffentlichen Dienst, der lediglich Einzelfallüberprüfungen vorsieht und zwar bei begründetem Anlass. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das halte ich aber auch für richtig. Das halte ich für dringend notwendig.
Ich halte das deswegen für dringend notwendig, weil es geradezu eine Selbstverständlichkeit ist, dass ein Beamter zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes steht.
Herr Grumbach hat die Einzelheiten, die das Bundesverfassungsgericht dafür definiert hat, heute hier sehr deutlich gemacht. Genau das ist es, was unser Land zusammenhält und was unser Land stark macht. Dass ein Beamter dazu steht, ist doch nichts als eine Selbstverständlichkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was den allerletzten Absatz Ihres Antrags betrifft, muss ich sagen: Diese Diskussion ist inzwischen eigentlich furchtbar langweilig. Was schreiben Sie? Die Geheimdienste seien nicht reformierbar, sie müssten abgeschafft werden. – Meine Güte, was ist das für eine langweilige Debatte geworden, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linkspartei. Auch hier kann ich es im Grunde genommen mit all den Damen und Herren aus den Fraktionen von CDU, FDP, SPD und GRÜNEN halten, die sehr deutlich gesagt haben: Ein wehrhafter Rechtsstaat braucht ein entsprechendes Frühwarninstrument, braucht einen Verfassungsschutz.
Ich denke, eine weitere Diskussion erübrigt sich völlig. Ich wollte nur aus Respekt vor dem Parlament als Vertreter der Regierung hierzu nicht vollkommen schweigen. Das
ist es aber, was ich dazu zu sagen habe. Mehr, Herr van Ooyen, kann man zu Ihrem Antrag eigentlich nicht sagen.