Protocol of the Session on August 27, 2008

Nordhessen ist doch keineswegs Terra incognita, sodass es darum ginge, die ersten Schneisen in unerforschtes Territorium zu schlagen, damit sich die Menschen dort überhaupt begegnen können.Auch in Nordhessen gibt es eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, die den Erfordernissen sowohl der Wohnbevölkerung als auch der Wirtschaft weitestgehend angemessen ist – sonst gäbe es nämlich die Erfolge nicht, die Sie gerade vorgetragen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Natürlich gibt es unterschiedliche Interessen. Aber man kann mit der falschen Allokation von Infrastruktur nicht nur viel Geld in den Sand setzen, sondern obendrein auch noch die ökonomische Basis einer Region massiv schädigen. In einer Region, deren Qualität nämlich maßgeblich von ihren herrlichen Naturräumen bestimmt wird, kann eine Betonpiste für den europäischen Güterfernverkehr sehr vieles, vielleicht sogar alles zerstören.

Man müsste schon mit neokonservativer Blindheit – vielleicht müsste es eher heißen: mit Dummheit – geschlagen sein, wenn man sich immer wieder nach nichts anderem als nach einer Betonpiste sehnte.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das ist aber uralt!)

Sollte nicht auch ein echter Konservativer ein großes Interesse an der Bewahrung der Schöpfung und damit am Schutz der Natur haben? Wo ist das in Ihrem Antrag bloß

geblieben? Nachdem es gestern der Flugplatzbau war, wird in dem heute vorliegenden Antrag der Straßenbau zum Heilsbringer für Nordhessen erklärt.

Meine Damen und Herren, wenn man durch die in der schwarzen Verkehrspolitik immer wieder zum Ausdruck kommende Ignoranz nicht schon so abgehärtet wäre, könnte man ob solcher Aussagen wie der in der Nr. 4 Ihres Antrags schier verzweifeln. Man solle, so heißt es da, die Landesregierung in ihren Bestrebungen für eine – ich zitiere – „leistungsfähige Fernstraßenverbindung zwischen Hattenbach und Olpe“ unterstützen. Gemeint ist natürlich die A 4. Man traut sich nur nicht mehr, sie so zu nennen. Man möchte also tatsächlich eine massive Schädigung der naturräumlichen Juwelen – so nenne ich sie einmal – im Kellerwald, im Burgwald und im Rothaargebirge unterstützen.

Warum ist Ihre Einsichtsfähigkeit nur so gering? Weder bei der CDU noch bei der FDP – die den Antrag mit unterschrieben hat – erkennt man, dass dieses Projekt deutlich mehr schadet, als es nützt. Das gilt insbesondere für die regionale Wirtschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das Projekt Bundesfernstraße Fulda – Meiningen – B 87n – wird in Ihrem Antrag völlig falsch eingeordnet. Sie behaupten, es gehe um die Überwindung der Folgen der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Darum geht es überhaupt nicht. Es ist eine massive Schädigung des Biosphärenreservats Rhön zu befürchten. Das wollen wir GRÜNE auf jeden Fall verhindern.

Die Landesregierung glaubt, wie die CDU und die FDP, weiterhin an das Ammenmärchen, wonach neue Straßen automatisch zu größerer Wirtschaftskraft in einer Region führten. Zahlreiche Studien kommen zu dem Ergebnis – ich sprach schon von den aktuellen Meldungen, das Umweltbundesamt hat das zusammengefasst –, dass man mit den verwendeten Verfahren nicht in der Lage ist, vorherzusagen, ob der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur die ökonomische Entwicklung einer Region fördert oder eher behindert. Ich füge hinzu: Auf jeden Fall gibt es keinerlei empirische Belege für eine positive Korrelation zwischen Straßenbau und Wirtschaftswachstum.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Die Salzstraßen!)

Herr Kollege Dr. Lübcke, die Zeit der Salzstraßen liegt schon ein paar Tage zurück. Damals war es so, dass die Wirtschaft ausschließlich an den Verkehrsknotenpunkten funktionierte und die Leute dort leben wollten. Heute flüchten aus guten Gründen alle vor dem Verkehrslärm und suchen eher Erholung, z. B. in Nordhessen. Sie möchten dort nicht die Lkw neben sich und die Flieger über sich haben.

Nicht nur in den in Ihrem Antrag genannten Fällen werden solche Straßen,wie Sie sie bauen wollen,nicht zu Einbahnstraßen – das sollten Sie sich eigentlich denken –, auf denen die großartigen Produkte der Region in alle Welt transportiert werden. Umgekehrt werden solche Straßen auch von den Konkurrenten benutzt, die dann unmittelbar vor der Haustür auftauchen.

Was eigentlich das Schlimmste ist – Stichwort: Hessen als Transitland; man muss es immer wieder unterstreichen –: Vieles wird einfach durch die Region hindurchrollen. Es wird zwar Dreck und Krach verursachen, aber keine ökonomischen Vorteile bringen.Wenn die vorgesehenen Trassen zudem durch hochsensible Naturlandschaften führen,

ist das negative Ergebnis einer solchen Planung relativ offenkundig.

Meine Damen und Herren, sehen wir einmal von dem in Ihrem Antrag erwähnten Straßenbau ab. Auch über die Flugplätze haben wir gestern schon zur Genüge gesprochen. Deswegen müssen wir jetzt einen recht dunklen Punkt ansprechen. Dabei geht es um die betrübliche Situation des Schienenverkehrs in Nordhessen.

Nehmen wir als Beispiel die Kurhessenbahn. Unser Antrag dazu liegt Ihnen vor. Das, was sich hier tut, bzw. dass sich hier nichts tut, ist ein großes Desaster.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Herr Lübcke, ich sage klar: Roland Koch ist mit daran schuld, dass die Regionalisierungsmittel gekürzt wurden. In der Folge hat das dazu geführt, dass der Nordhessische Verkehrsverbund die Bau- und Finanzierungsvereinbarung zur Kurhessenbahn im letzten Jahr gekündigt hat. Das Nationalparkzentrum bleibt somit ohne Bahnanschluss. Auf diese Weise wird eine große Chance beim sanften Tourismus vertan,der in Nordhessen,auch in ökonomischer Hinsicht, eine wichtige Rolle spielt.

Außerdem – Sie wissen es – wirft das Land Hessen, bedingt durch den vermeintlichen Sparwillen von Roland Koch, viel Geld zum Fenster hinaus. Das Land und der NVV müssen bis 2021 rund 17 Millionen c als finanziellen Ausgleich für die Minderbestellmenge an Verkehrsleistungen zahlen, obwohl nichts fährt.

Meine Damen und Herren, wenn ich noch einmal auf den Antrag von CDU und FDP zurückkomme, dann nur, um darauf hinzuweisen, wie abgestanden und ausgedünnt er tatsächlich ist. Herr Kollege Dr. Wagner hat in seiner Rede einiges vorgebracht, was sich im Antrag jedoch gar nicht findet.

In einem im Juni letzten Jahres vorgelegten Antrag mit dem Titel „Erfolgsregion Nordhessen – starker Standort, starke Entwicklung“ hatte die CDU zwar im Wesentlichen den gleichen Unsinn vorgebracht, aber immerhin einige weitere Punkte genannt: Kunst, Kultur, Wissenschaft und Touristik. Davon steht in diesem Antrag gar nichts.All das ist offensichtlich vergessen.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Er hat das angesprochen!)

In der Rede hat er es angesprochen. Im Antrag steht aber nichts davon, Herr Dr. Lübcke. – Wir GRÜNE legen nämlich auf diese Aspekte besonderen Wert, wie Sie unserem Antrag entnehmen können, der den Titel „Nordhessens Qualitäten fördern, statt altes Denken in Beton zu gießen“ trägt. In Nordhessen kann man nämlich in der Tat sehr viel mehr, als nur auf Straßenbaumaschinen mit dem schwarzen Asphalt zu warten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das will ich erwähnen: An einer Stelle sind wir durchaus einer Meinung,nämlich bei der notwendigen Installation von Datenautobahnen. Eine flächendeckende Versorgung mit Breitbandanschlüssen ist heutzutage die wichtigste Infrastrukturmaßnahme für jede Region, um Anschluss an die globalisierte Welt zu finden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist der Bau solcher Autobahnen sehr viel effektiver und zugleich umweltfreundlicher als der Bau von Betonpisten. Zu fragen bleibt bei diesem Punkt des Antrags von CDU und FDP nur, warum die Landesregierung die

ses Thema eigentlich so deutlich verschlafen hat, dass sie jetzt auf parlamentarischem Weg ausdrücklich zum Jagen getragen werden muss.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Na, na, na!)

Entscheidend für die Sicherstellung der Breitbandverbindungen für das Internet ist derzeit, dass es eine Wirtschaftlichkeitslücke gibt, z. B. aufgrund der geringen Nutzerdichte gerade in Nordhessen. Hier ist ganz konkret mit Fördermitteln zu helfen. Das hätte die Landesregierung längst machen können.

Wie soll es in Nordhessen weitergehen? Wir GRÜNE haben bereits vor Jahren ein Strukturprogramm für Nordhessen vorgelegt und kontinuierlich weitergeführt. Damit wollen wir die Qualitäten der Region weiterentwickeln, statt sie zu gefährden – was Sie offensichtlich vorhaben. Unter dem Titel „Zukunftsregion Nordhessen – wo Hessen ganz oben ist“ beschreiben wir die wesentlichen Felder Erfolg versprechender ökonomischer Aktivitäten, die es zu fördern gilt.

Ich will das nur kurz anreißen. Als Erstes ist der Sektor dezentrale Energietechnik zu nennen, der die Erzeugung ebenso umfasst wie Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz und zur Einsparung. Die Grundlagen kennen Sie alle. Auch ist die Studie schon erwähnt worden, die dort bis zum Jahr 2020 rund 20.000 Arbeitsplätze in diesem Bereich prognostiziert.

Der Sektor „Gewinnung erneuerbarer Energien“ ist auch im Weltmaßstab zukunftsfähig. Man sieht, dass dies eine Zukunftsbranche ist, die gerade dabei ist, die Automobilindustrie in unserem Land in ihrem Stellenwert zu überflügeln.

Nordhessen ist in diesem Bereich exzellent aufgestellt.

(Demonstrativer Beifall der Abg. Elisabeth Apel (CDU))

Der Weltmarktführer SMA ist von fast allen Mitgliedern dieses Hauses mindestens schon einmal besucht worden.

Der zweite Bereich umfasst die traditionellen Qualitäten Nordhessens als Bäderstandort. Sie sollten Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung sein. Es gilt, die einmaligen Naturpotenziale einzubeziehen. Das herausragende Beispiel Nationalpark Kellerwald kennen Sie.Dort wurde in der Vergangenheit viel versäumt. Wir könnten schon viel weiter sein.

Genau hier kommt die Verkehrspolitik wieder ins Spiel. Die Kurhessenbahn wäre auch für einen Anschluss des Kellerwalds an das öffentliche Verkehrsnetz dringend notwendig. Hier geschieht aber nichts. In diesem Bereich wird von Ihnen die Gefährdung der ökonomischen Basis durch Planierraupen und Asphaltkocher propagiert. Es wird aber nicht das propagiert, was den ökonomischen Qualitäten, dem sanften Tourismus, den Wellnessangeboten und den Angeboten des Tourismus insgesamt dienen könnte.

Die dritte wichtige Entwicklungsmöglichkeit Nordhessens liegt in seiner bereits großen Bedeutung als Kunstund Wissenschaftslandschaft. Damit erst gar kein Irrtum entsteht, sage ich: Ich will überhaupt nicht leugnen, dass auch die amtierende Landesregierung schon sinnvolle Beiträge dazu geleistet hat. Umso mehr drängt sich der Wunsch auf, hier nicht stecken zu bleiben, sondern die Möglichkeiten konsequent weiterzuentwickeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: Nordhessens Qualitäten zu fördern, statt es mit Betonpisten zu ruinieren, ist das Gebot der Stunde. In diesem Sinn bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, der, in deutlichem Gegensatz zu dem Vorschlag von CDU und FDP, tatsächlich zukunftsfähige Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung Nordhessens nennt. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Kaufmann, vielen Dank. – Hinsichtlich der Redezeit waren Sie, wie gewohnt, auf den Punkt fertig.

Herr Dr. Lübcke, Sie haben jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

(Günter Rudolph (SPD): Herr Dr. Lübcke, haben Sie das zur Kenntnis genommen?)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kaufmann, Sie kritisieren immer, dass wir für Infrastrukturmaßnahmen eintreten. Lassen Sie mich einfach einmal die Erfolgsgeschichte SMA erzählen, die Sie hier erwähnt haben. Zwischen 1987 und 1991 war Herr Gerhardt von der FDP in der Regierung Walter Wallmann der Wirtschaftsminister.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schmidt hieß er! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Er war der Wissenschaftsminister!)