Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute muss ich mich ganz besonders an die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP wenden und sie, auch im Zusammenhang mit der vorangegangenen Debatte, daran erinnern, dass wir gut daran täten, nicht mehr in den Kategorien des Kalten Krieges zu denken. Sie sollten die Schlachten von vorgestern endlich einstellen.
Sie sollten Ihre Fähigkeit zu einer normalen, sachlichen Arbeit unter Beweis stellen und die wichtigen Fragen der hessischen Bürger zum Gegenstand der Parlamentsdebatten machen.
Sie müssen sich damit abfinden, dass wir, die LINKEN, wie auch in anderen Staaten Europas ein Teil des parlamentarischen Systems sind. Nicht Sie entscheiden, wer im Parlament sitzt, sondern es sind die Menschen dieses Landes, die darüber befinden.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Ganz anders, als das früher war! Gott sei Dank entscheiden wir!)
Im Gegensatz zu zahlreichen Politikern der CDU will die Fraktion DIE LINKE Verfassungsartikel nicht verändern oder schleifen. Wir wollen die demokratischen Rechte nicht aushöhlen, sondern bewahren.
(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie wollen den Systemwechsel! Sie wollen eine Diktatur errichten!)
Die gesetzliche Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, die Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu ermöglichen.
Nach einhelliger Auffassung ist es unstreitig, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung keine bestimmte Wirtschaftsordnung voraussetzt. Sie können das nachlesen. Der Kapitalismus ist kein verfassungsmäßig geschützter Bestandteil unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor. Dies hat das Bundesverfassungsgericht
Art. 15 Grundgesetz erklärt die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ausdrücklich für zulässig. Diese Forderungen gehören – übrigens in allen großen Staaten in Europa – zum demokratischen Verfassungsbogen. Von irgendeiner Verfassungsfeindlichkeit der LINKEN kann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede sein.
An dieser Stelle möchte ich einen ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten zitieren.Als er 1946 die erste Hessische Landesregierung von SPD und CDU gebildet hatte, erklärte der damalige Ministerpräsident Stock, dass sich unsere Kultur auf das Christentum, auf den Humanismus und auf den Sozialismus gründe.
Er fügte hinzu: „Das sind auch die Pfeiler der deutschen Bildung und Erziehung überhaupt.“ Das Protokoll vermerkt hier: „Beifall bei SPD und CDU“.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Zitieren Sie doch einmal, was Kurt Schumacher gesagt hat! – Tarek AlWazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht bei der KPD!)
Nein, das ist das Problem. Ich müsste das nachholen. Wahrscheinlich müsste ich noch einmal tiefer in die Lektüre einsteigen.
Kultusminister Erwin Stein,CDU,der später 20 Jahre lang Bundesverfassungsrichter war, schrieb zum 30. Jahrestag der Hessischen Verfassung, also vor etwa 30 Jahren:
Aus der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen fordert die Hessische Verfassung eine gerechte Sozial- und Wirtschaftsordnung. Demgemäß wird als Wirtschaftsziel das Wohl der Allgemeinheit bestimmt und jeder Missbrauch wirtschaftlicher Freiheit untersagt.
Wir sagen das heute mit anderen Worten: Menschen vor Profite. Dann nimmt der hessische Verfassungsschutz unser Wahlplakat mit der Aufschrift „Menschen vor Profite“ als Nachweis der verfassungsgefährdenden Bestrebungen der LINKEN in den Verfassungsschutzbericht auf.
Was soll das? Das kann nur jemand gutheißen,der das Sozialstaatsgebot der Verfassung unter den Tisch fallen lässt und den Neoliberalismus, den ungebremsten Raubtierkapitalismus, zum unangreifbaren Verfassungsgrundsatz erheben will.
Ob es um die Studiengebühren, den Diätencoup oder um die von Ihnen gestützte Politik weltweiter militärischer Interventionen geht, Sie wissen genau:All das ist nach unserer Auffassung eindeutig verfassungswidrig.
Auch das Sozialstaatsprinzip bringt Sie immer wieder ins Schleudern. Laut der Hessischen Verfassung haben Gesetze Maßnahmen anzuordnen, „um die... Verteilung sinnvoll zu lenken und jedermann einen gerechten Anteil an dem wirtschaftlichen Ergebnis aller Arbeit zu sichern und ihn vor Ausbeutung zu schützen“. So weit Art. 38 unserer Verfassung.
Wir überlegen, vor großem Publikum eine Tagung über Marxismus und Verfassungsschutz durchzuführen, wozu wir alle Interessierten einladen: Gewerkschafter, Marxisten, Christen, Neoliberale und Monster der Finanzmärkte – übrigens ein Begriff, den der Bundespräsident Horst Köhler verwendet hat, der im Grunde genommen dieser Position wohl auch nahesteht. Wenn die Verfassungsschützer einschließlich seines Präsidenten nichts Besseres zu tun haben, sollten sie bei dieser Veranstaltung ruhig vorbeischauen.
Übrigens hatten wir am letzten Donnerstag eine sehr große Veranstaltung im Frankfurter Gewerkschaftshaus mit über 600 Teilnehmern, wo wir das „Kommunistische Manifest“ gelesen haben. Es war begeisternd, einmal tatsächlich diese Tradition wieder aufleben zu lassen.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Aus dem vorletzten Jahrhundert! Rot lackierte Faschisten sind Sie! – Weitere Zurufe von der CDU)
Den Antrag „Der Verfassungsschutz wird nicht abgeschafft“ halten wir für ein politisches Sandkastenspiel, das wir nicht mitspielen wollen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Herr Kollege Irmer, mir ist jetzt gerade zugetragen worden, dass Sie angeblich eben gegenüber der LINKEN gesagt haben sollten: „rot lackierte Faschisten“. Wenn das so gewesen sein soll, möchte ich das ausdrücklich rügen.
Ich habe es jetzt angesprochen. Ich denke, damit sollte es seine Bewandtnis haben. – Wir fahren in der Tagesordnung fort. Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Dr.Wagner noch einmal zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur ganz kurz zu dem Zwischenruf des Kollegen Irmer bemerken,
dass es ein wörtliches Zitat aus dem Munde von Kurt Schumacher gewesen ist.Vielleicht hätte Herr Kollege Irmer ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass Kurt Schumacher das gesagt hat und nicht er.
Meine Damen und Herren, aber das war nicht der Anlass meiner Bitte um eine Kurzintervention, sondern ich frage Herrn van Ooyen hier noch einmal in aller Öffentlichkeit, coram publico, vor dem Hessischen Landtag: Sind Sie für den Verfassungsschutz, oder bleiben Sie bei Ihrer Meinung, ebenso wie der Meinung des Herrn Schaus, dass der Verfassungsschutz abgeschafft gehört?