Protocol of the Session on June 4, 2008

Das Wahlergebnis spricht dafür Bände, lieber Herr Irmer. Das können Sie schlecht verleugnen. – Dabei sind diese Reformen in die richtige Richtung gegangen. Nach der neuesten Schulstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft liegt Hessen auf Platz 2 und hat damit einen Spitzenplatz.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Mark Wein- meister (CDU))

Da wurde bestätigt, dass die Reformen in Hessen eigentlich die richtige Zielrichtung hatten, dass sie aber bei der Umsetzung ständig von handwerklichen Fehlern begleitet worden sind und deshalb nur Ärger an die Schulen gebracht haben.Schulpolitik nach dem Motto:„Gut gedacht und schlecht gemacht“, das waren die letzten fünf Jahre. Hätte man Initiativen anderer Fraktionen, insbesondere der FDP, früher aufgenommen, dann würde die schulpolitische Bilanz deutlich besser aussehen.

Zum Thema G 8.G 8 wurde den Schulen übergestülpt,anstatt das schrittweise und behutsam einzuführen. Die Proteste seitens der Schulen wurden schlichtweg überhört. Man hat auf sie keine Rücksicht genommen. Dabei hätte man nur dem Beschluss folgen müssen, den der Landtag am 27. Mai 2003 gefasst hat. Damals hat der Landtag beschlossen, dass die Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs abgestimmte und deutlich schlankere Lehrpläne erforderlich macht, dass eine flexible Stundentafel eingeführt werden muss, dass Anteile freier Unterrichtszeiten für die Entwicklung schuleigener Curricula genutzt werden müssen, damit Schwerpunktsetzungen der Schulen möglich sind. Erforderlich sind nach diesem Beschluss auch die Einführung fächerübergreifenden Unterrichts und die Angleichung der Wissensvermittlung in den Kernfächern an den Grundschulen als Voraussetzung für den gymnasialen Bildungsgang. Alle diese Punkte finden sich jetzt in dem Elf-Punkte-Programm des Kultusministers wieder. Am 27. Mai 2003 wurden diese Punkte von der CDU und der FDP im Hessischen Landtag gemeinsam beschlossen – gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN.

(Beifall bei der FDP)

Aber wie es anscheinend oft der Fall ist, hat das Kultusministerium auch diesen Beschluss nicht umgesetzt, obwohl das eigentlich richtig gewesen wäre, denn es ist mit Mehrheit im Landtag so beschlossen worden. Herr Minister, Sie sollten künftig sehr genau aufpassen, wie das Ministerium mit Beschlüssen des Hessischen Landtags umgeht. Augenscheinlich herrscht da die Devise: Augen zu und durch, wir sitzen das alles aus, irgendwann wird sich das schon wieder ändern.

Das Gleiche gilt für einen Antrag der FDP vom 9. März 2004. Damals hat die FDP ausgeführt, dass der Weg zu G 8 zu einer Bedrohung der Schulvielfalt in Hessen und insbesondere der kooperativen Gesamtschulen führen kann. Wir haben damals unterstrichen, dass die kooperativen Gesamtschulen ein wichtiger Bestandteil der Schulvielfalt sind,und wir haben kritisiert,dass die Einführung von G 8 den kooperativen Gesamtschulen die Möglichkeit nehmen würde, ihre Förderstufen weitgehend so zu belassen, wie sie sind. Diesem Teil des Antrags haben SPD und GRÜNE zugestimmt. Die CDU hat auch das abgelehnt. Jetzt lese ich Ihnen den letzten Absatz vor:

Der Landtag fordert die Landesregierung in diesem Zusammenhang jedoch auf, dass die Umsetzung der Schulzeitverkürzung für kooperative Gesamtschulen mit Förderstufen derart ausgestaltet wird,

dass diese Schulen selbst darüber entscheiden können, ob sie eine Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges vornehmen.

Leider hat diesem Absatz im Jahr 2004 nur die FDP zugestimmt.

(Beifall bei der FDP)

Auch SPD und GRÜNE haben also insgesamt vier Jahre gebraucht, um diese vernünftigen Vorschläge anzuerkennen und sie jetzt mit uns gemeinsam umzusetzen. Schulpolitik bedeutet leider das Bohren dicker Bretter.

(Beifall bei der FDP)

Insgesamt gesehen begrüßen wir aber, dass der Brandherd G 8 zum neuen Schuljahr gelöscht wird und dass die kooperativen Gesamtschulen endlich die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 haben.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Liebe Frau Habermann, mit Wahlfreiheit und mit Freiheit überhaupt hat die SPD gar nichts am Hut.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Petra Fuhrmann (SPD): Frechheit!)

Sie stellen sich hierhin und sagen, es gebe Kinder, die langsamer lernen, und es gebe Kinder, die schneller lernen. Deshalb brauche man eine flexible Schulzeit für diese Kinder. Genau das Gleiche sagen auch wir.

(Widerspruch der Abg. Heike Habermann (SPD))

Wir sagen: Es gibt Kinder, die langsamer lernen, und es gibt Kinder, die schneller lernen. Deshalb brauchen wir verschiedene Schulen für verschiedene Kinder, damit die Kinder entweder langsamer oder schneller lernen können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)

Der Unterschied besteht darin: Sie wollen alle Kinder in die gleiche Schule schicken und dann schauen, wie langsam oder wie schnell sie lernen. Das ist für uns keine Wahlfreiheit. Wir wollen verschiedene Schulen mit verschiedenen Schnelligkeiten und mit verschiedenen Angeboten für verschiedene Kinder.Das bedeutet Wahlfreiheit für die Eltern.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Zwei Punkte des Elf-Punkte-Programms des Kultusministeriums sehen wir kritisch. Zum einen will sich das Ministerium in die Hausaufgabengestaltung einmischen. Ich denke, es ist eine Kernaufgabe eigenverantwortlicher Schule, zu prüfen, ob man zusätzlich Hausaufgaben geben kann bzw. welche Art von Hausaufgaben man trotz Nachmittagsunterrichts noch aufgeben kann. Es gibt ja auch Hausaufgaben in Form des Lesens eines Kapitels oder des Sehens eines interessanten Fernsehfilms. Ich denke, da sollte man den Schulen nicht hineinreden.

Zweitens. Die Begrenzung der Klassengrößen auf 30 Schüler in Klasse 5 an den Gymnasien ist zwar sicherlich sehr wünschenswert, wird aber Unruhe an den Schulen verursachen, da das eine deutliche Bevorzugung der gymnasialen Schulform ist. Auch die Schulträger sehen sich bereits vor Probleme gestellt. Wenn die Schulen nämlich sehr voll sind – und die Gymnasien sind sehr voll, da es einen Run auf sie gibt –, werden sie eben in die Klasse 5 nicht mehr so viele Kinder aufnehmen können, wie sie ei

gentlich aufnehmen sollten, weil sie nur noch 30 Kinder pro Eingangsklasse haben dürfen. Daher ist zwar das Ziel richtig, aber ob das schon im nächsten Schuljahr umzusetzen ist, wage ich zu bezweifeln.

Gute Bildung ist teuer, schlechte Bildung ist teurer. Deshalb ist es auch richtig, dass wir uns heute auf einen Antrag einigen, der die Zahl der Referendarstellen erhöht. Wir müssen an der Stelle investieren. Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer. Lehrer werden in den nächsten Jahren Mangelware.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Auch der Umgang mit den BAT-Lehrern hat sich verändert. Zum Glück haben wir hierzu einen einstimmigen Beschluss gefasst.Auch das hätte schon seit dem Jahr 2004 so erfolgen können, als unser Antrag eingebracht wurde, BAT-Verträge auf zwölf Monate auszudehnen und die jungen Lehrer in den Ferien nicht mehr in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Die Begründung des Kultusministeriums für diese Kehrtwende ist wirklich bemerkenswert. Jetzt heißt es plötzlich,es gebe keine Kettenverträge,auch wenn man Zwölfmonatsverträge hintereinanderreihe. Dazu muss ich sagen: Der Jurist Banzer hat den Juristen im Kultusministerium augenscheinlich die aktuelle Rechtslage erklärt. Wenn dem so ist, dann würde ich vorschlagen,die Juristen des Kultusministeriums sollten dringend eine Fortbildung besuchen, dass sie in Rechtsdingen auf den neuesten Stand kommen, insbesondere was die Vertragsgestaltung bei Lehrern betrifft.

(Beifall bei der FDP)

Allerdings gibt es noch weitere Brandherde, die dringend gelöscht werden müssen. Die LUSD hat in den vergangenen Jahren die Schulen und die Schulsekretariate zur Verzweiflung gebracht. Wir haben darüber sehr intensiv diskutiert. Für Mitte dieses Jahres ist vom Staatssekretär die Einführung einer neuen Version versprochen worden.Wir haben jetzt Juni. Ich bin gespannt, wann diese neue Version kommt,und vor allen Dingen gespannt darauf,wie sie eingeführt wird: ob Stück für Stück oder wieder gleich für alle, sodass die Gefahr eines erneuten Versagens besteht.

Die NVS stellt eine deutliche zusätzliche Erschwernis für die Schulen und die Schulämter dar.Anstatt die Schulverwaltung zu unterstützen, die Vorgänge zu vereinfachen und effizienter zu machen, bewirkt die jetzige Form des Rechnungswesens genau das Gegenteil. Es wird Bürokratie aufgebaut, es wird ein Datenfriedhof angelegt. Das ist eine Belastung der Mitarbeiter ohne eine klare Zielvorgabe. Deshalb ist eine Evaluation der NVS zum jetzigen Zeitpunkt dringend erforderlich.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen die NVS nicht stoppen, aber wir wollen prüfen, was sie bisher gebracht hat, ob es sinnvoll war, diese vielen Daten zu erheben, ob es sinnvoll ist, dass eine Balanced Scorecard mit 29 Einzelfaktoren belastet wird. Wir wollen sehen, was sie bisher gebracht hat, und hören, was man für die Zukunft verbessern kann.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass man die Mitarbeiter in der Kultusverwaltung und in den Schulen davon überzeugt, dass die Erhebung von Daten wichtig und richtig ist, aber man muss ihnen sehr deutlich machen: Die Datenerhebung,das Controlling sind dafür da,die Dinge voranzubringen. Controlling ist keine Kontrolle bis auf den letzten Cent.

(Beifall bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war die alte Verwaltung!)

Das war die alte Verwaltung.

Lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Positionen der FDP zur Schulpolitik erläutern. Ziel von Schule muss es sein – darüber sollten wir uns alle einig sein –, die Schüler auf ein eigenverantwortliches, auf ein eigenständiges Leben und auf den Eintritt in den Beruf vorzubereiten. Deshalb muss Schule ihren Schülern das Bestmögliche mitgeben. Das muss ein Dreiklang aus Vermittlung von Fachwissen, sozialer Kompetenz und Persönlichkeitsentwicklung der einzelnen Schüler sein.

(Beifall bei der FDP)

Das gelingt am besten durch individuelle und begabungsgerechte Förderung, durch Bildungsgänge, die klar definiert sind, durch Bildungsabschlüsse, die landesweit einheitlich anerkannt sind. Jeder Bildungsabschluss muss eine Tür in einen weiteren Bildungsweg öffnen.

Die Schule kann das am besten durch mehr Eigenverantwortung leisten. Eigenverantwortung ist nichts Beliebiges. Herr Banzer, Eigenverantwortung wird sehr deutlich, wenn sie dem Ziel untergeordnet ist, das ich eben definiert habe, nämlich junge Menschen gut vorbereitet ins Leben zu entlassen.

Die Eigenverantwortung von Schule bedeutet für uns einen Freiraum in der Unterrichtsgestaltung und auch einen Freiraum in der inneren Schulorganisation.Das heißt, wenn an einer Schule Haupt- und Realschüler lernen, es aber nur sehr wenige Hauptschüler gibt, ist es der Schule überlassen, zu entscheiden, ob sie die Schüler gemeinsam unterrichtet oder eine eigene Hauptschulklasse gründet. Das Einzige ist, dass die Schüler gut auf die Bildungsabschlüsse vorbereitet sein müssen. Dazu kann man sie in den Einzelfächern trennen. Aber man kann sie sehr gut gemeinsam in einer Klasse unterrichten.

Zur eigenverantwortlichen Schule gehört auch die Personal- und Budgethoheit. Das ist etwas ganz Wichtiges. Die Schulen müssen endlich in die Lage versetzt werden, sich ihr Personal selbst auszusuchen und auch über die Personalzusammensetzung selbst zu bestimmen.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb ist es wichtig, dass sie für die pädagogische Mittagsbetreuung Geld bekommen. Es geht nicht unbedingt um Stellen. Stellen sind nicht das Einzige.Wichtig ist, dass die Schulen Freiheit haben. Das bedeutet Geld. Dann kann die betreffende Schule Schulassistenten und Schulverwaltungskräfte einstellen, damit die Lehrer das machen können, was sie am besten können: gut unterrichten.

(Beifall bei der FDP)

Auch der Bericht der Schulleiter aus Frankfurt,die jetzt in Finnland waren, hat sehr eindeutig und – wie ich sagen muss – nach einer differenzierten Beurteilung gezeigt: Das Entscheidende an den finnischen Schulen ist der Personalmix, sodass sich die Lehrer wirklich intensiv auf das vorbereiten können,was sie machen sollen,nämlich guten Unterricht abzuhalten. Für alle anderen Probleme, die an einer Schule entstehen, gibt es dort Fachkräfte, die einspringen und helfen können.

Die Politiker müssen die Rahmenbedingungen für die eigenverantwortliche Schule schaffen. Das heißt, wir müssen den Schulen genügend Personal und Mittel zur Verfügung stellen. Dazu befindet sich ein FDP-Antrag auf der

Warteliste, den wir vielleicht irgendwann einmal abarbeiten werden. Darin geht es um eine 105-prozentige Lehrerzuweisung, wobei die Möglichkeit besteht, 20 % in Form von finanziellen Mitteln zu erhalten, um den eigenverantwortlichen Mitteleinsatz der Schulen zu gewährleisten. Sie können entscheiden, ob sie Lehrer, andere Kräfte oder Sachmittel haben wollen. Das ist eine bedarfsgerechte Ausstattung der Schulen mit Personen und Mitteln.

Dafür ist es erforderlich, das Lehrerzuweisungsverfahren zu ändern. Das Lehrerzuweisungsverfahren nach Klassengrößen mit einzelnen Faktoren führt dazu – das haben wir in der Fragestunde wieder gehört –, dass nachgefragt wird, wie viele Lehrer im gemeinsamen Unterricht sind; denn plötzlich werden dort die Zahlen verändert.

Dieses Lehrerzuweisungsverfahren ist vor allem für die Schulen völlig undurchsichtig. Das muss vereinheitlicht werden. Es muss sich an der Zahl der Köpfe, an einem Sozialindex, an den Bildungsgängen und an dem Umfeld der Schule orientieren. Ferner muss es so transparent sein, dass jede Schule in Hessen genau weiß: Diese Zahl an Lehrerstellen steht mir zu, und die andere Schule hat aus diesem und jenem Grund eine andere Zahl an Lehrerstellen.