Protocol of the Session on September 23, 2008

Erlauben Sie mir, eine Einschätzung aus Wiesbaden vorzutragen. Sozialdezernent Arno Goßmann, SPD, hält es nach wie vor für ein großes Glück, dass sich Wiesbaden entschieden hat, als Optionskommune Langzeitarbeitslose selbst zu betreuen. 14.300 Menschen waren 2007 in Maßnahmen zur Qualifizierung vermittelt worden. Dass insgesamt 6.700 von ihnen in reguläre Jobs vermittelt wurden, sei ein Riesenerfolg – so weit Herr Goßmann.

Die Kommunen leisten gute Arbeit in beiden Trägerformen – das betone ich ausdrücklich –, in den Optionskommunen und den Arbeitsgemeinschaften.Hierfür sagen wir ein herzliches Dankeschön an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf der kommunalen Ebene Tag für Tag arbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Das Land unterstützt die kommunale Ebene auch finanziell. Es fördert eine breite Palette an Hilfsmaßnahmen, erreicht damit eine Vielzahl von Betroffenen, ganz im Gegensatz zu dem Programm, das DIE LINKE im öffentlichen Beschäftigungssektor plant. Von dem großen Mitteleinsatz von über einer halben Milliarde c im Jahr würden nur 25.000 Menschen profitieren. Der Löwenanteil der Arbeitslosen, nämlich 87 %, würde leer ausgehen. Was entscheidend ist: Es würde den Betroffenen nur wenig Aussicht auf eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt geben. Die Teilnehmer wären dauerhaft von staatlicher Beschäftigung und Leistung abhängig. Meine Damen und Herren, das hat mit Fördern und Fordern nichts mehr zu tun, das ist Geldverschwendung durch Planwirtschaft.

(Beifall bei der CDU)

Ich begrüße ausdrücklich, dass Herr Al-Wazir auch in dem bereits erwähnten Interview heute diesem Vorhaben eine deutliche Absage erteilt hat.

Meine Damen und Herren, der eingeschlagene Weg ist gut. Wir achten darauf, dass beim Fördern und Fordern nicht der Rückwärtsgang eingelegt wird. Deshalb haben

wir das Konzept der kooperativen Jobcenter von Arbeitsminister Scholz abgelehnt. Es hätte die umfassende bürgerfreundliche Hilfe aus einem Guss zunichte gemacht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die dezentrale Struktur ist das A und O.Sie muss erhalten bleiben, ebenso die breite Palette der Hilfsmöglichkeiten. Deshalb lehnen wir die Abschaffung der sogenannten weiteren Hilfen ab, was die GRÜNEN zu Recht in einem Antrag jüngst in den parlamentarischen Gremien thematisiert haben.

Was der Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Scholz mit der sogenannten freien Förderung festschreiben will, ist kein Ersatz. Die Neuregelung bedeutet das Aus für die Arbeitsmarktprogramme in diesem Land. 1.300 Ausbildungs- und Qualifizierungsplätze sind bedroht. Die Wohlfahrtsverbände haben Alarm geschlagen. Wir stehen an ihrer Seite und begrüßen, dass Sozialministerin Lautenschläger deutliche Worte nach Berlin gerichtet hat.

Meine Damen und Herren, wir müssen Rückschritte verhindern und dürfen nicht stehen bleiben. Die Richtung stimmt, doch es sind weiter gehende Schritte, weiter gehende Reformen nötig. Wir benötigen als Nächstes eine zügige Entscheidung, dass auch zukünftig der kommunalen Ebene die entscheidende Rolle bei der Betreuung und Vermittlung der Langzeitarbeitslosen zukommt, nachdem das Bundesverfassungsgericht die bestehende Mischverwaltung in den Arbeitsgemeinschaften für verfassungswidrig erklärt hat.

Wir brauchen eine rasche Umsetzung der Grundgesetzänderung, die die Arbeitsministerkonferenz im Juli einstimmig gefordert hat. Mit dieser vereinbarten Verfassungsänderung können die Arbeitsgemeinschaften Rechtssicherheit erhalten, und auch die Optionskommunen sind durch den Beschluss der Arbeitsminister gestärkt worden. Es müssen endlich dauerhaft verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Minister Scholz hat mit seinem rückwärtsgewandten Modell der kooperativen Jobcenter wertvolle Zeit vergeudet. Ende der Sommerpause hat er den Entwurf für eine Grundgesetzänderung zugesagt. Scholz hat den Auftrag – Hessen hat gehandelt. Es hat einen Gesetzentwurf für die Grundgesetzänderung vorgelegt, der exakt den Beschluss der Arbeitsministerkonferenz umsetzt und einen gangbaren Weg aufzeigt, wie die Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen dauerhaft auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden können.

Wir wollen erreichen, dass neben der Kooperationslösung in den Arbeitsgemeinschaften auch weiterhin die alleinverantwortliche Aufgabenwahrnehmung durch die Kommunen zeitlich unbefristet ermöglicht wird. Denn im Interesse der Langzeitarbeitslosen muss der Wettbewerb in der Arbeitsvermittlung dauerhaft gesichert werden. So sieht der Gesetzentwurf eine Verankerung der Option vor, aber keine Festlegung der Anzahl der Optionskommunen. Darüber sollen Bundestag und Bundesrat einfachgesetzlich entscheiden.

Sozialministerin Lautenschläger hat den Entwurf für eine entsprechende Änderung des SGB II vorgelegt. Er lässt die bisherige Höchstzahl unverändert. Ob eine Ausweitung vorgenommen wird, sollte in der nächsten Legislaturperiode auf Bundesebene entschieden werden.

Reformbedarf sehen wir in einem weiteren Punkt. Solange es günstiger erscheint, sich auf Arbeitslosengeld II

und Minijobs zu beschränken,ist der Antrieb zu voller Erwerbsarbeit gedämpft. Wir müssen den Anreiz geben, nicht im Minijob zu verharren, sondern in Vollzeitbeschäftigung zu gehen.

(Beifall bei der CDU)

Wer arbeitet,muss mehr Einkommen haben als derjenige, der nicht arbeitet.Wir dürfen die Erfolge, zu denen neben der Wirtschaftspolitik die Agenda 2010 beigetragen hat, nicht verspielen. Auch die SPD muss endlich in ihrer Gesamtheit erkennen: Agenda und Anwalt der Armen schließen sich nicht aus. Um den sozial Schwachen helfen zu können, waren und sind Reformen dringend nötig.Anders sind die Leistungen dauerhaft nicht finanzierbar. Deutschland gibt jährlich für sein Sozialsystem 700 Milliarden c aus und wird im Vergleich der Industrieländer nur noch von Frankreich übertroffen. Wir brauchen das Bündnis der Stärkeren mit den Schwächeren.Wer wie die Linkspartei beide gegeneinander ausspielen will, wird scheitern.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, nur durch die Verbindung von wirtschaftlicher Vernunft und Sozialem – zwei Seiten einer Medaille – kann Arbeit für alle, die eine Beschäftigung ausüben können, möglich werden. – Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Frau Müller-Klepper. – Herr Dr. Spies, Sie haben sich zu einer Kurzintervention gemeldet.Bitte sehr.

Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Müller-Klepper, ich kann es mir nicht verkneifen, Ihnen ganz herzlich für diesen Beitrag zu danken. Nachdem der Nachmittag mit einer überaus langweiligen Regierungsabschiedserklärung angefangen hat,

(Dr.Walter Lübcke (CDU):Na,na,na! Das ist wohl eine Frechheit!)

haben Sie jetzt doch ein klares Plädoyer für sozialdemokratische Sozialpolitik gehalten. Ich beglückwünsche Sie ausdrücklich zu dieser Erkenntnis. Offenkundig ist auch in der CDU angekommen, dass man in Fragen der Sozialpolitik nur Sozialdemokraten zitieren kann – denn genau das haben Sie eine halbe Stunde lang gemacht. Auch für diese Erkenntnis vielen Dank und herzlichen Glückwunsch.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Auch die Erkenntnis bei der CDU, dass Arbeit statt Sozialhilfe ein guter Ansatz ist, freut mich. Hätten Sie das schon vor 15 Jahren gemerkt, dann hätten Sie schon damals sozialdemokratische Regierungspolitik unterstützt. Es hat ein bisschen länger gedauert. Aber wir sehen, die Erkenntnis ist möglich.Auch dazu herzlichen Glückwunsch.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Liebe Frau Müller-Klepper, wenn Sie die Sorge beschleicht, in der SPD gebe es Flügel im Widerspruch, so darf ich Ihnen erläutern: Die Tatsache, dass wir ein so dif

ferenziertes sozialpolitisches Profil haben, führt dazu, dass wir in der Lage sind, sehr fein und im Detail sozialpolitische Ansätze zu diskutieren.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Da wir uns der Transparenz stellen, tun wir das auch so, dass Sie es mitbekommen, liebe Frau Müller-Klepper. Vielleicht sollten Sie sich auch daran ein Beispiel nehmen. Dann wird es irgendwann auch wieder was mit dem Regieren.

Ein letzter Punkt, weil Sie ihn angesprochen haben, liebe Frau Müller-Klepper. Vielleicht werden Sie in fünf oder zehn Jahren verstanden haben, dass die völlig logische Konsequenz der von Ihnen so hoch gelobten sozialdemokratischen Politik am Ende auch der Mindestlohn sein muss.Wir hoffen, auch diese Erkenntnis wird mit der Zeit noch kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Bod- denberg (CDU): Haben Sie Ihre Rede vor dem Spiegel eingeübt? – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Hinreichender Beifall bei der SPD!)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr,Herr Dr.Spies.– Als Nächstem darf ich Herrn Kollegen Schaus für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen. Sie haben sich die Redezeit geteilt. Ich rufe anschließend Frau Schott auf.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Jetzt machen wir wieder Verstaatlichung! VEB Schaus!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Müller-Klepper – –

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es ist schön, dass ich Ihre nette Stimme wieder hören kann, Herr Irmer. Ich habe sie in den letzten vier Wochen wirklich vermisst. Aber es ist gut, dass Sie sich gleich zu Beginn einführen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Ich warte immer gerne auf den „rot lackierten Faschisten“, wie es Kurt Schumacher einmal formuliert hat!)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Irmer, ich darf Sie bitten, Herrn Schaus jetzt reden zu lassen. Solche Zwischenrufe sind an der Grenze des Vertretbaren.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich habe nur den Parteivorsitzenden zitiert! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Wir wissen ja, aus welchem Munde es kommt!)

Frau Müller-Klepper, Sie haben von einem knallroten Gummiboot gesprochen. Vielleicht darf ich daran erinnern, dass ein knallrotes Gummiboot sich dadurch auszeichnet, dass es äußerst flexibel auf Meer, Land und See transportiert werden kann.

(Michael Boddenberg (CDU): Es geht auch schnell mal die Luft heraus, Herr Kollege!)

Bei der Stabilität kommt es in der Tat auf die Größe dieses knallroten Gummiboots an. Es ist auf jeden Fall flexibler als ein träger, dröger Tanker. Im Übrigen hat es noch weitere Vorteile: Es ist weitab immer sichtbar.

(Michael Boddenberg (CDU): Jetzt zur Sache!)