Protocol of the Session on February 23, 2006

Ich habe mich im Zuge meines Studiums der Germanistik sehr lange mit esoterischen Schriften des Mittelalters beschäftigt.

(Lachen bei der CDU – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das merkt man!)

Eines der wichtigsten Elemente dieser esoterischen Schriften ist die Suche nach dem Stein der Weisen. Das lateinische Wort für die Suche heißt „Transmutation“. Ich finde es sehr spannend, zu beobachten, wie dieses Wort Ende des 20. Jahrhunderts in einem wissenschaftlichen Experiment wieder auftaucht, bei dem man versucht – ich habe es zufällig nachgelesen –,unter sehr präzisen Außenbedingungen etwas zu schaffen, was man in der normalen Umwelt überhaupt nicht auf die Reihe bekommt.

Lesen Sie, bitte schön, den Aufsatz, auf den sich alle beziehen, bevor Sie darüber reden. So etwas einfach in die Welt zu setzen,können wir uns nämlich nicht leisten.Auch das ist eine Form von Euphemismus.

Bei dem nächsten Punkt geht es um die spannende Frage, dass alle dazubauen. Ist irgendjemandem schon einmal aufgefallen, dass, wenn alle dazubauen, die Nutzungsdauer von Kernkraftwerken nicht verlängert, sondern verkürzt wird? Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Debatte darüber, wie lange Atomkraftwerke laufen – ob 40 Jahre oder länger –, davon abhängt, wie viele dazugebaut werden, und dass zehn Kernkraftwerke mehr auf der Welt faktisch bedeuten, dass die Nutzungsdauer des einzelnen um ein halbes Jahr verkürzt wird?

In der Debatte, die Sie führen, geht es also darum, eine Übergangsenergie mit hohen Kosten auszubauen, ohne dafür die Versorgungssicherheit zu bekommen,die Sie haben. Das ist schlicht verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Nette daran ist, dass Sie einfach an dem Weltbild festhalten, dass Europa, die Vereinigten Staaten und noch ein paar andere die Länder in der Welt sind, denen es gut geht,

(Ministerpräsident Roland Koch: China, Indien, Südkorea!)

während sich in den anderen Ländern nichts ändert.Wenn nämlich alle Länder diesen Weg einschlagen würden – was sie nicht einmal können, weil ihnen die Investitionsmittel fehlen –, würde dieses Weltmodell nicht mehr funktionieren.

Wer ein Weltmodell, zu dem die Nutzung von Kernkraftwerken gehört, propagiert, sagt im Kern: Wir wollen die Spaltung der Welt in Arm und Reich fortsetzen, weil wir keine Technologie entwickeln, die auch für die Armen langfristig erreichbar ist. – Das ist ein zynischer Eurozentrismus. Ich glaube, das müssen Sie sich einmal sagen lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Dann kommt das berühmte ökonomische Argument – das netteste von allen. Ich finde es immer spannend, wenn ökonomisch argumentierende Politiker den Grundsatz der Ökonomie nicht beherzigen, der da lautet,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der Esoteriker Grumbach!)

machen Sie nur weiter –, dass man versuchen muss, mit knappen Mitteln möglichst viel zu erreichen.Wenn es sich bei diesen knappen Mitteln um Geld handelt und Sie feststellen,dass Sie für jeden Euro,den Sie in Kernkraftwerke stecken, das Fünf- bis Zehnfache herausbekämen, wenn Sie ihn in andere Energieerzeuger investierten, erkennen Sie, dass die Entscheidung für die Kernkraft unökonomisch ist und Sie damit weniger statt mehr Arbeitsplätze schaffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Verlaub: Allein mit den Investitionsmitteln, die nötig wären, um Biblis A und Biblis B halbwegs auf den Stand von Gundremmingen zu bringen, könnten Sie jeden in Biblis Beschäftigten mit einer Rente, die in der Höhe der eines Ministerialrats entspricht,in Pension gehen lassen.Ich sage das Ihnen jetzt einmal so. Das ist Ökonomie.Wir haben im Saarland darüber diskutiert.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Oskar Lafontaine!)

Herr Kollege Grumbach, Sie müssen zum Ende kommen.

Keine Frage, ich bin in der Lage, Leute zu kritisieren, die ich besser kenne als Sie. Das ist nicht mein Problem. – Im

Saarland wurden im Zusammenhang mit Arbed Saarstahl Milliarden von DM in eine veraltete Produktion investiert und dem Fortschritt auf diese Weise die volkswirtschaftlichen Mittel entzogen.Das ist Ihre Politik.Sie stecken die Mittel in das Alte, statt den Fortschritt zu finanzieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Boddenberg, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich glaube, dass wir hier im Nachgang zu der gestrigen Debatte noch einmal eine grundsätzliche Frage erörtern müssen:Wie diskutieren wir über ein solches Thema? Machen wir eine vollständige Debatte, oder veranstalten wir eine Debatte in Teilauszügen, wie Sie das an verschiedenen Stellen immer wieder versuchen?

Wir haben während des letzten Plenums über die Kerntechnologie und die Energiegewinnung gesprochen. Ich habe Sie schon damals aufgefordert, auch zu sagen – das gehört zur Risiko- und Folgenabwägung –, dass wir durch den Ausstieg, den Rot-Grün beschlossen hat, eine jährliche CO2-Mehrbelastung in Höhe von 18 Millionen t haben werden.

(Gernot Grumbach (SPD): Nur wenn Sie nichts tun!)

Ich will das nur an dem Beispiel festmachen, Herr Grumbach. – Es geht in die gleiche Richtung. So versuchen Sie das immer.

Gestern und heute Morgen haben wir über den Flughafen diskutiert.Wenn Sie über Ticona reden,sagen Sie,dass das hohe Risikopotenziale für die Zukunft birgt. Sie lassen aber aus, dass bereits heute gleich hohe oder sogar noch höhere Risiken bestehen, weil die Flugrouten über das Ticona-Gelände verlaufen.

Was die Verlagerung des Kurzstreckenverkehrs auf die Schiene anbelangt,reden Sie immer davon,dass eine neue Landebahn für den Frankfurter Flughafen bedeutet, dass größere Waldflächen gerodet werden müssen. Sie sagen aber nicht, dass die ICE-Trasse von Köln nach Frankfurt, die Sie ausdrücklich befürworten, eine dreimal so große Fläche beansprucht hat, die ebenfalls gerodet werden musste.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit Hysterie an das Thema herangehen – schon gar nicht mit einseitig forcierter Hysterie –, sondern die Risiken und Chancen an jeder Stelle sorgfältig abwägen.

Ich habe hier eine Liste vorliegen. Wir sammeln hin und wieder, was die grünen Politiker landauf, landab sagen. So wichtig sind Sie uns denn doch; das will ich nicht verhehlen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind wir?)

Auf dieser Liste sind mehrere hundert Projekte verzeichnet, bei denen die GRÜNEN gegen irgendetwas sind. Das beginnt bei den Autobahnanbindungen in Nordhessen.

Sie freuen sich gerade wieder darüber, dass es dem BUND gelungen ist, im Zusammenhang mit der A 44 etwas zu verzögern.Weiter geht es mit der A 49. In Mittelhessen geht es um die Bundesstraße 3a. Sie sind immer gegen irgendetwas, ohne zu sagen, wo die Alternative ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich nenne Ihnen Beispiele.Allein aus Gießen werden mir 16 lokale Projekte gemeldet, gegen die die GRÜNEN irgendetwas einzuwenden haben. Sie sagen den Menschen, die im Osten Frankfurts wohnen, nicht, welche Folgen es hat,dass sie sich seit Jahren gegen den Bau des Riederwaldtunnels sträuben. Sie sagen ihnen nicht, dass das zu einer höheren Schadstoffbelastung in der Stadt führt und dass das in der Verantwortung der GRÜNEN liegt.

(Beifall bei der CDU)

Sie sagen auch an anderer Stelle nicht, worin die Alternativen bestehen. Ich gehe noch einmal auf das Thema Verkehr ein. Sie erklären den Menschen seit Jahren, dass man eigentlich gar nicht fliegen muss, weil man den ganzen Verkehr auch über die Straße bzw. über die Schiene abwickeln kann. Sie sagen den Menschen, dass wir keine Autobahnen mehr brauchen, weil der Güterverkehr besser über die Schiene abzuwickeln ist.

(Reinhard Kahl (SPD): Wissen Sie, wie das Thema der Aktuellen Stunde heißt? Was redet der denn da? – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie sagen den Menschen aber nicht, dass wir Güterverkehr in einer Größenordnung von 300 Millionen t über die Straßen abwickeln, während derzeit nur 3 Millionen t über die Schiene abgewickelt werden.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das glaubt Ihnen doch niemand mehr! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Sind Sie jetzt ein rollendes Atomkraftwerk? Worüber reden Sie eigentlich?)

Dann sagen Sie den Menschen bitte auch, dass Sie den Umfang des Schienennetzes in Deutschland verfünf- oder versechsfachen müssen,um das aufzufangen,was Sie nicht auf der Straße haben wollen.

(Beifall bei der CDU)

Aber Sie wollen auch die Schiene nicht. Sie sind doch wiederum diejenigen, die bei dem Bau der mittelhessischen ICE-Trasse Nein rufen. Es darf nicht sein, dass Sie immer nur Nein rufen. Hin und wieder müssen Sie auch sagen,was Sie wollen und,vor allem,welche Folgen es hat, dass Sie so oft Nein gerufen haben.

Man könnte sich ja über die Entwicklung an anderer Stelle freuen. Ich komme noch einmal auf die grundsätzliche Frage Ihrer Technologiefeindlichkeit zurück. Ich freue mich manchmal, wenn ich darüber lese, dass deutsche Technologie in anderen Teilen der Welt eingesetzt wird. Gott sei Dank ist das auch bei der Kerntechnologie nach wie vor der Fall. Aber wer weiß, wie lange das noch so ist.

Eine Überschrift, wonach die Chinesen die zweite Transrapidstrecke planen, stimmt mich jedoch nachdenklich. Uns alle muss sie nachdenklich stimmen. Das ist nämlich wieder einmal ein Beleg dafür, dass die rot-grüne Verhinderungspolitik dafür sorgt, dass andere Länder prosperie

ren, während wir in Deutschland weiterhin über 5 Millionen Arbeitslose reden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Genau das ist der Zusammenhang!)

Sie haben sieben Jahre lang nur darüber geredet, jedoch kein Jota dazu beigetragen, dieses Problem zu beseitigen. – Danke.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wer regiert dieses Land?)

Herr Kollege Boddenberg, vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu dieser Aktuellen Stunde vor. Damit ist Tagesordnungspunkt 65 behandelt.