Protocol of the Session on June 4, 2008

Im Übrigen halte ich Kontingentstundentafeln nicht nur für eine Möglichkeit, das noch bestehende G-8-Modell zu entlasten. Im Sinne der Eigenverantwortung von Schulen ist es von Vorteil,wenn Schulen so über die Verteilung von Schwerpunkten und Inhalten bis zum Ende des jeweiligen Bildungsabschnitts entscheiden können, wie es für ihre Schüler von Vorteil ist. Die Kontingentstundentafeln begrüßen wir deshalb ausdrücklich.

Mit größerer Skepsis sehen wir Ihre Initiative, allen Gymnasien zu Beginn des neuen Schuljahres die Mittel für eine pädagogische Mittagsbetreuung zur Verfügung zu stellen.Sie haben keine Aussage dazu gemacht,ob es hierfür Stellen geben wird oder ausschließlich Mittel. Festzuhalten bleibt auf jeden Fall, dass Schulen auch Lehrerstellen benötigen, um Ganztagsangebote zu entwickeln.

Herr Kultusminister, außerdem ist es nicht redlich, zu behaupten, dass eine pädagogische Mittagsbetreuung geeignet sei, G-8-Stress abzubauen. G 8 hat in den letzten Jahren an allen Gymnasien zu unzumutbaren Belastungen für die Kinder geführt,nicht nur an den 65 Schulen,die Sie jetzt mit dieser Maßnahme nachrüsten wollen.

(Beifall bei der SPD)

Den richtigen Weg hat hier Rheinland-Pfalz eingeschlagen, wo die Einführung der verkürzten Gymnasialzeit an das freiwillige Angebot einer gebundenen Ganztagsschule geknüpft wurde. Es setzen also nur die Gymnasien die verkürzte Schulzeit um, die gleichzeitig auch zu gebundenen Ganztagsschulen werden. Dies folgt der Erkenntnis,dass G 8 in einer um ein Mittagessen erweiterten Halbtagsschule nur zulasten von Schülerinnen und Schülern umzusetzen ist. Aber diesen Weg schlagen Sie nicht ein, weil Sie wissen, dass nicht allen Gymnasien, denen in Hessen G 8 übergestülpt wurde, die notwendigen Stellenzuschläge von 15 bis 20 % zugesichert werden können. Deshalb ist dieser Vorschlag ein Placebo.

Herr Kultusminister, Sie werden gleichzeitig die Frage beantworten müssen, welche Anstrengungen diese geschäftsführende Landesregierung unternimmt, um endlich ein Ganztagsschulprogramm aufzulegen, das allen Schulen die Wahl zwischen offener und gebundener Ganztagsschule lässt.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden nicht tolerieren, dass die Gymnasien bevorzugt werden müssen, um die Fehler von G 8 zu übertünchen. Die SPD will ein Ganztagsprogramm für alle Schulformen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ankündigung kleinerer Klassen hören wir gerne. Schließlich hat diese noch amtierende Landesregierung dafür gesorgt, dass die Ausnahme für die Klassengrößen zur Regel wurde. Die SPD erwartet, dass der 10-%-Zuschlag in allen Schulformen gestrichen wird, damit individuelle Förderung keine leere Floskel bleibt.

Herr Kultusminister, kleine Klassen in der Hauptschule können nicht das Alibi dafür sein, jetzt nur bei den Gymnasien etwas zu verändern.

Es bleibt anzumerken, dass entsprechende Anträge der Fraktionen für eine bessere Lehrerversorgung zum Schuljahresbeginn mit Sicherheit an Finanzierungsvorbehalten der Ministerien scheitern werden. Sie dagegen können locker ankündigen, neue Stellen für kleinere Klassen zur Verfügung zu stellen. Wir wollen auch wissen, ob die begrüßenswerte Unterstützung der Gymnasien zulasten anderer Schulformen oder des Vertretungsbudgets geht.

Wir wollen dies insbesondere deshalb wissen, weil im letzten Zuweisungserlass nicht nur die Stellen für den gemeinsamen Unterricht reduziert wurden, sondern auch die Zuweisungen für die Gesamtschulen sich schon wieder verschlechtert haben.Wir werden nicht zusehen,wenn eine missglückte Reform zulasten von Integrationsmaßnahmen und auf dem Rücken anderer Schulformen entschärft wird. Kleinere Klassen und bessere Fördermöglichkeiten sind in jeder Schulform längst überfällig.

Herr Kultusminister, Ihre umfangreichen Vorschläge werten wir aber auch als Zugeständnis, dass G 8 gescheitert ist. Sie tragen dazu bei, das Gesamtbild zu verschönern. Aber Sie lassen den Kern des Problems unangetastet. Der Kern des Problems ist die Verkürzung der Sekundarstufe I. Sie haben einen Pullover gestrickt, der nicht passt. Jetzt setzen Sie überall bunte, attraktive Flicken ein, um den Pullover an den Nähten weiter zu machen. Sie scheuen aber die Mühe, schon Gestricktes wieder aufzutrennen und etwas daraus zu machen, was wirklich Sinn hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe für meine Fraktion in den vergangenen Monaten und bereits vor der Wahl deutlich gemacht, dass wir G 8 mit einer auf fünf Jahre verkürzten Mittelstufe ablehnen. Wir wollen mit den Beteiligten im kommenden Jahr über unser Modell diskutieren. Dieses Modell beinhaltet eine sechsjährige Mittelstufe für alle Schulen der Sekundarstufe I und erfordert ein Konzept einer reformierten Oberstufe. Diese kann in zwei oder drei Jahren durchlaufen werden.Wie viele Schuljahre ein Schüler bis zum Abitur braucht, ob 12 oder 13, sollte alleine von seinem persönlichen Leistungsstand und seiner persönlichen Leistungsbereitschaft abhängig sein. Flexibilisierung individueller Schulzeit ist ein völlig anderer Ansatz als die schematische Festlegung von Regelschulzeiten für Bildungsgänge.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen diese flexible Schulzeitverkürzung in der Oberstufe, und wir wollen sie in der Schuleingangsstufe.

Kinder sind verschieden. Sie haben unterschiedliche Interessen und lernen auf unterschiedliche Weise, und sie lernen unterschiedlich schnell.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist richtig! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ein Bildungssystem, das sich am Kind orientiert, muss mit dieser Unterschiedlichkeit umgehen lernen und flexible Angebote machen.

(Beifall bei der SPD – Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Boddenberg, ich rede nicht von Ihren drei Schubladen, die Sie immer so gern aufmachen.

(Michael Boddenberg (CDU): Es hörte sich aber jetzt so an, Frau Kollegin!)

Eine solche Initiative haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD gemeinsam in den Kulturpolitischen Ausschuss eingebracht. Herr Kultusminister, dies als politisches Geplänkel zu bezeichnen, halte ich für unangemessen.Ich bin relativ sicher,dass Schulen und Lehrer das nicht als Geplänkel ansehen, sondern als konstruktiven Vorschlag, wie wir weiter mit G 8 umgehen können.

(Beifall bei der SPD)

Wir halten ohne Wenn und Aber an der sechsjährigen Mittelstufe fest, die für alle Schüler in allen Schulformen auch weiterhin den mittleren Bildungsabschluss bedeutet. Denn das Problem, dass Schüler und Schülerinnen die Orientierungsstufe eines Gymnasiums ohne Realschulabschluss absolvieren müssen, ist auch weiterhin ungelöst.

Die Verdichtung in der Mittelstufe ist entwicklungspsychologisch Unsinn und erhöht Angst und Druck. Sie verhindert nachdrücklich, dass Durchlässigkeit mehr werden kann als eine Absichtserklärung.

Verehrter Herr Kultusminister, deshalb kann ich es nicht stehen lassen, wenn Sie den Eindruck erwecken, die Mehrheit des Landtags stehe grundsätzlich hinter G 8. Sie sollten bitte auch berücksichtigen, dass wir konstruktive Vorschläge für eine Weiterentwicklung anbieten, die G 12 oder G 13 heißen kann, aber die es nicht schematisch für alle über einen Kamm schert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen keine Rolle rückwärts.Wir wollen ein Modell, das Schulzeitverkürzung den Stellenwert zuweist, den sie hat. Schulzeitverkürzung ist nicht der Motor des Fortschritts und die Voraussetzung für Konkurrenzfähigkeit. Sie ist vielmehr eine von vielen Antworten auf die Herausforderung, Kindern individuelle Bildungswege zu ermöglichen. Ich bin überzeugt, dass viele oder die meisten von ihnen den Weg zum Abitur verkürzen können, ohne dafür in der Mittelstufe die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Lernen aufzugeben und durch Pauken ersetzen zu müssen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin auch schon bei den Schlussbemerkungen. Ich finde es bemerkenswert, dass eine Landesregierung – und sei es auch nur eine geschäftsführende – sich gezwungen sieht, eine Regierungserklärung darüber abzugeben, wie sie ihre eigenen Fehler korrigiert. Die Diskussion um G 8 ist mit dem heutigen Tage nicht abgeschlossen. Ich glaube, das habe ich deutlich gemacht.Aber wir sollten uns in den nächsten Monaten sehr viel mehr auch mit dem beschäftigen, was in den

Schulen des Landes passiert, die nicht Gymnasium heißen. Wir sollten die Diskussion um eine Schulpolitik beginnen, in der Chancengleichheit und individuelle Förderung auch umgesetzt werden können.

Wir haben uns gefreut, und das haben Sie gemerkt, dass Sie vorhin gesagt haben: Kein Kind darf zurückgelassen werden. – Das ist original unserer parteipolitischen Programmatik entnommen. Wir hoffen, dass das nicht nur Worte waren. Ich will schließen mit einem Zitat von Andreas Tenzer, der die Lernpraxis in Köln gegründet hat, in der man sich mit Lernbehinderungen und Lernstörungen beschäftigt:

Innerer oder äußerer Klimawandel, das ist hier die Frage.

Daran werden wir Sie in den kommenden Monaten messen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Habermann. – Als Nächste hat für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Henzler das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung ist mit den Worten überschrieben: „Neue Wege finden – gemeinsam für Hessens Schulen“. Dieser Titel bezeichnet ein sehr hehres Ziel, ein sehr großes Ziel. Allerdings muss ich sagen: Die gestrige Debatte zum Thema Schulgesetzentwürfe von SPD und GRÜNEN zeigt die Realität, dass wir von diesen hehren Zielen noch sehr weit entfernt sind.

(Beifall bei der FDP)

Ein gemeinsamer Weg zum Wohle der Schulen in Hessen ist leider noch Wunschdenken.Die FDP schätzt die offene Art, mit der Kultusminister Banzer die Probleme in der Schulpolitik angeht. Mich persönlich wundert seine offene Art nicht sehr, denn wir kennen uns schon seit 1985 aus dem Stadtparlament von Oberursel.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Aha!)

Wir haben damals eine sehr gut geführte Koalition miteinander gehabt.

Wir unterstützen den Kultusminister beim Löschen der akuten Brandherde an den Schulen, damit sich die Schulen wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Das Kerngeschäft von Schulen ist, Schüler optimal zu fördern und guten Unterricht zu gestalten. Gemeinsam neue Wege für die hessischen Schulen zu finden, darf nach unserer Auffassung aber nicht bedeuten, dass jede Fraktion ihre Wunschvorstellungen hier in Einzelanträgen vorträgt, die mit irgendwelchen Zufallsmehrheiten beschlossen werden.

(Beifall bei der FDP)

Dadurch entsteht ein Flickenteppich, aber keine Verlässlichkeit für die Schulen. Die CDU-Regierung hat in den letzten Jahren in der Schulpolitik viele Fehler gemacht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Na, na, na! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Aber ja, Herr Irmer!)

Das Wahlergebnis spricht dafür Bände, lieber Herr Irmer. Das können Sie schlecht verleugnen. – Dabei sind diese Reformen in die richtige Richtung gegangen. Nach der neuesten Schulstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft liegt Hessen auf Platz 2 und hat damit einen Spitzenplatz.