Protocol of the Session on September 25, 2008

Ich gebe Ihnen gerne ganz aktuelle Statistiken, nicht vom Hessischen Sozialministerium, sondern bundesweite Vergleiche. Dann werden Sie sehen, dass Hessen zu den Ländern gehört, die ihre Hausaufgaben machen, die sich dieses Bereichs angenommen haben und ihn ausbauen,die es unternommen haben, Investitionsstaus aufzulösen. Das hat aber nichts mit dem zu tun, was Sie hier vortragen. Es ist einfach unanständig, verschiedene Dinge zu vermischen, zu verrühren und dann zu hoffen, dass irgendetwas hängen bleibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr.Ulrich Wil- ken (DIE LINKE): Das müssen Sie den 7.000 Leuten erklären, die heute demonstrieren!)

Ich möchte ganz deutlich machen:Wir haben uns hier immer gemeinsam dafür eingesetzt, dass zum einen der Deckel gehoben wird – was nach langen Verhandlungen in Berlin endlich passieren wird – und dass wir zum anderen endlich wieder zu sachlichen Diskussionen zurückkommen, dass wir Patientenanzeigen ernst nehmen, jeder einzelnen nachgehen. Dabei geht es auch um anonyme, im Internet veröffentlichte Anzeigen. Auch die sollte man ernst nehmen. Man muss jedem Einzelfall nachgehen, darf aber nicht versuchen, irgendetwas aufzubauschen, damit etwas hängen bleibt.

Die Krankenhäuser brauchen transparente Strukturen. Wir brauchen dort Qualität. Auch in diesem Fall ist festzustellen, dass es in den Kliniken Strukturen gibt, die solchen Fällen – unabhängig von uns – nachgehen und sie von Ärzten beurteilen lassen. Wir sollten alles daransetzen, die Gesundheitsversorgung nicht schlechtzureden. Menschen in Not, Kranke brauchen Hilfe.

Wir müssen das Arzt-Patient-Verhältnis ernst nehmen, wir dürfen nicht versuchen, es hier kaputtzureden, sondern wir müssen erkennen, dass es zur Heilung eines Grundvertrauens bedarf. Ich denke, die Politik ist insgesamt gefordert, dafür zu sorgen, dass das auch in Zukunft in unserem Land so bleibt und die Gesundheitsversorgung nicht Spielball politischer Interessen wird. Dafür werde ich mich auch persönlich weiterhin einsetzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Lautenschläger.

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich stelle fest, dass die Aktuelle Stunde abgehalten worden ist.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 68 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffen eine Aktuelle Stunde (Unverantwortliche Geschäftspolitik der Telekom – keine Schließung der Callcenter) – Drucks. 17/686 –

Hierzu rufe ich die Tagesordnungspunkte 82 und 83 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Schließung von Telekom-Callcentern verhindern und Arbeitsplätze sichern – Drucks. 17/703 –

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Telekom-Arbeitsplätze in Kassel und Gießen sichern – Drucks. 17/704 –

Ich erteile zunächst Herrn Kollegen Schaus das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion, DIE LINKE, hat mit dem vorliegenden Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde einen Entschließungsantrag verbunden, der sich mit der aktuellen Gefährdung von 350 Arbeitsplätzen in den hessischen Regionen Kassel und Gießen auseinandersetzt; denn Politik hat die Aufgabe, die mit diesen 350 Arbeitsplätzen verbundenen Schicksale plus die Schicksale der betroffenen Familien nicht sich selbst,nicht den freien Kräften des Marktes und auch nicht der in diesem Fall höchst unsozialen Beschäftigungspolitik der Telekom zu überlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Politik hat vielmehr die Aufgabe, sich für die Menschen so einzusetzen, dass für die betroffenen Regionen sowie für die einzelnen Menschen der Verlust von Arbeitsplätzen verhindert werden kann, sofern es irgend möglich ist. Dass dies bei entsprechendem Willen der beteiligten Akteure möglich wäre, will ich hier kurz aufzeigen.

Zunächst ein kurzer Blick auf die Ursache des Problems. Per Vorstandsbeschluss der Deutschen Telekom sollen 83 Callcenter in bisher 63 Städten in Deutschland auf nur noch 24 Standorte reduziert werden. Hiervon sind auch die Callcenter in Kassel und Gießen mit insgesamt 350 Beschäftigten betroffen. Die Telekom spricht in diesem Zusammenhang aber nicht von Kündigungen, sondern davon, dass die Beschäftigten aus Kassel und Gießen künftig einfach in Fulda und in Eschborn eingesetzt werden. Dies ist blanker Zynismus, denn von den 350 Beschäftigten sind über 70 % Frauen, ein großer Teil davon aus familiären Gründen in Teilzeitbeschäftigung. Dazu gibt es eine sehr hohe Zahl von Schwerbehinderten, weil die Tätigkeit in Callcentern Schwerbehinderten immer eine Beschäftigungsmöglichkeit bietet.

Bei diesen Beschäftigten – ich sage es nochmals: überwiegend Frauen mit Familien und ein überproportional hoher Anteil an Schwerbehinderten – von einem „Angebot“ zu sprechen, wenn sie künftig pro Tag zwei bis vier Stunden Fahrzeit zum Arbeitsplatz und zurück in Kauf nehmen sollen, ist schlicht und ergreifend unmöglich. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur zu unannehmbaren Bedingungen weiterhin beschäftigt werden sollen, dann handelt es sich um Kündigungen durch die Hintertür und um das Anlegen von Daumenschrauben bei gleichzeitigem Aufsetzen von Unschuldsmienen. Gegen eine solche Politik, die mit dem wirtschaftlichen Schicksal von Menschen spielt, muss sich der Landtag entschieden aussprechen.

Es gibt auch gar keinen Grund, warum Callcentergespräche von einem anderen Ort aus besser zu führen sein sollen; denn Anrufe können an jeden Arbeitsplatz in Deutschland geroutet werden. Die Präsenz in der Fläche wäre wegen einer größeren Kundennähe und einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit unternehmenspolitisch sogar ein Vorteil.

Dass nun trotzdem 350 Menschen täglich zusätzlich zwei bis vier Stunden pendeln sollen, um in größeren, weit entfernten Callcentern zu arbeiten, ist arbeitsökonomisch, sozialpolitisch, in Bezug auf die Unternehmensperspektive und auch ökologisch so unsinnig,dass wir nach den eigentlichen Gründen der Telekom-Beschäftigungspolitik suchen müssen.

Verständlicher wird das sogenannte Angebot erst dann, wenn man weiß, dass die Callcenter in Eschborn und Fulda überhaupt nicht die Kapazität besitzen, weitere Arbeitsplätze in dieser Größenordnung anzubieten. Es müssten also zusätzliche Flächen angemietet oder gebaut werden.

Viel entscheidender ist aber, dass es für die Beschäftigten einen Kündigungsschutz gibt und dass dieser Kündigungsschutz jetzt durch die Hintertür sozusagen zunichte gemacht werden soll.

Verständlicher wird die Entscheidung, wenn man weiß, dass es Vereinbarungen zur Beschäftigungspolitik zwischen der Konzernleitung, dem Betriebsrat und den Gewerkschaften gibt, die von der Neustrukturierung erst aus den Medien erfahren durften.

Verständlicher wird die Entscheidung aber auch erst dann, wenn man weiß, dass die Telekom weiterhin großflächig aus den bestehenden Tarifverträgen aussteigt und bis zum Jahresende in Deutschland weitere mehr als 6.000 Beschäftigte aus den Netzzentren in Servicegesellschaften auslagern möchte. Hiervon wären in Hessen 1.400 Beschäftigte an den Standorten Darmstadt, Heusenstamm, Fulda und Frankfurt betroffen.

Ich komme zum Schluss. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein ehemals stolzes Staatsunternehmen, das der Privatisierung zugeführt wurde – in dem die Bundesrepublik Deutschland mit über 30 % Anteil aber immer noch der Hauptaktionär ist –, seine verfehlte Kunden- und Beschäftigungspolitik und seine weltweiten Expansionsgelüste auf den Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer austrägt.

Herr Kollege Schaus, Sie müssen zum Schluss kommen.

Die Bundesregierung muss im Aufsichtsrat endlich handeln und hier Einhalt gebieten. Insofern unterstützen wir die Proteste der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die morgen in Bonn stattfinden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Decker das Wort.

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Es mag die 16. oder 17. Welle der Neustrukturierung der Telekom sein. Sie überrollt nunmehr auch die Callcenter in Kassel und Gießen.

Wir wissen, dass sich auch ein Unternehmen wie die Telekom Modernisierungs- und Neustrukturierungsprozessen stellen muss.Wir wissen, dass es das machen muss, um auf dem immer härteren Markt wettbewerbs- und zukunftsfähig zu bleiben. Wir wissen aber auch eines: So geht man mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht um.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die Art und Weise, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter quasi über Nacht vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, war kein guter unternehmerischer Stil. Schon in der Vergangenheit haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhebliche Zugeständnisse machen müssen und auch Einbußen hingenommen – und das alles, um ihre Arbeitsplätze zu sichern.

Umso bitterer ist die bevorstehende Schließung der Callcenter an diesen Standorten. Sicher hat die Telekom – nach ihren eigenen Worten – alle Anstrengungen unternommen, um die Standortschließungen und Arbeitsplatzverlagerungen sozial verträglich zu gestalten. Aber seien wir einmal ehrlich und sehen es ganz pragmatisch: Das nützt einer Teilzeitkraft mit ein oder zwei Kindern gar nichts, wenn sie dafür jeden Tag nach Fulda oder nach Eschborn 100 km hin- und wieder zurückfahren muss.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir sind ebenso der Auffassung, dass die Schließungspläne nicht einer Standortverantwortung gerecht werden, die auch ein solches Unternehmen an den Tag legen sollte. Wir haben zudem die nicht unbegründete Sorge, dass die Telekom aufgrund der Standortschließungen in Kassel und Gießen gerade in diesen Regionen einen Vertrauensverlust bei den Kunden, die ihr bisher treu geblieben sind, wird hinnehmen müssen.

Bisher waren fast jedes Mal,wenn eine solche Welle rollte, Kassel und Gießen betroffen. Dies hat die einstmals traditionellen Standorte – ehedem der Post, später der Telekom – bereits mehrere Hundert Arbeitsplätze und, was uns am meisten ärgert, auch Ausbildungsplätze gekostet.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es ist aus unserer Sicht auch strukturpolitisch in keiner Weise vertretbar, wenn Standorte mit relativ hoher Arbeitslosigkeit geschlossen und die Arbeitsplätze an Standorte mit relativ geringer Arbeitslosigkeit verlagert werden. Der Hinweis darauf, dass durch diese Umstrukturierung in Hessen insgesamt 400 zusätzliche Telekom-Arbeitsplätze entstanden sind, mag aus Sicht der geschäftsführenden Landesregierung positiv bewertet werden. Ich will das gar nicht negativ darstellen.Aber den betroffenen Menschen an den Standorten Gießen und Kassel nützt das gar nichts.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Übrigens sehen wir bisher keinen nachvollziehbaren Grund – es gibt auch keine Fakten, die das belegen –, warum ein Callcenter, dessen Mitarbeiterzahl von 400 auf 700 wächst, künftig rentabel arbeiten soll. Ich bin unserer Fraktionsvorsitzenden Andrea Ypsilanti sehr dankbar dafür,dass sie sich klar und deutlich für einen Stopp der Verlagerungspläne eingesetzt hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich will auch dem Kasseler Oberbürgermeister,den Stadtverordnetenversammlungen beider Städte sowie den Abgeordneten vor Ort danken, die sich dafür eingesetzt haben.

Leider haben wir dieses Engagement bei der geschäftsführenden Landesregierung nicht in gleicher Weise wahrnehmen können. Oder es ist im Verborgenen geschehen.

(Heiterkeit bei der SPD – Günter Rudolph (SPD): Wahrscheinlich!)

Das ist im Übrigen auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Ort aufgefallen. Es kursierte dort die Vermutung, die Landesregierung sei bereits im Vorfeld von den Verlagerungsplänen informiert gewesen. Das reichte bis zu der Vermutung, man habe aus bestimmten Gründen die Standorte Fulda und Eschborn präferiert.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wer hat das wohl gestreut?)

Herr Staatsminister Dr. Rhiel hat allerdings in einem persönlichen Schreiben versichert – das will ich an der Stelle konzedieren –, dass dies nicht zutreffend sei. Deshalb will ich nicht weiter darauf eingehen.

Sehr wohl will ich an dieser Stelle anmerken, dass das Gefühl zurückbleibt, dass die geschäftsführende Landesregierung in dieser Sache einiges mehr hätte tun können.

(Beifall bei der SPD)