Im Ergebnis wird es in Hessen über die integrierte Gesamtschule hinaus zwei unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel der allgemeinen Hochschulreife geben. Da die Oberstufe gemäß der Vorgaben der Kultusministerkonferenz (KMK) dreijährig zu organisieren ist, bleibt das Schulwesen zudem anschlussfähig – oder nach der neuen Formulierung des Schulgesetzes durchlässig – für all die Schülerinnen und Schüler, die die mittlere Reife an Haupt-, Real- oder beruflichen Schulen erwerben und auf das Gymnasium oder eine Gesamtschule wechseln wollen.Es bleibt zudem das Ziel auch der geschäftsführenden Landesregierung, das Thema „mittlere Reife nach neun Schuljahren an den G-8-Schulen“ erneut in der KMK zur Sprache zu bringen und eine gute Lösung dafür zu finden.
Ich bin insgesamt davon überzeugt, dass es mit diesem Maßnahmenpaket gelingen wird,die Schulzeitverkürzung in Zukunft zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu gestalten.Denn es handelt sich hier nicht um ein Herumdoktern an den G-8-Problemen, wie das eine Fraktion kritisiert hat. Die einzelnen Maßnahmen wurden in den vergangenen Wochen sorgsam ausgearbeitet. Praxiserfahrungen der Schulen wurden einbezogen.Vorschläge aus den Lehrerkollegien wurden eingeholt. Natürlich wurde es mit
Blick auf andere Bundesländer so organisiert, dass sie durchaus in der Lage sind, die Durchführung von G 8 zu verbessern.
Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn wir nach der Lösung dieser Detailfragen dahin kommen könnten, in Zukunft weniger über das Ob und Wie von G 8 zu sprechen, sondern vielmehr darüber, welche Chancen Jugendliche aus dieser Verkürzung der Schulzeit haben. G 8 muss in Hessen der Regelfall auf dem Weg zum Abitur bleiben.
Das entspricht auch dem nationalen und internationalen Standard. G 8 bietet jungen Menschen ein Jahr mehr Zeit, um sich nach dem Abitur persönlich wie beruflich zu orientieren und zu entwickeln. Diese Chance sollten wir den jungen Leuten nicht nehmen.
Ich habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche geführt. Diese Gespräche sollten nicht nur eine Einstiegshilfe in meine neue Aufgabe sein. Ich möchte diesen Dialog auch weiterhin fortsetzen. Ich möchte auf diese Weise eine Politik der offenen Türen ermöglichen, wie sie Ministerpräsident Roland Koch in seiner Regierungserklärung beschrieben hat.
Dies erscheint mir gerade in der Bildungspolitik wichtig. In Hessen wurde in der Vergangenheit oft geklagt, dass die Schulen nicht mehr zur Ruhe kämen, und dies nicht nur aufgrund zahlreicher unverzichtbarer Reformen, sondern auch wegen eines nicht enden wollenden politischen Streits. Die Zeit der politischen Schlammschlachten sollte nun vorbei sein. Damit verunsichert man nur Menschen, anstatt sie zu motivieren.
Aus meiner Sicht ist die Suche nach gemeinsamen Wegen gerade in dieser Übergangsphase geboten. Die hessischen Schulen müssen sich darauf verlassen können, dass die laufenden Projekte nahtlos weitergehen und notwendige neue Entwicklungen nicht gebremst oder gar blockiert werden. Diese Verlässlichkeit will ich den Schulen zusichern.
Wir haben viele Themen, über die wir gemeinsam diskutieren müssen und können, sei es die Lehrerbildung, die Entwicklung der Haupt- und Realschulen oder die Verbesserung der verlässlichen Schule. Klar ist auch, um all dies umzusetzen, brauchen wir in den kommenden Jahren mehr Personal: Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologen usw.
Ich glaube, an keinem anderen Punkt sind wir uns parteiund fraktionsübergreifend so einig wie in diesem.Wir sind uns sicherlich aber auch darüber einig, dass dies nur schrittweise geht. Wir müssen uns alle aktiv um Lehrkräfte bemühen, gerade, aber nicht nur, in den Mangelfächern. Es ist derzeit erfreulich, zu beobachten, dass die Zahl der Anmeldungen zum Referendariat stark gestiegen ist. Ich möchte daher – das ist auch noch Gegenstand dieses Tagesordnungspunkts – auch die Zahl der Referendariatsplätze schon im kommenden Schuljahr gern erhöht sehen.Wenn wir die Chance haben, Referendare in Mangelfächern zu bekommen, sollten wir diese im Interesse der hessischen Schulen nutzen.
Herr Staatsminister, ich erlaube mir den Hinweis, dass die Redezeit der Fraktion überschritten ist – als Orientierung.
Die Zukunft der hessischen Schulen hängt ganz entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, qualifizierte und motivierte Lehrerinnen und Lehrer in ausreichender Zahl zu gewinnen. Sonst laufen alle Anstrengungen ins Leere. Ich habe mir vorgenommen, in den kommenden Wochen an diesem Punkt besonders zu arbeiten und verstärkt auf Studierende, auf Lehrkräfte, die derzeit nicht im Dienst sind, oder auch auf Interessenten für einen möglichen Quereinstieg zuzugehen. Die geplanten Veränderungen in der Gestaltung der BAT-Verträge sehe ich ebenfalls in diesem Zusammenhang. Ich bin dankbar für jeden Hinweis von Ihnen und von anderen Fachleuten,die mich darauf hinweisen, wie man noch weitere Lehrerinnen und Lehrer, Quereinsteiger beispielsweise, für unsere Schulen gewinnen kann.
Eines sollte uns nicht passieren: dass wir, weil wir so viele Lehrerinnen und Lehrer brauchen, Abstriche an den Qualitätsanforderungen machen müssten, nur damit wir Lehrer haben.Wir wollen auch gute und qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer für unsere Schulen haben.
Meine Damen und Herren, wir haben nach meiner Überzeugung eine gute Ausgangsposition, um uns gemeinsam Gedanken darüber zu machen, wie diese Entwicklung durch neue Schritte positiv vorangebracht werden kann. Diese Chance sollten wir verantwortungsvoll nutzen und nicht politisch zerreden. Von meiner Seite bin ich bereit für offene, durchaus auch kontroverse Gespräche und für eine gemeinsame Suche nach neuen Wegen für Hessens Schulen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Banzer. – Ich darf die Aussprache eröffnen. Frau Habermann, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion. Es sind jetzt insgesamt 22 Minuten Redezeit für die Fraktionen möglich.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Banzer,es darf nicht zu einem politisch verursachten Reformchaos kommen, stellen Sie in Ihrer Regierungserklärung fest. Ich stimme vollständig mit Ihnen überein, was diese Forderung betrifft.
Nur in einem Punkt würde ich sie verändern, und zwar im Tempus. Richtig ist, es durfte nicht zu einem politisch verursachten Reformchaos kommen. Genau das ist die Situation, mit der die Schulen in Hessen in den vergangenen neun Jahren konfrontiert wurden.
Es gibt immer noch zu viele Baustellen, und zu viele Sackgassen durchziehen die hessische Bildungslandschaft.Viel zu viele Vorhaben sind zwar verkündet und beschlossen, es gab aber niemals die dringend notwendige Unterstützung für die Schulen, um diese auch zu realisieren.
Geblieben ist eine Fülle von Verordnungen, Erlassen, Zielvereinbarungen, Datenverarbeitungssystemen, die Schulen an ihren zentralen Aufgaben mehr hindern als fördern. Geblieben ist ein Schulgesetz, das ungeeignet ist, den Anspruch auf ein gutes und zukunftsfähiges Schulsystem zu erfüllen.
Deshalb ist es richtig, dass überstürzte Initiativen der falsche Weg sind,um das Reformchaos der Vergangenheit zu beseitigen. Genauso richtig aber ist es, dass den Schulen das Signal gegeben werden muss, dass sich etwas ändert und dass sich etwas ändern muss. Nichts anderes tut die SPD-Fraktion mit den Initiativen, die wir in den vergangenen Monaten auf den Weg gebracht haben. Wir haben gestern eine erste Änderung des Schulgesetzes verabschiedet, und die Unterrichtsgarantie plus wurde abgeschafft.
Sie wurde ersetzt durch ein Konzept für eine verlässliche Schule, das die Schulen nicht mehr dazu zwingt, ausfallenden Fachunterricht durch Nichtlehrkräfte vertreten lassen zu müssen.
Wir haben beschlossen, dass die Querversetzung in Klasse 7 ganz wegfällt und in Klasse 5 und 6 nur noch ausnahmsweise zugelassen wird. Das Regelinstrument der Querversetzung ist damit in den hessischen Schulen nicht mehr existent.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))
Wir haben die Richtwerte zur Klassenbildung abgeschafft,die nicht nur Schulstandorte gefährdet haben,sondern dazu geführt haben, dass Klassenhöchstgrenzen an allen Stellen in diesem Land ausgereizt worden sind.
Dies sind kleine Schritte, aber sie zeigen, wohin für uns der Weg in der Bildungspolitik gehen muss. Schule braucht die Freiheit, die Ressourcen und die Verantwortlichkeit, die besten Chancen für alle Schülerinnen und Schüler zu bieten. Nicht die Schülerinnen und Schüler müssen sich der Schule anpassen, sondern Schule muss Lern- und Lehrbedingungen bieten können, die an das einzelne Kind, an seine Begabungen, an seine persönliche Entwicklung und auch an sein Lerntempo angepasst werden können.
Meine Damen und Herren, unser größtes bildungspolitisches Defizit in Hessen ist weiterhin, dass viel zu viele Kinder zurückgelassen werden, aussortiert werden und scheitern. Herr Banzer, daran ändert auch in Ihrer G-8lastigen Regierungserklärung nicht das erneute Beschwören der Hauptschulabschlussquote etwas. Es beantwortet nämlich nicht die Frage, wie viele dieser Hauptschüler auch nach erfolgreichem Abschluss keine Chance im Berufsleben haben.
Es beantwortet nicht die Frage, wie viele von ihnen ohne Friktionen und ohne Schulwechsel einen anderen Abschluss hätten erreichen können, wenn ihnen die Chance eines integrierten, auf individuelle Förderung setzenden Bildungsgangs geboten worden wäre. Denn längeres gemeinsames Lernen ist auch hier eine Antwort auf die Frage nach der Lösung dieser Probleme.
Es beantwortet auch nicht die Frage, warum die Zahl der Förderschüler, insbesondere in der Lern- und Erziehungshilfe, in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist.
Weil dies so ist und wir als Sozialdemokraten uns nicht damit abfinden, dass vorhandene Begabungen durch eine rückwärtsgewandte Bildungspolitik, die nicht die Kraft hat, aus den internationalen Vergleichsstudien die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, verschüttet werden, brauchen wir zunächst eine Orientierung an den kleinen Schritten.Wir brauchen den Willen, im Austausch mit Eltern, Lehrern und Schülern und unter Berücksichtigung ihrer Interessen als Land ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln.
Herr Kultusminister, ich erinnere daran, dass das gültige Schulgesetz auf den 31.12.2009 befristet ist. Wann, wenn nicht jetzt, sollte ein transparentes Verfahren in Gang gesetzt werden, das die Betroffenen mitnimmt? Ist der vor Veränderungen warnende Zeigefinger wirklich angebracht, wenn man weiß, dass eines sicherlich nicht zur Debatte stehen kann – die korrekturlose Verlängerung des bestehenden Schulgesetzes? Ebenso wie Sie in den Schulen das Bedürfnis nach Ruhe für die pädagogische Arbeit erkennen, erkenne ich auch die Angst vor Stillstand, die Angst,dass alles so bleibt,wie es ist.Denn das ist nicht das, was Schulen und Eltern in Hessen wünschen.
Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen durch erkennbare Dialogbereitschaft, aber auch durch das Aufzeigen von Perspektiven und Entschlossenheit zum Handeln. Es genügt eben auf Dauer nicht, zu moderieren und zuzuhören; es muss auch erkennbar sein, dass das Land Bildungspolitik gestalten will, sonst geraten Maßnahmen in Gefahr, beliebig zu werden. Nicht alle Entscheidungen sind unter dem Hinweis auf mehr Eigenverantwortung den Schulen zu überlassen. Die Entscheidung zwischen G 8 und G 9 ist eine,die mit Eigenverantwortung von Schule nichts zu tun hat. Sie muss letztlich von den politisch Verantwortlichen einheitlich gelöst werden.
Die SDP-Fraktion hat gestern trotzdem dem Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zugestimmt.Wir haben dies getan, weil wir den kooperativen Gesamtschulen, die zur sechsjährigen Mittelstufe zurückkehren wollen, diese Möglichkeit nicht verwehren wollten. Sie können damit als Gesamtschulen auch wieder verstärkt Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen herstellen. Eine Lösung mit Perspektive ist dies für uns jedoch nicht, sondern allenfalls ein Zwischenschritt.
Das Paket, das Sie uns heute zur Diskussion vorlegen, ist ein Paket, das viele Komponenten enthält, die die Schulen in ihrer Arbeit unterstützen können. Herr Kultusminister, ich erkenne ausdrücklich an, dass Sie in den vergangenen Monaten Eltern und Schulen in der Tat gut zugehört haben. Sie haben nicht versucht, die Verantwortung für die Folgen von G 8 mit neuen Erlassen auf die Schulen abzuschieben, sondern sich ernsthaft bemüht, G 8 erträglich zu gestalten. Ich will auf die Vorschläge im Einzelnen eingehen.
Wir haben in den letzten Monaten oft über Lehrpläne debattiert. Die SPD hat die bestehenden Lehrpläne, und zwar in allen Schulformen, immer als aufgeblasen und überfrachtet kritisiert. Wir haben darauf gedrängt, die Diskussion um die Bildungsstandards zu nutzen, um Kerncurricula zu entwickeln.
Ein Offenbacher Schulleiter hat die bestehenden Lehrpläne in der Presse so charakterisiert – ich habe dies schon an vielen Stellen gehört und teile diese Auffassung –: Es bringe nichts, immer mehr in die Köpfe der Kinder hineinzupressen. Ziel müsse vielmehr sein, die Schüler zu befähigen, sich Sachen selbst anzueignen. Es gehe darum, das Lernen zu lernen.
Ob ein bisschen Entschlackung dazu führt, dass die Schulen diesem Ziel näher kommen, halten wir weiterhin für fraglich.Als Übergangslösung bis zur Einführung der Bildungsstandards wird dies hoffentlich wenigstens dazu führen, dass der Druck auf die Kinder und Lehrkräfte etwas geringer wird.
Herr Kultusminister, wir haben uns gefreut, dass Sie unseren Vorschlag der Kontingentstundentafeln, wenn auch modifiziert, aufgegriffen haben. Die SPD-Fraktion hat dies bereits in ihrem Antrag an das Parlament als Sofortmaßnahme für die Schülerinnen und Schüler beantragt, die jetzt mitten in G 8 stecken.
Im Übrigen halte ich Kontingentstundentafeln nicht nur für eine Möglichkeit, das noch bestehende G-8-Modell zu entlasten. Im Sinne der Eigenverantwortung von Schulen ist es von Vorteil,wenn Schulen so über die Verteilung von Schwerpunkten und Inhalten bis zum Ende des jeweiligen Bildungsabschnitts entscheiden können, wie es für ihre Schüler von Vorteil ist. Die Kontingentstundentafeln begrüßen wir deshalb ausdrücklich.