Protocol of the Session on March 7, 2012

Ich habe Herrn Holzapfel nicht als „Erfinder“ der selbstständigen Schule bezeichnet, sondern ich habe hier erklärt, dass Sie viele der Errungenschaften, die Frau Wolff

mit ihrem ersten Schulgesetz kassiert hat, und viele der Errungenschaften, bei deren Streichung aus dem Schulgesetz Frau Henzler die Hand gehoben hat, jetzt wieder einführen – beispielsweise Kontingentstundentafeln – und so tun, als seien Sie die Erfinder. Herr Döweling, wenn ich mir diese Zeitspanne vor Augen führe, frage ich mich, wie weit wir sein könnten, wenn Sie diese Erkenntnisse schon 1999 gehabt hätten. Dann müssten wir uns heute nicht darüber streiten, wie wenig weit Ihre selbstständige Schule in Hessen vorwärtsgekommen ist.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Als Nächste spricht Frau Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren – vor allem der CDU und der FDP! Als ich den Titel Ihres Antrags das ers te Mal las, musste ich schon schlucken, denn insbesondere durch den Nachsatz „mehr Gestaltungsfreiheit für Qualitätsentwicklung und individuelle Förderung“ fühlen sich meines Erachtens viele Lehrerinnen und Lehrer, viele Schülerinnen und Schüler und deren Eltern verhöhnt. Ihr Antrag dient vor allem der Selbstbeweihräucherung und nicht der Freiheit, Qualität und Förderung unserer Schulen, auch wenn Sie sie hier so sehr beschwören.

(Beifall bei der LINKEN)

Die GEW hat eine umfassende elfseitige Broschüre zu diesem Thema herausgegeben.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hat die GEW auch Ihre Rede geschrieben?)

Haben Sie diese eigentlich aufmerksam und sinnentnehmend gelesen, Herr Döweling? Das scheint nicht der Fall zu sein. Sie trägt den schönen Titel:

„Selbstständige Schule“ – Das ist nicht die Freiheit, die wir meinen!

(Mario Döweling (FDP): Wir kennen die Sprüche der GEW! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Sie kennen mich. Ich bin von Grund auf für echte Selbstständigkeit, die allerdings immer die Demokratie zur Grundlage haben muss. Was Sie daraus gemacht haben, ist eine Mogelpackung, mit der die Verantwortung für eine von Grund auf fehlerhafte Politik auf andere Akteure abgeschoben werden soll. Die Akteure sind in diesem Fall die Schulen bzw. die Schulleitungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehen wir uns den Antrag einmal genauer an. Unter Punkt 1 wird das Ziel ausgerufen, „die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der hessischen Schulen in finanziellen, pädagogischen und personellen Belangen zu stärken“. Allerdings vergessen Sie, zu erwähnen, dass die Landesregierung die Grundvoraussetzungen für diese Belange gar nicht schafft. Das Bildungswesen in Hessen ist weiterhin chronisch unterfinanziert. Es gibt viel zu wenig Personal an unseren Schulen – trotz Ihrer Einstellungen –, viel zu wenig Sachmittel, viel zu wenig Geld, um eine aus

reichende finanzielle Grundlage für diese Selbstständigkeit zu schaffen.

(Alexander Bauer (CDU): Es gibt mehr als je zuvor!)

Das kann sein, es reicht trotzdem nicht. – Sie wollen, dass die Schulen mit mangelnden Ressourcen haushalten und die Verantwortung für diese Misere auch noch selbst tragen. Das ist eine Zumutung.

(Beifall bei der LINKEN)

Des Weiteren reden Sie in Punkt 1 davon, „die individuelle Förderung“ zu stärken. Sie sagen aber nicht, welche individuelle Förderung Sie meinen. Bezüglich der Schülerschaft, Frau Henzler, ist reichlich wenig von individueller Förderung zu spüren. Vielmehr grenzen Sie mit Ihrem neuen Schulgesetz weiterhin aus und tun alles, um ein ungerechtes und separierendes Schulsystem aufrechtzuerhalten. Vielleicht wollen Sie aber auch die Schulen „individuell“ fördern. Aber damit befördern Sie vor allem die Ökonomisierung des Bildungswesens und den Aufbau von Konkurrenz unter den Schulen.

Unter Punkt 3 beweihräuchern Sie sich aufgrund der Einführung des kleinen Budgets. Vielleicht hätten Sie an dieser Stelle erwähnen sollen, dass eine faktische Mittelkürzung mit der Einführung des kleinen Budgets einhergegangen ist. Da wurden nämlich Posten, die in dem kleinen Budget zusammengefasst wurden, einfach weggelassen. Darüber haben sich die betroffenen Schulen sicher richtig „gefreut“.

Am meisten hat mich aber Punkt 4 geärgert. Wie Sie es schon gegenüber der Presse getan haben, suggerieren Sie auch in diesem Antrag, dass die 24 allgemeinbildenden Schulen bereits selbstständige Schulen seien. Sie umschreiben es mit den Worten: Pilotschulen, die „den Weg zur selbstständigen... Schule beschritten haben“. – Ich verstehe, dass Sie das gerne als Erfolg verbuchen möchten. Es ist ja nicht sehr viel, was Sie auf der Habenseite angehäuft haben. Aber Sie täuschen und tricksen hier ein weiteres Mal.

Sie suggerieren den Bürgerinnen und Bürgern, diese Schulen seien bereits selbstständige Schulen oder zumindest auf dem Weg dahin schon losgelaufen. Dabei haben diese Schulen ihre notwendigen Konzepte noch nicht einmal von der Gesamtkonferenz beschließen lassen. Laut § 127d Hessisches Schulgesetz ist aber genau dies zwingend erforderlich. Das bedeutet, die notwendigen Konzepte, um eine selbstständige Schule zu werden, sind noch nicht einmal verabschiedet. Die Schulen verharren quasi am Startblock – und Sie rühmen sich hier schon der Umsetzung. Der Bedarf an guten Nachrichten muss bei Ihnen bzw. in der Pressestelle des Ministeriums sehr groß sein. Das ist zwar verständlich, aber so geht es einfach nicht, Frau Henzler.

(Beifall bei der LINKEN)

Hiermit nicht genug. Der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium hat sich nämlich auch die beruflichen Schulen angeschaut, die schon seit eineinhalb Jahren den Titel „selbstständige Schule“ tragen. An dieser Stelle sind Sie allerdings zurückgerudert. Ende Februar hat eine gemeinsame Veranstaltung des Hessischen Kultusministerium und der 24 allgemeinbildenden Schulen stattgefunden. Wer war nicht eingeladen? Der Hauptpersonalrat, der diese Thematik kritisiert hat. Da wird hinter verschlossenen Türen wieder

die übliche Hinhalte- und Verschleierungstaktik betrieben.

Dennoch war eine solche Veranstaltung dringend notwendig. Das sehen auch wir so. Warum? Weil vielen Schulen wichtige Informationen über ihre Selbstständigkeit noch gar nicht übermittelt worden sind. So merkt der Hauptpersonalrat in einem Schreiben an – das allen diesen Schulen zugegangen ist –, dass diese nicht oder noch nicht ausreichend über die Zuständigkeitsverordnung informiert wurden. Dazu zählen Personaleinstellungen und Beförderungen. Dazu zählt auch Abordnungen von Kolleginnen und Kollegen. Solche wichtigen Details müssen doch vorab geklärt werden. Sie aber lassen die Schulleitungen einfach ins kalte Wasser springen – eine Abwälzung von Verantwortung, wie wir sie von Ihnen kennen, gepaart mit der Ihnen eigenen Leichtfertigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Zuletzt möchte ich noch kurz über die Mitbestimmungsrechte der Beteiligten sprechen, die mir ganz wichtig sind und die im Rahmen jeder Selbstständigkeit eine entscheidende Rolle spielen sollten. Über die Mitbestimmungsrechte der Schülervertretungen unterhalten wir uns heute Nachmittag. Die Empörung der Schulelternbeiräte möchte ich aber doch noch einmal verdeutlichen. Diese beklagen, und zwar zu Recht, dass ihre Rechte empfindlich beschnitten wurden. Konkret geht es darum, dass die Schulleitungen ihre Haushalte nun den Schulelternbeiräten nicht mehr vorlegen müssen. Das bedeutet: Die Selbstständigkeit der Schulen legitimiert sich nicht mehr – wenn sie es denn jemals tat – durch die Zustimmung derer, die das Herz jeder Schulgemeinde darstellen, in deren Namen und zu deren Nutzen Schule überhaupt existiert, nämlich der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern. Ich kann mich daher der Aussage der GEW nur anschließen:

„Selbstständige Schule“ – Das ist nicht die Freiheit, die wir meinen!

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Noch kurz zum Antrag der SPD-Fraktion. Wir können dem Antrag zustimmen – bis auf Punkt 3, da wir nicht sicher sind, ob ein solches gemeinsames Budget für die Gestaltungsfreiheit tatsächlich ausreichen würde. Den anderen Punkten können wir zustimmen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Cárdenas. – Herr Wagner, ich darf Ihnen für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor sage und schreibe neun Jahren, im Jahre 2003, hat der Hessische Landtag einstimmig beschlossen, dass es eine gute Idee ist, den Schulen mehr Selbstständigkeit zu geben. Das war vor sage und schreibe neun Jahren.

Vor sage und schreibe sieben Jahren haben sich die ersten Schulen, nämlich die ersten beruflichen Schulen, im Rahmend des Projekts „Selbstverantwortung plus“ auf den Weg gemacht, mehr Selbstständigkeit zu erproben.

Heute, im Jahr 2012 – neun Jahre nach dem Beschluss des Landtags –, möchten uns CDU und FDP weismachen, es ist eine Großtat, dass jetzt 59 von rund 1.700 Schulen in Hessen auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit sind. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie glauben doch nicht wirklich, dass das ein Erfolg ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Neun Jahre nach dem Beschluss eines Konzepts, das von allen Fraktionen im Landtag getragen wird – seit DIE LINKE dabei ist, leider nicht mehr von allen –, machen 59 von 1.700 Schulen mit.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, glauben Sie wirklich, dass das die Geschwindigkeit ist, die Sie für Veränderungen an unseren Schulen brauchen? Glauben Sie wirklich, dass das die angemessene Geschwindigkeit ist, um Schülerinnen und Schüler individueller zu fördern? Glauben Sie wirklich, dass das die angemessene Geschwindigkeit ist, um die großen Probleme, die wir an unseren Schulen nach wie vor haben, zu lösen? Glauben Sie wirklich, dass das die Antwort auf die Tatsache ist, dass 20 % eines jeden Schülerjahrgangs die Schule nach wie vor mit größten Problemen verlassen? Wenn das das Tempo ist, mit dem Sie vorgehen, werden Sie den Herausforderungen unseres Bildungswesens nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will das hier sehr deutlich sagen: Wir haben im Jahr 2003 für die Idee der selbstständigen Schule gestimmt, und wir stehen auch im Jahr 2012 zu dieser Idee. Selbstständige Schule bedeutet aber mehr als eine bloße Mangelverwaltung. Sie muss auch mehr bedeuten. Selbstständige Schule muss bedeuten, dass die Schulen tatsächlich mehr pädagogische und organisatorische Freiheiten bekommen, um ihre Qualität zu verbessern und mehr individuelle Förderung auf den Weg zu bringen.

Damit das gelingen kann, brauchen die Schulen auch mehr Mittel. Deshalb war es richtig, dass wiederum alle Fraktionen erklärt haben: Wir brauchen die 105-prozentige Lehrerversorgung. Wer jetzt zwar die selbstständige Schule einführen, den Schulen aber die notwendigen Mittel vorenthalten will, versündigt sich an dieser Idee.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Herr Kollege Döweling, dann kommt nämlich bei den Schulen an: Die Schwarzen und die Gelben reden von selbstständiger Schule und meinen damit eigentlich eine Mangelverwaltung. – Damit schaden Sie der Idee der selbstständigen Schule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die selbstständige Schule einzuführen ist richtig; denn vor Ort kann am besten über Förderkonzepte entschieden werden, und die jeweilige Schule kann am besten beurteilen, wie sie sich mit ihrem Lernumfeld vernetzt und wie sie mit der Kommune zusammenarbeitet. Zu dieser großen Idee der selbstständigen Schule stehen wir GRÜNE nach wie vor.

Aber die selbstständige Schule muss auch bedeuten, dass sich unser Bildungswesen ändert. Frau Ministerin, es kann eben nicht sein, dass man den Schulen sagt: „Ihr müsst euch ändern, ihr müsst euch auf den Weg machen“, und alles andere rund um die Schulen unverändert lässt. So wird die selbstständige Schule nicht funktionieren. Wir müssen auch die Kraft haben, die Schulverwaltungsstrukturen an

zupassen, damit sie auf die selbstständige Schule ausgerichtet sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Herr Kollege Greilich, da Sie gerade wieder so freundlich dazwischenrufen: Eine Anpassung der Schulverwaltungsstrukturen nimmt man aus pädagogischen Erwägungen vor und nicht, weil man, wie Sie, den Rotstift ansetzen möchte. – Herr Kollege Greilich, genau das ist der Unterschied.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))