Protocol of the Session on September 23, 2008

Die neue Zauberformel heißt Mindestlohn. Hinter dieser können sich alle Genossen versammeln – pardon, nicht alle. So sieht Helmut Schmidt dieses Lieblingsthema der SPD mit Skepsis. Der Weltökonom sagt, dass die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn zwar auf den ersten Blick einfach und verführerisch sei,bei näherer Betrachtung aber nicht ohne Tücken; er funktioniere eigentlich nur in den Ländern, die anders als Deutschland einen unregulierten Arbeitsmarkt hätten.

Meine Damen und Herren, die SPD-Welt ist nur an der Oberfläche in Ordnung. Noch Ende 2007 sagte Herr Struck: „Abgesehen von der längeren Zahlung des Arbeitslosengeldes I für Ältere bleiben wir bei der Agenda. Es gibt ja keinen Weg zurück.“ Und heute? Heute postuliert er,die Agenda sei Vergangenheit.Dies ist schlichtweg falsch. Sie ist „kein abgeschlossenes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte“, wie auch der bayerische DGB-Chef Fritz Schösser betont.Denn die Agenda hat zu gesetzlichen Bestimmungen in diesem Land geführt, auf deren Basis hier Tag für Tag gehandelt wird.Sie ist Gegenwart,und sie darf

auch in Zukunft nicht Vergangenheit sein. Denn Fördern und Fordern ist richtig und erfolgreich. Es steht für uns weiterhin an erster Stelle, weil den Menschen geholfen wird und sie eine Perspektive erhalten. Der schnellste Weg aus der Spirale nach unten führt über den Arbeitsmarkt. Sozial ist, was Arbeit schafft. Diese Philosophie wird mit der Agenda in Taten umgesetzt.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wer hätte geglaubt, dass wir als Union Ex-Kanzler Schröder gegenüber seiner eigenen Partei in Schutz nehmen müssen und dass wir Steinmeier und Müntefering dazu ermuntern müssen, zu dem zu stehen, was sie mitgestaltet haben? Die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit ist das Ergebnis geänderter Rahmenbedingungen in Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. So stellt BA-Vorstandsmitglied Becker klar, dass die andauernde robuste Verfassung des deutschen Arbeitsmarktes entscheidend auf die verbesserten Vermittlungsmethoden zurückzuführen sei.

Wir müssen Kurs halten und die Instrumente der Umsetzung weiterentwickeln und sie bei Bedarf auch modifizieren. Es ist unser Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, mehr Arbeit und Wachstum mit dem Ziel der Vollbeschäftigung zu schaffen. Denn Arbeit ist ein Recht, und so steht es schon in Art. 28 der Hessischen Verfassung. Dort steht – ich zitiere –:

Jeder hat nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit und, unbeschadet seiner persönlichen Freiheit, die sittliche Pflicht zur Arbeit.Wer ohne Schuld arbeitslos ist, hat Anspruch auf den notwendigen Unterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen.

Auch hier haben die Verfassungsgeber bereits das Prinzip des Förderns und Forderns formuliert.Arbeit ist mehr als Broterwerb, sie ist sinnstiftend und kann auch glücklich machen.Dennoch darf es keine Frage des Glücks sein,Arbeit zu bekommen.

Arbeit ist Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Es ist noch gar nicht lange her, dass wir über fünf Millionen Arbeitslose hatten.Arbeitnehmer, Unternehmen und Politik haben gemeinsam den Umschwung erreicht. Wir haben seit dem Amtsantritt von Kanzlerin Merkel eine positive Entwicklung. Die Zahl der Arbeitslosen ist gegenüber dem Höchststand unter Rot-Grün seit Anfang 2006 um zwei Millionen zurückgegangen. Dies sind zwei Millionen Gründe für die Richtigkeit dieser Arbeitsmarktpolitik – eine Reform im besten Sinne des Wortes. Sie zeigt Wirkung. Der Fraktionschef von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Tarek Al-Wazir, hat heute, wie ich finde, treffend in einem Interview formuliert: „Hartz IV war doch gar nicht so falsch.“

Meine Damen und Herren, Wirtschaftswachstum und Aufschwung am Arbeitsmarkt kennzeichnen die Lage in Hessen.Die Zahl der Erwerbslosen ist im August erstmals wieder unter die magische Grenze von 200.000 gesunken. Wir haben eine Arbeitslosenquote von 6,4 %. Besonders erfreulich ist die Entwicklung bei den jüngeren Menschen. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen ist hoch. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich entspannt, und die Beschäftigung ist auf Rekordniveau. Was auch uns besondere Sorge macht – Frau Schulz-Asche hat es angesprochen –, sind die schwer Vermittelbaren, die Langzeitarbeitslosen. Der Abbau der Arbeitslosigkeit erfasst mittlerweile aber auch diese Klientel. So sind im vergangenen Jahr gut 21.000 Menschen oder 12 % der Lang

zeitarbeitslosen in Arbeit vermittelt worden. Allein von Juli bis August dieses Jahres waren es 2.396.

In der politischen Diskussion der vergangenen Monate wurde vielfach das Bild gestellt, in Deutschland wachse als Folge der Hartz-IV-Reform die Armut. Meine Damen und Herren, dieses Bild ist falsch. Dies zeigen die aktuellen Zahlen für 2006 aus dem Sozio-Ökonomischen Panel. Es ist zu einer Umkehr gekommen. Das statistische Armutsrisiko hat erstmals seit zehn Jahren wieder abgenommen. Verzeichnete der Armutsbericht der Bundesregierung noch einen Anstieg der Armutsrisikoquote auf 18 %, so geht die Quote nach den neuen Daten auf 16,5 % zurück. Parallel dazu kam die Lohnungleichheit zum Stillstand. Der Anteil der Arbeitnehmer im Niedriglohnsegment ist erstmals seit Jahren nicht weiter gestiegen.

(Gernot Grumbach (SPD): Das ist Äpfel mit Birnen verglichen!)

Dies widerlegt die These, die Agenda habe Armut und Ungleichheit verschärft. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ kommentiert diese aktuelle Studie treffend:

Die einen stöhnten in den zurückliegenden schwarz-roten Jahren über Hartz IV, die anderen über hohe Steuerlasten. Doch unter dem Strich rückten alle zusammen. Am unteren Ende schafften 1,5 Millionen ehedem Arbeitslose den Sprung in die untere Mittelschicht. Zugleich beglich das obere Viertel der Steuerzahler 80 % des gesamten Steueraufkommens. Eine Gesellschaft ohne sozialen Zusammenhalt sieht anders aus.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Es gibt weiter viele Probleme, vor allem für Familien mit Kindern.Doch die grundsätzliche Richtung stimmt.

Meine Damen und Herren von der Linkspartei und dem linken Flügel in der SPD, Sie liegen eindeutig falsch. Nehmen Sie die Fakten zur Kenntnis.

(Petra Fuhrmann (SPD): Nehmen Sie die Fakten zur Kenntnis! – Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Klaus Zimmermann, Leiter des DIW, sagt: „Mehr Wachstum hat seit Beginn des Aufschwungs mit den Arbeitsmarktreformen zu mehr Beschäftigung und damit zu weniger Armut und weniger Ungleichheit geführt.“ All dies ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es ist Ergebnis von Rahmenbedingungen, die die Politik gesetzt hat.

Eine treffende Bewertung dieser Entwicklung kommt von Rainer Wend, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: „Da kann man nur sagen: Gute Arbeitsmarktpolitik, weiter so!“ Recht hat er. Exakt das ist die Botschaft unseres Antrages.Das ist das Bekenntnis, zu dem wir die demokratischen Kräfte in diesem Landtag aufrufen.

In den „Stuttgarter Nachrichten“ wird im Kommentar gefordert:

Die neuen Erkenntnisse sollten in ein Plädoyer für mehr Stehvermögen in der Politik münden... Die Genossen sollten sich davor hüten, voreilig schon wieder den Schalter umzulegen. Mindestlöhne und längere Bezugszeiten beim Arbeitslosengeld mögen zwar durchaus populär sein, sie gefährden aber Jobs und damit die Reformdividende der eigenen Politik.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Meine Damen und Herren, mehr Stehvermögen, und sich nicht von den LINKEN im knallroten Gummiboot in stürmische See treiben zu lassen, hierzu fordern wir die Sozialdemokraten auf. Diese Arbeitsmarktpolitik muss fortgesetzt werden, damit aus der Umkehr des Trends dauerhaft eine Trendwende wird, damit noch mehr Menschen in Arbeit und Brot kommen.

Arbeitslosigkeit ist die Hauptursache für Armut.Je länger sie dauert, desto höher ist das Risiko, abzustürzen und nicht mehr den Weg zurück in das Erwerbsleben zu finden. Deshalb setzen die Reformen zu Recht bei zwei Punkten an.Erstens setzen sie bei der schnellen Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt an, wenn jemand den Job verliert. Hier ist die Bilanz hervorragend. Frau Schulz-Asche hat dies im Hinblick auf die Bezieher von Arbeitslosengeld I erwähnt. Sie fassen schnell wieder Fuß.

Der zweite Punkt ist die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen. Selbst Arbeitslose, die scheinbar keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, sind durch intensive Einzelbetreuung, durch konsequentes Fördern und Fordern vermittelbar. Dies ist zunächst teuer, rechnet sich aber langfristig. Es werden Menschen an Arbeit herangeführt, die man früher in die Sozialhilfe schickte.Auch aus frauenpolitischer Sicht macht sich die Reform positiv bemerkbar. Alleinerziehende – in der überwiegenden Zahl sind dies Frauen – werden nicht mehr in die Sozialhilfe abgeschoben, sondern als erwerbsfähig eingestuft und haben damit die Chance auf Eingliederungsmaßnahmen.

Gering Qualifizierte haben ein besonders hohes Risiko, langzeitarbeitslos zu werden. Gerade diesen Menschen mit all ihren Benachteiligungen wendet man sich dank der Arbeitsmarktreform besonders zu. Die Politik speist sie nicht mehr mit finanziellen Mitteln ab. Sie hat eine effektive Infrastruktur für aktivierende Hilfe geschaffen,um zu qualifizieren und die Tür zum Arbeitsleben zu öffnen.

Meine Damen und Herren, das ist eine Sozialpolitik, die würdig mit den Betroffenen umgeht. Doch – da besteht noch eindeutig Handlungsbedarf – der sozialpolitische Auftrag geht weit darüber hinaus. Es gilt, Langzeitarbeitslosigkeit vorzubeugen – langfristig durch mehr Bildungsgerechtigkeit, kurz- und mittelfristig, indem gerade für Alleinerziehende

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Dr. Walter Lübcke (CDU))

durch den Ausbau der Kinderbetreuung Erwerbstätigkeit überhaupt möglich wird und indem die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund verstärkt wird und ihnen so die Teilhabe am Arbeitsmarkt erleichtert wird, aber auch indem gering Qualifizierten der Arbeitsmarktzugang nicht noch weiter erschwert wird durch Mindestlöhne, die Arbeitsplätze und Arbeitschancen gerade für diese Menschen vernichten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, viele nicht oder gering Qualifizierte sind seit Inkrafttreten der Arbeitsmarktreform in Jobs gekommen, weil verstärkt geholfen wird, weil Anreize zur Aufnahme einfacher, niedrig entlohnter Beschäftigung gegeben werden. Das war ein erklärtes Ziel dieser Reform.

(Beifall bei der CDU)

Hier wirkt das Prinzip des Förderns und Forderns. Dass man sich besonders um diese Menschen kümmert, die

vorher ihr Dasein in der Sozialhilfe fristen mussten, führt natürlich zu einer Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Es ist schon ein wenig heuchlerisch, wenn diese Entwicklung von der linken Seite an den Pranger gestellt wird. Es ist absurd, sie als Argument gegen die Reform zu verwenden. Vergleichen Sie vorher und nachher. Die Situation der Betroffenen ist heute menschenwürdiger. Der Sozialstaat, von dem sie zuvor komplett abhängig waren, gibt Hilfe zur Selbsthilfe, sorgt durch ergänzende Leistungen für ein Mindesteinkommen.

Meine Damen und Herren, wo Licht ist, ist auch Schatten. Nicht alle Maßnahmen der Hartz-Gesetzgebung waren erfolgreich. Bedenken, die wir im Vorfeld zu einigen Instrumenten geäußert haben, sind bestätigt worden. Aber es wurde zeitnah nachgesteuert. Der Jobfloater war ein Flop und ist abgeschafft worden,die Personalserviceagenturen brachten nicht die prognostizierten Beschäftigungserfolge. Die Ich-AGs waren ein teures Konzept, den Weg in die Selbständigkeit zu unterstützen.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Dr. Walter Lübcke (CDU))

Doch insgesamt hat die Reform die Beschäftigung gestärkt. Hessen hat hierbei eine Hauptrolle gespielt. Es hat diese Reform mitgetragen – im Gegensatz zu Frau Ypsilanti und Teilen ihrer Fraktion.

Sehr geehrte Frau Schulz-Asche, wir haben auch nicht gekontert. Wir haben vielmehr durch das OFFENSIV-Gesetz und die Idee der Jobcenter die Entwicklung angestoßen. Manchmal musste die Bundesregierung hier wirklich zum Jagen getragen werden. Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe ist Kernpunkt der Agendapolitik. Sie wird als bedeutsamstes Projekt in der Sozialpolitik der Bundesrepublik innerhalb der letzten vier Jahrzehnte angesehen. Sie hat Doppelzuständigkeiten beseitigt, die Grundlage für eine effektivere Betreuung und Vermittlung der Langzeitarbeitslosen in Arbeit geschaffen.

Die Qualität des Sozialstaats bemesse sich nicht allein an der Höhe des sozialen Transfers, sondern auch daran, ob Menschen wieder klare Lebenschancen bekämen und sozialer Aufstieg möglich sei, hat SPD-Generalsekretär Hubertus Heil formuliert. Exakt dieser Paradigmenwechsel ist durch die Reform erzielt worden: weg von der Alimentierung, hin zum Vorrang von Arbeit. Die Aufnahme bezahlter Tätigkeit ist für einen arbeitsfähigen Menschen würdiger als die Entgegennahme einer finanziellen Unterstützung ohne Gegenleistung.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Meine Damen und Herren, die Politik muss alles tun, damit die Betroffenen eigenverantwortlich ihr Leben gestalten können: nicht Arbeitslosigkeit finanzieren, sondern in Qualifizierung und Vermittlung der Arbeitslosen investieren. Bei der Aufnahme von Arbeit zu helfen, auch durch verstärkte Sanktionen bei Verweigerungshaltung, ist Zeichen sozialer Verantwortung und verantwortungsbewusster Umgang mit den Steuergeldern, die die Bevölkerung erbringen muss.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist geprägt vom Leitgedanken der gebündelten Betreuung und Leistungsgewährung aus einer Hand unter einem Dach in den Jobcentern. Der Betroffene ist vom Bittsteller zum Handelnden, die Sozialbürokratie vom Geldauszahler zum Individualbetreuer geworden. Die Grundidee

funktioniert nur, wenn den Betroffenen schnell, maßgeschneidert, flexibel und nachhaltig geholfen wird.

Hessen hat bei der Sozialhilfereform mit großer Hartnäckigkeit das Prinzip der Regionalität durchgesetzt. Sehr geehrte Frau Schulz-Asche, wenn Sie das unter Blockieren verstehen: Ich denke, es war der richtige Weg, dass wir dieses Prinzip massiv vertreten und durchgesetzt haben.

(Beifall bei der CDU)

Denn gerade wir in Hessen haben die Erfahrung gemacht, dass Kommunen bei der Hilfestellung Erfolge erzielen können, wenn man ihnen Spielraum gibt. Ich nenne hier nur das Beispiel des Main-Kinzig-Kreises. Auch der heutige Landrat hat die Hessische Landesregierung bei ihrem Kampf für das Durchsetzen dieses Prinzips der Regionalität massiv unterstützt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Durch das Optionsgesetz wurde 69 Kommunen gestattet, in eigener Zuständigkeit die Langzeitarbeitslosen zu betreuen. Zwölf Landkreise und die Stadt Wiesbaden – und damit genau die Hälfte der hessischen Gebietskörperschaften – sind mit von der Partie. Hessen ist damit zum Vorreiter geworden. Die Optionskommunen zeigen, dass von der kommunalen Ebene ein wirkungsvolles Hilfsangebot aus einer Hand gemacht werden kann. Sie wollen diese Arbeit fortsetzen.

Erlauben Sie mir, eine Einschätzung aus Wiesbaden vorzutragen. Sozialdezernent Arno Goßmann, SPD, hält es nach wie vor für ein großes Glück, dass sich Wiesbaden entschieden hat, als Optionskommune Langzeitarbeitslose selbst zu betreuen. 14.300 Menschen waren 2007 in Maßnahmen zur Qualifizierung vermittelt worden. Dass insgesamt 6.700 von ihnen in reguläre Jobs vermittelt wurden, sei ein Riesenerfolg – so weit Herr Goßmann.