Protocol of the Session on April 9, 2008

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute die Regierungserklärung eines geschäftsführenden Ministerpräsidenten gehört. Es ist kein Geheimnis, dass wir GRÜNE zu der Landtagswahl, die die Zusammensetzung des 17. Hessischen Landtags bestimmt hat, angetreten sind, um einen Politikwechsel zu erreichen. Zu einem Politikwechsel gehört logischerweise eigentlich auch ein Regierungswechsel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich glaube, dass wir aus der Situation, in der sich der 17. Hessische Landtag jetzt befindet, nämlich dass es eine geschäftsführende Regierung gibt, die auf keine Mehrheit, die von einer Koalition oder einer Fraktion getragen wird, setzen kann, das Beste machen müssen.

Es ist natürlich völlig richtig, dass wir, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Auftrag unserer Wählerinnen und Wähler ernst nehmen, für das zu kämpfen, wofür wir in der Sache angetreten sind. Aber es ist auch kein Geheimnis, dass ein Politikwechsel einfacher ist, wenn er mit einem Regierungswechsel einhergeht.

Ich habe in den letzten Stunden aufmerksam zugehört; denn es ging um die Frage, wie der neue Ton in der Sache ist und ob sich in der neuen Situation,mit der wir alle noch nicht umzugehen gewohnt sind, wirklich etwas verändert hat. Ich glaube, dass wir alle noch ein wenig üben müssen – jedenfalls diejenigen,die bereits in der letzten oder auch schon in den vorigen Wahlperioden dem Landtag angehört haben –,um zu wissen,was wirkliche Offenheit in der Sache bedeutet.

Ich glaube aber auch, dass wir wissen müssen, dass neue Töne alleine noch keine andere Politik bedeuten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mein bisheriges Fazit ist: Der Saal ist neu, der Ton ist es teilweise auch.Auch der Ton des Herrn Ministerpräsidenten war anders, als wir es in den letzten Jahren gewohnt waren.

Herr Koch, in der Sache war vieles in Ihrer Rede allerdings schon irgendwie bekannt und eigentlich alt. Ich begrüße es, wenn bestimmte Worte Eingang finden, wie „ganzheitlich“ und „nachhaltig“. Aber das Wort allein macht noch keine neue Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Ich will gerne zwei ehemalige Bundespolitiker zitieren. Der eine gehört der CDU an. Das ist Helmut Kohl. Er hat einmal so schön gesagt: „Wichtig ist, was hinten herauskommt.“ Dem können wir als GRÜNE nur zustimmen.

(Michael Boddenberg (CDU): Da gibt es noch mehr bei den GRÜNEN!)

Der andere ist Joschka Fischer – inzwischen ebenfalls ein Elderstatesman; er wird am Samstag 60 –, der irgendwann einmal sagte: „I’m not convinced.“ Werter Herr Ministerpräsident, insofern finden wir es gut, wenn auch die CDU in bestimmten Bereichen feststellt, dass sie in der Vergangenheit Fehler gemacht hat. Wenn ich mir aber die ganze Rede und vor allem den Anfang Ihrer Rede betrachte, in der Sie sagen, wie gut Hessen angeblich nach neun Jahren Regierungszeit von Roland Koch dasteht, dann stelle ich

Ihnen die Frage: Warum haben Sie eigentlich die Wahl verloren, wenn alles in Ordnung war?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD – Michael Bodden- berg (CDU):Wie war es denn bei Ihnen?)

Herr Kollege Boddenberg, insofern erlaube ich mir eine Rückschau. Der letzte Hessische Landtag hat im Dezember und im November letzten Jahres über den Haushalt des jetzt laufenden Jahres debattiert.Wir waren in der Generalaussprache in heftiger Auseinandersetzung miteinander, wie die zukünftige Politik des Landes Hessen aussehen soll. Uns GRÜNEN schien es damals schon so zu sein, dass die mit absoluter Mehrheit regierende Union aufgrund ihrer absoluten Macht der letzten fünf Jahre irgendwie vergessen hat, dass man auch Perspektiven für die Zukunft entwickeln muss, wenn man wiedergewählt werden möchte. Herr Ministerpräsident, in wichtigen Politikbereichen war die Bilanz Ihrer jetzt geschäftsführend amtierenden Landesregierung schlecht.Die Bildungspolitik ist heute schon von vielen benannt worden. Die Bilanz der Landesregierung der letzten Jahre in der Bildungspolitik war schlecht. Das muss man schlicht feststellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Zweitens hat die Sozialpolitik in aller Regel keine Rolle gespielt, auch heute bisher nicht. Ich glaube allerdings, dass auch in der Sozialpolitik die Bilanz der jetzt geschäftsführend amtierenden Landesregierung in der Sache schlecht war.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Gleiches gilt für die Arbeitsmarktpolitik, wenn man sich die Entwicklung in anderen Bundesländern betrachtet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn ich auf das Vorfeld des 27. Januar zurückblicke, stelle ich fest, dass das Ergebnis der Wahl auch ein bisschen was mit Stil zu tun hat. Insofern sind die neuen Töne, wenn auch in der Sache noch nicht viel Neues zu hören ist, doch sehr interessant. Der Regierungsstil der letzten Jahre war immer mit dem Wort „durchziehen“ gekennzeichnet.

(Norbert Schmitt (SPD): „Wir haben die Mehrheit“! – Petra Fuhrmann (SPD): „Mehrheit ist Wahrheit“!)

Ich kann mich sehr genau an den Herbst 2003 erinnern,an Zehntausende Demonstrantinnen und Demonstranten, die damals gegen die „Operation düstere Zukunft“ protestiert haben. Es war damals übrigens die größte Demonstration seit der Übergabe der Unterlagen zum Volksbegehren Startbahn West, die in der Landeshauptstadt stattgefunden hat. Ich weiß, dass ich damals mit einigen Abgeordneten der CDU sprach und diese sagten:„Na ja, wenn so viele Leute gegen uns protestieren, dann müssen wir es richtig gemacht haben; denn dann haben wir alle gleichmäßig getroffen.“ Herr Koch, dieser Stil ist am 27. Januar abgewählt worden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Ihnen ist klar gewesen, dass es schwierig sein wird, mit Ihrer Bilanz in der Sache und mit Ihren fehlenden Zu

kunftsprojekten Wahlkampf zu machen. Deswegen war Ihre Wahlkampagne von Anfang an nicht darauf angelegt, zu sagen: „Wählt uns, weil wir A, B, C machen wollen“, sondern Ihre Wahlkampagne war von Anfang an darauf angelegt: „Wählt uns, die anderen sind schlimm.“ Exemplarisch macht sich dies vielleicht an den Begriffen Windkraftmonster und Zwangseinheitsschule fest.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Ich glaube, dass die Tatsache, dass Sie dann zwischen Weihnachten und Neujahr der Meinung waren, noch etwas drauflegen zu müssen, eine Radikalisierung dieser Strategie war.Ich muss sagen,dass wir in unseren internen Runden immer vorausgesagt haben: Wenn es eng wird, dann gibt es die CDU-Option, wieder eine Ausländerkampagne aus der Kiste zu ziehen. – Ich bedauere ausdrücklich, dass Sie leider zu diesem Mittel gegriffen haben.

Es war nicht etwa so,dass dieses Thema vom Himmel fiel. Wenn ich mich an die Generalaussprache zum Haushalt 2008 erinnere: Da war so etwas angelegt, was nicht gezündet hat. – Wenn ich mich an Ihren Vorschlag für ein Burkaverbot erinnere – obwohl es gar keine Burka in hessischen Schulen gibt –: Das war der zweite Versuch, etwas zu zünden, was nicht gezündet hat. – Über das, was zwischen Weihnachten und Neujahr losging, haben Sie gedacht: An diesem Punkt wird es jetzt auf jeden Fall funktionieren. – Herr Ministerpräsident, es hat nicht funktioniert, weil die Menschen in Hessen schlauer waren, als Ihrer Wahlkampagne recht war. Das kann ich nur ausdrücklich begrüßen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Die Menschen haben sehr genau gemerkt, ob es da jemandem um Lösungen geht, ob es jemandem um Sicherheit geht, ob es jemandem um Integration geht oder ob da jemand nur versucht hat,Wahlkampf zu machen. Ich habe schon gesagt: Es hat nicht funktioniert, sondern es ist sogar nach hinten losgegangen.Trotz aller unbefriedigenden Situationen, die wir jetzt im 17. Hessischen Landtag haben, ist das die eigentlich positive Nachricht des 27. Januar, weil sie für die Zukunft gilt, und sie gilt parteiübergreifend. Ich glaube, auf absehbare Zeit wird keine Partei in Deutschland mehr den Versuch machen, Wahlkampf auf Kosten gesellschaftlicher Minderheiten zu machen. Das ist gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Nicola Beer (FDP))

Auch da gilt, dass dieser Lerneffekt auch bei anderen Parteien nötig war. Wenn ich mich an den Wahlkampf der SPD in Baden-Württemberg 1996 zurückerinnere – Stichwort: Anti-Aussiedler-Wahlkampf –, damals organisiert von Oskar Lafontaine, dann kann ich nur wünschen, dass auch in Bezug auf die Europawahl, die jetzt ansteht, manches, was vom jetzigen Parteivorsitzenden der Linkspartei angedeutet wurde, bei der Europawahlkampagne nicht stattfindet, sondern dass wirklich alle diese Lektion jetzt gelernt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier die Verantwortung – wir alle miteinander – in dieser Situation einer geschäftsführenden Regierung und eines neu gewählten Landtags, in dem sich bisher keine Koalitionen gefunden haben, jetzt für eine Übergangszeit, von der wir heute nicht sagen können, wie lange sie dauern wird, das zu machen, wofür wir alle gewählt sind, nämlich politische Inhalte hier einzubringen und reale Handlungen in der Sache anzustoßen, und zwar jeweils in die Richtung, für die sich Mehrheiten in diesem Parlament finden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): In die richtige Richtung!)

Das mit der richtigen Richtung ist in einem runden Saal halt immer schwierig, Herr Kollege Hahn.

(Allgemeine Heiterkeit – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der Saal hat schon eine Form!)

Das wird man dann sehen.

Wir als GRÜNE machen auch keinen Hehl daraus – das habe ich schon gesagt –, dass der Politikwechsel ohne Regierungswechsel zumindest ein schwierigeres Unterfangen wird, um es einmal vorsichtig auszudrücken.Aber wir haben jetzt aus unserer Sicht wirklich die Pflicht und wir als GRÜNE laden alle, aber auch wirklich alle dazu ein, sich strikt an der Sache zu orientieren. Sich strikt an der Sache zu orientieren kann auch einmal bedeuten, dass man hier unterliegt. Aber wenn ich mir so die Debatten und die Blöcke hier anschaue, werden wir GRÜNE in der komischen Situation sein, dass wir nie unterliegen, weil wir immer entscheiden, was passiert. Das ist auch etwas, an das wir uns noch gewöhnen müssen. Das gilt jedenfalls für die jetzt anstehende Übergangszeit.

(Allgemeine Heiterkeit – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Aber ich glaube, wenn wir hier über die Frage reden, was jetzt ansteht,und wenn das hier eine Regierungserklärung zu Beginn einer Wahlperiode ist, wo wir nicht wissen, ob das eine Regierungserklärung für drei, sechs, zwölf oder achtzehn Monate ist, dann sind wir alle in der Pflicht, zu sagen, in welche Richtung es denn aus Sicht der einzelnen Fraktionen gehen soll und in welche Richtungen sich Mehrheiten finden.

Insofern würde ich gern für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschreiben, was aus unserer Sicht jetzt auf der Tagesordnung steht.

Wir brauchen eine verantwortliche Umwelt-, Energieund Verkehrspolitik in diesem Bundesland. Ich begrüße es außerordentlich, wenn inzwischen auch die CDU erkannt hat, dass die erneuerbaren Energien nicht des Teufels sind. Aber Sie werden es mir nachsehen: Manchmal geht es mir ein bisschen zu schnell vom Windkraftmonster zum Musterland.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Insofern gilt auch da,Herr Ministerpräsident,die Weisheit von Helmut Kohl: „Wichtig ist, was hinten rauskommt.“ Das,was hinten herauskommen müsste,wäre,dass wir den dramatischen Rückstand, den Hessen inzwischen bei dem Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung hat, endlich wieder aufholen, dass wir nach vorne kommen und meinetwegen auch Musterland werden. Aber wenn ich mir ansehe, dass Sachsen-Anhalt inzwischen bei einem Anteil von 38 % erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung ist und wir bei etwas über 5 % liegen,

dann glaube ich,dass es noch ein bisschen dauern wird,bis wir die Versäumnisse der Vergangenheit aufgeholt haben.

Deswegen sage ich: Lasst uns jetzt endlich damit beginnen. Dazu gehört dann auch, dass man wirklich die ideologischen Vorbehalte, die es gibt, über Bord wirft und nicht nur von Biomasse spricht und mehr als die Geothermie entdeckt. Denn es ist so, dass wir ein Mittelgebirgsland ohne Zugang zum Meer sind. Aber der Vogelsberg, Herr Ministerpräsident, ist ein erloschener Vulkan. Deswegen ist es mit der Geothermie auch nicht immer so,dass man überall diese Möglichkeiten hat. Das bedeutet, um es konkret zu sagen: Man muss die Verteufelung der Windkraft beenden und endlich zu einer sachgerechten Politik auch in diesem Bereich kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)